5
Die Konfrontation
Unterwegs wachte ich mehrmals auf. Obwohl er mich tragen musste, schlug mein Vater ein flottes Tempo an. Jedes Mal, wenn ich die Augen öffnete, war der Himmel noch dunkler geworden, und ab und zu traf mich ein grelles Licht, wenn wir unter einer der Leuchtglaslaternen unserer Stadt entlangliefen.
»Du sprengst noch eins von den Dingern in die Luft, wenn du dich nicht beherrschst«, sagte Ferius Parfax, die ihr grau-schwarz geflecktes Pferd am Zügel führte.
»Ziehst du etwa die Selbstbeherrschung meines Vaters in Zweifel?«, brauste Shalla auf.
Mein Vater sagte nur ein einziges Wort, nämlich »Tochter!«
, und Shalla richtete den Blick sofort wieder auf den sandsteingepflasterten Gehweg.
Ferius lachte und schüttelte den Kopf.
»Worüber amüsierst du dich?«, fragte ich.
»Eure Sprache kennt so viele magische Formeln. Ich wusste nicht, dass das Wort ›Tochter‹ die gleiche Wirkung hat wie ›schweig‹.«
Ich spürte am Rücken und an den Beinen, wie sich die Armmuskeln meines Vaters anspannten. »Sehr schlagfertig. Bist du etwa eine fahrende Gauklerin? Soll ich dir für deine Darbietung ein paar Münzen zuwerfen?«
In den Augen meines Vaters sind Schauspieler und Troubadoure ungefähr so überflüssig wie Sandläuse.
»Nicht nötig, großer Ke’heops«, entgegnete Ferius, der die Ironie entweder entgangen oder egal war. »Ich bin eher eine Art Kartografin.«
»Du erstellst Landkarten?« Ich warf einen Blick auf ihre Satteltaschen und erwartete, die länglichen Holztrommeln herausschauen zu sehen, in denen meine Mutter ihre kostbaren Karten aufbewahrte. »Wo sind sie denn?«
Ferius klopfte auf die Außentasche ihrer Lederweste. »Hier drin.«
Ausgeschlossen. Richtige Landkarten konnte man nicht in so einer kleinen Tasche verwahren. Doch als ich sie darauf hinweisen wollte, fiel mir plötzlich auf, dass die Gebäude links und rechts der Straße immer schmuckloser und schäbiger wurden. Die gepflegten drei- und vierstöckigen Kalksteinhäuser und Marmortempel, an denen wir auf der Straße der Ahnen vorbeigekommen waren, wichen niedrigen Behausungen aus groben Holzstämmen und unpolierten Sandsteinplatten. Hier gab es keine Messing- und Silberverzierungen an den Fassaden wie bei den Häusern der Jan’Tep, auch keine Statuen oder anderen Schmuck, höchstens hier und da ein verwittertes Ladenschild. Das trübe Licht, das auf die Straße fiel, stammte von den wenigen Öllampen, die hinter den hölzernen Läden schiefer Fenster flackerten.
»Warum gehen wir denn durch die Sha’Tep-Viertel?«, fragte ich. »Auf der Straße der Ahnen wären wir viel schneller.«
»Dieser Weg ist … ruhiger.«
Ruhiger.
Wenn sich dein eigener Vater schämt, mit dir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, weißt du, dass du ganz unten angekommen bist. Mir schnürte sich die Brust zusammen. Es spielte keine Rolle mehr, dass ich Tennat ganz ohne den Einsatz eigener Zaubersprüche besiegt hatte. Niemand hielt mich deswegen für besonders mutig oder klug, nicht mal mein eigener Vater. Was zählte, war allein die Tatsache, dass meine Magie erbärmlich schwach war.
»Ist wahrscheinlich ganz schlau, den ruhigeren Weg zu nehmen, wenn man keinen Ärger will«, sagte Ferius, griff in ihre Weste und zog einen dünnen Rauchstängel hervor.
