Das Geschenk des dünnen Roboters

Es war ein unsanftes Erwachen: Eine Stahltür, die mit lautem Scheppern einen Meter hinter meinem Kopf zugeschlagen wurde. Ich schreckte hoch, doch mein Körper kam nicht weit. Ich war an mein Krankenhausbett gefesselt. Um meinen Hals lag ein Lederriemen, der links und rechts in der Matratze verschwand und sehr stramm irgendwo am Bettgestell verzurrt war.

„Wir haben deine Entlassung um ein paar Stunden vorgezogen. Das ist dir doch recht, oder?“

Der Typ, der die Stahltür zugeschlagen hatte, beugte sich über mich. Er hatte ein rundliches Gesicht und schaffte es, mit seinem Grinsen jeden Quadratzentimeter davon auszufüllen, der nicht von seinem schwarzen Bart bedeckt war. Seine kleinen braunen Augen blitzten mich herausfordernd an. „Um dir die Eingewöhnungszeit bei uns zu verkürzen, haben wir dein Bett mitgenommen. Nett von uns, oder?“

Es schien seine Masche zu sein, jeden Satz mit dieser „Oder-Frage“ zu beenden.

„Es wäre doch zu schade gewesen, wenn du dich einfach verabschiedet hättest, ohne uns das Geld zu überreichen“, sagte er jetzt und beugte sich dabei so weit zu mir herunter, dass ich seinen schlechten Atem riechen konnte.

„Oder?“, dachte ich.

„Oder?“, sagte er.

Ganz sicher halten Sie mich gleich für einen Idioten. Aber es ist genau diese Art von Sätzen, die man in so einem Augenblick sagt (auch wenn man weiß, dass es aussichtslos ist): „Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor. Bestimmt haben Sie mich verwechselt. Ich bin Opfer einer Explosion und kein Mitarbeiter einer Geldtransportfirma. Wenn Sie mich vielleicht einfach wieder einschlafen lassen könnten? Ich schwöre Ihnen, dass ich mich an nichts erinnern werde, wenn ich morgen früh wach werde.“

Der Schwarzbärtige setzte ein nachdenkliches Gesicht auf und rieb mit seiner rechten Hand an seinem Kinn. „Eijeijei, das hieße ja, wir hätten einen Fehler gemacht, oder? Das wäre aber gar nicht gut. Denn weißt du: Wenn wir mit dir den Falschen aus dem Krankenhaus entführt hätten, dann müsste ich dich jetzt umbringen.

Das müsste ich gar nicht lange mit dem Boss besprechen. Sowas darf ich schon selber entscheiden. Klasse, oder?“

„Nein! Ich meine: Ja, klasse, dass Sie das selber entscheiden dürfen. Aber: Nein, ich muss nicht umgebracht werden! Ich …“

„Du musst nicht umgebracht werden, weil du genau der Richtige bist, oder?“, unterbrach er mich.

„Vielleicht könnten Sie Ihr Anliegen etwas präzisieren“, versuchte ich einen diplomatischen Neuanfang.

„Präzisieren? Gerne! Aber dafür verlegen wir dich nochmal kurz“, sagte der Oder-Typ und drückte mir ein Tuch vors Gesicht. Einen Atemzug später war ich ohnmächtig.

Sie kennen das: Das Schlechte nach einer Nacht, in der Sie sich den Kopf mit Alkohol zugeschüttet haben, ist nicht der Kater am Morgen, sondern die Gewissheit, dass Ihre Probleme von gestern auch Ihre Probleme von heute sind. Als ich wieder wach wurde, war mir also schnell klar, dass sich meine Situation nicht verbessert hatte.

Ich saß auf einem Stuhl in der Mitte eines Raumes. Er unterschied sich kaum von dem Zimmer, in dem ich zuvor ans Bett gefesselt erwacht war. Allerdings hatte ich deutlich mehr Gesellschaft: In jeder Ecke des Raumes stand ein Mann mit einer Maschinenpistole. Vor mir saß hinter einem Tisch der Oder-Typ. Neben ihm stand ein elegant gekleideter, sehr großer, dünner Mann, der sich mit der rechten Hand auf einen Stock stützte. Er hatte ein schmales Gesicht, das wie in Stein gemeißelt wirkte und es unmöglich machte, sein Alter zu schätzen. Sein volles, schwarzes Haar war zurückgegelt.

„Sie müssen meinen Mitarbeiter entschuldigen, lieber John. Ich darf Sie doch John nennen?“, fragte er.

„Wissen Sie, ich hatte bereits versucht, Ihrem Mitarbeiter zu erklären …“, begann ich. Doch ich wurde sofort unterbrochen.

