Kapitel 26        
Samstag, 26.09.2009
Zwei Wochen später
Ein Wochenende nach unserem Treffen zog Philippe tatsächlich bei mir ein. Unser zunächst sehr reservierter Umgang miteinander lockerte sich erstaunlich schnell. Wie Bärbel mich informiert hatte, war Philippe auf sehr dringender Suche nach einer Bleibe in Berlin. Der gebürtige Australier besaß eine kleine Informatikfirma in seinem Geburtsland und jede Menge Kontakte in der ganzen Welt. Um die Kunden vor Ort zu betreuen, war er zu einem Leben als beruflicher Vagabund gezwungen. Berlin war für ihn deshalb so interessant, weil es ihm ermöglichte, sich im Herzen von Europa niederzulassen. Und die Stadt war unkompliziert genug, jeder Zeit nach Hause zu fliegen. Zu seiner Familie und Noch-Ehefrau.
»Das Leben im Hotelzimmer ist immer noch nichts für mich«, erklärte er mir an jenem Abend, als er seine Anziehsachen im Schrank des Zimmers verstaute, das ich ihm zur Verfügung gestellt hatte. Später saßen wir am Tisch im Wohnzimmer und tranken ein Glas Wein. Auf dem Tisch lag der von uns beiden unterzeichnete Mietvertrag. »Auch das ewige Von-Freund-zu Freund-Weiterziehen ist nichts für mich. Ich brauche etwas Festes.«
»Wie kommt deine Frau mit deinem Lebensstil zurecht?«, interessierte mich. Die Information, dass der Mann in festen Händen war, missfiel mir. Ich mochte seine charmante, ruhige Art sehr. Mit seinem Einzug kehrte bei mir das Gefühl von Sicherheit nach Hause zurück. Zu wissen, dass jemand im Nebenzimmer war, ließ mich endlich die Nächte durchschlafen. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich fit und das, obwohl der Einbrecher trotz der Bemühungen der Polizei noch nicht gefasst worden war.
»Sehr gut sogar«, entgegnete er ungewohnt gleichgültig. »Unsere Beziehung ist nicht mehr so wie früher. Rachel war die Schwester meines besten Kumpels aus Kindheitstagen. Als Kinder kletterten wir auf Bäume, während unsere Eltern darunter gemeinsame Treffen veranstalteten. Später wurde daraus die erste Liebe und eine große Hochzeit. Wir wollten eine große Familie haben. Es lief auch beruflich ausgezeichnet. Mit Hilfe unserer Eltern gelang es mir, Informatik abzuschließen und ein kleines Unternehmen zu gründen. Rachel beendete ihre Ausbildung zur Krankenschwester und begann zu arbeiten. Doch damit endete auch unser Märchen. Die Erwartungen waren nicht so, wie die Realität es für uns vorgesehen hatte. Der Wunsch nach einer Familie erfüllte sich nicht. Also waren wir irgendwann frustriert. Bis Rachel doch schwanger wurde. Aber erst, als das Baby auf der Welt war, gestand sie, dass es nicht meine Tochter sei. Das hat mich damals wirklich sehr getroffen.« Philippe nahm einen großen Schluck Wein, als wollte er damit die Enttäuschung herunterspülen.
Ich schwieg. Scheinbar waren wir beide Opfer großer Ehe-Versprechen.
