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»SODOMITEN!«, SCHREIT EINER DER JUNGEN . Mit fiebrigem Blick und wutverzerrtem Gesicht zeigt er auf uns und wiederholt seinen Ruf.

Innerhalb von Sekunden fallen die anderen mit ein. Sie umzingeln uns, während sie immer wieder schreien: »Sodomiten – schmort in der Hölle!«

Mit ihren dreckigen Händen greifen sie nach Killian, ziehen an seinen goldenen Ringen und seinem Seidenumhang. Und erst in dem Moment wird mir bewusst, was für ein Risiko Killian eingegangen ist, indem er sich auf die Suche nach mir gemacht hat. Er muss aufgewacht sein, realisiert haben, dass ich weg bin, und aus dem Haus geeilt sein, ohne sich vorher etwas weniger Auffälliges anzuziehen. Und jetzt wird er deswegen – wegen mir – von einer Horde milchgesichtiger Kreuzritter attackiert.

»Verzieht euch!«, ruft Killian, vergisst dabei sogar sein Italienisch.

Er versucht, ihre gierigen Hände abzuwehren, doch sie lassen nicht locker, schreien immer lauter. Und als sich einer der Jungs auf mich stürzen will, flucht Killian leise und zieht seinen Dolch.

»Ich sagte, verzieht euch!« Er schwingt seine Klinge und die Jungen weichen zurück, allerdings nicht weit genug. Sie sind unverfroren, die Opfer einer totalen Gehirnwäsche und ich befürchte, dass sie nur auf Gewalt reagieren – oder zumindest die Androhung davon.

Auch ich ziehe meinen Dolch und zusammen weichen Killian und ich zurück, schwingen unsere Klingen vor uns und schaffen es, die Bande damit weit genug auf Abstand zu halten, dass wir uns schließlich umdrehen und lossprinten können.

Erst jagen uns die Kinder noch hinterher, schreien, nennen uns Ketzer, Heiden und drohen uns mit der ewigen Verdammnis. Doch zum Glück sind unsere Beine länger, wir sind schneller und haben sie bald so weit abgehängt, dass sie die Jagd aufgeben und sich auf die Suche nach anderen Sündern machen. Dennoch verfolgt uns der Schrecken ihrer Anschuldigungen den ganzen Weg zurück zum Palazzo.

Kaum sind wir in der Sicherheit der Villa angekommen, reißt Killian mir die Kapuze vom Kopf. Und während meine Kappe noch zu Boden fällt, nimmt er mein Gesicht zwischen seine Hände, seine Haut heiß und feucht auf meinen erhitzten Wangen.

»Tu das«, sagt er, seine Stimme zittriger, als ich es jemals erwartet hätte. »Tu das nie wieder.« Sein Blick brennt sich in meinen. Mein ganzer Körper bebt, was nur zum Teil an der Panik vor dem liegt, was beinahe passiert wäre, und zum Teil an dem verwundbaren Ausdruck in seinen Augen. »Versprich mir, dass du dich nie wieder so davonschleichen wirst.«

»Werde ich nicht«, sage ich, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich es wirklich so meine. Ich will einfach nur aus dieser Situation entkommen. Will etwas dringend nötigen Abstand zwischen uns bringen.

»Okay«, murmelt er, kommt langsam wieder zu Atem. »Okay.« Widerstrebend lässt er mich los und fährt sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich rufe jemanden, damit dir ein Bad eingelassen wird.« Er winkt einem vorbeigehenden Zimmermädchen zu.

Seine Worte überraschen mich und ich sehe an mir herab. Mir ist klar, dass ich mich umziehen muss, aber ist es wirklich so schlimm?

»Und zieh dir was Hübsches an«, bittet mich Killian. »Immerhin lernen wir heute Abend Leonardo da Vinci kennen.«

Verwirrt starre ich ihn an. »Aber Leonardo hat Florenz im Jahr 1482 verlassen, um nach Mailand zu gehen. Er ist gerade dabei, Das letzte Abendmahl zu malen.« Ich folge Killian zu unserer Suite.

Über die Schulter hinweg sieht er mich an. »Wer hat dir das erzählt, Klinge?«

»Ähm, dafür gibt es zahlreiche Quellen. Es ist eine bekannte Tatsache.«

»Eine bekannte Tatsache.« Killian lacht. »Vielleicht hatte Napoleon recht mit seiner Aussage Geschichte ist eine Ansammlung von Lügen, auf die man sich geeinigt hat. So oder so kannst du das ja mit Leonardo persönlich besprechen. Er fände es bestimmt sehr amüsant, mit dir über seinen momentanen Aufenthaltsort zu diskutieren. Denn trotz allem, was deine Geschichtsbücher behaupten, hat er hier, in diesem Raum-Zeit-Kontinuum, Mailand verlassen, um ein paar Tage in Florenz zu verbringen und um sicherzustellen, dass seine Werke nicht verbrannt werden. Er ist angekommen, kurz nachdem du dich rausgeschlichen hast. Schade, dass du das verpasst hast. Aber wie gesagt, beim Abendessen wirst du ihn kennenlernen.«

»Hast du ihn schon mal getroffen?«, frage ich, erleichtert, dass wir zu unserem üblichen freundschaftlichen Ton zurückgefunden haben. »Vor diesem Sprung, meine ich.«

»Natürlich.«

»Und … erinnert er sich an dich?«

»Wieso? Hältst du mich für jemanden, den man so leicht vergisst?«

Ich sehe ihn an. Selbst mit roten Wangen, verschwitzt und außer Atem sieht Killian noch so umwerfend aus, dass niemand ihn vergessen könnte. »Ich meinte nur, wenn du ihn in der Zukunft kennengelernt hast, dann würde er dich nicht erkennen, wenn ihr euch in der Vergangenheit trefft, weil eure erste Begegnung noch nicht stattgefunden hat.«

Killian zuckt mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Rolle spielt. Wie die meisten Leute zu Recht behaupten, spielt Leonardo in einer ganz anderen Liga – er nimmt kaum etwas auf gewöhnliche Weise wahr. Aber jetzt, liebste Klinge …« Er schiebt mich ins Schlafzimmer, in dem schon eine Wanne gefüllt wird. »… wartet erstmal dein Bad auf dich.«

Als er schon dabei ist, die Tür hinter sich zu schließen, sage ich: »Killian …«

Er sieht mich an.

»Danke … danke, dass du im richtigen Moment aufgetaucht bist.«

»Ich hab’s dir doch gesagt – ich werde mein Leben riskieren, um dich zu beschützen, aber du musst mich auch ernst nehmen.« Er hält meinen Blick etwas zu lange, bevor er sich kurz verbeugt und mich dann meinem Bad überlässt.