Kapitel 9 - Voric
D ie Sonne macht dem Mond Platz, als das Fest erst richtig beginnt. Meine Schwestern tanzen um das Feuer herum, in dessen Licht sich immer wieder sein Gesicht spiegelt.
Iard Raeghar ist ein Mann, wie ich ihm noch nie zuvor begegnet bin. Er ist der wohl mächtigste Krieger im südlichen Igdas-dhal und seit dem schrecklichen Feuer auch der Clanführer der Hagr . Doch er ist noch viel mehr als das. Er ist der Inbegriff von Eis, so gastfreundlich wie die Stürme nördlich des Eismeers und doch kann ich mich seinen Blicken nicht entziehen. Ich suche sie geradezu, denn es ist dieses stechend helle Blau in seinem düsteren Gesicht, das mich an irgendetwas erinnert.
»Du solltest ihn nicht immerzu anstarren, oder du bist deinen Kopf los, noch bevor der Morgen graut«, erinnert mich Onkel Oric an die Sitten.
»Ich weiß, Onkel. Es ist nur ... ich kenne ihn irgendwoher.«
»Woher?«
»Ich weiß es nicht.« Für einen Moment senke ich den Blick auf meine Hände. Der flackernde Schein des Feuers malt verzerrte Schatten auf die Erde. Und plötzlich erkenne ich eine Schlacht, Feuer und Flammen, die mit Wasser kämpfen, Männer und Frauen zweier Clans bekriegen sich, bis ihr Blut den Boden färbt. Und inmitten der Flammen steht er. Ein Bär von einem Krieger, der dem Feuer trotzt.
»Ich kenne ihn aus meinen Träumen«, antworte ich meinem Onkel, der daraufhin nur müde den Kopf schüttelt.
»Träume sind nichts als Trugbilder, Junge.«
»Ich weiß.« Ich hebe den Kopf und begegne seinem Blick. Er sitzt umgeben von schwarzen Fellen auf seinem Thron, während die Frauen vor ihm tanzen und sieht sie nicht einmal an. Er sieht ... zu mir.
»Wird Tiarla seine Frau?«, frage ich mit seltsamer Stimme. Mein Hals fühlt sich eng an, als würde mir dieser Gedanke die Luft abschnüren.
»Wenn der Abend gut verläuft, ja. Dafür sind wir hergekommen.«
»Weil der Clan dann stärker ist, nicht wahr?«
Onkel Oric schlägt mir zustimmend auf die Schultern. »Es ist zu unserem Besten. Die Navar bedrohen unser Land schon seit geraumer Zeit. Wir brauchen Verbündete wie Iard Raeghar. Je mehr desto besser.«
»Kann man ihn nicht trotzdem als Verbündeten gewinnen, ohne dass meine Schwester ihre Beine für ihn öffnen muss?«
Onkel Oric lacht. »Glaub mir, mein Junge, sie wünscht sich nichts mehr als das, sieh sie dir an.«
Sie steht noch immer bei Iard Raeghar und preist sich ihm an wie eine Zuchtstute. Dabei sollte er es doch sein, der sich um sie bemüht.
»Ich glaube, er wird sie nicht wählen«, sage ich knapp und trinke meinen Becher leer.
»Was hast du vor, Junge?«, fragt mein Onkel alarmiert, als ich schwungvoll aufstehe.
»Ich werde dafür sorgen, dass er sie nimmt.« Zuerst schwankend dann gerade bahne ich mir einen Weg um das Feuer herum.
Iard Raeghars stechende Augen verfolgen meine Schritte, bis ich vor ihm auf den Boden sinke. Es ist eine Geste des Respekts, vor einem Clanführer zu knien.
»Steht auf«, befiehlt er mit tiefer Stimme.
Mein Haar fällt mir über die Schultern, als ich den Kopf hebe und zu ihm aufblicke.
Alles, was ich sehen kann, ist Eis. Und doch kann ich die Augen nicht von ihm abwenden. Er sieht dem Mann in meinen Träumen so ähnlich wie kein anderer.
»Auf ein Wort, mein Iard «, sage ich, ohne nachzudenken. Er ist ja nicht mein Clanführer ...
»Gehen wir ein Stück.«
Ich verberge meine Aufregung hinter einem kühlen Lächeln, als ich ihm in die Dunkelheit folge. Das laute Trommeln entfernt sich immer weiter, bis es kaum noch zu hören ist.
Iard Raeghar führt mich tief hinein in das Dorf zwischen dicht stehenden Hütten vorbei bis zum Waldrand. Auf einer Lichtung erkenne ich ein paar Trainingspuppen und einen Ständer voller Waffen.
»Wählt«, befiehlt er, als er das große Bärenfell von seinen Schultern streift. Im fahlen Licht des Mondes glänzen seine Muskeln wie Findlinge.
Ich greife nach der Handaxt, allerdings ohne Schild.
Raeghar wählt dasselbe und betritt den vom Mondlicht erhellten Kreis. Sein langes dunkles Haar wirft grausame Schatten auf seine Brust, doch die blauen Augen leuchten selbst in der Dunkelheit. Es ist, als wäre ich schon einmal hiergewesen.
