Kapitel 2 - Eyvor
D as laute Lachen dröhnt in meinen Ohren wie ein Gewitter. Ich wage es kaum, mich zu bewegen, geschweige denn etwas zu sagen. An einer langen Tafel sitze ich direkt neben dem Clanführer und seiner Frau. Doch ich fühle mich ganz allein, als wäre ich der einzige Geist unter Lebenden.
»Noch Wein?«, fragt eine Dienerin und gießt mir ein, obwohl ich kaum etwas getrunken habe.
»Danke«, sage ich leise und setze den Becher an die Lippen. Dabei sehe ich unauffällig in die Runde.
Es sind fast nur Männer anwesend. Die besten Krieger des Clans wurden zur Vermählung geladen und trinken, als würden sie schon morgen in den Krieg ziehen und nie zurückkehren. Es sind alles große, bärtige und kräftige Männer mit Fellen auf den Schultern. Sie lachen mit offenem Mund, während die Mägde auf ihren Schößen sitzen und Wein nachschenken. Es ist ein Saufgelage, wie ich es noch nie gesehen habe.
Unter den Männern sitzt auch mein Gemahl, der noch kein einziges Wort mit mir gesprochen hat. Er macht es mir leichter, dennoch verspüre ich so etwas wie gekränkten Stolz, weil er mich nicht einmal ansieht. Tage hat es gedauert mir jedes einzelne Haar vom Körper zu ziehen, damit meine Haut so weich ist, wie die einer Jungfrau. Doch dieser grobschlächtige Kerl wird es nicht einmal bemerken.
Die Hagr sind nichts weiter als Tiere. Niemand wird etwas ahnen, erst recht nicht Raeghar. Sorge dafür, dass sein Horn stets voll ist, bis er nicht mehr gerade laufen kann. Erst dann begibst du dich zu Bett. In der Nacht setzt du dich auf seinen Schoß. Er wird so betrunken sein, dass er sich am nächsten Morgen an nichts erinnern kann.
Mutter hat gut reden. Sie ist es auch nicht, die mit diesem Riesen vermählt wird.
Raeghar ist noch beeindruckender, als die Geschichten, die sich um seine Siege drehen. Er überragt mich mehr als einen Kopf, hat Schultern so breit wie ein Baumstamm und sein langes schwarzes Haar ist zu etlichen Zöpfen geflochten, die von seinem seitlich rasierten Schädel herunterfließen wie dunkles Wasser. In seinen hellen Augen spiegelt sich der raue Eiswind des Nordens. Sein gesamter Körper ist von dunklen Bemalungen übersät, die von seinen ruhmreichen Taten erzählen. Er lacht mit seinen Männern, doch kein Lächeln hat er bisher in meine Richtung geschickt. Er vermeidet jeden Blick zu mir und genießt das Fest, während ich vor einem vollen Teller sitze und keinen Bissen herunterbekomme.
»Esst, meine Liebe, Ihr werdet Kraft brauchen für die Nacht.« Seine Mutter, Faerna - die Kühne, ist eine Frau mit Armen wie eine Bärin. Doch ihr freundliches Lächeln ist der einzige Lichtblick an diesem Abend.
»Ich ... habe keinen Hunger«, presse ich leise hervor. Mir ist so schlecht, dass ich kaum atmen kann.
»Ich werde Euch nicht zwingen, aber ich rate Euch, es wird nicht leicht. Die Männer der Hagr sind wie Tiere.« Sie schüttelt den Kopf in Richtung ihres Mannes.
»Ich weiß ... was mich erwartet«, lasse ich sie wissen, obwohl ich am liebsten davonlaufen würde. Weit weg, hinein in den Wald und immer weiter, bis weder Raeghar, noch meine Familie mich jemals wieder finden werden.
»Habt keine Angst, Raeghar ist ein guter Mann.«
Daran zweifle ich. Bei meiner Ankunft hat er mich nicht einmal angesehen und seit Stunden besäuft er sich mit seinen Männern, anstatt seine Braut kennenzulernen, vor der Nacht.
Vielleicht ist es besser so. Er muss betrunken sein, sonst wird es nicht funktionieren.
Meine Finger legen sich um das winzige Medaillon auf meiner Brust. Ich darf es niemals verlieren - oder ich bin verloren.
Für einen kurzen Moment spüre ich seinen Blick auf mir, doch als ich den Kopf hebe, lacht Raeghar mit seinen Männern, als wäre ich noch immer nicht anwesend. Er ist ein Mann, wie ihn sich viele Frauen wünschen, er kann allein auf der Jagd einen Bären erlegen und ein Haus für die Familie bauen. Nur wird er nie der Mann meiner Kinder. Er wird tot sein, noch bevor die Sonne am nächsten Tage untergeht. Und mit ihm sein ganzer Clan.
Ich spüre einen ungeheuren Druck auf der Kehle und nehme noch einen Schluck Wein.
»Euer Haar leuchtet wie ein frisch entfachtes Lagerfeuer«, ertönt eine männliche Stimme neben mir. »Druian, Sohn des Torgr.«
Statt einer Antwort lächle ich schüchtern, so wie Mutter es mir beigebracht hat.
