Kapitel 5 - Raeghar
» W er bist du?«, frage ich, fasziniert von dem Lichtertanz in seinen Augen.
»Ich ...«
Meine Wut auf ihn kehrt zurück, als er es wagt, mir auszuweichen.
»Du schuldest mir eine Erklärung, Eyva
»Ich weiß, deswegen habe ich dich gesucht. Es ist nur ... nicht so einfach.«
»Davon gehe ich aus.« Ich löse den Griff um seinen schlanken Körper und atme tief aus, als er sein Kleid gerade rückt. »Warum diese Täuschung?«
Er antwortet nicht, sein Blick gleitet zur Erde, auf der seine schmalen Füße stehen.
»Warum täuschst du vor, eine Frau zu sein und lässt dich vermählen mit mir?«
»Sieh mich doch an!«, ruft er plötzlich und legt seine dünnen Arme frei. »Ich bin kein Krieger wie du oder deine Brüder. Ich bin kein Baum, viel mehr ein Ast, den man zerbrechen kann.«
Ich ziehe die Brauen zusammen, als er sein Kleid rafft und mir seine dürren Beine zeigt.
»Ich werde nie ein Mann wie du sein, obwohl ich im selben Alter bin. Ich kann in keinen Krieg ziehen, denn der erste Schlag würde mich sofort töten. Ich bin kein Sohn eines Clanführers, auf den ein Vater stolz sein kann. Ich ... bin mehr wie eine Frau, feingliedrig und sanft.«
»Deswegen gibst du dich als solche aus?« Alles an ihm stinkt nach Verrat.
»Ich hatte keine Wahl«, gibt er mit gesenktem Kopf zu. »Vater hätte mich verstoßen, wenn Mutter mich nicht verteidigt hätte. Ich werde aus ihm eine Braut machen , hat sie gesagt, seitdem ich ein Kind war. Die schönste Braut jenseits der Meerenge und dann wird sie den Mann heiraten, der das Schicksal der Valr für immer verändern wird
Ich erkenne erste Anzeichen von Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Was planen die Valr
»Raeghar ...«
Ich will ihn packen und die Wahrheit aus ihm herausprügeln, da ertönt der Warnruf aus dem Turm auf den Mauern.
»Was geht da vor sich?«, frage ich, als der Ruf nicht abbricht.
»Ich muss gehen.« Eyvor flitzt davon, doch ich folge ihm, packe ihn am Hals und werfe ihn mir über die Schulter.
»Raeghar! Lass mich runter!«
Doch ich denke gar nicht daran. Er baumelt wie ein kalter Fisch, während ich zur Halle eile.
Die Krieger sind bereits auf dem Weg zu den Toren, denn der Ruf der Hörner lässt nicht nach.
»Vater?«
Das Chaos beherrscht die lange Halle, meine Brüder werfen sich die Rüstungen über, während Vater Befehle brüllt.
Eyvor hängt noch immer über meinen Schultern, doch er ist still.
»Vater, ich muss mit Euch sprechen!«
»Die Valr , sie haben uns umstellt!«
Meine Wut auf Eyvor wächst so weit, dass ich ihn fallen lasse. Eine Hand an seinem schlanken Hals halte ich ihn so, dass Vater ihn sehen kann.
»Vater, sie haben dich verraten! Meine Braut ist-«
»Steh nicht rum und schwätze, kämpfe, mein Sohn! Für die Hagr !« Vater nimmt seine Breitaxt und stürmt an uns vorbei nach draußen.
Mutter und meine Brüder folgen ihm in den Kampf.
Eyvor wehrt sich noch immer gegen den harten Griff um seinen Hals. Doch er hat nicht genug Kraft.
»Was ist deine Aufgabe?«, knurre ich ihn an, als er erneut zu fliehen versucht.
»Raeghar, du tust mir weh!«
»Sprich!«
»Ich ... soll euch ... ablenken!«, presst er hervor und ich drücke noch fester zu.
»Und?«
»Und ... ich ... eine Falle ...«
Ich löse den Druck um seinen Hals, woraufhin er wild hustet und sich über die Haut fährt.
Draußen tobt das Schlachtengetümmel. Es brennt mir in den Fingern.
»Dazu wird es nicht kommen!« Ich werfe Eyvor wieder über meine Schultern und trage ihn nach hinten. Mit Lederriemen fessle ich ihn an mein Bett. Um ihn kümmere ich mich nach dem Kampf.
»Raeghar, du kannst mich doch nicht hierlassen!«, ruft er mir nach, doch ich schlage nur die Tür hinter mir zu.
Auf dem Weg nach draußen ziehe ich meine Axt hervor, greife mir einen Schild und stürme mit einem Brüllen der Helligkeit entgegen. Blut ist alles, was ich heute Abend an meinen Händen haben will. Das Blut dieser Verräter!