»Zeigt mir, aus welchem Holz die Götter Euch geschnitzt haben.« Ohne Vorwarnung stürmt er auf mich zu, schwingt die Axt und verfehlt meinen Kopf nur um einen Ast breit.
Ich weiche zurück und ducke mich unter dem nächsten Hieb hinweg. Doch Raeghar setzt nach, von links und von rechts. Ich weiche jeder Attacke aus. Als er einen Schlag von oben vollführt, rolle ich beiseite und schlage nach seinen Beinen.
Er lacht und verfolgt mich bis zum Waldrand.
Wieder und wieder weiche ich seinen Hieben aus, bis ich eine Reihe von dicht stehenden Bäumen in meinem Rücken fühle. Mir bleibt nur noch der Angriff, also stürme ich nach vorne. In einer Salve von Hieben dränge ich Raeghar zurück, der sichtlich beeindruckt scheint. Ich erwische ihn fast am Bein, doch er springt im letzten Moment beiseite und schlägt mir mit dem Axtgriff auf den Hinterkopf.
Ich werfe mir die Felle von den Schultern und brülle, bevor ich mich auf ihn stürze. Diesmal ist er es, der jedem Schlag ausweicht.
Ich dränge ihn zum Rand der Lichtung zurück und hole aus. Doch er fängt meinen Schlag mitten in der Luft ab, die Finger um mein Handgelenk gepresst. Er ist so unfassbar stark, dass ich all meine Kraft aufwenden muss, um nicht zurückgeschleudert zu werden.
»Du hast dazu gelernt«, raunt er, unsere Gesichter nur eine Hand breit voneinander entfernt.
Für einen Moment ist er nackt und das wilde Haar ergießt sich wie eine Schattenflut über seine breiten Schultern. Ich brenne und dann erwischt mich ein kalter Lufthauch.
Mit einem Lächeln drängt mich Raeghar zurück, sein Griff ist so kräftig, dass ich die Axt fallen lassen muss.
Er schleudert seine ebenfalls fort, doch er hält mein Handgelenk noch immer fest.
»Ihr seid stark«, höre ich mich sagen, als sein kräftiger Körper vom Mondlicht erhellt wird. Er ist ... schön.
»Du bist nun kein Ast mehr, sondern ein Stamm.«
Seine Worte ergeben so wenig Sinn, wie die eines Sehers und doch verstehe ich ihn und spüre, wie sich meine Lippen zu einem Lächeln teilen.
»Gefalle ich Euch?«
Er antwortet nicht, stattdessen drückt er mir seine Lippen auf den Mund. Ich verkrampfe mich, wehre mich gegen die Rauheit dieses Kusses. Es ist nicht richtig und doch ...
Raeghar greift in meinen Nacken und zieht mich kraftvoll zu sich heran. Meine Hände stemmen sich gegen seine breite Brust. Funken tanzen in meinem Bauch, als hätte er in eine längst erloschene Glut gepustet. Die plötzliche Nähe führt zu unglaublicher Hitze. Raeghars Lippen liegen noch immer reglos auf meinen, doch ich will, dass sie sich bewegen. Mit einem Seufzen öffne ich meinen Mund, als hätte ich genau auf diesen Moment gewartet.
Seine Zunge gleitet ohne Umwege so tief in mich, als würde er jeden Laut ersticken wollen. Ich fühle mich plötzlich so lebendig, als hätte mein Leben mich zu genau diesem Ort geführt. Auf der Lichtung, unter dem wachen Blick des Mondes, will ich mich ihm hingeben. Auch wenn wir uns nicht kennen und es falsch ist, es ist genau das, was ich will.
Raeghar knurrt, als meine Hand an seinem Gürtel vorbeigleitet. Er ist so hart wie sein Griff in meine Haare. Meine Glut ist längst entfacht und auch ich spüre die Enge meiner Hose, als sich seine Zunge mit einem Brummen immer wieder zwischen meine Lippen schiebt.
Wir befreien uns von der störenden Kleidung und ich seufze erleichtert auf, als sich unsere Körper berühren. Es herrscht eine solch hitzige Leidenschaft zwischen uns, dass ich es nicht länger ertragen kann. Ich lasse mich auf den Boden sinken, Raeghar beugt sich über mich und plötzlich bin ich da - in meinem Traum - und ich erkenne all das wieder. Das Verlangen, die Leidenschaft, die Kälte, das Mondlicht und dieser gestählte Körper, der sich auf meinen presst, als hätte er seit seiner Geburt nur darauf gewartet.
»Raeghar«, raune ich in die heißen Küsse, die er mir schenkt. »Ich will dich.«
Seine Antwort ist nur ein kehliges Knurren, schon legt er sich zwischen meine Beine.
Ich spüre meinen Herzschlag wie die Trommeln des Krieges, als er sich in mich schiebt.
»Oh, bei Firanis «, presse ich hervor und spüre sein Lächeln auf meinen Lippen.
