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ICH STEUERE DEN GOLFWAGEN DURCH eine lange Reihe Flure, folge dabei Killians Anweisungen.

»Wo hast du Fahren gelernt, Klinge?«

Ich schüttle den Kopf, halte meinen Fuß aufs Pedal und die Hände sicher am Lenkrad.

»War nich als Kritik gemeint«, sagt er. »Bin nur ’n kleen bisschen neugierig, mehr nich.«

»Kannst du das …« Ich runzle die Stirn, wünsche mir, es würde ihm nicht so leichtfallen, mir auf die Nerven zu gehen.

Killian sieht mich an. »Ja? Wat wollt’ste sagen?«

Ich schnaube und beginne noch mal von vorn. »Kannst du die ganzen Akzente nicht mal sein lassen und einfach mit deiner normalen Stimme reden?«

Killian fährt sich mit einer Hand durch die Locken und dreht sich so, dass er mir zugewandt ist. »Und wie kommst du darauf, dass das nicht meine normale Stimme war? Wieso gehst du davon aus, dass diese Stimme die echte ist?«

Ugh. Wieso habe ich mich auf diesen Ausflug eingelassen? Und noch wichtiger: Wieso bin ich immer noch hier?

»Sorry, wenn ich dir auf die Nerven geh«, fährt er fort. »Ich versuch nur, dich ’n bisschen besser kennenzulernen, wa? Schließlich bist du meine eenzige Freundin hier.«

»Das ist deine Lösung?«, frage ich. »Ein Misch-Akzent?«

»Versuche nur, uns beide zufriedenzustellen.« Er zuckt mit den Schultern.

»Mason hat mir beigebracht, wie man fährt«, sage ich. »Zufrieden?«

Einen Moment lang denkt Killian darüber nach, dann fragt er: »Und wer hat es ihm beigebracht?«

»Seine Großmutter.« Ich erinnere mich noch genau daran, wie aufgeregt Mason war, als er endlich seitlich einparken konnte und es mir beibringen wollte. Allerdings habe ich es nie wirklich hinbekommen, obwohl ich mir wirklich Mühe gegeben habe.

»Okay, das erklärt einiges.« Killian nickt.

Ich werfe ihm einen scharfen Blick zu. »Das klingt ziemlich altersfeindlich«, fahre ich ihn an, aber Killian winkt einfach ab.

»Überhaupt nicht. Ich beziehe mich nur auf deinen Fahrstil.«

»Meinen Fahrstil

»Du machst das wie eine richtige Lady. Gerader Rücken, die Augen immer ordnungsgemäß auf die Straße gerichtet, du befolgst alle Regeln – obwohl es gar keine gibt.«

»Das nennt man sicheres Fahren «, grummle ich. »Mir war nicht bewusst, dass das als Fahrstil gilt.«

»Schau dir deine Hände an.« Mit dem Daumen deutet Killian aufs Lenkrad. »Seit du eingestiegen bist, haben sie sich keinen Zentimeter bewegt.«

Im ersten Moment will ich etwas Bissiges zurückgeben, doch stattdessen konzentriere ich mich auf den schmalen Gang vor mir. Mit der niedrigen Decke und dem auffälligen Fehlen jeglicher Fenster gleicht er eher einem Tunnel. Und wer weiß schon, wo dieser Tunnel hinführt. Na ja, Killian weiß es offensichtlich.

»Hältst du dich immer so brav an die Regeln, Klinge?«, fragt Killian. Ich weigere mich, ihn anzusehen, doch sein Tonfall verrät mir, dass er ein flirtendes Grinsen aufgesetzt hat. Charisma und Charme sind quasi seine Standardeinstellungen. »Hast du nie Lust, mal eine dieser Regeln zu brechen, um herauszufinden, was passiert?«

Will er mich verarschen? Ich widerstehe dem Drang, die Augen zu verdrehen, damit würde ich ihn nur noch mehr anstacheln. Stattdessen räuspere ich mich und erwidere: »Ich habe schon jede Menge Regeln gebrochen. Wie, denkst du, bin ich sonst hier gelandet?«

»Hier bei mir ?« Er beugt sich näher zu mir, hebt sich dabei fast von seinem Sitz.

»Bild dir bloß nichts ein. Du weißt ganz genau, was ich meine. Genau genommen …«

Bevor ich all die Regeln aufzählen kann, die ich gebrochen habe, bevor ich an diesen Ort gebracht wurde, sagt Killian: »Hier ist es gut. Park einfach irgendwo. Wir nehmen eh einen anderen Weg zurück.«

Verwirrt sehe ich ihn an.

»Für den Hinweg habe ich die schöne Route ausgesucht.«

Ich bremse und parke den Wagen mitten auf dem Weg.

»Ich wollte dir nur einen Gefallen tun, Klinge, deswegen habe ich dafür gesorgt, dass uns niemand zusammen sieht. Außerdem – wenn ich das so offen zugeben darf – hat mir der Umweg die Chance gegeben, mehr über dich zu erfahren.«

»Zum Beispiel, wo ich Fahren gelernt habe?«

Lachend steigt Killian aus.

