Pädagogische Impulse wie in diesem Buch können im Alltag helfen, eine bessere Schlafroutine und -hygiene aufzubauen, indem sie Informationen liefern, zur Reflexion anregen und Ideen für mögliche Lösungen geben. Manchmal aber reicht all das nicht aus, und das Problem gehört nicht in beraterische, sondern in therapeutische Hände. Dies bezieht sich auf Schlafstörungen Erwachsener, aber auch auf Schlaf- und Regulationsstörungen von Kindern.

Im Bereich der Schlafstörungen gibt es verschiedene Klassifikationssysteme. In der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Version 10 (kurz ICD-10), werden organische und nichtorganische Schlafstörungen unterschieden. Organische Schlafstörungen sind mit körperlichen Beeinträchtigungen oder deren Folgen verbunden, beispielsweise Schlafapnoe oder Narkolepsie. Hier sind medizinische Unterstützungen notwendig. Nichtorganische Schlafstörungen werden unterteilt in Dyssomnien und Parasomnien. Zu den Dyssomnien zählen beispielsweise Einschlaf- und Durchschlafstörungen wie auch eine übermäßige Schlafneigung, während zu den Parasomnien das Schlafwandeln, der Nachtschreck und Albträume zählen. Oft können Eltern diese nichtorganischen Schlafstörungen mit den hier vorliegenden Informationen selbst beheben. Wenn sich die Probleme allerdings chronifizieren, das Kind oder der Jugendliche über einen längeren Zeitraum morgens nicht erholt ist oder sich schlecht wecken lässt, hohe Tagesschläfrigkeit besteht oder andere sonst nicht erklärbare Verhaltensauffälligkeiten, sowie bei chronischem Schnarchen  /  Atemgeräuschen  /  Atemaussetzern sollte Hilfe von Schlafspezialisten hinzugezogen werden.34 Bei einer solchen speziellen Schlafberatung und -therapie wird eine ausführliche Diagnostik vorgenommen, bei der eine allgemeine Anamnese durchgeführt wird (körperlich und psychisch) in Kombination mit einem Schlafprotokoll und altersentsprechenden Screeningfragebögen für Eltern und Kind  /  Jugendliche. Manchmal kann auch Videomaterial hinzugezogen werden oder eine Übernachtung im Schlaflabor notwendig sein. Auf Basis dieser Befunde wird dann die Behandlung des jeweiligen Problems begonnen. Hier sind wieder Informationen über das natürliche Schlafverhalten und gesunde Schlafroutinen wichtig, dazu gibt es Anregungen für den Alltag und das Erlernen von Entspannungstechniken. Empirisch überprüft sind für Kinder und Jugendliche die Methoden des Mini-KiSS-Trainings, des KiSS-Trainings und das JuSt-Training für Jugendliche. Diese arbeiten innerhalb weniger Sitzungen mit Eltern und Kindern, insbesondere durch Information und Vermittlung von altersangemessenen Entspannungstechniken. Auch wenn das Wort »Training« in Bezug auf Schlaf durch die behavioristischen Schlaftrainings negativ geprägt ist, ist ein angeleitetes Vorgehen für Kinder und Eltern bei schweren Schlafproblemen oft hilfreich. In Bezug auf diese Verfahren ist zudem angeraten, »dass das Vermitteln der Schlafhygiene-Empfehlungen dem Entwicklungsstand und den kulturellen Werten des Kindes und Jugendlichen beziehungsweise seiner Familie angepasst sein sollte«.35 Leider kommt es auch hier darauf an, wem man persönlich gegenübersitzt. Wie wir gesehen haben, kann das Schlafen im Familienbett – sofern es für Eltern und Kinder stimmig ist – problemlos die Kleinkindzeit überschreiten, ohne irgendwelche pathologischen Züge zu haben, und es können auf sanfte und bedürfnisorientierte Art neue Brücken in den Schlaf gefunden werden.

Auch wenn Babys Schwierigkeiten haben, einzuschlafen, wenn sie viel weinen und sich schwer trösten lassen und die Bezugspersonen sich überfordert fühlen, ist eine zusätzliche Unterstützung angebracht. Auch Regulationsstörungen der frühen Kindheit sind nach ICD-10 klassifiziert. Die therapeutische Unterstützung liegt hier ebenfalls in Informationen für Eltern über die kindliche Entwicklung und Methoden der Co-Regulation, aber auch im Aufbau und der Stärkung der Beziehung, der Aufarbeitung von Traumata und dem Erlernen von Entspannungstechniken für Eltern.