»Du bist es wirklich.«
Bevor ich meine Gedanken ordnen kann, zerstößt er alles, was ich glaube zu sein.
Er ist immer noch so gut darin , schießt es mir durch den Kopf, als seine Bewegungen schneller werden. Ich kann meine Lust nicht mehr zügeln und stöhne bei jedem Stoß.
Meine Hände umfassen seinen breiten Rücken und pressen ihn noch dichter an mich heran. Raeghar dringt immer tiefer in mich, als würde er nie wieder damit aufhören können.
Ich sehe in seinen Augen den Gletscher schmelzen, als ihm ein Laut tiefsten Glücks entkommt. Sein zärtlicher Blick führt zu einem Feuersturm in meinem Bauch. Ich könnte schreien, so sehr will ich, dass er niemals aufhört.
Raeghars Stöße werden härter, sein Keuchen dunkler. Ich spüre seine rohe Kraft, das Verlangen, das in seinen Augen glänzt wie das Mondlicht auf dem Wasser.
Wieder und wieder rammt er sich in mich, bis ich nur noch Hialas sehen kann. Seine tiefe Stimme trägt mich weit hinauf in den dunklen Nachthimmel. Die Trommeln schlagen im Gleichtakt, als wir endlich ganz vereint sind.
Raeghars Körper kommt auf meinem zum Erliegen, als der rasche Wind uns wieder zurück zur Erde trägt. Nur langsam beruhigt sich mein Herz, das von diesem Gefühl des Glücks beinahe zerspringt. Ich weiß nun, dass uns das Schicksal wieder zusammengebracht hat. Ihn und mich - nach diesem schrecklichen Unglück, an dem ich eine Mitschuld trage.
»Ich musste zu dir zurückkehren«, raune ich, als sich Raeghars schnell gehender Atem langsam wieder normalisiert. »Ich kann nicht ohne dich sein.« Auch wenn diese Worte nicht meine sind, spüre ich doch, wie sehr ich ihn vermisst habe.
Raeghar sieht mir tief in die Augen und für einen Moment glaube ich, darin das Bild einer wunderschönen Frau mit flammend roten Haaren zu sehen.
»Wie ... ist das möglich?«, fragt er außer Atem.
»Firanis ... er will, dass wir vereint sind. Deswegen hat er mich zurückgeschickt. Eine Seele aus Glut und Tod, die von einem Körper zum anderen wandern kann. Ich weiß ... es ist unmöglich ... und doch erinnere ich mich an alles. Die Nacht, der Angriff, das Feuer und die Lichtung im Wald. So lange habe ich auf den Moment gewartet, dass wir uns wiedersehen.«
Raeghar lacht leise und küsst meine Lippen, als würde er nicht länger warten können. »Und das Feuer in dir?«
»Tief verborgen«, erwidere ich lächelnd. »Ich kann es zügeln und werde dein Dorf nicht noch einmal in Flammen aufgehen lassen.«
»Das würde ich zu verhindern wissen«, sagt er und kneift mir in die Brust.
»Du spielst wohl gerne mit dem Feuer?«, hauche ich gegen seine Lippen und weiche einem Kussversuch aus.
»Das kann ich nicht abstreiten.«
Ich lache und frage mich, wie ich es nur all die Zeit ohne ihn ausgehalten habe. Doch gleichzeitig flammen auch Schuldgefühle auf. Ich bin Voric, der Bruder der schönen Tiarla und nicht hier, um den Iard zum Mann zu nehmen.
»Du wirst Tiarla ehelichen, nicht wahr?«
»Nein«, raunt Raeghar.
»Warum nicht?«
»Mein Bruder wird die Linie der Hagr fortführen müssen, denn ich werde niemals heiraten. Es sei denn.« Er packt meinen Nacken und drückt mir einen sanften Kuss auf den Mund, der die Glut in meinem Inneren tanzen lässt.
»Es sei denn?«, hauche ich gegen seine Lippen.
»Ich werde ein Takhar und du mein Ikvar
Ich reiße den Mund auf, da dieses Angebot alles verändert. Seit Anbeginn der Clans in Igdas-dhal hat es nur ein Mann geschafft, sich als Takhar durchzusetzen. Bardho, der das Eismeer zähmte, war ein Mann, den alle Clans gefürchtet haben. Nur er konnte als Iard mit einem Mann an seiner Seite herrschen, alle anderen wurden seit jeher verstoßen und gejagt und mussten ein Dasein im Schatten fristen - als Ausgestoßene, keinem Clan zugehörig.
»Ich wäre gerne dein Ikvar , mein Iard
»Dann wird es so sein.« Erneut treffen unsere Lippen aufeinander. »Ich würde dich ohnehin nicht mehr gehen lassen.«
»Und ich würde nicht gehen.« Auch wenn ich Tiarla eine Erklärung schulde und Onkel Oric mich vermutlich umbringen wird, ich weiß, wohin ich gehöre. Zu Raeghar - das habe ich immer und das werde ich immer.
Egal, wie oft wir uns trennen werden, wir werden uns stets wiederfinden, weil es der Wille der Götter ist.
ENDE