MEIN MUND KLAPPT AUF, doch nichts kommt heraus.
Mein Körper ist erstarrt, meine Kehle wie zugeschnürt.
»Tasha …« Braxton spricht in beruhigendem Flüsterton, wie man ihn auch bei kleinen Kindern oder Schlafwandlern benutzt. »Darling.« Behutsam legt er eine Hand auf meinen Arm. »Bitte … sieh mich an.«
Ich will ja, aber ich kann nicht. Nicht solange der Herzog noch einen Teil von mir in seinen Klauen hat.
Ich lasse mich gegen das Kopfteil des Betts sinken, vergrabe das Gesicht in den Händen und kämpfe mit allem, was ich habe, darum, das Bild des Herzogs aus meinem Kopf zu verdrängen.
Nein , weise ich sein arrogantes Gesicht stumm zurecht. Verschwinde, verdammt noch mal. Du bist für mich gestorben und ich werde nie wieder über dich sprechen oder an dich denken …
»Es ist nicht real«, sagt Braxton. »Du hattest nur einen Flashback. Er kann dir nie wieder wehtun, kann dir nie wieder nahe kommen. Arthur wird dich nie wieder in diese Zeit zurückschicken.«
Es dauert noch ein paar Augenblicke, bis mein Atem sich beruhigt hat und mein Herz wieder regelmäßig schlägt. Als ich die Augen schließlich öffne und Braxtons eindringlichen, besorgten Blick sehe, bin ich entschlossener denn je, diesen bescheuerten Herzog aus meinen Gedanken zu verbannen, egal was es mich kostet.
»Vielleicht muss die Therapiestunde heute nicht deine letzte sein.« Braxton mustert mich vorsichtig.
Ich wende den Blick ab, versuche, meine Demütigung zu verbergen. Eben habe ich noch behauptet, geheilt zu sein, nur um ein paar Sekunden später einen heftigen Rückfall zu bekommen. Mehr als peinlich.
»Okay.« Als ich sehe, wie besorgt er um mich ist, fühle ich mich gleich noch schlechter. »Keine schnelle Lösung, keine voreiligen Schlüsse. Versprochen.«
»Tasha …« Braxtons Stimme ist voller Sorge. »Es geht hier nicht um mich – die Therapie ist für dich . Ich will einfach nur, dass du dich wieder vollständig und sicher fühlst. Außerdem habe ich selbst ab und zu eine Sitzung mit Dr. Lucy, das ist nichts, was einem peinlich sein muss.«
»Wir haben wohl alle unsere Albträume.« Ich seufze, hoffe, dass ich das Thema damit abhaken kann, doch da spüre ich das verräterische Brennen in den Augenwinkeln. Schnell senke ich das Kinn, blinzle so lange gegen die drohenden Tränen an, bis ich mir sicher bin, dass ich sie erfolgreich zurückgedrängt habe.
Nach all den Jahren, in denen ich mich um meine Mom gekümmert und meine eigenen Bedürfnisse dafür zurückgestellt habe, ist es extrem ungewohnt, plötzlich diejenige zu sein, die umsorgt und beschützt wird. Und auch wenn ich besser darin geworden bin, meine Gefühle zu teilen und mich Braxtons Gefühlen zu öffnen … Wenn ich ganz ehrlich bin, wirft er mich mit der offenen Zurschaustellung seiner Zuneigung manchmal so aus der Bahn, dass ich gegen den Drang ankämpfen muss, ihn wegzustoßen.
So viele Jahre lang hat es sich sicher angefühlt, allein zu sein. Und auch jetzt noch, trotz all der Arbeit, die ich investiert habe, ist da dieser düstere Teil von mir, der darauf beharrt, dass ich Braxtons Zuneigung nicht verdiene – dass ich nicht die Art Mädchen bin, für die es sich lohnt, zu bleiben.
Natürlich weiß ich irgendwo tief in mir, dass das nicht stimmt. Doch das reicht nicht immer, um diese hartnäckige, dunkle Stimme zum Schweigen zu bringen.
Stille breitet sich zwischen uns aus wie ein Ozean, bis ich schließlich das Kinn hebe, ihm direkt in die Augen sehe und das Schweigen breche, indem ich sage: »Ich werde mich wieder sicher fühlen. Bald. Aber für den Moment hoffe ich erstmal, dass du mich daran erinnerst, wo wir gerade stehengeblieben sind.«
Ich versuche mich an einem sexy Lächeln, doch es fühlt sich so merkwürdig auf meinem Gesicht an, dass ich sicher kläglich gescheitert bin. Doch was mir an Talent fehlt, mache ich mit Entschlossenheit wieder wett. Ich drücke mich vom Kopfteil des Betts ab und beuge mich zu ihm, bis meine Fingerspitzen die Kurve seines Bizeps erreichen.
Früher gab es mal eine Zeit, in der ich mit willkürlichen Jungs rumgeknutscht habe, um der Monotonie meines Lebens zu entkommen.
Tue ich gerade dasselbe?
Suche ich körperliche Zuneigung, um echten Emotionen und ernsten Gesprächen aus dem Weg zu gehen?
Vielleicht.
Vermutlich.
Vertrauliche Gespräche sind in meinen Augen eher ein Risiko als ein intimer Akt.
Aber ich weiß auch, was ich will. Und in diesem Moment will ich Braxton.
Ich lasse meine Finger seinen Arm hinaufwandern und auch wenn ich mir sicher bin, dass er mich ebenfalls will, lassen sich seine zusammengebissenen Zähne und die angespannte Wirbelsäule nicht ignorieren, auch nicht die Art, wie er sich zurückhält, sich weigert, nachzugeben.