Ihr Kommentar kam mir ziemlich harmlos vor, aber Shalla sprang auf jede noch so versteckte Kritik an unserem Vater an. »Wie kannst du es wagen, auch nur anzudeuten, dass Ke’heops –«
»Tochter!«
Diesmal kam es so schnell und nachdrücklich, dass ich nicht gleich begriff, dass Ferius gesprochen hatte. Shalla war so baff, dass sie stehen blieb, als ob jemand sie mit einem Kettenbann belegt hätte.
»Ha!«, gluckste Ferius. »Es klappt tatsächlich. Mein erster Zauberspruch!« Sie steckte den Rauchstängel zwischen die Zähne und beugte sich vor. »Gib mir doch mal Feuer, Mädel.«
Shallas Blick machte deutlich, dass sie nicht im Traum daran dachte, der Fremden mit einem so simplen Zauber auszuhelfen. Doch ich hob wider besseres Wissen die rechte Hand und besann mich auf den Glutzauber. Ich konzentrierte meine gesamte Willenskraft auf die Lücke zwischen meinem Daumen und Zeigefinger, um eine Flamme entstehen zu lassen. Als ich sicher war, dass ich so weit war, flüsterte ich die Einwortbeschwörung: »Sepul’tanet.«
Nichts.
So weit von der Oase entfernt würde mir nicht einmal ein Kerzenzauber gelingen. Meine Bemühungen bescherten mir lediglich eine Woge neuer Erschöpfung und das Gefühl, als schneide das tätowierte Glutband tief in meine Haut ein.
»Spar dir die Mühe«, winkte Ferius ab. »Für so was hab ich meine eigene Magie.« Sie schnippte mit den Fingern, und ein Streichholz erschien zwischen ihnen. Dann schnippte sie den Daumen am Kopf des Streichholzes vorbei und es entzündete sich. Kurz darauf pustete sie dicke rötliche Rauchringe in die Luft hinter uns. »Jemand folgt uns.«
»Niemand von Bedeutung«, entgegnete mein Vater und ging weiter. »Wahrscheinlich nur ein neugieriger Sha’Tep.«
»Mein Vater hat einen Schutzzauber gewirkt, als wir die Oase verlassen haben«, erklärte Shalla der Fremden. »Er merkt es sofort, wenn sich uns ein anderer Magier auch nur auf hundert Meter nähert.«
»Echt jetzt?«, fragte Ferius. »So was kann dein Vater?«
Shalla lächelte überheblich. »Wir haben für alles einen Zauber, Daroman.«
Ferius zog an ihrem Rauchstängel. »Dann wüsste ich gern, ihr großen und mächtigen Magier, ob es auch einen Spruch gibt, mit dem man sich gegen derlei Schutzzauber wehren kann.« Ehe Shalla oder mein Vater antworten konnte, setzte sie hinzu: »Denn die Leute, die ich meine, sind uns dicht auf den Fersen und es sind keine Sha’Tep.«
Aus der Dunkelheit hinter uns drangen jetzt Stimmen, gefolgt vom Geräusch zahlreicher Sandalenpaare, die über das Straßenpflaster schlappten. »Ke’heops! Bleib stehen und rechtfertige dich für die Untaten deines Hauses!«
Mein Vater setzte mich ab. Weil ich immer noch wacklig auf den Beinen war, lehnte ich mich an den schiefen Türrahmen eines Kleiderladens, und als ich die Straße entlangspähte, sah ich Ra’meths rotes Gewand flattern.
Wie mein Vater gehörte auch Ra’meth zu den Obermagiern unseres Clans. Obendrein verabscheute er mich womöglich sogar noch mehr als sein Sohn Tennat, der ihn zusammen mit seinen beiden älteren Brüdern flankierte.
»Guten Abend, Obermagus«, begrüßte ihn mein Vater. Dann nickte er Ra’meths Begleitern zu und fügte nur knapp an: »Meister. Schüler.«
Die beiden älteren Jungen hatten ihre Prüfungen schon vor ein paar Jahren abgelegt. Ra’fan war jetzt Kettenbeschwörer und Ra’dir Kriegsmagier. Beide wirkten ruhig, fast freundlich, so wie man eben aussieht, wenn man kurz davor ist, einen Zauberbann zu wirken. Es sah nicht gut für uns aus.
