D
er Wiederaufbau des Dorfes dauerte bis zum nächsten Sommer. Über den Winter verloren wir viele gute Männer und Frauen aufgrund der Kälte, doch als die Sonne zurückkehrte, schlossen sich uns viele an, die von dem Feuersturm in unserem Dorf gehört hatten. Sie halfen dabei die Mauern wieder zu errichten, die Teiche zu befischen und die Hütten für unsere Männer und Frauen wieder aufzubauen. Das Dorf erblühte mit dem Frühling zu neuem Leben und mit ihm auch die Zwistigkeiten der Clans.
Die Valr
waren zwar besiegt, doch die Navar
, der größte Clan im Norden vor dem Eismeer hatte an Stärke zugenommen, seitdem Harlen den Eisdrachen bezwungen hatte. Immer mehr Stimmen wurden laut, dass es nicht lange dauern würde, bis sie ihre Heimat verließen, um den Süden zu plündern.
Mit dem Feuer war auch die Beute jahrzehntelanger Kriege zu Asche zerfallen. Den Hagr
blieb nicht viel mehr, als das, was sie mit ihren Händen aus der Erde holten. Doch ich war stolz auf mein Volk.
Angar stieß mit mir an, als wir nach der Jagd auf einen Großbären zum Dorf zurückgekehrt waren.
»Eine weitere Trophäe für dich, mein Iard
.«
»Auf eine erfolgreiche Jagd und dass du seinen Klauen nicht zum Opfer gefallen bist.«
»Mein Jagdgeschick übertrifft deines bei weitem«, prahlt er und ruft Gruda zu sich, seine persönliche Dienerin, die ihm Tag und Nacht zur Seite steht und dies sichtlich zu genießen scheint. Sie schenkt ihm Wein nach, dann entfernt sie sich mit schwingenden Hüften.
»Wann findet die Vermählung statt?«, frage ich meinen Bruder, während er ihr hinterher blickt.
»Niemals, Bruder, ich heirate keine Frau, wenn ich sie alle haben kann.« In diesem Punkt kommt er ganz nach Druian.
»Du jagst Frauen wie ich wilde Tiere«, scherze ich und blicke auf die Sammlung der Schädel an den Wänden.
»Du solltest es auch mal versuchen, sonst fault dir noch dein Gavthan
ab.«
»Du solltest dir nicht so oft Gedanken über die Gavthan
anderer machen, Bruder.«
»Nicht so wie du.« Sein Grinsen ist zu breit, um von mir ignoriert zu werden.
»Was auch immer du glaubst zu wissen, ich verspreche bei Mutters kräftigen Händen, dass es nicht stimmt.«
»Ist das so?« Er setzt seinen Becher an und lässt den Wein seine Kehle hinabfließen. »Ich habe gehört, du bist neuerdings ein Takhar
?«
Ich schnaube angesichts dieser Geschichte. Ich habe mich nie zu Männern hingezogen gefühlt, bis auf ...
»Wer verbreitet solche Lügen?«, frage ich ihn direkt und wehre Gruda ab, die mit einem vollen Krug angelaufen kommt.
»Ich weiß nicht, Bruder, das erzählt man sich im Dorf.«
»Wo hast du davon gehört?«
»Nirgendwo und überall.« Er hebt die Schultern. »Du weißt doch, wie die Leute sind, wenn sie lange kein Blut mehr gekostet haben - sie reden aus Langeweile.«
Ȇber ihren Iard
?«
»Scheinbar. Aber es ist nicht wahr, also warum regt es dich auf?« Er legt den Kopf schief. »Oder ist es wahr?«
»Nein.«
»Gut, dann brauche ich mich auch nicht zu sorgen, dass du die schöne Tiarla ablehnst.«
»Wer bei den Göttern ist diese schöne Tiarla
, dass du dich so um sie sorgst?« Ich bin jetzt schon gelangweilt.
»Deine Braut, wenn sie dir gefällt.«
Ich seufze lauthals und lasse mich in meinen Thron fallen.
»Die wievielte Braut ist das in dieser Mondwende?«
»Die elfte, aber ich habe noch mehr, sollte sie dir nicht gefallen.«
»Ich bete zu den Göttern, dass sie mir gefällt, dann hat dieser Krieg endlich ein Ende.«
»Welcher Krieg.«
»Um meinen Gavthan
!«, rufe ich, woraufhin Angar zu lachen beginnt.