„Nein, nein, nein, bitte lassen Sie das! Ich möchte, dass wir das hier professionell über die Bühne bringen“, sagte der Dünne. „Zunächst einmal schulde ich Ihnen natürlich einige Erklärungen.“ Er ging um den Tisch herum, beugte sich auf seinen Stock gestützt zu mir herunter und machte eine kurze Pause.

Die beiden Maschinenpistolenträger, die sich in den Ecken hinter ihm postiert hatten, machten einen Schritt nach vorne in unsere Richtung. „Wo war ich?“, fragte der Dünne. „Ach ja, ich wollte mich bei Ihnen für meinen Mitarbeiter entschuldigen. Es tut mir aufrichtig leid, dass Sie so unsanft geweckt und wieder in den Schlaf versetzt wurden. Wissen Sie, es war nicht geplant, dass Sie so vorzeitig wach werden.“

Ich sah ihn an, wusste aber nicht, was ich dazu sagen sollte. Meine Sprachlosigkeit schien ihm allerdings gut zu passen, denn er redete gleich weiter: „Meine größte Entschuldigung aber gilt Ihren Verletzungen.“

Er hielt kurz inne, als wollte er die Wirkung seiner Worte auf mich überprüfen. Ich fixierte ihn scharf und sagte kein Wort. Meine Situation war ausweglos. Solange ich schwieg und der Dünne sprach, konnte ich aber wenigstens ein paar Informationen gewinnen.

„Es war nicht beabsichtigt, Sie so sehr leiden zu lassen“, fuhr er fort und zeigte mit seinem Stock auf meinen Bauch.

„Jedenfalls jetzt noch nicht“, ergänzte er.

Ich versuchte, mir meine Furcht nicht anmerken zu lassen. Aber es gelang mir nicht.

„Nein, nein, nicht was Sie jetzt denken“, beschwichtigte der Dünne. „Ich weiß von unserem gemeinsamen Freund Dick Tossek, dass Folter bei Ihnen nicht funktioniert. Auch wenn ich grundsätzlich völlig anderer Meinung bin. Denn jeder Mensch hat seine Schmerzgrenze. Irgendwann redet jeder. Vielleicht dauert es bei Ihnen nur etwas länger. In Ihrem Kulturkreis haben die Menschen einfach zu wenig Geduld. Aber ich möchte Herrn Tossek und seine Leute nicht kritisieren. Wenn er sagt, dass wir Sie nicht foltern sollen, weil das nichts bringe, dann foltern wir Sie nicht. Wir sind da durchaus flexibel.“

Während seiner gesamten Rede zeigte sein Gesicht keine Regung. Er wirkte wie ein Roboter: emotionslos und kalt.

„Entschuldigen Sie. Ich bin abgeschweift“, sagte er jetzt. „Ich wollte doch auf Ihre Verletzungen eingehen, die Sie infolge dieser Explosion erleiden mussten: Das war nicht unsere Absicht. Das müssen Sie mir glauben. Aber nachdem Sie unseren ersten freundlichen Hinweis missachtet hatten …“

Er nahm einen Umschlag vom Tisch und warf ihn mir vor die Füße.

„Was soll das?“, fragte ich.

„Guck rein, du Blödmann“, rief der Oder-Typ, den ich schon fast vergessen hatte, weil der Roboter mit seiner Präsenz den ganzen Raum füllte.

Ich nahm den Umschlag vom Boden und öffnete ihn. Ein Haufen Fotos fiel heraus. Ich erkannte sie sofort. Sie stammten von Rosemaries gestohlener Kamera.

Es war, als legten sie in mir einen Schalter um.

„Sie hat nichts damit zu tun!“, schrie ich und sprang von meinem Stuhl auf.

Aber ich kam nicht weit.

Die vier Maschinenpistolenträger waren hellwach. Zwei von ihnen waren sofort schützend vor den Dünnen gesprungen und richteten ihre Waffen auf mich. Die anderen beiden standen bereits hinter mir und drückten mir die Läufe ihrer Maschinenpistolen an den Hinterkopf.

„Hinsetzen!“, befahl der Oder-Typ.

„Sie hat nichts damit zu tun! Nichts damit zu tun! Nichts!“, rief ich.

„Das ist auch so eine Sache in Ihrem Kulturkreis, die ich nicht mag“, sagte der dünne Roboter, nachdem ich mich wieder auf den Stuhl gesetzt hatte. „Bei Ihnen hat nie irgendetwas mit etwas anderem zu tun. Alles wird isoliert betrachtet. Bei uns in Asien sieht man das anders. Wir gehen davon aus, dass alles miteinander zusammenhängt. Verstehen Sie das? Alles hat mit allem zu tun“, flüsterte er und beugte sich dabei zu mir herunter.