Mein Vater ließ sich nichts anmerken. »Hast du etwa die Verfügung des Fürsten vergessen, Ra’meth? Unseren beiden Häusern ist es verboten, sich zu befehden.«
Tennat kicherte albern, bewies damit aber nur, dass er zu blöd war zu kapieren, wie riskant es war, sich einer fürstlichen Anordnung zu widersetzen. Die Magie der Jan’Tep kennt viele Zauber, aber kein Spruch kann dich vor dem Herrscher schützen, wenn du seinen Zorn auf dich ziehst.
»Wir kommen in einer rechtlichen Angelegenheit«, verkündete Ra’meth. »Dieser widerwärtige Parasit, der dich begleitet, kommt sofort mit uns!«
Mein Vater schaute mit gespielter Verwunderung erst Shalla, dann Ferius und schließlich mich an. »Von wem sprichst du?«
Ra’meth zeigte mit seinem kunstvoll geschnitzten, gut einen halben Meter langen Stab aus Eiche und Silber auf mich. Der Stab war das Symbol seines Amtes und konnte auch als Kanal für seine Magie dienen. »Dieser elende Nichtsnutz hat bei einem offiziellen Schülerduell betrogen!« Ra’meths Stimme war hell und melodisch und klang trotz des mitschwingenden Ärgers angenehm im Ohr. »Ich will Kellen, den Sohn des Ke’heops, noch heute Abend in Kupferfesseln in einer Zelle sitzen sehen.«
Mein Vater zögerte. Wer einen Kollegen aus dem Rat der Magier belog, musste mit Sanktionen rechnen, aber wenn er zugab, dass Ra’meths Beschuldigungen zutrafen, würde ich von den Magierprüfungen ausgeschlossen. Ich hatte meinen Vater in eine unmögliche Situation gebracht.
Verflucht sollt ihr sein, ihr Ahnen – tausendmal verflucht dafür, dass ihr mich so schwach geschaffen habt.
»Mein Zauber hat versagt«, mischte ich mich ein. Das zumindest entsprach der Wahrheit und kam bei Prüfungen durchaus vor. »Wenn ich eine zweite Chance bekomme, dann –«
»Dann hast du meinen Sohn also mit Lügen und faulen Tricks besiegt!« Ra’meths zorniger Blick huschte von mir zu meinem Vater. »Da hörst du’s! Der Junge gibt selbst zu, dass seine Magie schwach ist. Er hätte nie in die Reihen der Schüler aufgenommen werden dürfen. Wie oft haben wir dir gesagt, dass er schon vor Jahren zum Sha’Tep hätte erklärt werden müssen?«
»Ich … ich habe Tennat nicht besiegt«, widersprach ich lahm. Insgeheim war ich entsetzt zu hören, dass mein Schicksal womöglich längst hätte besiegelt sein können. »Mein Zauber hat versagt, weiter nichts. Ich brauche nur noch ein bisschen Übung. Dann –«
Das Ende von Ra’meths Stab zuckte, und einen Augenblick lang wusste ich nicht, ob er mich damit schlagen oder mit einem Bann belegen wollte. Dann nahm ich links von mir eine flüchtige Bewegung wahr. Ferius hatte die Hand in die Weste geschoben. »Vielleicht hörst du mal auf, mit deinem Stock rumzufuchteln, guter Mann. Das geht mir langsam auf die Nerven.«
Tennat, der noch gar nichts gesagt hatte, schien jetzt einen Gegner gefunden zu haben, dem er sich gewachsen fühlte. Das tätowierte Eisenband auf seinem Unterarm glühte auf, das unheimliche graue Licht leuchtete in der Dunkelheit. »Sprich weiter, Daroman, und ich sorge dafür, dass deine nächsten Worte ein Schrei nach Gnade sind!«
Ferius nahm einen Zug aus ihrem Rauchstängel und nickte bedächtig, als gäbe seine Drohung ihr zu denken. »Klingt ja gefährlich«, sagte sie dann und stieß eine Rauchwolke aus, die sowohl Tennat als auch seinen beiden Brüdern einen Hustenanfall bescherte. »Huch – das wollte ich nicht. Du hast mich ganz aus dem Konzept gebracht.«
Tennat gab sich größte Mühe, trotz des Hustens ein paar Beleidigungen auszustoßen.