»Als Olivia«, setzte er seine Erzählung fort »die Welt erblickte, war ich überglücklich. Sie war so wunderschön. Aber nichts an ihr ähnelte mir. Nicht im Geringsten. Irgendwann gestand mir Rachel ihre Affäre mit dem Arbeitskollegen, und unser Leben wurde zur Qual. Heute ist Olivia vier Jahre alt und kennt mich kaum. Ich bin auch sehr selten Zuhause. Der wahre Vater kümmert sich um sie, während sie mich lediglich als Philippe kennt. Das ist sehr hart. Ich wünschte, sie wäre mein Kind.«
Philippe tat mir sehr leid. Ich versuchte mich gedanklich in die Zeit zu versetzen, als mein Sohn etwa vier Jahre alt war. Damals überlegten wir tatsächlich, ob wir unsere Familie nicht um noch ein Baby vergrößern sollten. Es war zu der Zeit, als wir glücklich zusammen waren. Vielleicht aber nur naiv. Es hieß irgendwann: 'Jetzt oder nie'. Und es blieb bei Benni. Es sei denn, Markus' neue Freundin wäre bereit, ihm ein weiteres Kind zu schenken. Der Gedanke gefiel mir gar nicht. Es bedeutete, dass ich ihn endgültig als Freund verlieren würde.
»Ich wäre gern Olivias Vater, doch für mich gibt und gab es nie Platz in ihrem Leben, fürchte ich. Meine Frau erinnert mich hin und wieder daran, dass sie nicht meine Gene trägt«, unterbrach Philippe meine Gedanken. Noch nie hatte ich mich so ausgelaugt gefühlt wie genau in diesem Moment. Uns trennten deutlich mehr als diese elf Lebensjahre an Erfahrung. Es waren auch die Wünsche nach einer Familie, die mir gegönnt waren und ihm verwehrt blieben. Ich nippte an meinem Weinglas, als wäre darin etwas Heilsames gegen Liebeskummer enthalten, und überlegte, wie ich meinen neuen Mitbewohner trösten konnte. An jenem Abend gingen wir noch allein ins Bett, während uns die Gedanken aneinander wachhielten.
Der nachfolgende Samstag fing gar nicht gut an. Als ich an die Badezimmertür klopfte und Philippe nicht antwortete, ging ich hinein. Es war tatsächlich leer, daher machte ich mich fertig. Ich hoffte, ihn wenigstens im Wohnzimmer beim Frühstück anzutreffen. An dem Tag hatte ich das unbeschreibliche Bedürfnis danach, nicht allein zu sein.
Unten angekommen stellte ich leider fest, dass er das Haus verlassen hatte. Vermutlich war er bei der Arbeit. Wir lebten zwar erst seit einer Woche zusammen, doch eines war klar: Unsere Lebensstile unterschieden sich gravierend voneinander. Während man mich nach Feierabend oder an den Wochenenden fast immer Zuhause antreffen konnte, schien Philippe das Haus in dieser Zeit lediglich zum Übernachten zu nutzen. Und auch das nicht immer. Wo er die restliche Zeit verbrachte, wagte ich nicht zu fragen. Aber es war auch nicht mein Problem, solange er pünktlich seine Miete zahlte. Oder doch?
Enttäuscht wählte ich Markus' Nummer, in der Hoffnung, meinen Sohn zu erreichen. Doch niemand meldete sich. Dann erinnerte ich mich, dass Markus' Freundin die Jungs heute in einen Vergnügungspark eingeladen hatte. Wahrscheinlich hatten sie bei ihr übernachtet, um pünktlich loszufahren. Seltsam, wie mir plötzlich fehlte, was mich noch einige Zeit zuvor auf die Palme brachte: die besorgten Telefonate meiner Liebsten. Als nächstes wählte ich die letzte Bastion - die Nummer meines Vaters.
