Liebe und Hass liegen dicht beieinander. Für die meisten Leute ist das ganz einfach irgendeine Redensart. Bis etwas passiert und die Welt mit einem Schlag völlig auf dem Kopf steht. Zack-Bumm.
Bei mir war das der Unfall.
Aber davon später mehr.
Hass kommt niemals allein, habe ich festgestellt. Mit ihm kommen so viele andere negative Gefühle: Abscheu. Wut. Selbstmitleid. Wie diese kleinen Fische im Kielwasser von Haien, Walen oder irgendwelchen anderen Meerestieren, die sich auf diese Weise ihren Anteil sichern. Sie können nur dank des anderen, viel größeren Lebewesens bestehen.
Ich glaube, die Schmerzmittel haben mich high gemacht.
Normalerweise bin ich ganz anders.
Noch so eine Redensart, die ich mittlerweile am eigenen Leib erfahren habe: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Stärker, ja, aber nicht unbedingt besser. Denn das fügen Leute, die einem einen solchen Quatsch weismachen wollen, immer sofort hinzu: Ich bin froh, dass mir das passiert ist – es hat mich zu einem besseren Menschen werden lassen.
Wenn jemand so etwas behauptet, wird mir speiübel. Solche Leute gehören zu denen, die einfach nicht akzeptieren wollen, dass manchmal völlig sinnlose Dinge geschehen. Was soll ein dreizehnjähriges Mädchen daraus lernen, dass es einen Unterschenkel verliert? Oder ein junger Vater daraus, dass er einen Schlaganfall erleidet und im Rollstuhl landet?
Oder ich zum Beispiel, Opfer eines Brandes. Wieso sollte ich dadurch ein besserer Mensch werden, dass die Flammen über meinen Körper hergefallen sind?
Solche Leute kann ich einfach nicht riechen. Wobei das jetzt kein großes Problem mehr darstellen wird, so ohne Nase. Tut mir leid. Galgenhumor. Der Schönheitschirurg hat gesagt, er kann mir eine neue Nase machen. Vielleicht sollte ich zumindest dafür dankbar sein? Dafür, endlich eine hübsche Nase zu bekommen?
Manchmal habe ich Angst, ich werde verrückt. Das macht dieser Ort mit einem. Es liegt an der Stille, die hier herrscht, wenn ich allein bin. Ich habe immer gedacht, ich hätte so langsam alle möglichen Arten der Stille erlebt – die spannungsvolle Stille zwischen dem letzten Tanzschritt auf der Bühne und dem Applaus des Publikums, die verblüffte Stille, wenn ich einen geliebten Menschen ganz tief beleidigt habe, oder er mich –, aber inzwischen weiß ich es besser. Da gibt es zum Beispiel die Stille, wenn mich Angehörige oder Freunde zum ersten Mal sehen.
Oder besser gesagt: das, was von mir übrig ist.