»Halt die Klappe, Tennat!«, mischte sich nun Shalla ein. »Du bist bloß sauer, weil du das Duell verloren hast.« Dann wandte sie sich an seinen Vater und sprach ihn mit etwas mehr Respekt an: »Obermagus Ra’meth, Kellen hat nicht gegen den Kodex des Duells verstoßen. Er hat Tennat keine Fallen gestellt und auch keine Waffen eingesetzt. Dass Tennat der Meinung war, er würde verlieren, und sich daraufhin ergeben hat, ist nicht Kellens Schuld und verletzt auch keine der Regeln.«
Ra’meth wollte widersprechen, aber mein Vater kam ihm zuvor und wandte sich direkt an Tennat: »Bist du verletzt? Hat dir mein Sohn etwas angetan … wie auch immer?«
Tennat war ein bisschen blass um die Nase, aber er reckte trotzig das Kinn. »Danke, mir geht’s gut. Kellen kann mir nichts anhaben. Dafür ist er viel zu schwach.«
Mein Vater nickte, wirkte aber angespannt. »Dann hat sich die Sache ja erledigt.« Er wandte sich wieder an Ra’meth. »Deinem Jungen ist nichts geschehen. Es handelt sich um ein harmloses Missverständnis, das zwischen den betreffenden Familien geklärt werden muss, nicht vor Gericht.«
Ganz kurz sah es aus, als wäre die Angelegenheit damit tatsächlich erledigt und alle könnten nach Hause gehen, doch dann wies Ra’meth mit seinem Stab auf Shalla. »Du hast dich ohne Erlaubnis oder Absprache mit deinem Bruder duelliert!« Mit wachsendem Selbstvertrauen richtete er seinen Zorn wieder auf meinen Vater. »Deine kleine Rotznase hat einen Schüler angegriffen, der eben erst ein Duell überstanden hatte. Dieses Vergehen darf nicht einfach unter den Tisch fallen. Die Bänder des Mädchens müssen versiegelt werden. Und zwar ein für alle Mal.«
Shalla war sichtlich erschrocken. Allein die Vorstellung, mein Vater könnte gezwungen sein, ihre Bänder zu löschen, sodass sie nie mehr Magie ausüben könnte … Ich dachte schon, sie würde einfach wegrennen.
Mein Vater sah gequält aus, Ferius lachte bloß.
»Findest du unsere Gesetze so lustig, Daroman?« Ra’fan trat drohend einen Schritt vor.
»I wo! ich find’s bloß urkomisch, wie ihr auf einmal alle um Kellens Wohlergehen besorgt seid, wo ihr ihn eben noch einsperren wolltet. Ihr seid ja ein richtig netter Haufen.«
Ra’meths Stab begann zu schwelen, blaue und rote Lichtbänder wanden sich wie Schlangen um den Schaft. »Hüte deine Zunge, Weib. Du weißt nichts über die Macht der Jan’Tep.«
Ferius ließ die Hand in der Weste und stieß wieder eine Rauchwolke aus, die diesmal Ra’meth zum Husten brachte. »Immerhin weiß ich, dass der alberne Stab, den du mir unter die Nase hältst, schon bald an einer für dich höchst unangenehmen Stelle stecken könnte.« Dabei lächelte sie nach wie vor, aber ihr Blick verriet, dass sie es todernst meinte.
Ra’meth kam wieder zu Atem und entgegnete höhnisch lachend: »Willst du dich etwa mit einem Obermagus der Jan’Tep anlegen? Du brauchst nur zu nicken, dann treten wir beide zum Zweikampf an.«
Wie auf Kommando bauten sich seine drei Söhne in einer Reihe vor uns auf. Ungezügelte magische Kräfte schlängelten sich um ihre Arme, während sie sich anschickten, eine ganze Folge von Angriffszaubern zu gebärden.
