Wann hast du zum letzten Mal gut geschlafen und warst nach dem Aufstehen so richtig ausgeruht? Es ist ein wenig provokant, Eltern diese Frage zu stellen. Umso mehr, da du wahrscheinlich aus einem guten Grund zu diesem Buch gegriffen hast: Schlaf ist ein Problem in deiner Familie. Und nicht nur in deiner, sondern in vielen. Kaum ein Thema beschäftigt viele Eltern so durchgehend während der ersten (und auch späteren) Jahre des Begleitens von Kindern wie das Schlafen. Und kaum ein Thema geht uns so nah, verlangt uns so viel ab wie Schlafmangel.
Schlafmangel ist eine Foltermethode, das wissen wir. Wie kann es dann sein, dass die Natur es so eingerichtet hat, dass wir am Anfang unseres Familienlebens einer solchen Tortur ausgesetzt sind? Dass Konflikte innerhalb der Familie entstehen, weil wir so unglaublich müde sind? Das kann doch nicht richtig sein, oder? Tatsächlich ist es das auch nicht: Ausgeruhte Eltern sind wichtig für ihre Kinder, ausreichend Schlaf ist wichtig für unsere körperliche und psychische Gesundheit, die Gestaltung unserer Beziehungen jenseits von Familie und unsere Arbeitsfähigkeit. Babys und Kinder brauchen den zu ihrer Entwicklung passenden Schlaf in ausreichender Menge, ebenso wie Jugendliche, aber auch Erwachsene je nach Lebensalter. Wenn innerhalb eines Familiensystems eine Person Schlafmangel erleidet, wirkt sich das auch auf die anderen Menschen in diesem System aus: Das Baby, das häufig aufwacht, wird sich auf die Schlafgewohnheiten der Bezugsperson(en) auswirken. Bekommt diese Bezugsperson zu wenig Schlaf durch die Begleitung des Babys, wirkt sich der Schlafmangel der Erwachsenen auf die Möglichkeiten der Begleitung des Kindes aus und darüber hinaus auf unsere Alltagsgestaltung. Und nicht nur das: Einige Eltern bilden in den ersten Jahren Verhaltensmuster aus, um den Schlaf des Babys oder Kleinkindes gut zu begleiten, die ihrem eigenen Schlaf nicht zuträglich sind und so langfristig zu Schlafproblemen führen können, die über viele Jahre das Familienklima beeinflussen. Schlafmangel ist keinesfalls »normal«, im Sinne von natürlicherweise vorgesehen für Eltern, da er sich negativ auf alle Beteiligten auswirkt und es erschwert, Kinder liebevoll und bedürfnisorientiert zu begleiten. Elternschaft und das Begleiten von Kindern sollen uns eigentlich Freude bereiten, ein warmes Gefühl von Verbundenheit und Glück schenken, anstatt Erschöpfung und Müdigkeit. Dennoch ist Schlafmangel in den Industrieländern die Norm, und wir nehmen ihn wegen seiner Omnipräsenz als ungeliebte Begleiterscheinung von Elternschaft und unseres gesamten Lebens an. Eltern sind eben immer müde, oder?
Aber du musst nicht unter Schlafmangel leiden: Es ist keineswegs natürlich, dass Eltern immer zu wenig schlafen. Wir denken oft, dass unser erwachsener Schlafmangel daran liegen würde, dass Babys, Kinder und auch Teenager anders schlafen als wir und deswegen die Kinder die Stellschraube für einen besseren Schlaf wären. So schön sich die Idee davon anhört, dass wir nur ein klein wenig an unseren Kindern ändern müssten, um viel besser schlafen zu können, so einfach ist es aber nicht. Im Gegenteil: Die Manipulation des kindlichen Schlafes sollten wir in den meisten Fällen sogar dringend unterlassen. Sie kann das Kind, aber auch unsere Beziehung zum Kind, langfristig schädigen.
Dass die Unterschiede im kindlichen und erwachsenen Schlaf zu unserem Schlafmangel führen, ist oft richtig (wenn auch nicht ausschließlich). Die Stellschraube für besseren Schlaf sind dennoch meistens nicht die Kinder – und es ist auch nicht die Drosselung unseres Erwachsenenschlafes. Vielleicht hast du es ja selbst bereits ausprobiert an der ein oder anderen Stelle: Viele Schlafprogramme oder Onlinekurse versprechen, dass sie Eltern die Anleitung für einen gesunden Schlaf des Babys geben könnten, oder suggerieren, dass das Kind auf jeden Fall durchschlafen würde, wenn man nur dieses oder jenes beachten würde und sich konsequent daran hält. Oder sie erklären ausführlich, warum Babys und Kleinkinder eben so schlafen, wie sie schlafen, und halten Eltern dazu an, nicht in diesen Schlaf einzugreifen, wodurch sie aber selbst jahrelang schlecht schlafen. Beide Methoden sind langfristig nicht sinnvoll. Es gibt viele andere Stellschrauben für einen besseren Schlaf, an denen wir durchaus drehen können und auch sollten. Welche das sind, wirst du in diesem Buch erfahren. Wir werden uns gemeinsam auf die Suche danach begeben, was guten Schlaf für Babys, Kinder, Jugendliche und Erwachsene ausmacht und wie dieser gute und ausreichende Schlaf hergestellt werden kann. Es ist ein weitverbreiteter Mythos, dass wir die EINE Lösung finden müssen bei Problemen mit Babys und Kindern. Oft ist es ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren – nicht nur beim Schlafthema. Und oft sind diese Faktoren von Familie zu Familie ein wenig unterschiedlich, da wir alle in verschiedenen Familien mit unterschiedlichen Menschen und unterschiedlichen Rahmenbedingungen leben. Deswegen gibt es auch beim Schlaf nicht die eine, für alle richtige Lösung. Aber in diesem Buch kannst du die richtige Lösung für euch ganz persönlich, für deine Familie, finden. Und sie immer wieder neu anpassen, denn auch das steht fest: Schlaf verändert sich über die Zeit, und auch unsere Herausforderungen in Bezug auf das Schlafverhalten der Familienmitglieder ändern sich. Wenn du verinnerlicht hast, welche Zahnräder hier ineinandergreifen, und die bedeutsamen Stellschrauben kennst, wirst du immer wieder eine Lösung finden können, die zu euch passt. Und zwar auf Basis von Verständnis, Vertrauen und Entspannung anstatt von Druck, Angst und Anspannung. Dieses Buch lädt dich daher immer wieder dazu ein, dich und deine Familie in Hinblick auf das Schlafverhalten zu reflektieren und anhand von Fragen, Protokollen und Beobachtungen herauszufinden, wie der zu euch passende Schlaf aussehen kann. Denn: Wirklich guten Familienschlaf findet ihr dann, wenn die ganze Familie als System betrachtet wird.