»Hallo, Papa.«
»Hallo, Juli«, entgegnete mein Vater fröhlich. Er sprach mich so an, als ob ich immer noch sechs Jahre alt wäre. Für ihn schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Zugleich fühlte es sich vertraut an. Und obwohl ich mir bewusst war, dass er mich im Alltag bald mehr als umgekehrt brauchen würde, schwang in diesem Kürzel etwas von der guten, alten Eltern-Kind-Zeit mit. »Warum rufst du so früh an? Geht es dir nicht gut, mein Kind?«, fragte er besorgt. Den folgenden Satz sprach ich dann stumm mit: »Isst du auch genug?«
Soweit ich mich erinnern konnte, war dies immer seine erste Sorge. Als ob ich nicht genug essen würde. »Ja, Papa. Bei mir ist alles bestens. Wie geht es dir?«
An dieser Stelle folgte eine genaue Beschreibung der kulinarischen Highlights der letzten Woche. Essen ist der Sex im Alter, erinnerte ich mich an Markus′ Worte und musste schmunzeln, während ich der Aufzählung meines Vaters folgte. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich ihm jetzt schon erzählen sollte, dass ich einen Untermieter hatte, doch dann entschied ich mich dagegen. Es war nichts für ein Telefongespräch.
» ... heute kegeln«, hörte ich meinen Vater plötzlich sagen. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass ich doch noch gedanklich abgedriftet sein musste.
»Stimmt, heute gehst du ja kegeln!«, erinnerte ich mich. »Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Mach die Jungs fertig.«
»Pass auf dich auf.« Mit diesem Satz beendete er immer unsere Gespräche. Er stand stellvertretend für das »Ich liebe dich« meiner verstorbenen Mutter.
»Mache ich. Du auch«, erwiderte ich und legte auf. Nun fühlte ich mich noch seltsamer. Nicht mal mein Vater schien Zeit für mich übrig zu haben. Enttäuscht machte ich mich ans Frühstück, wobei mir auffiel, dass der Kühlschrank leer war. Nach der Absprache mit Philippe war ich diese Woche für die Einkäufe verantwortlich. Somit hatte ich eine Aufgabe, die meine Zeit zwar nicht sinnvoller, doch deutlich ereignisreicher als am PC gestalten würde.
Der Gesundheit wegen beschloss ich, mit meinem alten Klapperrad zu einer Einkaufspassage zu fahren, als mir plötzlich bei einem flüchtigen Blick durch das kleine Fenster im Flur meine überfüllte Mülltonne auffiel, deren Deckel nur halb geschlossen war. Scheinbar hatte Philippe es heute so eilig gehabt, dass er seine Aufgabe total vergessen hatte. Wir hatten eine einfache Arbeitsteilung. In den Wochen, in denen ich für den gefüllten Kühlschrank und ein sauberes Badezimmer zu sorgen hatte, war er für den Müll und die Ordnung in der Küche verantwortlich. Dann wechselten wir. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob es sinnvoll war, die Tonne aus erzieherischen Gründen unaufgeräumt stehenzulassen, doch ich entschied mich dagegen. Wir waren ja erwachsen. Wer weiß, wann er wiederkommt, überlegte ich. Eine mögliche Rattenplage wollte ich uns ersparen.
Also zog ich mir eine Jacke über, nahm einen Rucksack mit, in den ich mein Portemonnaie, mein Handy und eine Einkaufstüte warf. Den Schlüssel behielt ich noch in der Hand, in der ich bereits einen eingeschnürten Restmüllbeutel hielt. Mit einem prüfenden Blick ins Hausinnere betätigte ich die Alarmanlage und ließ die Eingangstür zufallen.
Wie jeden Tag ignorierte ich das aufsteigende Gefühl, beobachtet zu werden. Das Mustern der Umgebung, nachdem ich das Haus verlassen hatte, war mir dennoch in Fleisch und Blut übergegangen. Der Impuls, sich nicht umzudrehen, bedeutete mehr Arbeit an mir, als dem Drang zu folgen. Und obwohl ich feststellen musste, dass mit Ausnahme weniger parkender, mir unbekannter Autos nichts Ungewöhnliches auf der Straße zu sehen war, fühlte ich mich seltsam. Dass ich zu jeder Zeit einen Verfolger erwartete, erschien aus objektiver Sicht selbst mir lächerlich. Und dennoch konnte ich mich von dieser Vorstellung nicht lösen. Erst Jahre später wurde mir klar, dass mein Bauchgefühl vollkommen richtig gewesen war. Ich hätte darauf vertrauen müssen.