Er machte eine Pause und richtete sich wieder auf. „Wenn ich zum Beispiel dieser Frau“, er zeigte mit seinem Stock auf eines der Fotos, das auf dem Boden lag, „ein Ohr abschneide, könnte das zur Folge haben, dass Sie mir erzählen, wo sich eine erhebliche Menge Geld befindet. Und schon hat sie doch etwas mit der Sache zu tun. Die Dinge hängen zusammen. Finden Sie das nicht faszinierend, John?“

„Sie weiß nichts. Sie wird Ihnen nichts sagen. Lassen Sie sie gehen“, flehte ich.

„Ach, hören Sie auf zu jammern. Es ist doch nur ein Ohr“, sagte der Roboter und legte mir ein Holzkästchen in den Schoß.

Wie hypnotisiert starrte ich auf den Kasten. Alles, wovor ich jemals im Leben Angst hatte, schien darin auf mich zu warten.

„Seien Sie nicht so schüchtern, John. Machen Sie es auf!“

Ich öffnete das Holzkästchen.

Und blickte auf ein blutverschmiertes Ohr.

„NEIIIIN!“, schrie ich und wollte dem Roboter an die Gurgel springen.

Doch die beiden Maschinenpistolenträger hinter mir waren vorbereitet: Während der eine von hinten seinen Arm um meinen Hals schlang, stellte sich der zweite vor mich und drückte mir den Lauf seiner Waffe auf die Stirn.

Der dünne Roboter zeigte sich unbeeindruckt von meinem Angriffsversuch und wich nicht von der Stelle. „Hätten Sie Ihr Haus verlassen und sich zu Ihrem Geldversteck begeben, nachdem wir Ihnen die Fotos auf so originelle Weise übermittelt hatten, wäre das alles nicht passiert“, dozierte er, während ich nach Luft japste und ein: „Ich bring dich um!“, aus mir herausquetschte.

„Stattdessen sind Sie aber viel zu früh am Morgen zu Ihrem Freund Nathan Lorker gegangen. So früh, dass wir Sie fast versehentlich in die Luft gesprengt hätten. Gemeinsam mit dem armen Nathan. Dabei sollte der Kiosk nur in die Luft fliegen, um Sie endlich zur Flucht zu bewegen.“

Er hielt einen Augenblick inne. „Natürlich könnten Sie einwenden, dass es von meinen Mitarbeitern schlampig recherchiert war, dass Sie und Nathan schon im Kiosk waren. Vielleicht denken Sie, ich lasse meinen Männern zu viele Freiheiten und müsste sie mit härterer Hand führen? Aber wissen Sie, selbst dieser kleine Unfall hat noch etwas Gutes: Wir können morgen zusammen Golf spielen!“

„Lasst sie gehen!“, gurgelte ich, während der eine Maschinenpistolenmann mir weiter die Luft abdrückte und der andere mit der Waffe im Anschlag vor mir stand.

„Ach, John, mit den Frauen ist das so eine Sache, nicht wahr?“, fuhr der Roboter ungerührt fort. „Wissen Sie, was Ihre Freundin gesagt hat – mit tränenüberströmtem Gesicht, der Rotz lief ihr aus der Nase, blutend, das eigene Ohr vor Augen?“

Er machte eine Pause.

„Sie sagte: ‚Ich habe nichts damit zu tun.’“

Der Roboter ließ seinen Stock kurz auf dem Boden drehen wie einen Kreisel, nahm ihn wieder auf und zeigte damit auf mich.

„Ich war sehr enttäuscht. Sie hatte nichts dazugelernt. Aber Herr Tossek hat uns nicht verboten, etwaige Komplizen von Ihnen zu foltern. Und deshalb geben wir der Dame noch eine Chance, sich zu besinnen.“

Der Dünne wechselte seinen Stock von der einen Hand in die andere.

„Es wird ihre letzte sein“, sagte er und griff in den Holzkasten.

„Denn das Ohr“, er nahm das Ohr und hielt es mir vor die Nase, „hängt am Kopf!“

Ich starrte auf das blutverschmierte Ohr und spürte ein Gluckern in meinen geschundenen Gedärmen.

„Bis morgen früh zum Golfspielen haben Sie oder Ihre Freundin Zeit, mir zu sagen, wo Tosseks Geld versteckt ist“, sagte der Roboter.

„Sonst ist der Kopf ab! Im selben Augenblick, in dem ich meinen ersten Abschlag mache“, er holte mit seinem Stock aus und ließ ihn schwingen wie einen Golfschläger, „ist Ihre Freundin tot, John!“

Er lächelte künstlich.

„Es sei denn, Sie reden!“