22
Die Abmachung
Als Ferius sich näherte, scharrten die Baumkatzen knurrend im Sand, und ich rechnete jeden Augenblick damit, dass sich die Tiere auf sie stürzen würden. Sie dagegen war offenbar frei von solchen Bedenken und schlenderte unbefangen auf uns zu. »Kellen, tust du mir einen Gefallen und sagst den kleinen Plagegeistern, dass ich keine Feindin bin?«
Der Anführer der Meute raunte zornig: »Sag dem Daroman-Weib, sie soll sich aus dem Staub machen, wenn ihr ihre Augen lieb sind!« Er reckte witternd die Schnauze. »Falls sie überhaupt eine Daroman ist.«
Ferius sah mich fragend an. »Lass mich raten – er hat gedroht, mir die Ohren abzureißen.«
»Nein. Es ging um deine Augen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist immer dasselbe mit diesen Viechern. Ohren, Augen, Zungen. Es ist ihr Schönstes, jemandem anzudrohen, ihm irgendwas rauszureißen.«
»Was geht hier eigentlich vor?«, fragte Nephenia plötzlich. Sie, Panahsi und Tennat standen Rücken an Rücken und beäugten die sie umzingelnden Tiere misstrauisch.
Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten und jetzt soll ich auch noch eine Erklärung für das Ganze liefern? »Moment noch.«
»Sag Seiner struppigen kleinen Durchlaucht«, Ferius klang ernsthaft verärgert, »dass es solche und solche Kriege gibt und dass er kurz davor ist, einen anzuzetteln, der für niemanden gut ausgehen wird.«
»Ach, echt?«, erwiderte die Baumkatze spöttisch. »Tja, dann –«
Auch wenn Ferius die Fauch- und Knurrlaute nicht verstehen konnte, die Botschaft dahinter entging ihr nicht.
»Die drei dort sind noch Menschenjunge«, fuhr sie fort. »Wenn ihr sie tötet, bricht hier … Ach, zur Hölle.« Sie zog etwas aus der Weste. Eine geschickte Drehung ihres Handgelenks und eine Karte sauste durch die Luft und landete wenige Zentimeter vor dem Gesicht des Baumkatzen-Anführers im Sand. Er fauchte, schlich dann näher und musterte die Karte mit schwarz glänzenden Augen.
»Frag ihn, ob er weiß, was das ist«, sagte Ferius.
Die Baumkatze streckte eine Pfote aus und packte die Karte. Von meinem Standort aus sah ich, dass es eine der dunkelroten war. Genau genommen war es eine Karo-Sieben, aber ich hatte keinen Schimmer, was das zu bedeuten hatte. Die Baumkatze betrachtete die Karte noch einmal, dann schaute sie Ferius an. Schließlich kam sie auf den Hinterbeinen angelaufen und ließ die Karte vor meine Füße fallen. »Sag ihr, das Angebot ist akzeptabel.«
»Welches Angebot denn?«
Die Baumkatze verzog keine Miene, aber ich spürte, dass sie mich für einen Dummkopf hielt.
»Er nimmt das Angebot an«, teilte ich Ferius mit.
Sie nickte. »Gut. Dann gib mir die Karte wieder.«
Nachdem ich sie ihr überreicht hatte, behielt sie sie noch kurz in der Hand, als wollte sie sich das Bild darauf einprägen. Als sie die Karte dann wieder einsteckte, wirkte sie … Ich weiß auch nicht … ein bisschen müder. Sie wandte sich an die Tiere: »Dann ab mit euch, ihr Viecher. Verzieht euch.« Als der Anführer das Maul öffnete, um zu widersprechen, kam sie ihm zuvor. »Sag dem kleinen Fellball, er soll sich seine schlauen Bemerkungen für jemanden aufheben, der sie hören will.«
Der Anführer keckerte den anderen etwas zu. Alle drehten sich wie auf Kommando um und flitzten los. Sie liefen in Richtung der Berge und die Nacht verschluckte sie. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass sich der Anführer nicht von mir verabschiedet hatte.
Ferius seufzte und blickte dann zu den Lichtern hinüber, die sich uns näherten. »Also gut, Kinder. Kommen wir zu dem Lied, das wir gleich alle singen werden.«
»Du wirst gleich vor Schmerzen singen!«, sagte Tennat, der immer noch auf dem Boden lag. Ganz schön schlagfertig für jemanden in seiner Situation, fand ich. Seine Hände bereiteten eine Gebärde vor. »Wenn mein Vater hört, was hier los war, wird er Zauber wirken, die dir das Fell über die Ohren ziehen und das Blut aus –«
Ferius grinste mich an. »Irgendwie kommt mir diese Drohung bekannt vor! Man könnte meinen, er wäre selber eine halbe Baumkatze.« Dann stellte sie den Stiefelabsatz auf Tennats rechtes Handgelenk. »Nachdem mir eben klar geworden ist, dass dein einziges Ziel im Leben darin besteht, so herzlos und bösartig wie möglich zu werden, solltest du die Klappe vielleicht nicht ganz so weit aufreißen – jedenfalls nicht, solange dein Biss nicht gefährlicher ist als dein Gebell. Dein Vater und seine Magierkollegen dürften sich höchstens dafür interessieren, dass sich in der Nähe ihrer Stadt ein ganzes Rudel Nekhek herumtreibt, das einen Kampf nicht scheut. