KAPITEL 10

Endlose Verhöre, genommene Fingerabdrücke, Fotos für die Verbrecherkartei und schließlich in ein tiefes Loch gesperrt zu werden – vor Franks geistigem Auge spulte sich diese entsetzliche Folge von Ereignissen ab, als wäre sie schon Wirklichkeit geworden. Zu seiner Verblüffung legte man ihnen aber nicht einmal Handschellen an, als man sie mit mehreren Streifenwagen zur Polizeiwache fuhr. Viel schlimmer als seine Horrorvorstellungen traf Frank dann aber die harte Wirklichkeit: Sein Vater war schon da!

Gott sei Dank kam dieser zuerst nicht zu Wort. Denn einer der Streifenpolizisten stürmte an ihm vorbei und knallte den Pokal und das Trikot der Nationalelf auf den Schalter.

»Die Kinder hatten es tatsächlich darauf abgesehen genau wie Daniel Müller es gemeldet hat«, sagte er zu dem Wachhabenden. »Der kleine Junge hielt das Trikot in den Händen und der uns leider nur allzu gut bekannte Thomy wollte gerade Müllers Pokalsammlung einsacken – und ein Chaos haben die gemacht, das kannst du dir nicht vorstellen.«

Der Wachhabende, ein Mann Mitte fünfzig, kratzte sich am Kopf. »Das wird immer schlimmer. Letzte Woche haben sie das katholische Jugendheim ausgeräumt. Vielleicht waren es ja die gleichen!«

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund blieb sein Blick auf Frank hängen. »Was hast du zu diesem Diebstahl zu sagen, he?«

Frank bekam knallrote Ohren, denn schlimmer noch als die professionelle Neugier der Polizisten war der Blick seines Vaters, der fassungslos auf ihm ruhte.

»Da liegt wohl ein kleines Missverständnis vor«, sagte Guido. »Wir wollten bloß ...«

Der Wachhabende seufzte. »Vielleicht könntet ihr Typen euch mal eine intelligentere Ausrede einfallen lassen«, seufzte er. »Immer sind es irgendwelche Missverständnisse oder Verwechslungen, mit denen ihr uns kommt.«

»Mit den Jugendheim-Einbrüchen haben wir aber echt nichts zu tun«, sagte Thomy.

»Ach? Das ist ja wirklich interessant.« Der Polizist beugte sich ein Stück nach vorne. »Was weißt du von diesen Einbrüchen, Thomy? Reichen dir etwa die Supermarktdiebstähle nicht mehr?«

Franks Vater trat einen Schritt vor. »Also, um das vorab mal klarzustellen«, sagte er heiser. »Die beiden hier ...«, er deutete auf Eberhard und Thomy, »haben nichts mit den anderen zu tun.«

»Auch gut.« Der Polizist griff sich einen Kugelschreiber und wedelte auffordernd mit der Hand. »Dann erzählen Sie mal. Es gibt also zwei Banden? Und die beiden Banden haben sich jetzt zusammengeschlossen, um Müllers Fußballtrophäen zu klauen?«

Es waren keine Fingerabdrücke genommen worden und man hatte sie auch nicht in eine dunkle Zelle gesteckt. Frank wäre das aber fast lieber gewesen. Denn das Strafgericht, das ihn zu Hause erwartete, war schlimmer als jedes Polizeiverhör.

Franks Mutter schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. »In was du dich aber auch immer wieder reinziehen lässt, Frank Das muss ein Ende haben, hörst du!«

»Du kannst von Glück sagen, dass du noch nicht strafmündig bist«, setzte sein Vater hinzu. »Denn ein Einbruch ist kein Pappenstiel. Außerdem frage ich mich, warum du plötzlich mit Eberhard und Thomy befreundet bist. Das sind doch zwei Taugenichtse.«

Frank starrte verzweifelt an die Zimmerdecke. »Daniel hat uns reingelegt! Wie oft soll ich euch das noch sagen?«

Sein Vater seufzte. »Ich glaube dir ja, dass Daniel wieder einen fiesen Plan ausgeheckt hat, um euch klein zu kriegen. Da er das schon Ostern gemacht hat, frage ich mich, wie man so blöd sein kann, zweimal auf ihn reinzufallen.«

Frank schob seinen Stuhl zurück und stand hastig auf. »Ich muss noch ein paar Hausaufgaben machen.«

Er drehte sich rasch um, aber sein Vater rief ihm nach: »Bleib hier! Wir haben eine Menge zu besprechen.«

Die Hilfe kam ausgerechnet von seiner Schwester, mit der er sonst oft aufs Heftigste stritt. »Nun lasst ihn doch endlich in Ruhe! Daniel hat ihn und seine Freunde fertig gemacht und das muss er erst mal verkraften, bevor er wieder eins und eins zusammenzählen kann.«

Es war eine Art Notstandssitzung, die Franks Vater in der großen Küche des Sendlerhofs einberufen hatte.

»Ich habe vorhin ein längeres Telefonat mit Daniels Vater geführt«, sagte er düster. »Und vor allem deshalb treffen wir uns hier.«

Die Coolen Kicker saßen mit Luki zusammen auf der einen Seite des großen Küchentischs, Eberhard und Thomy mitsamt den Mädchen auf der anderen. Am Kopfende hatten sich Bauer Sendler und Franks Vater nebeneinander gesetzt, als seien sie Staatsanwalt und Richter.

»Bringen wir Klarheit in diese ganze Geschichte«, fuhr Franks Vater fort. »Begonnen hat es also damit, dass man euch allen die Fußballklamotten geklaut hat?«

»Kikeriki – euch Kicker machen wir hie«, sagte Jan trotzig. »Damit hat's angefangen. Als Erstes durften wir die Schmierereien von Eberhard und Thomy von unseren Garagentoren abwaschen.«

»Sei froh, dass wir nur Nutella genommen haben, Mann«, brummte Thomy. »Wir hätten eure Scheißtore auch mit was ganz anderem voll schmieren können.«

»Wenn ihr euch streiten wollt«, sagte Bauer Sendler, »dann geht raus zum Misthaufen. Dort findet ihr genug Munition.«

»Und außerdem«, Frank warf einen Seitenblick auf Eberhard, »bei aller Feindschaft mit euch beiden: Wir haben doch wohl im Augenblick andere Sorgen, als uns gegenseitig fertig zu machen. Wenn Daniel wirklich nach Wilnshagen zieht, können wir gar nicht mehr in Ruhe miteinander streiten, weil wir uns nur noch um dieses Großmaul kümmern müssen!«

»Mal bloß nicht den Teufel an die Wand«, knurrte Eberhard. »Ich hab nämlich mit euch noch ein Hühnchen zu rupfen.«

»Und wir mit euch«, sagte Guido scharf.

Karin konnte sich angesichts dieser Jungensprüche ein Grinsen nicht verkneifen. »Dann seid ihr euch ja einig. Ihr wollt euch in Ruhe weiterstreiten, also müsst ihr die Sache mit Daniel so schnell wie möglich klären.«

»Genau«, sagten Eberhard und Frank gleichzeitig und mit so finsteren Mienen, dass Karin laut auflachen musste.

Die ebenfalls schmunzelnde Jacki wandte sich an ihren Vater: »Das ist so wie bei einem alten Stammesritual, weißt du? Daniel hat ihnen ihre Schuhe, ihre Trikots und den ganzen anderen Fußballfirlefanz geklaut. Und jetzt haben sie das Gefühl, sie könnten ohne ihre Sachen nicht in Bergkirchheim antreten.«

Frank spürte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht schoss, aber bevor er etwas sagen konnte, brüllte Jan schon: »Ihr habt doch keine Ahnung, ihr albernen Hühner! Stammesritual, von wegen. Meine Schuhe sind optimal eingespielt. Das ist alles streng wissenschaftlich! Guido, sag du doch auch mal was.«

»Da hat Jan schon Recht«, seufzte der »Professor«. »Gerade mit den Schuhen ist das eine heikle Sache. Mal abgesehen davon, dass sie eine ganze Menge kosten: Bis du welche findest, die richtig passen und bis die eingespielt sind – da vergeht eine ganze Weile.«

»Und in knapp zwei Wochen ist schon die Sichtung.«

»Ich weiß«, sagte Franks Vater. »Deswegen wollte Daniel ja auch vorher noch nach Wilnshagen ziehen: Damit er am Sichtungslehrgang teilnehmen kann!«

Frank hätte vor Wut über diese Neuigkeit am liebsten in die Tischkante gebissen. Natürlich: Daniel trat noch kurz vor dem Sichtungslehrgang dem 1. FC Wilnshagen bei, zeigte, was für ein toller Typ er war und landete dann, wahrscheinlich mit Papas Hilfe, bei einem Profiverein!

»Ja, jetzt ... jetzt kapier ich erst alles!« Thomys Gesicht nahm die Farbe einer überreifen Tomate an, die kurz vor dem Platzen war. »Daniel wollte uns nicht nur gegeneinander aufhetzen – er will auch, dass wir in Bergkirchheim mit neuen, quietschenden Schuhen wie die letzten Hampelmänner über den Platz taumeln.«

»Stammesritual zweiter Teil!«, sagte Karin trocken. »Mensch, Leute, innerhalb von zwei Wochen müsstet ihr doch neue Schuhe längst eingespielt haben!«

»Darum geht es nicht«, sagte Thomy wütend. »Es geht ums Prinzipippi – oder wie das heißt.«

»Schluss jetzt!«, fuhr Franks Vater dazwischen. »Mir geht es in erster Linie um diesen angeblichen Einbruch in das Gartenhäuschen eines gewissen Hubert Bertram, in dem ihr mit Müllers Fußballtrophäen in den Händen erwischt worden seid. Wenn wir diese Geschichte nicht ganz schnell vom Tisch bringen, wird sie euch noch ewig nachhängen.«

»Und was ist mit unseren Sachen?«, fragte Eberhard. »Die muss uns Daniel erst mal zurückgeben ...«

Das dumpfe Dröhnen eines PS-starken Motors ließ ihn zusammenzucken.

»Das ist Müller mit seinem Jaguar!«, rief Luki und rannte wie der geölte Blitz aus dem Zimmer.

»Jetzt zieht Daniel bestimmt wieder 'ne große Show ab«, murmelte Frank. Er wusste gar nicht, wie Recht er damit behalten sollte.