Stattdessen beschleunigte ich nur den Schritt. Je näher ich an meinen Müllcontainer kam, desto mehr schlug mir der aus der Ausbildungszeit gewohnte Geruch der Verwesung entgegen. In meinem Kopf liefen Bilder der vergangenen Mahlzeiten durch, in der Hoffnung, darin den Verursacher zu finden. Vielleicht hat das weggeworfene Fleisch Ratten angelockt, die es dann nicht mehr lebendig aus der Mülltonne geschafft haben?, dachte ich mit einem gewissen Ekel, während ich den vollen Müllbeutel vor einem der Behälter ablegte.
Als ich den Deckel des Müllcontainers ganz vorsichtig angehoben hatte, sah ich etwas Pelziges darin liegen. Es war definitiv keine Ratte. Das Tier war wirklich übel zugerichtet. Von der Größe her tippte ich auf eine zusammengerollte Katze. Mit einer alten Zahnbürste, die ich in meinem Müllbeutel fand, bewegte ich den Kadaver leicht zur Seite. Unter dem Tier befand sich eine Blutlache. Augenblicklich bekam ich ein beklemmendes Würgegefühl. Vielleicht hat jemand nachts das Tier überfahren und dann in meine Mülltonne geworfen? , überlegte ich. Irgendetwas in mir wehrte sich gegen den Anblick, doch ich musste schauen, ob die Katze wirklich tot war - und sie vielleicht aus meinem Müll entfernen. Vielleicht hat sie einen Chip und man kann einen Besitzer ermitteln? Irgendjemand könnte das Tierchen vermissen.
Dabei war es nicht das Blut, weswegen ich Unbehagen verspürte. Es war für mich kein großer Unterschied, pathologische Gewebeproben zu schneiden oder am Tatort eine Leiche zu sehen. Es gehörte einfach zu meinem Job. Wie einem Patienten oder einer Leiche Blutproben zu entnehmen. Mein Problem war, dass ich schon seit meiner Kindheit nicht ertragen konnte, Kinder oder Tiere leiden zu sehen. Zu wissen, dass diese arme Kreatur vielleicht durch meinen Müll erstickt oder durch meine oder Philippes Unaufmerksamkeit in diese Lage geraten war, fühlte sich entsetzlich an. Auch wenn nicht wir sie in diese Lage gebracht hatten.
Die ausgediente Zahnbürste war jedoch zu kurz. Um das Tier nicht mit der bloßen Hand anfassen zu müssen, falls es doch nur schwer verletzt war, sah ich mich nach einem kleinen Stock um. Zum ersten Mal war ich dankbar, dass der Nachbar einen Apfelbaum zu nah an die Grundstücksgrenze gesetzt hatte. Normalerweise warf er viel Laub ab, was in Mehrarbeit für mich mündete und mich nervte. Die Äpfel waren viel zu sauer, als dass es sich lohnen würde, sie aufzuheben, daher ließ ich sie meist liegen. Nach einer Weile wurden sie matschig und dann rutschig. Und eine wunderbare Essensquelle für verschiedene Insekten. Doch diesmal freute ich mich, dass das Apfelbaumholz brüchig genug war, abgebrochene Zweige in meinem Garten zu verlieren. Den stabilsten suchte ich mir aus und kehrte zu den Mülltonnen zurück.
Doch nachdem ich das Kätzchen angehoben hatte, das sich eindeutig in der Totenstarre befand, wurde mir wirklich übel. Es war eindeutig kein angefahrenes Tier. Und es war nicht in der Tonne erstickt. Das arme Tierchen lag mit durchgeschnittener Kehle auf zwei oder mehr weiteren, die ähnlich zugerichtet zu sein schienen. All das direkt in meinem Müllcontainer. Wer macht denn sowas?, fragte ich mich vollkommen fassungslos. Irgendjemand brachte Tiere in der Umgebung um und warf sie in meinen Hausmüll. Aber warum?