Wichtig ist generell: Wenn Eltern an ihre Grenzen kommen, zu wenig schlafen, zu erschöpft sind und  /  oder merken, dass ihre Kinder nicht ausreichend gut schlafen, brauchen sie Unterstützung. Kindlicher Schlaf ist kein Aushängeschild für gute Elternschaft. Wenn dein Kind nicht gut schläft oder du selbst, bedeutet das nicht, dass du ein schlechter Elternteil wärst. Wie wir gesehen haben, ist unser Schlaf von so vielen Faktoren abhängig, die uns teilweise bewusst sind, teilweise aber auch nicht, die wir teilweise schnell und gut beeinflussen können, die teilweise aber auch außerhalb unseres Handlungsspielraums liegen, sodass es absurd ist, zu erwarten, dass Eltern von sich aus all das leisten können. Wenn wir Eltern werden, legt sich kein Schalter um, der alles Wissen rund um kindliche Entwicklung in uns auf einmal freischaltet. Elternschaft ist Versuch und Irrtum und Lernen aus den eigenen Erfahrungen. Manchmal wissen wir nicht weiter und brauchen Unterstützung. Das ist okay.

Und wenn du einmal ganz erschöpft bist und nachts nicht weiterweißt, ist es okay, andere um Hilfe zu bitten oder deinen Frust einer anderen Person anzuvertrauen. Bestenfalls gibt es eine Person in deinem nahen Umfeld, die du immer und zu jeder Uhrzeit anrufen kannst, bevor du am nächsten Tag beginnst, fachliche Hilfe zu suchen.

Autismus, ADHS und Schlaf

Schlafstörungen können in Zusammenhang mit Angststörungen, depressiven Störungen oder Störungen des Sozialverhaltens stehen und spielen auch oft eine Rolle bei Menschen im neurodiversen Spektrum. Kinder im Autismus-Spektrum leiden deutlich häufiger unter Schlafproblemen (Prävalenz von 80 Prozent), insbesondere unter Insomnien und Parasomnien.36 Auch Kinder mit ADHS leiden häufiger unter Insomnien, dazu unter Tagesmüdigkeit, und lassen sich oft schwerer in den Schlaf begleiten. Kinder mit einem hyperaktiv-impulsiven Subtypus des ADHS und Kinder mit Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit zeigen außerdem häufig morgendliches Früherwachen.37 Familien mit Kindern im neurodiversen Spektrum benötigen oftmals spezielle Unterstützung und Beratung, damit sowohl Eltern als auch Kinder gute und erholsame Schlafroutinen entwickeln können.

Das Wichtigste in Kürze

Auf dem Weg durch die vielen Jahre der Elternschaft und Entwicklung deines Kindes werden dir an einigen Stellen immer wieder Hindernisse begegnen, die den Schlaf erschweren – auch wenn es doch gerade so gut lief. Das Durchschlafen deines Kindes entwickelt sich nicht als steile Aufwärtslinie, sondern eher in einer Art Schlängellinie. Viele dieser Hindernisse sind dadurch zu bewältigen, dass du die individuelle Entwicklung deines Kindes verstehst und auf Ressourcen zurückgreifen kannst (Bezugspersonen, die dich unterstützen, Fachkräfte, die eventuelle Erkrankungen abklären und Therapien empfehlen können), um auch die Tiefs der normalen Entwicklung wie das Zahnen oder die ersten Erkältungskrankheiten gut zu bewältigen. Je größer dein Kind wird, desto wichtiger ist es, es aktiv zu beteiligen: zu fragen, was es zum guten Schlaf braucht, mit dem Kind über den Schlaf zu sprechen und wirklich zu verankern, dass Schlaf eine wunderbare, erholsame und schöne Zeit ist. Gerade in den Teenagerjahren, in denen Jugendliche durch die ungesunden Strukturen unserer Gesellschaft oft unter Schlafmangel leiden, müssen wir auf Vertrauen und Respekt aufbauen, damit wir den ungünstigen Rahmenbedingungen beispielsweise von Schule entgegenwirken können.

Nicht immer ist der Weg einfach zu gehen. Manchmal verzweifeln wir, manchmal verstehen wir etwas nicht, manchmal sind wir mit unserem Wissen am Ende – das ist normal. Dann sollten wir nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil der Schlaf einfach zu wichtig ist, um nebensächlich behandelt zu werden.