EIN MOMENT VERSTREICHT . Er fühlt sich aufgeladen an, gefährlich. Wie ein Draht, der zu fest gespannt ist, kurz davor, zu zerreißen.
Und gerade als ich das Schweigen brechen will, tut Arthur etwas absolut Merkwürdiges und vollkommen Unerwartetes – er wirft den Kopf in den Nacken und lacht – ein tiefes, herzhaftes Heulen von Lachen. Ich sitze ihm gegenüber und habe keine Ahnung, was er so witzig findet.
»Entschuldigung.« Er schüttelt den Kopf. »Ich dachte, das hättest du inzwischen selbst herausgefunden.«
Mein erster Instinkt ist es, verlegen zusammenzusinken, doch da ich mein Ansehen in seinen Augen nicht noch weiter schmälern will, straffe ich die Schultern. »Ich nehme an, sie sind eine Art Gegner?«
Arthur sieht mich an. »Und was bringt dich auf diese Idee?« Geistesabwesend zupft er am Ärmel seines Pullovers.
»Na ja, der Mann, der mich in Versailles verfolgt hat – zweimal –, war laut Killian ein Zeitwächter.«
Arthur nickt. »Ich nehme an, das weiß Killian besser als jeder andere.«
»Weil er dort gelebt hat?«, frage ich. Als Arthur nicht antwortet, fahre ich fort. »Ich weiß nur, dass Killian behauptet hat, der Mann wäre eine Bedrohung und dass er ihn umgebracht hat.«
»Für mich klingt das, als wollte Killian dich beschützen.«
Ich zucke mit den Schultern, behalte für mich, dass ich seinen Schutz nicht nötig hatte. Und selbst wenn Killian dachte, ich bräuchte seine Hilfe, hätte er den Mann auch nur verwunden können. Er hätte ihn nicht töten müssen.
»Mach nicht den Fehler, um deine Feinde zu trauern«, sagt Arthur. »Glaubst du wirklich, dieser Zeitwächter hätte dich nicht getötet, hätte er die Chance dazu bekommen?«
Ich denke zurück an die beiden Begegnungen in Versailles. Der Mann, den ich zuerst für einen Schlossgärtner gehalten habe – primär weil Elodie ihn so bezeichnet hat –, war bedrohlich, wütend. Aber es schien ihm vor allem darum zu gehen, mich davon abzuhalten, die Sonne zu finden, und bei meinem zweiten Sprung davon, sie mitzunehmen. Obwohl ich offen zugebe, dass ich panische Angst vor ihm hatte, bezweifle ich im Nachhinein, dass er der mordlustige Typ war.
Aber was ist mit dem Mann in England? Der, der mich in der Bibliothek gefunden hat – war der auch ein Zeitwächter?
Vermutlich. Allein schon weil er mich sofort als das erkannt hat, was ich bin – eine Zeitspringerin. Und die Art, wie er sein Schwert gezogen hat …
Ich kann immer noch das boshafte Funkeln in seinen Augen sehen, das Aufblitzen seiner Klinge. Und auch wenn er es nicht darauf abgesehen zu haben schien, mich umzubringen, habe ich keinen Zweifel daran, dass er es getan hätte, wenn ich ihn weiter herausgefordert hätte.
Nichts davon teile ich jedoch mit Arthur. Stattdessen sage ich: »Ich glaube, dass die Zeitwächter die fehlenden Teile versteckt haben und vor nichts zurückschrecken, um sie verborgen zu halten.«
Arthurs Miene ist zurückhaltend, verrät wie immer nichts.
»Deswegen … frage ich mich, wie viele Zeitwächter es da draußen gibt. Sind sie in jeder Zeit oder nur in ein paar Epochen?«
Ich sehe zu, wie er sich zurücklehnt und sich mit einer Hand das Kinn reibt, während er abwägt, wie viel er preisgeben soll. »Es gibt viele von ihnen«, sagt er schließlich. »Man kann sie überall in der Vergangenheit finden. Ihre Ursprünge reichen zurück bis zu den großen Mystikern Ägyptens.«
Ich hole scharf Luft. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber es klingt okkult und gefährlich.
»Ich verstehe nicht …«, beginne ich, doch Arthur fällt mir schon ins Wort.
»Es ist eine uralte Geheimgesellschaft mit Zugang zu großer Weisheit. Die Zeitwächter haben den Schwur geleistet, dieses Wissen geheim zu halten, und versagen dem Rest von uns den Zugang.«
»Aber wieso?«, frage ich. »Und was sind das für Geheimnisse?« Ich male mir geheime Treffen aus, komplizierte Handgesten und Männer in Masken und langen Roben. Alle versammelt in einem Raum, der nur von Fackeln erleuchtet ist, wo sie versuchen, irgendein mächtiges Wesen aus dem Jenseits heraufzubeschwören.
Wieder zieht Arthur an dem Ring, der einst dem Schwarzen Prinzen gehört hat. »Das Geheimnis der Zeit natürlich. Das und die wahre Natur der Realität.« Als er meine Verwirrung sieht, fügt er hinzu: »Damit meine ich die Macht, die wir alle in uns tragen, die jedoch nur so wenige nutzen können.«
Ich starre ihn an, hoffe, dass er mehr ins Detail geht, denn ehrlich gesagt verstehe ich kein Wort.
»Die Frage nach dem Warum …« Arthurs Stimme verklingt, während sein Blick in die Ferne driftet. »Ich nehme an, sie tun es, weil sie denken, dass der gewöhnliche Mensch nicht mit dieser Art Macht umgehen kann – dass es nur zu tragischem Missbrauch führen würde – dass die Menschheit immer zur Zerstörung tendiert. Und deswegen haben wir nicht das Recht, unsere eigene Welt zu kreieren.«
Mein Atem geht zu schnell, hinterlässt ein leeres, mulmiges Gefühl in mir.
»Und Sie kennen die Geheimnisse?«, frage ich. Vielleicht ist er ein Nachkomme dieser uralten Mystiker? Ist er deswegen zu dem geworden, was er ist, konnte er deswegen all das aufbauen, was er hat?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, erklärt Arthur: »Ich wurde schon als so einiges bezeichnet, aber ein Zeitwächter bin ich nicht. Läge die Entscheidung bei mir, würde ich das Wissen teilen, würde ich allen die Chance geben, sich eine bessere Lebenserfahrung zu kreieren. Das ist das Fundament, auf dem ich mein Unternehmen gegründet habe – Zugang zu Wissen und den weltbesten Lehrern zu bieten und das mit nur ein paar Klicks.«
»Der fanatische Kunstsammler will also Wissen mit der ganzen Welt teilen?« Das hätte ich nicht sagen sollen und kaum sind die Worte über meine Lippen gekommen, würde ich alles dafür geben, sie zurückzuholen. Doch falls ich Arthur mit dieser Bemerkung getroffen habe, lässt er es sich nicht anmerken.