Er legt mir eine Hand auf die Schulter, dem glasigen Schein seiner Augen nach ist er bereits voll bis unter das Kinn.
»Ich hoffe, Ihr genießt das Fest? Wie war noch Euer Name?«
Ich blicke in das verwässerte Blau seiner Augen.
»Eyva.«
»Ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Frau.«
Es tut gut, dass wenigstens ein Mann an diesem Tisch bemerkt, wie viel Mühe wir uns gegeben haben. Den Ruf der schönsten Frau oberhalb der Meerenge aufrechtzuerhalten war schwer genug.
»Ihr seid sehr freundlich.«
»Oh, ich kann weit mehr als das sein«, sagt er plötzlich mit einem Funkeln in den Augen und beugt sich zu meinem Ohr. »Wenn es Euch nach Abwechslung verlangt, ruft nach mir.«
Das darauf folgende Augenzwinkern lässt seine Worte nicht weniger eindeutig erscheinen. Seine Wangen sind erhitzt, er schwitzt und er kann meinem Blick kaum standhalten.
»Ich danke Euch«, sage ich höflich aber abweisend. Ich bin zwar hierher geschickt worden, um meine Pflicht zu erfüllen, aber ich lasse mich ganz sicher nicht wie eine Zuchtstute behandeln.
Doch Druian scheint meine Worte nicht zu verstehen, denn anstatt davonzutaumeln, kommt er noch näher, so dass ich seinen Atem riechen kann.
»Komm zu mir diese Nacht, Eyva und ich werde dich lehren, was es heißt, von einem Mann genommen zu werden.«
Entsetzt über diese Frechheit hole ich aus und verpasse ihm eine Ohrfeige.
Die Feiernden sind kurzzeitig still, dann bricht schallendes Gelächter aus. Selbst Mutter Faerna klatscht mit den Männern.
Druian lächelt, doch das gierige Funkeln seiner Augen lässt mich Böses erahnen.
Plötzlich schiebt sich ein Schatten über mein Gesicht. Ich hebe den Kopf und sehe nur die Silhouette eines großen kräftigen Mannes.
»Bruder, hast du das gesehen ...«, beginnt Druian und wird von ihm beiseitegeschoben, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann.
»Ich entschuldige mich für meinen Bruder«, ertönt Raeghars tiefe Stimme, die mich einen Moment erstarren lässt.
Erst jetzt erkenne ich ihn. Seine hellen Augen blitzen in der Dunkelheit auf. Er sieht mich an - das erste Mal und das auf eine Art, die mir eine Gänsehaut beschert. Denn anstatt sich abzuwenden, hält er meinen Blick fest, obwohl wir uns nicht berühren. Er blinzelt nicht und er lächelt auch nicht, aber seine eisblauen Augen fahren mein Gesicht ab, als wären es seine großen Hände.
Ich spüre, wie mein Herzschlag beschleunigt, als sich ein winziges Lächeln auf seine Lippen schiebt, bevor er den Blick zwischen uns trennt.
Mit einem brüderlichen Lächeln packt er Druian am Kragen und schlägt ihm auf die Brust.
»Trink etwas, Bruder! Es ist ein besonderer Tag.« Bevor er ihn mit sich nimmt, sieht er zurück zu mir. Und in diesem Moment wird mir klar, dass ich es nicht kann. Er ist nicht dumm, er ist stark und sobald er es erfährt, wird er mich töten.
Ich kann nur beten, dass mir die alten Götter beistehen und mich diese Nacht überleben lassen, auch wenn ich daran zweifle.
Das Fest geht so lange, bis alle Männer unter dem Tisch liegen oder mit den Mägden nach draußen getaumelt sind.
Iard Torgr und seine Frau sind schon lange gegangen. Ich sitze noch immer an dem mir zugewiesenen Platz und starre auf meinen Teller, auf dem die vormals saftige Ziegenkeule bereits vertrocknet.
Raeghar sitzt noch bei seinen Männern und hört sich Geschichten glorreicher Schlachten an und leert seinen Becher wieder und wieder.
Druian ist bei ihm, wie auch seine zwei jüngsten Brüder. Immer wieder sieht er zu mir, als würde er das Gespräch von vorhin gerne weiterführen.
Doch es ist ein anderer Krieger, der sich mir schwankend nähert und dabei eindeutige Absichten hegt.
»Er wird dich nicht vermissen, Oarla , ich gebe es dir hart und schnell, es wird dir gefallen.« Er packt meinen Arm und reißt mich vom Stuhl, so dass mir das Hialafell von den Schultern rutscht. Doch der Grobian entschuldigt sich nicht, sondern hebt mich einfach vom Boden auf. »Du musst leise sein, wenn ich dich nehme, die Götter allein werden Zeuge sein.«
Ich will ihn schlagen, doch er hält mich so fest, dass ich mich nicht bewegen kann.
»Lass sie runter!«, ertönt Raeghars tiefe Stimme und plötzlich sind alle am Tisch ganz still.