»Es geht hier nicht nur um dein Eheglück, sondern um den Fortbestand des Clans, woran ich dich immer wieder erinnern muss. Ach, sie ist übrigens eine Valr
.«
Ich verschlucke mich an einem Schluck Wein.
»Sie ist was?«
»Eine Valr
, zumindest entfernt könnte man sagen. Ihr Onkel war der Bruder von Iard Garold.«
Eyvors Vater ...
»Wann wird sie hier eintreffen?«
»Schon morgen, wenn die Winde ihre Reise nicht erschweren, es ist doch recht stürmisch diesen Sommer.«
»Morgen also ... gut. Ich werde sie mir ansehen.«
»Du kannst sie auch schmecken, wenn es dir hilft, dich zu entscheiden. Ich würde stets empfehlen einen Proberitt zu wagen.«
Mein Kopfschütteln lässt Angar nur lachen. Selbst der tragische Tod unserer Familie hat nichts an seinem sonnigen Gemüt verändert. Die Frauen liegen ihm zu Füßen, obwohl er zur Jagd nicht zu gebrauchen ist. Aber er versteht es, mit den Boten anderer Clans zu verhandeln und mich in Dingen zu unterstützen, die nicht zu meinen Stärken zählen und ist deshalb für mich unersetzbar.
In der Nacht wandere ich wie immer durch neblige Felder in den Wald hinein. Das silbrige Licht des Mondes weist mir den Weg durch das dichte Moos unter meinen nackten Füßen. Es ist so kalt, dass sich mein Atem in die Luft erhebt. Doch meine Schritte sind unermüdlich, bis ich sie sehe - die Hiala
. Eine ganze Herde silbriger Hirsche schwebt über dem Nebel in den Himmel hinauf. Für einen Moment erlischt das Licht des Mondes, dann erstrahlt er glutrot. Und der Wald beginnt zu brennen. Die Flammen erfassen jeden Baum und selbst der Boden unter meinen Füßen zerfällt zu Asche. Ich falle ... tief ... immer tiefer ... einem endlosen Nichts entgegen.
Schweißnass schrecke ich aus dem Schlaf hoch. Mein Atem geht schnell, ebenso wie mein Herzschlag. Doch ich erkenne, dass es nur ein Traum ist.
Ich setze mich im Bett auf und streiche mir den feuchtkalten Nacken. Früher war es immer Liradie, die mich in meinen Träumen begleitet hat. Doch seit dem Feuer ist sie verschwunden. Sie wird auch niemals zurückkehren. Dafür wird das Feuer ewig mein Begleiter sein. Und es verbrennt jede schöne Erinnerung an ihn
zu Asche.
Es dauert noch lange, bis das Dorf erwacht, doch es zieht mich wie jeden Morgen zum Trainingsplatz auf der Lichtung hin.
»Bist du nervös, mein Iard
?« Ich möchte Angar für seine Frechheiten gerne den Schädel einschlagen.
»Warum sollte ich das sein?«, entgegne ich stattdessen und warte nun schon seit geraumer Zeit darauf, dass diese Frau die Halle betritt. Tiarla, die Schöne, wurde mir als eine Nachfahrin der Valr
angekündigt und ich muss sie endlich sehen, um meine Gedanken zu besänftigen.
»Ich sagte doch, die Winde sind seit Tagen-«
»Kein Wort mehr«, knurre ich ihn an und schicke ihn mit Blicken nach draußen, um nach ihr zu sehen. Wer auch immer sie glaubt zu sein, Iard Raeghar wartet nicht gerne.
Endlich ertönt der lang ersehnte Ruf der Hörner. Ich werde immer ungeduldiger, als ich die Aufregung der Leute vernehme, aber niemand meine Halle betritt.
Gerade als ich genervt aufstehen will, erscheint Angar in der Tür.
»Sie ist hier! Und mit ihr viele ihres Clans. Es wird ein gewaltiges Fest, Bruder. Komm, sie werden gleich für dich tanzen.«
Tanzen ... wer bei den Göttern glaubt sie zu sein?
Ich verberge meine Abscheu gegen das Aufgebot vor meiner Tür nicht. Angar hat nicht gelogen, das gesamte Dorf ist überschwemmt mit Leuten.