»Ich glaube, dass die Menschheit den momentanen erbärmlichen Status quo erreicht hat, weil wir intuitiv wissen, dass wir für mehr erschaffen wurden. Dass wir hier sind, um es besser zu machen – besser zu sein. Doch die Menschen haben sich so sehr von fehlgeleiteten Kommunikationen ablenken lassen, dass sie in eine Schattenwelt gesunken sind und keine Ahnung haben, wie sie sich daraus befreien können. Denk doch nur an dein eigenes Leben.« Er deutet auf mich. »Die Person, die du warst, bevor du nach Gray Wolf gekommen bist, wie eifrig du deine eigene Abwärtsspirale vorangetrieben hast. So wurdest du nicht geboren, das steht fest. Du bist strebsam und aufgeweckt zur Welt gekommen. Es ist der ständige Strom giftiger Kommunikation, der über die Jahre auf dich eingeprasselt ist, der dir eingeredet hat, was alles falsch an dir ist, all die Instinkte, die du unterdrücken musstest, um in diese elende kleine Box zu passen, die wir Gesellschaft nennen – eine Box voller Menschen, die so viel Angst vor ihrer eigenen Macht haben, dass sie auch dir Angst machen wollen. Aber es sind die Außenseiter, diejenigen, die dem Lärm widerstehen und auf ihren inneren Kompass, ihre innere Stimme hören – das sind diejenigen, die neue Wege schaffen. Das zeigt die Geschichte immer wieder. Es sind immer die Nonkonformisten, die wirklich etwas erreichen.«
»Ich verstehe, was Sie mir sagen wollen«, sage ich. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, wieso die Zeitwächter für den Zustand unserer heutigen Welt verantwortlich sind. Ich meine, sind wir nicht alle selbst für das verantwortlich, was wir tun, wer wir sind? Treffen wir nicht selbst die Entscheidung, über unser eigenes Schicksal zu bestimmen?«
»Vielleicht«, gibt Arthur zu. »Aber es war immer schon meine Überzeugung, dass Wissen geteilt werden sollte. Die Zeitwächter hingegen glauben, dass es zu unserem Untergang führen würde, wenn sie ihr Wissen mit uns teilen.«
Auch wenn dieses Gespräch durchaus faszinierend ist, habe ich das Gefühl, dass wir ziemlich weit vom Pfad abgekommen sind. Ich hatte nicht vor, eine philosophische Diskussion anzustoßen. Ich wollte nur ein paar Antworten.
»Was ich wohl eigentlich wissen will«, beginne ich, »ist Folgendes: Wenn diese Zeitwächter überall sind, in allen Zeiten und Epochen und den Auftrag haben, die fehlenden Teile des Mechanismus zu beschützen, dann wird es auch in Florenz einen Zeitwächter geben, genau wie in Versailles.« Versailles und London , doch diesen Gedanken behalte ich für mich.
Arthur nickt, was ich sowohl als gute als auch schlechte Nachricht auffasse. Es ist immer gut, recht zu haben, deutlich weniger gut ist es jedoch, bestätigt zu bekommen, dass im sechzehnten Jahrhundert schon ein Gegner auf meine Ankunft wartet.
»Okay, und was genau soll ich dagegen tun? Soll ich darauf warten, dass mich ein Zeitwächter angreift? Oder gibt es einen einfacheren Weg, sie abzufangen, bevor es so weit kommt? Ich meine, wie soll ich sie überhaupt erkennen? Oh, und eine Sache noch …« Ich habe mich richtig in Schwung geredet, bin nicht aufzuhalten. »Wieso fällt es denen immer so leicht, mich zu finden? Einfach weil ich zur falschen Zeit am richtigen Ort bin? Oder steckt mehr dahinter? Und …«
Mit einer erhobenen Hand lässt Arthur meine Fragen abrupt verstummen. »Zu der Frage, wie sie dich finden – ich kann es zwar nicht belegen, aber es wird behauptet, dass viele Nachfahren der Mystiker in gewisser Weise übersinnliche Kräfte haben, eine Gabe, die durch die Generationen weitervererbt wurde, und …«
Ich habe keine Ahnung, was Arthur danach noch sagt, denn meine Gedanken sind an den Worten übersinnliche Fähigkeiten und durch die Generationen weitervererbt hängengeblieben.
Das klingt verdächtig nach der Fragmentierung. Aber das kann nicht sein … oder?
Ich schüttle den Kopf, überzeugt, dass ich Arthur missverstanden habe. »Sie meinen, wie Hellseher oder etwas in der Art?«, frage ich mit hörbar bebender Stimme.
Arthur zuckt mit den Schultern und schnippt einen Fussel von seinem Ärmel. »Die Details sind mir nicht bekannt, aber ja, sie können Szenen aus der Zukunft und der Vergangenheit sehen. Und zu deiner Frage, wie du sie erkennen kannst …« Er hält inne, sieht mir direkt in die Augen. »Dafür hältst du wohl am besten nach ihrem Zeichen Ausschau.«