Mein Herz schlägt höher, als er sich erhebt. Das dunkle Fell auf seinem Rücken lässt ihn wie einen Bären wirken.
»Wenn du sie nicht willst, Arcai , nehme ich sie mir!«, ruft der Bastard und versucht mich zu küssen.
Ich quietsche vor Ekel, doch es ist Raeghar, der ihn am Zopf packt und ihn nach hinten reißt.
»Du lässt sie gehen, oder ich schlage dir den Kopf ab.«
Seine Worte dringen durch meinen Körper wie ein Eissturm und ich bemerke gar nicht, dass der Grobian mich absetzt. Raeghar schiebt mich vorsichtig hinter sich, bevor er dem Kerl eine letzte Warnung gibt.
»Du rührst sie nie wieder an.«
Demütig senkt der Grobian den Kopf und schleicht davon, während die Männer im Hintergrund wieder zu lachen beginnen.
Ich bemerke erst jetzt, wie mein Körper vor Kälte zittert. Ich kann es nicht unterdrücken, auch nicht, als Raeghar sich mir zuwendet.
»Es ist Zeit«, sagt er leise und augenblicklich erfüllt tiefe Furcht meine Gedanken. Denn er kann noch stehen und sein Blick ist so durchdringend, dass ich mich nicht bewegen kann.
»Aber ... das Fest?«
»Wollt ihr noch bleiben?« Seine Stimme ertönt überall in meinem Körper.
»Ja. Ein wenig. Wie wäre es mit etwas Wein?« Ich greife blindlings nach der Karaffe und stoße sie dabei um.
Raeghar ergreift mein Handgelenk und führt meinen Arm an meine Seite, während er mir tief in die Augen sieht.
»Ihr müsst erschöpft sein von der langen Reise.«
Für einen Moment will ich ihm zustimmen und hoffe, dass er mich nicht mit sich nimmt, doch seine Berührungen fühlen sich an wie winzige Eiskristalle auf der Haut. Ich kann ihn nur ansehen und nicken.
Ehe ich weiß, was mit mir geschieht, folge ich ihm fort von dem Fest. Hinter dem Thron führen mehrere Holztüren zu den Schlafzimmern der Familie. Ich umklammere instinktiv den Anhänger meiner Kette, als Raeghar mich zu einer Tür fernab des Festes führt. Niemand ist zu sehen, kein Laut ertönt, als er sie für mich öffnet.
Ich weiß, dass es sein Gemach ist und folglich auch meines, obwohl es nur spärlich von winzigen Flammen erhellt wird. Es gibt eine kleine Feuerstelle und ein großes Lager voller Felle auf einem Gestell aus Holz.
Mein Herz hämmert in meiner Brust, als er hinter mir die Tür schließt. Ich habe diesen Moment so oft in Gedanken erlebt, dass es mir unwirklich vorkommt, wie er tatsächlich abläuft. Denn Raeghar ist kein Trunkenbold, den ich stützend zum Bett wuchte, er steht auf eigenen Beinen und das so dicht hinter mir, dass ich ihn fühlen kann ohne jede Berührung.
Er streift mir den Umhang von den zitternden Schultern, bevor er seine Felle ablegt.
Ich spüre meine Beine weich werden, als er mit entblößter Brust vor mich tritt. Er ist wahrlich stattlich und für einen Mann schön anzusehen.
Meine Atmung versagt, als er mich umrundet, eine Hand streicht mir das Haar von der Schulter. Schon ist er bei der Schnürung des Kleides in meinem Rücken angelangt.
Es ist nicht richtig, er sollte längst liegen!
Doch er steht noch und öffnet mein Kleid, als hätte er nie etwas anderes getan. Als würden seine Hände meinen Körper kennen, dreht er mich um und streift mir die Träger von den Schultern.
Ich ringe nach Luft, als er meine Brust freilegt.
»Fürchtet Euch nicht«, raunt er, als ich zitternd die Hände vor der nicht vorhandenen Brust verschränke. »Ihr gehört nun zu mir und ich werde gut auf Euch achten.«
Mir ist zum Lachen zumute, weil dieser Mann so viel besser ist, als sein Ruf es jemals für möglich gehalten hätte. Doch stattdessen sehe ich nur in seine Augen, die so vieles über ihn verraten. Das Eis darin ist geschmolzen und einem stürmischen Meer gewichen, das nicht aufzuhalten scheint. Er spürt dieselbe Anziehung, die auch mich sprachlos werden lässt, denn er kann die Hände nicht von mir nehmen. Ich weiß, dass jede Erklärung zu spät kommt.
»Es tut mir leid«, wispere ich, als er auch meine Röcke zu Fall bringt, doch er sieht nicht nach unten, sondern drängt mich mit Blicken zu dem Bett in meinem Rücken.
»Es gibt nichts, das Euch leidtun müsste, Eyva.«
Es ist seine Stimme, die wie ein warmer Sommerregen über meine Haut fährt. Ich kann nicht anders, als mich ihm zu ergeben. Für einen Moment will ich vergessen.