Über die Frage danach, wann du zum letzten Mal gut geschlafen hast, wirst du dann nicht mehr lange nachdenken müssen. Sicherlich gibt es im Familienleben immer wieder mal Tage, an denen Eltern nicht ausreichend schlafen, aber die Grundmelodie deines Schlafverhaltens wird harmonischer sein, wenn du weißt, welche Zahnräder ineinandergreifen müssen, damit eure Spieluhr die passende Schlafmusik spielen kann.
Du hast dieses Buch zur Hand genommen, weil du oder eine andere Person in deiner Familie offenbar von Schlafproblemen betroffen ist. Das bedeutet, dass Zeit besonders kostbar ist, schließlich könntest du auch schlafen, statt zu lesen. Du profitierst am meisten von diesem Buch, wenn du den gesamten Inhalt liest, aber du kannst dich auch nur mit den jeweils passenden Abschnitten beschäftigen. Im ersten Teil des Buches erhältst du alle wichtigen Informationen über den Schlaf: wie er sich über die Lebenszeit entwickelt, warum Babys und Kinder anders schlafen als Erwachsene, welche Schlafphasen es gibt und warum Schlaf für uns Menschen so unglaublich wichtig ist. Obwohl wir eigentlich wissen, wie wichtig Schlaf ist, messen wir ihm dennoch nicht die Bedeutung zu, die er verdient hat, und haben Schwierigkeiten, eine wirklich gute Schlafhygiene in der Familie zu etablieren. Deshalb geht es im zweiten Teil um dein Mindset: warum du wie über den Schlaf denkst und wie du das ändern kannst, damit Schlaf endlich den Raum in eurer Familie bekommt, den er braucht. Im dritten Teil geht es schließlich um ganz konkrete Probleme unseres Familienalltags: Das Kind will nicht einschlafen, der Nachtschreck macht uns den Alltag schwer oder das Teenagerkind will am Wochenende beim Familienfrühstück nicht aufstehen. Wenn du in enormer Zeitnot bist, kannst du sofort zu den Problemstellungen im dritten Teil des Buches springen. Ich würde dir allerdings empfehlen, auch die Inhalte im ersten und zweiten Teil zu lesen, da ein grundlegendes Verständnis der Bedeutung des Schlafs und seiner Wirkungen eine wichtige Basis für ein gutes Schlaf-Mindset bildet. Um die Arbeit mit diesem Buch für dich so effizient wie möglich zu machen, findest du darin außerdem folgende Anregungen:
Das Wichtigste in Kürze: Alle wichtigen Informationen eines Teils kurz zusammengefasst.
In Gut-zu-wissen findest du interessante Informationen, die den Inhalt des Textes ergänzen. Diese Informationen benötigst du nicht zwingend für das Verständnis des Textes, aber es sind spannende kleine Ergänzungen, die du lesen kannst, wenn du Zeit dafür hast.
Reflexionen. Es gibt nicht den einen richtigen Weg für einen gesunden Schlaf. Du musst aber den richtigen Weg für dich und deine Familie finden. Dafür kannst du die Reflexionen im Buch nutzen.
Audio-Dateien: Durch QR-Codes erhältst du Zugriff auf Traum- und Fantasiereisen. Diese Hördateien sollen dir ermöglichen, dich noch besser in das jeweilige Thema oder Problemfeld einzufühlen. Sie geben dir auch Anregungen für Entspannungsübungen für dich und dein Kind im Alltag. Siehe auch die Hinweise zum Online-Material → .
In den Kurz und Knapp-Kästen: Was kann helfen? im dritten Teil siehst du bei Bedarf schnell auf einen Blick, was du bei den kleinen und großen Herausforderungen rund um Schlaf wie Krankheit, Schnuller geben oder Energydrinks und Smartphone bei deinem Teenager tun kannst.
Zum Verständnis eures Familienschlafes führen dich in diesem Buch nicht nur viele Informationen, sondern auch Beispiele aus dem praktischen Alltag. Hierfür habe ich Erfahrungen aus meinem eigenen Leben mit meinen Kindern, Schlafberichte aus meinem näheren Umfeld und Themen aus 15 Jahren Beratungspraxis in einer Familie, die uns durch dieses Buch führt, zusammengebracht. In Aus dem Familienalltag von Anna & Amir erleben wir, wie Anna und Amir ihr zweites Kind bekommen, welchen Herausforderungen sie sich in der Begleitung ihres ersten Kindes Mayla stellen mussten, wie ihr zweites Kind Luca im Uterus schläft und wie sie ihren Weg zu einem guten Familienschlaf finden.