»Darling …« Er zieht die Brauen zusammen und die Mundwinkel nach unten. »Du musst nicht …«
Aber ich lasse ihn nicht ausreden. Ich habe etwas zu beweisen, zum Teil ihm, vor allem aber mir selbst. Ich muss uns beiden beweisen, dass wir einen romantischen Moment genießen können, ohne dass der Herzog ständig dazwischenfunkt.
»Alles gut«, sage ich, flehe ihn regelrecht an, mir zu glauben, damit ich es vielleicht selbst glauben kann. »Ehrlich. Das war nur ein kurzer Ausrutscher. Wird nicht noch mal passieren.«
Ich lasse meine Hände über seine Schultern gleiten und falle über seinen Mund her. Mit der Zunge dränge ich spielerisch gegen seine Lippen, bis er sich schließlich öffnet – mir, dem Kuss und dem unausgesprochenen Versprechen, das auf uns wartet.
Ein leises Stöhnen vibriert tief in seiner Kehle, als er mich enger an sich zieht und mich so leidenschaftlich küsst, dass sämtliche Erinnerungen an den Herzog verblassen. Dann zieht er mich mit sich hinunter, dreht unsere Körper so, dass ich auf ihm liege, verliert keine Zeit, bevor er sich wieder über meinen Mund hermacht, meinen Hals, meine Ohrläppchen. Seine Lippen hinterlassen eine kribbelnde Spur, die meinen ganzen Körper in Brand setzt.
»Das hier«, flüstere ich, presse meinen Körper an seine harten Konturen. »Das hier ist genau das, was ich will.« Ich grabe die Zähne in seine Schulter, ein spielerischer Biss, der trotzdem einen leichten halbmondförmigen Abdruck hinterlässt.
Das hier und noch mehr. So. Viel. Mehr. Die Worte klingen in meinem Kopf, doch ich spreche sie nicht aus. Ich zeige ihm lieber, was ich will.
Es gab so viele Nächte, in denen wir uns eine gefühlte Ewigkeit geküsst haben – bis wir von unseren heiß tanzenden Zungen und süßen Berührungen unserer erkundenden Finger erschöpft waren. Wir haben alles getan, um es langsam anzugehen – um eine solide Grundlage aus Wohlfühlen und Vertrauen aufzubauen. Doch jetzt scheint der Moment gekommen zu sein, einen Schritt weiterzugehen … alles auszuprobieren.
Und ich weiß, dass er genauso empfindet. Ich kann es in den erhitzten Bewegungen seiner Hüften spüren, dem drängenden Streicheln seiner Daumen, als er sie unter mein Oberteil schiebt, meine Taille hinauf, wo er schließlich am Ansatz meiner Brüste innehält.
Ich presse eine Hand auf seine Brust und drehe mich so, dass ich mit dem Blick der anderen Hand folgen kann, mit der ich langsam über das muskulöse Tal seines Bauchs fahre, genüssliche Kreise direkt unter seinem Nabel ziehe, die seinen Puls so sehr in die Höhe treiben, dass ich ihn unter seiner Haut spüre.
Dann schiebe ich meine Hand weiter nach unten.
Und noch weiter.
Meine Finger gleiten unter den Bund seiner Boxershorts, bis ich ihn finde, den wärmsten Teil seines Körpers in Besitz nehme. Ein aufgeregtes Lächeln zupft an meinen Lippen, als ich sehe, wie er unter meiner Berührung erbebt, sich sofort ergibt, willig, alles mitzumachen, was ich will.
»Tasha.« Er dreht den Kopf, bis unsere Lippen sich treffen, zu einem Kuss, der schnell so hitzig wird, dass wir uns voneinander lösen müssen. »Du hast keine Ahnung, wie sehr ich das will«, sagt er. »Wie sehr ich dich will.«
Wieder fällt er über meinen Mund her, hart und heiß, bevor er sich mit den Lippen einen Weg meinen Hals hinab bahnt, immer weiter hinunter, bis er seine Hände erreicht, die inzwischen um meine Brüste liegen.
»Zeig’s mir. Zeig mir, wie sehr du mich willst«, verlange ich und Braxton gehorcht sofort.
Sein lockender, drängender Kuss, der süße Rhythmus unserer kreisenden Hüften – ich will nicht, dass es endet. Ich will mehr. Mehr von uns. Mehr von ihm.
Ich zerre an seiner Boxershorts, will sämtliche Barrieren loswerden, die noch zwischen uns stehen. »Siehst du?«, sage ich, bevor ich meine Zunge über seine Ohrmuschel gleiten lasse, sehe, wie sein Blick glasig wird, als ich meine Hand bewege. »Kein Grund zur Sorge. Ich bin ganz offensichtlich geheilt.«
Mit leicht geöffnetem Mund nimmt Braxton einen tiefen, gequälten Atemzug. Und genau in dem Moment, als ich mir sicher bin, dass wir es wirklich, tatsächlich, endlich tun werden, schließt er die Finger um mein Handgelenk und stoppt mich.
»Aber Tasha … bist du sicher?« Seine heisere Stimme verrät mir, dass es ihn all seine Kraft kostet, sich zu bremsen und das Richtige zu tun. Das zu tun, was ein Gentleman tun würde. Was Braxton tun würde.
Und genau deswegen will ich ihn noch mehr.
Ich grabe die Zähne in meine Unterlippe. Ich bin so was von bereit.
»Bist du sicher?«, frage ich. Mein Ton ist neckend, denn ich bin überzeugt, die Antwort schon zu kennen.
Er nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände, in seinem Blick liegt so viel Ehrfurcht, dass es mir gleichzeitig Angst macht und mein Herz singen lässt.
Wir schließen die Lücke zwischen uns und unsere Lippen finden sich erneut, als wie aus dem Nichts ein Schwall Beethoven durchs Zimmer dröhnt.