KAPITEL 1

Eberhard versuchte ihm den Ball abzujagen. Aber Frank zog so blitzschnell an dem Jungen vorbei, dass dieser gar nicht begriff, wie ihm geschah. Die Zuschauer tobten vor Begeisterung, als er auch noch Thomy und zwei weitere Verteidiger austrickste und aufs Tor zustürmte wie seinerzeit Pelé beim WM-Spiel gegen Italien.

Der Torwart sah ihm aus schreckgeweiteten Augen entgegen. Er kannte Frank, wusste, dass er der gefürchtetste Spieler der Nationalelf war und es kaum möglich war, einen von ihm abkatapultierten Ball zu halten.

Kurz bevor Frank zum Schuss kam, stürmte Eberhard mit hochrotem Gesicht erneut heran. Wahrscheinlich wollte er ihn in letzter Sekunde foulen.

»Pass auf!«, schrie Guido hinter ihm.

Aber es war schon zu spät. Gerade, als Frank das runde Leder in Richtung linkes oberes Toreck drosch, prallte Eberhard gegen ihn.

Frank wurde von den Beinen geholt. Er stürzte zur Seite und hätte sich sicherlich schwer verletzt, wenn er sich nicht im letzten Moment mit einer perfekten Judorolle abgefangen hätte. Eberhard trat nach ihm und die Menge johlte und tobte, weil Frank tatsächlich der Führungstreffer gelungen war – aber auch, weil sich Eberhard auf brutalste Weise zu rächen versuchte.

Frank kam mit einer blitzschnellen Bewegung wieder hoch Aber Eberhard dachte gar nicht daran, ihn in Ruhe zu lassen. »Ich krieg dich, du Ratte!«, brüllte er, während er versuchte, Frank mit einem weiteren Karatetritt umzunieten.

Frank konnte jedoch nicht nur viel besser Fußball spielen als Eberhard, er war auch beim Kämpfen schneller und geschickter als der kräftige Junge. Aber als er auswich, schepperte irgendetwas, und als er hochsah, bemerkte er erboste Zuschauer, die Flaschen und Essensverpackungen auf den Platz schmissen.

Wo bleibt eigentlich der Schiedsrichter?, fragte sich Frank verzweifelt, während der Lärm um ihn zu einem ohrenbetäubenden Krach anschwoll.

Da war Eberhard heran – nein, eigentlich flog er gerade zurück, weil ihn ein kraftvoller Fußtritt von Frank getroffen hatte – nein, da war er wieder, packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn mit aller Kraft.

»Wach endlich auf, verdammt noch mal!«, schrie er.

»Nun komm doch endlich zu dir!«, schrie die Stimme. Sie klang merkwürdig hell und weiblich und als Frank die Augen aufschlug, erkannte er seine Schwester Jacki.

Eberhard musste ihn bewusstlos geschlagen haben, denn jetzt lag er in einem Bett – bestimmt in einem Krankenhaus, in das man ihn nach der Schlägerei eingeliefert hatte.

»Was ist passiert?«, keuchte er.

Bevor Jacki antworten konnte, hörte er wieder das Johlen der Menge und das hässliche Geräusch, mit dem die Getränkedosen neben ihm aufs Spielfeld auftrafen. Aber das konnte doch nicht sein! Hatte ihn Eberhard so schlimm erwischt, dass er plemplem geworden war ...?

»Die Idioten nehmen die ganze Nachbarschaft auseinander«, keuchte Jacki. »Das musst du dir einfach ansehen!«

Frank richtete sich vorsichtig auf, doch die erwarteten Kopfschmerzen blieben aus. »Von was sprichst du eigentlich?«

Jacki seufzte. »Du bist wohl noch nicht ganz wach? Heute ist doch Freinacht – die einzige Nacht im Jahr, in der Jungendliche ungestraft allen möglichen Krempel aus den Gärten verschleppen dürfen!«

»Oh, verdammt«, keuchte Frank »Dann haben wir ja die Nacht zum ersten Mai. Und im Mai haben wir ...«

»Den Sichtungslehrgang in Bergkirchheim.« Jacki seufzte. »Ihr Coolen Kicker quatscht ja nur noch davon, wie geil es wäre, gleich von Bayern München entdeckt zu werden.«

»Unterhaching oder 1860 wäre auch nicht schlecht.« Frank schüttelte benommen den Kopf. Er hatte einen irren Fußballtraum gehabt, aber die Geräuschkulisse war geblieben ...

