Kapitel 34
Samstag, 27.08.2011
Drei Tage später. Das Leben konnte für Astrid nicht besser laufen. Mittlerweile telefonierte sie wieder fast täglich mit Julia. Ihr genialer Plan schien besser aufzugehen, als sie es sich je erträumt hätte. Natürlich spielte die unabsehbare Abwesenheit von Philippe Pienaar eine große Rolle darin. Dass er sich genau jetzt in Australien befand, war wie die sprichwörtliche Gottesfügung für die zart aufkeimende Freundschaft zwischen Astrid und Julia.
Endlich hatte alles einen Sinn.
Bis auf EINES. Die Tatsache, dass Andreas Lange wieder in Berlin war. Das würde alles ändern, wenn sich Astrid dieser Sache nicht annahm.
In der Hoffnung, Julias Telefonnummer am Display zu erkennen, schaute Astrid auf ihr gerade eingeschaltetes Handy. Dass sich der Akku abgeschaltet hatte, hatte sie seit gestern Abend nicht bemerkt. Und wurde gleich enttäuscht. Es waren etwa zehn Anrufe in Abwesenheit. Davon neun von Armin Haas und einer von Andreas. Astrid beschloss, zuerst den wichtigeren Anruf zu erledigen und wählte die verhasste Nummer.
»Ich bin's«, sagte sie kryptisch. Doch Andreas Lange wusste bereits, wer es war. »War Spanien nicht schön genug, um dort den Lebensabend zu erleben?«
»Doch«, entgegnete ihr die vertraute Stimme. »Wir müssen uns treffen.«
»Okay, wieder außerhalb. Du weißt wo. Ich möchte nicht, dass man uns zusammen sieht. Wäre dir 21 Uhr passend? Vorher treffe ich mich noch mit jemanden; sollte es aber schaffen.« Dabei dachte sie an Julia und die mittlerweile wöchentliche Tradition zu einem gemeinsamen Glas frisch gepressten Saft im Babyfachhandel. Heute wollten sie sich ernsthaft nach einem passenden Bettchen für Tammy umsehen. Um nichts in der Welt wollte Astrid diesen Termin verpassen. Und ebenso um nichts in der Welt durfte man sie mit Andreas Lange in Verbindung bringen!
»Ich bin da. Zur gewünschten Zeit«, erwiderte Andreas und legte auf.
Astrid überlegte, was bei diesem Treffen auf sie zukommen würde. Ein wenig fürchtete sich vor dem Gespräch. Daher rief sie gleich bei Armin Haas an - einer weiteren, sich anbahnenden Katastrophe, wenn sie ihn nicht unter Kontrolle bekam.
»Hallo Onkel, ich bin's. Du hast bei mir angerufen?«, zwitscherte Astrid in den Hörer, um eine gewisse Leichtfertigkeit vorzutäuschen.
»Mein Gott, Mädel, wo warst du die ganze Zeit?« Armin erwies sich als hartnäckiger Beschützer. »Ich habe mir Sorgen um dich und das Baby gemacht. Was ist bei euch los?«
»Ich habe gute Neuigkeiten«, sagte Astrid aufgeregt. »Du wirst es mir nicht glauben, doch der Typ, der mich verfolgt hatte, wurde geschnappt. Man wirft ihm mehrere Morde vor. Er war schon aktenkundig. DER HAT GEMORDET! Nun wird ihm der Prozess gemacht. Darum war ich kaum zu erreichen. Man hat mich verhört. Aber jetzt sitzt er hinter Gittern. Es kann mir nichts passieren.«
»Wie bitte?« Armin Haas klang skeptisch. »Dieser Andreas Lange, dessen DNA wir in der Datenbank fanden?« Er schien es ihr nicht abzunehmen. »Na gut, er war schon wegen einer Vergewaltigung verdächtigt. Und als Stalker hatte man ihn auch mehrfach verhört. Aber Mord?«
»Ja, unglaublich, nicht wahr?« Astrid malte sich in ihrer Fantasie aus, den alten Skeptiker auf der anderen Seite des Hörers eigenhändig zu erwürgen. Er weiß einfach zu viel. Und ich brauche ihn nicht mehr. Also kein großer Verlust, wenn er plötzlich von uns geht.
»Das Gute ist«, setzte sie zwitschernd fort, »dass ich keine Angst zu haben brauche. Der Mann sitzt hinter Gittern, und nun sind wir beide sicher. Alles dank dir, Onkel. Du bist unser Held.« Astrid konnte sich nicht beherrschen, mit dem Zeigefinger in Richtung ihres offenen Mundes zu zeigen, als wollte sie ihre Worte mit der Brechgeste unterstreichen. Und das, obwohl niemand außer ihr im Raum war.
»Moment mal«, Armin schien sich in diesem Fall verbissen zu haben, »bist du dir dessen ganz sicher? Soll ich nicht meine Kontakte spielen lassen, um wirklich sicher zu sein? Immerhin geht es um euch.« Astrid verdrehte die Augen.
»Aber natürlich bin ich mir sicher, Onkel«, erwiderte sie und merkte, wie sie ihre Kiefer vor Wut aneinanderpresste. Versteht mich der alte Sack nicht? Er hat doch längst ausgedient!
»Ich war doch dabei! Und wenn du zu jeder Kleinigkeit bei den Kollegen nachfragst, wird uns keiner helfen, wenn es wirklich wichtig ist. Lassen wir die Sache ruhen! Sie hat sich bereits besser aufgelöst, als wir es uns je hätten träumen können!«
»Wann ist diese Verhandlung? Ich möchte dabei sein.«
»Oh, das werde ich dir sofort sagen, wenn es feststeht, Onkel. Du weißt doch, wie langsam unsere Justiz sein kann.«, versprach Astrid und hoffte, dass der alte Mann endlich Ruhe gab. Über die Zeit würde sie es schon hinkriegen, dass er es vergaß. »Onkel, ich muss mich gleich mit einer Freundin treffen. Bist du mir böse, wenn ich dich jetzt abhänge? Da ich endlich wirklich sicher bin, möchte ich die Zeit genießen.«
»Aber nein, meine Kleine.« Der alte Mann lachte. »Ich treffe mich gleich auf ein Bier mit deinem Vater.«
»Dann grüß ihn schön«, warf Astrid nach und legte sofort auf, ohne zu warten, dass Armin ihr wieder einen Vortrag hielt, wie sehr ihr Vater seine Tochter vermisste.
Kurze Zeit später verließ Astrid mit einem an ihren Bauch befestigten Kissen ihr Zuhause, um sich mit Julia zu treffen.