Obwohl ich so viele Leichen gesehen hatte, war es mit den Kätzchen anders. Plötzlich verspürte ich Säure im Magen aufsteigen. Ich versuchte krampfhaft, mich nicht auf die Kadaver zu übergeben. Mit durchgeschnittenen Kehlen sind die armen Kreaturen wohl nicht in meine Tonne geklettert. Jemand muss sie hier absichtlich abgelegt haben! , ging es mir durch den Kopf. Diese Erkenntnis entsetzte mich so fürchterlich, dass ich ins Haus zurücklief, um nach der Visitenkarte des Polizisten zu suchen, der mich nach dem Einbruch verhört hatte. Dabei ließ ich alles liegen - bis auf den Rucksack mit meinen persönlichen Sachen. Es könnte doch irgendwie mit dem Einbruch zusammenhängen! Vielleicht hasst mich jemand? , dachte ich, während ich, im Haus angekommen, immer verzweifelter die Handtasche nach dem Stück Papier durchkämmten.
Plötzlich fand ich die Visitenkarte und wählte sofort die Nummer des Beamten. Doch an seiner Stelle meldete sich eine weibliche Stimme, die mir erklärte, dass er im Urlaub sei.
»Dann helfen Sie mir bitte«, wimmerte ich in den Hörer und beschrieb ihr in kurzen Worten die Situation.
»Beruhigen Sie sich bitte«, bat sie mich geduldig. »Ich würde es mir gern anschauen. Sind Sie vor Ort? Ist jemand bei Ihnen?«
»Nein, Philippe ...«, sagte ich hastig und verbesserte mich sofort, »mein Mitbewohner ist noch nicht da. Vielleicht kommt er aber gleich. Hoffe ich zumindest.«
»In Ordnung. Meine Kollegin fährt zu Ihnen. Lassen Sie bitte alles so, wie es ist.«
Kaum eine halbe Stunde später bog ein Polizeiwagen in meine Einfahrt. Die Zeit nutzte ich, um mir die Aufzeichnungen meiner Überwachungskamera anzusehen. Mittlerweile hatte ich mich wieder einigermaßen beruhigt. Eine junge, aber nicht besonders attraktive Frau stieg aus dem Wagen.
»Polizeikommissarin Claudia Werner«, stellte sie sich vor. »Guten Tag. Wir haben miteinander telefoniert.«
»Guten Tag, Julia Hoffmann«, erwiderte ich. »Genau. Soll ich ihnen die ... Stelle zeigen?« Das Wort 'Tierkadaver' ging mir nicht über die Lippen. Es waren keine Wesen, welche im Sektionssaal auf dem Tisch lagen, sondern in meiner Mülltonne, und ich fühlte mich gewissermaßen für sie verantwortlich.
»Gern«, entgegnete sie emotionslos. »Erzählen Sie nochmal etwas über den Einbruch«, bat sie mich. Also erzählte ich ihr alles, woran ich mich erinnern konnte, während sie die Katzen begutachtete. Dabei hielt ich mich in einem großen Abstand von der Fundstelle, um mir den erneuten Anblick der Tiere zu ersparen.