»Hast du nicht berichtet, dass die Valr
vernichtet sind?«
»Das sind nicht die Valr
, sondern die Uslar
.«
Ich zwinge mich dazu dieses Fest nicht zu unterbrechen und lasse mich auf dem Thron nieder, der mir freundlicherweise gestellt wird.
Das große Feuer mitten auf dem Platz macht mich ein wenig nervös, doch ich verberge es hinter einer Mauer aus Eis, als die Trommeln beginnen.
Frauen in kurzen Röcken tanzen zu den rhythmischen Klängen durch das Tor. Ihre dunkel bemalten Körper winden sich wie Schlangen, während sie das Feuer umkreisen und ihm huldigen wie unseren Göttern.
Ich setze mich aufrecht, als die Flammen mit ihnen zu tanzen beginnen. Mein Blick sucht in der Menge nach einem bekannten Gesicht.
»Ist sie nicht die schönste Frau jenseits der Meerenge?«, schwärmt Angar, den Blick auf eine kurvige Tänzerin geheftet, die mir immer näher kommt. Sie trägt ein Geweih auf ihren braunen Haaren, während ihre Hüften mit den Trommeln kreisen.
Doch es ist nicht ihr reizvoller Tanz, der etwas in mir weckt, sondern der Blick eines ihrer Krieger, der mich durch das Feuer hindurch ansieht. Er sitzt zu weit entfernt, um sein Gesicht zu erkennen, doch ich spüre ihn selbst durch den Rauch.
»Wer sind diese Männer?«, frage ich Druian und deute hinter Tiarla.
»Was interessieren mich die Männer? Sieh dir nur diese Schönheiten an«, schwärmt Angar ununterbrochen.
»Bruder.«
»Bei den Göttern. Ihre Begleiter nehme ich an, Krieger der Uslar
oder Diener, Brüder vielleicht. Das werden wir noch erfahren.«
Die Frauen stampfen auf den Boden, bewegen ihre Körper im Gleichklang zur Musik und singen wie die Lyren
kurz vor einer Schlacht.
Als der Tanz endlich endet, erwarte ich eine Vorstellung meiner Gäste. Doch Angar eröffnet das Fest vor aller Augen und lässt Fleisch und Wein bringen. Die Trommeln schlagen weiter, doch nur im Hintergrund, während ich die schöne Tiarla endlich kennenlerne.
»Mein Iard
.« Sie kniet zu meinen Füßen und streckt dabei den Rücken durch, so dass ich die Vorzüge ihres Körpers deutlich sehen kann. »Es ist eine große Freude, Euch vorgestellt zu werden.«
»Ihr seid eine gute Tänzerin«, bemerke ich höflich und stehe auf, um dieser starren Haltung zu entkommen.
»Ich bin mir sicher, Euch auch in anderen Dingen begeistern zu können.«
Tiarla sieht zu mir auf und wirkt dabei weder zurückhaltend noch verängstigt. Sie ist sich ihrer Wirkung sicher und genau das langweilt mich jetzt schon.
Als ich den Blick zu ihrem Gefolge hebe, das ebenfalls darauf wartet, mir vorgestellt zu werden, rührt sich etwas in meinem Bauch.
Die Männer, die sie begleiten, sind allesamt kräftig und für den Krieg gerüstet, doch unter ihnen ist einer, der deutlich hervorsticht. Es sind seine kupferroten Haare, die im Schein des Feuers glänzen und sein kurzer Bart, der auf ein junges Alter schließen lässt. Dennoch ist er kräftig genug mit Axt und Schild umzugehen.
Tiarla versteht meine Neugier und tritt beiseite, um mir die Männer vorzustellen.
»Mein Bruder Halfdan, mein Onkel Oric ...«
Mein Blick haftet auf dem jungen Krieger, der als Letzter hervortritt und den Kopf senkt, bevor er mit dunklen Augen zu mir aufsieht.
Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, doch er hat etwas an sich, das mir nicht fremd ist.
»... mein jüngster Bruder Voric«, stellt Tiarla ihn vor. »Er ist zu meiner Vermählung erschienen, obwohl er den Clan vor vielen Mondwenden verlassen hat.«
»Eurer Vermählung?«, frage ich mit hoch erhobenen Brauen.
»Nun ... sollte es zu einer solchen kommen, mein Iard
.«
»Wir werden sehen«, antworte ich knapp, bevor mir eine Dienerin eine Schale Fleischbrühe und einen Becher Wein reicht. »Seid heute Nacht meine Gäste.«