Shalla, die neben mir stand, wurde unruhig, beherrschte sich aber. Ihre Arme hingen locker herab, doch ihre Finger zuckten in Vorbereitung eigener Zauber. Ferius’ Hand steckte immer noch in ihrer Weste, in der sie zweifellos eine Waffe verbarg. Und ich? Tja, ich kann mich ihnen zumindest entgegenwerfen, in der Hoffnung, sie damit kurz aus der Fassung zu bringen.
»Seid ihr alle übergeschnappt?«, mischte sich mein Vater ein. »Ich habe euch doch schon erklärt, dass die Verfügung des Fürsten jede Fehde zwischen uns verbietet. Anderenfalls verbannt er eure gesamte Sippe!«
Diese Androhung hätte die Truppe eigentlich zur Vernunft bringen müssen, aber Ra’fan und Ra’dir feixten nur und Tennat kicherte wieder. Sie sahen aus wie drei Schakale, die zähnebleckend über ihrer verwundeten Beute stehen. Sie wissen etwas, das wir nicht wissen.
»Anscheinend warst du heute Abend durch den Unfug deiner missratenen Kinder ein bisschen abgelenkt«, konterte Ra’meth und deutete mit dem Kinn in Richtung Innenstadt. »Sonst wären dir die Lichter über dem Palast bestimmt nicht entgangen.«
Ich drehte mich um und ließ den Blick über die Häuser und Läden wandern, die sich bis zum Palast hinzogen. Sieben farbige Lichtstrahlen wurden über dem Palastdach in den Himmel geworfen, aber sie waren so schwach, dass sie neben dem hellen Sternenlicht beinahe verblassten. Ich war noch viel zu jung, als dass ich die sieben heiligen Laternen jemals hatte leuchten sehen, aber sogar ich wusste, was das zu bedeuten hatte: Der Fürst war tot.
»Eine Tragödie«, sagte Ra’meth. Sein Tonfall strafte seine Worte Lügen. »Morgen wird der Rat die Wahl des nächsten Fürsten einleiten. Natürlich wird auch er jede Fehde zwischen den großen Häusern verbieten, aber eben erst ab morgen. Bis dahin kann die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen. Wenn dann die Wahl bevorsteht, kräht kein Hahn mehr danach.«
Die Erwiderung meines Vaters hallte weit durch die Nacht: »Schluss jetzt!«, donnerte er und trat vor Ra’meth. »Du schleichst mir wie ein Dieb in der Nacht nach, mit deinen Anschuldigungen und deiner Arroganz! Geh nach Hause, Ra’meth. Deine Beschwerden kannst du morgen dem Rat vortragen, und falls du lieber hier auf der Straße mit mir kämpfen willst – wie zwei Hunde, die sich um einen Knochen raufen –, dann lässt sich auch das machen. Aber dann duellierst du dich mit mir
, Obermagus, nicht mit meinen Kindern und nicht mit dieser Frau.«
Ich glaubte schon, Ra’meth würde sich durch den eisigen Blick meines Vaters einschüchtern lassen und den Rückzug antreten, doch dann entgegnete er: »Mein Leben lang musste ich ertragen, wie du arrogant durch die Gegend stolzierst, Ke’heops. Du tust so, als wärst du etwas Besseres als wir anderen, aber trotz all deiner Macht bist auch du nur ein Mensch.« Er nickte seinen Söhnen zu. »Mein Blut ist stark. In den Adern eines jeden meiner Kinder fließt die Magie unseres Volkes. Offenbar hast du die weisen Worte unserer Ahnen vergessen, Ke’heops: Was zählt, ist das Haus, nicht der Einzelne.«
Jetzt ist es so weit,
dachte ich. Jetzt kommt es zum Kampf.
So mächtig mein Vater auch sein mochte, er durfte nicht hoffen, Ra’meth und seine Söhne ganz allein zu besiegen. Shalla war begabt, aber das genügte nicht, um sich gegen einen Obermagus, einen Kettenbeschwörer und einen Kriegsmagier zu behaupten. Los, unternimm etwas!,
ermahnte ich mich. Irgendetwas.