»In der Tat können sich die armen Tiere mit dieser Verletzung nicht hinaufgeschleppt haben«, bestätigte sie nach einer Weile meine Vermutung. »Zumal der Boden um die Tonne herum recht blutspurenfrei erscheint. Man hat die Kadaver ganz offensichtlich nur abgelegt. Ist Ihnen in letzter Zeit etwas aufgefallen?«
»Nichts«, stellte ich fest. Dass ich mich verfolgt fühlte, verschwieg ich. Menschen, bei denen eingebrochen wurde, waren nun mal traumatisiert. Und bei dem, was bei mir gestohlen worden war, war es nicht ungewöhnlich, persönliche Motive dahinter zu vermuten. »Seit dem Überfall ist nichts Außergewöhnliches passiert. Die Kameras scheinen sich auszuzahlen. Oder vielleicht die Tatsache, dass ich einen neuen Mitbewohner habe?«
»Interessant.« Die Kommissarin nickte, während sie ihren Blick in der Umgebung schweifen ließ. »Kameras?«
»Während ich auf Sie gewartet habe«, nahm ich die Frage vorweg, »... habe ich die letzten Aufzeichnungen im Schnelldurchlauf durchgesehen. Die Kameras sind zwar auf das Grundstück gerichtet, erfassen aber leider nicht meine Mülltonnen im Eingangsbereich.«
»Sie sind ja auch ein wenig versteckt. Wer weiß, wie lang die Kadaver dort liegen«, fasste die Kommissarin die Fakten zusammen. »Dennoch würde ich mir gern die Aufzeichnungen selbst anschauen, wenn Sie gestatten. Der Täter muss sich auf Ihrem Grundstück bewegt haben. Ich lasse auch die Tierkadaver abholen. Soll sich der Gerichtsmediziner kurz anschauen. Möglicherweise sind sie gechipt, und wir könnten die Besitzer ermitteln. Dann haben sie das Recht zu erfahren, was mit den Tieren passiert ist. Und falls das mit dem Einbruch zusammenhängen soll, was ich nicht glaube, haben wir es in den Akten vermerkt.«
»Gern. Ich bin froh, wenn die Tiere von meinem Grundstück verschwinden«, atmete ich erleichtert auf. »Könnte das ein Fall von Stalking sein? Dass der Kerl nun sauer auf mich ist oder so?«
»Bei laufenden Ermittlungen schließe ich gar nichts aus. Nicht mal, wenn das wichtigste Ausschlusskriterium lediglich eine geringe Wahrscheinlichkeit ist«, erklärte die Kommissarin. »Arbeitserfahrung.«
»Bei dieser Gelegenheit wollte ich fragen, ob Sie bei den Ermittlungen zum Einbruch weitergekommen sind?« Ich stellte die Frage, doch erwartete kein Wunder.
»Tut mir leid, aber zu laufenden Ermittlungen kann ich keine Fragen beantworten«, wandt sie sich heraus. Es war also ein klares ′Nein′. »Wollten Sie gerade einkaufen gehen, bevor Sie die Tierkadaver fanden?«, fragte sie nachdenklich, während sie in Richtung der auf dem Boden liegenden Einkaufstasche sah, die offenbar vor der Tür aus meinem Rucksack gefallen sein musste.
Ich nickte wortlos.
»Dann machen Sie das doch jetzt! Gleich bekomme ich Verstärkung. Wir werden uns Ihren Müllcontainer vornehmen, uns etwas in der Gegend umschauen, und die Nachbarn befragen, ob ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist«, klärte mich die Kommissarin auf. »Wenn Sie wieder nach Hause kommen, sind wir bestimmt schon verschwunden. Das wäre sicherlich in Ihrem Sinne. Ich bräuchte nur vorher Ihre Kameraaufnahmen. Versprechen kann ich nichts. Denn selbst im Falle von Stalking mit dieser starken, nennen wir es: Ausprägung , sind unsere Möglichkeiten begrenzt.«
»Um ehrlich zu sein, bin ich schon froh, wenn man mich anhört und nicht sofort für völlig durchgeknallt hält«, erwiderte ich ehrlich.
Die Kommissarin lächelte. »Garantiert nicht. Stalking ist für uns tatsächlich ein Problem, weil dieser Tatbestand juristisch so schwammig ist. Meistens können wir erst etwas tun, wenn es zu spät ist. Also hoffe ich einfach, dass dies da«, sie zeigte in Richtung der Tierkadaver, » ... sich rein zufällig in Ihrem Müllcontainer befindet. Und sich nie wiederholen wird.«