Mit einem Satz war er beim Fenster. Ein wahrhaft ohrenbetäubender Lärm scholl ihm entgegen. Die beiden Kinderzimmer lagen auf der Nordseite, während seine Eltern ihr Schlafzimmer auf der Südseite hatten, sodass sie von dem Getöse wahrscheinlich gar nichts mitbekamen.

Jacki grinste spöttisch. »Nur gut, dass Papa deine Quietschentchen in die Garage eingeschlossen hat.« Jacki wollte ihn damit nur wieder mal aufziehen, doch Frank stieg voll drauf ein.

»Quietschentchen?« Frank zog eine Augenbraue hoch. »Du meinst wohl deine Gartenzwerge?«

»Die Gartenzwerge gehören Mama«, sagte Jacki würdevoll. »Und die sind jetzt in der Garage wie alles andere auch, was man verschleppen könnte ...«

»Schade«, knurrte Frank. »Ich wär gar nicht böse gewesen, wenn die kitschigen Wichtelmännchen in der Freinacht auf Nimmerwiedersehen verschwunden wären.«

»Blödmann.«

»Wieso? Letztes Jahr haben die abgedrehten Typen nicht nur die Mülleimer und Fußmatten verschleppt, sondern auch alle Gullydeckel abgehoben. Was meinst du, wie leicht dabei ein paar Gartenzwerge ins Abwasser fallen können natürlich nur so ganz aus Versehen ...«

Jacki hörte ihm gar nicht zu. Sie starrte fasziniert auf die spärlich beleuchtete Straße. »Da geht heute echt der Bär ab.« Sie deutete nach unten. »Sieh dir das mal an! Die schleppen bei Meiers sogar die Gartenbank raus!«

»Mitsamt der Oma, die da immer drauf sitzt?« Frank beugte sich ein Stück vor und blickte staunend auf zwei kichernde Jugendliche, die die Gartenbank von einem Grundstück zum nächsten trugen. »Komisch, dass sich Oma Meier das entgehen lässt«, witzelte er. »Sie ist doch sonst für jeden Spaß zu haben. Und bei so einem alten Brauch wie der Freinacht ... Eh, was ist das?« Frank fiel vor lauter Überraschung der Unterkiefer herunter. »Da sind ja Eberhard und Thomy!«

Er wirbelte herum, rannte zur Treppe und sauste wie ein Blitz hinunter. Da Eberhard und Thomy die schlimmsten Feinde der Coolen Kicker waren, hatten sie bestimmt eine größere Gemeinheit vor, als sich an ein paar Gartenwichteln zu vergreifen ...

Frank entriegelte die Haustür und stürmte nach draußen. Mit nackten Füßen lief er den kalten Betonweg entlang, bis er das Gartentor erreichte.

»Verdammt«, fluchte er.

Zwar war aus weiter Ferne das Lachen und Johlen von ein paar Jugendlichen zu hören, die gerade irgendwelche Späße trieben. Aber zu sehen waren weder die Randalierer noch Eberhard und Thomy. Trotzdem war sich Frank sicher, dass er schon bald erfahren würde, welch teuflischen Plan die beiden diesmal ausgeheckt hatten ...

Es sollte bis zum nächsten Morgen dauern, bis sie förmlich mit der Nase darauf gestoßen wurden. Die Geschwister hatten gerade das Haus verlassen und drehten sich noch einmal zum Küchenfenster, um ihrer Mutter zuzuwinken, als Jacki einen spitzen Schrei ausstieß.

»Sieh dir das an!«, kreischte sie. »Das ist ja wohl 'ne absolute Sauerei.«

Frank begriff im ersten Moment gar nicht, was sie meinte. Doch dann fiel sein Blick auf das hell gestrichene Garagentor. »Ups«, machte er.

KIKERIKI – EUCH KICKER MACHEN WIR HIE! stand in einer ekelhaften braunen Schmiere auf dem Tor. »Ist das etwa ...?«, fragte Jacki fassungslos.

Frank nahm allen Mut zusammen und trat schnuppernd einen Schritt näher heran. »Ne, das ist nicht das, was du denkst.« Er schnupperte nochmals. »Den Geruch kenn ich von meinem Frühstücksbrot. Das ist Nutella.«

»Garagentor mit Nutella – bääh! Das schmeckt doch nicht.«

Frank nickte grimmig. »Diese Geschmacklosigkeit werden wir Eberhard heimzahlen. Vielleicht haben ja Guido und Jan dazu die passende Idee!«