Ein leises Lachen brach die angespannte Stille. Es kam von Ferius. »Darf ich euch einen kostenlosen Rat geben? Wenn ihr beim nächsten Mal einen Hinterhalt plant, lasst eurem Gegner nicht so viel Zeit, sich vorzubereiten.« Sie zog noch einmal kräftig an ihrem Rauchstängel, ließ ihn dann auf den Boden fallen und trat die Glut mit dem Stiefelabsatz aus. Die andere Hand steckte immer noch in ihrer Weste.
»Zeig uns doch endlich deine lächerliche Waffe, Weib«, sagte Ra’meth. »Glaubst du wirklich, dass dich ein Messer retten kann?«
Ferius zog die Hand aus der Weste und hielt sie hoch.
Ihre Hand war leer.
»Seht ihr?«, lachte Tennat. »Sie blufft bloß, genau wie Kellen. Sie ist nicht mal bewaffnet.«
Ferius lächelte und blies ihm, seinen Brüdern und seinem Vater eine letzte Rauchwolke ins Gesicht. Die drei husteten noch krampfhafter als vorher. »Wer braucht schon eine Waffe?«, sagte Ferius, und erst da ging mir auf, dass sie den Rauch immer bewusst in die Richtung unserer Gegner geblasen hatte. »Stimmt, das Zeug ist echt übel für die Lungen, wenn man es nicht gewohnt ist. Man kriegt auch scheußliche Kopfschmerzen davon.« Sie wandte sich an mich. »Sag mal, man muss doch nicht unbedingt sprechen und klar denken können, um jemanden zu verzaubern, oder?«
Ra’fan, der bemerkenswert grün im Gesicht war, streckte die rechte Hand aus. Zwei Finger waren in Richtung Handballen gekrümmt, die anderen beiden auf Ferius gerichtet. »Medran’e’fe …«
Der Singsang der Zauberformel wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. Jetzt probierte es Ra’dir, kam aber kaum über die erste Silbe hinaus, bevor er sich umdrehte und sich auf die Straße übergab.
Ferius blickte auf die zertretenen Überreste ihres Rauchstängels hinunter. »Ich sollte wirklich aufhören. Ein ekelhaftes Laster.«
Ra’meth holte mit konzentriertem Blick tief Luft. Auch er wirkte angeschlagen, besaß aber – anders als seine Söhne – genug Stärke und Erfahrung, der Wirkung des Rauchs zu widerstehen. Doch mein Vater kam ihm zuvor und streckte beide Hände aus. Dabei zuckten weder seine Finger noch leuchteten seine Bänder. So etwas hatte mein Vater nicht nötig. »Denk lieber nach, bevor du den Mund aufmachst, Ra’meth aus dem Hause Ra, denn in den nächsten zehn Sekunden werde ich diese Hände benutzen … entweder, um meinen Sohn nach Hause zu tragen, damit sich seine Mutter um seine Verletzungen kümmern kann, oder aber, um unseren Zwist ein für alle Mal zu beenden. Du hast die Wahl.«
Das funktionierte. Mein Vater hatte deutlich gemacht, dass es nur diese beiden Möglichkeiten gab. Ohne die Unterstützung seiner älteren Söhne konnte Ra’meth es nicht mit meinem Vater aufnehmen, das war ihm klar. Er bedeutete ihnen, sich zu entfernen, dann sah er mich an. »Du bekommst keine Goldscheibe für dein Duell, Junge. Und bei den anderen drei Prüfungen wirst du genauso versagen wie bei der ersten. Dann findest du dich hier bei den Sha’Tep wieder, wo du hingehörst.« Er schnappte sich Tennat, der immer noch würgte und keuchte, und wandte sich zum Gehen. »Sogar deine Familie weiß, dass du dort schon immer hingehört hast.«
Das war eine grausame Behauptung, und ich wusste, dass sie darauf abzielte, sowohl meinen Vater als auch mich zu kränken. Trotzdem hätten seine Worte mich vernichtet, hätte Ferius nicht verächtlich die Nase gerümpft und meinen Vater in den Arm geboxt. »Erst dieses ganze Getue mit Leuchtstäben und magischem Feuerwerk und dann schickst du den Kerl mit einer Ermahnung nach Hause? Jetzt begreife ich, von wem dein Sohn seine Kühnheit hat.«
Seltsamerweise machten mich ihre Worte stolz.