Ich folge ihm, allerdings ohne zu lachen.

»Das und ein paar andere Dinge …« Er lächelt geheimnisvoll.

»Mach schon«, verlange ich. »Verrat mir, was du mit deiner rasiermesserscharfen Beobachtungsgabe über mich herausgefunden hast.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob du damit umgehen könntest.« Sein Grinsen bringt sein gesamtes Gesicht zum Strahlen.

»Lass es uns herausfinden«, erwidere ich, immun gegen die immense Anziehungskraft, die er so natürlich ausstrahlt.

»Okay.« Er nickt. »Hier ist ein Beispiel: Wenn du nervös wirst oder dich unsicher fühlst – oder, wie in diesem Fall, beides –, ist deine Stimme höher als sonst und du wirst ein bisschen zickig.«

Langsam sehe ich zu ihm auf. Bin ich wirklich so leicht durchschaubar?

»Keine Sorge.« Er wischt kurz mit der Hand durch die Luft. »Ich finde es sehr charmant, wenn du so bissig wirst. Sieh es einfach als ein weiteres Geheimnis, das unter uns bleibt. Allerdings muss ich zugeben, dass es langsam ganz schön viele werden. Trotzdem ist es im Moment am besten, wenn du dich einfach entspannst, damit du in der richtigen Stimmung für das bist, was als Nächstes kommt.«

Etwas an seinem Tonfall macht mich misstrauisch. Was genau kommt denn als Nächstes?

Ohne ein weiteres Wort führt Killian mich noch ein Stück weiter durch den Tunnel, bis er vor einer Tür stehen bleibt, die so nahtlos mit der Wand verschmilzt, dass ich einfach daran vorbeigegangen wäre, ohne sie überhaupt zu bemerken. Sogar das kleine Keypad daneben ist getarnt. »Mach dich bereit«, sagt er.

Mein Magen zieht sich nervös zusammen. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, gestehe ich.

Über die Schulter hinweg sieht Killian mich an. »Ich an deiner Stelle würde die Warnung ernst nehmen. Und nur falls das nicht sowieso klar ist, mich solltest du immer ernst nehmen. Außer wenn ich Witze mache natürlich. Aber inzwischen kannst du das bestimmt unterscheiden.«

Die Spannung in seiner Stimme ist nicht zu überhören, ebenso wenig sind die Flammen in seinem Blick zu übersehen, die heller brennen als jemals zuvor. Ich werde nicht schlau aus ihm, kann ihn nicht lesen; meine Nervosität gewinnt langsam die Oberhand und natürlich merkt Killian das sofort.

»Hör zu«, sagt er. »Ich verstehe, dass du verunsichert bist. Aber ich verspreche dir, du bist nicht in Gefahr. Du kannst also aufhören, mich so anzusehen.« Er dreht sich ganz zu mir um, ist mir dadurch plötzlich so nah, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Wange spüre.

»Und wie genau sehe ich dich an?«, frage ich um einen erhabenen Tonfall bemüht, den ich allerdings meilenweit verfehle.

»Als könntest du dich nicht entscheiden, ob du mich küssen oder mir eins überbraten und dann um dein Leben rennen willst.«

Sofort wird mein Blick eisig. Er versucht, meine Gedanken genauso ins Wanken zu bringen, wie meine Beine sich anfühlen. Killian lebt für Momente wie diesen. Aber wir haben dieses Spiel schon einmal gespielt und er ist nicht ansatzweise so clever, wie er offenbar denkt.

»Glaub mir«, sage ich. »Dich zu küssen, steht nicht zur Debatte. Nicht böse gemeint, aber einmal war mehr als genug.«

Killian verzieht die Lippen zu einem Grinsen. »Genau genommen hast du mich zweimal geküsst, Klinge. Aber ich will mal nicht so kleinlich sein.«

Obwohl ich es eigentlich besser weiß, verdrehe ich die Augen und schnaube leise.

»Oh, und eine Sache noch – hast du dein Slab?«

Ich nicke, bin mir nicht sicher, worauf er hinauswill.

»Dann kannst du dich doch entspannen.« Er nickt. »Solange sie dich tracken können, kann dir nichts wirklich Schlimmes passieren.« Als er meine verwirrte Miene sieht, fügt er hinzu: »Glaubst du, Arthur hat dir dieses Tablet nur geschenkt, damit du Nachrichten schicken und jeden Morgen seine inspirierenden Zitate lesen kannst? Er behält dich im Auge, Klinge. Uns alle. Natürlich sind hier auch überall Kameras versteckt, aber das Slab macht es ihm noch viel leichter, jederzeit zu wissen, wo wir sind.«

Falls er mich damit beruhigen wollte, scheitert er kläglich. Braxton hat mir zwar schon vor einer ganzen Weile etwas Ähnliches gesagt, aber bei ihm klang es eher nach einer Sicherheitsvorkehrung und weniger wie eine erschreckende Verletzung meiner Privatsphäre.

Doch bevor ich antworten kann, drückt Killian schon seinen Daumen auf den Sensor, die Tür schwingt auf und mit einem kurzen Luftholen betrete ich eine vollkommen andere Welt.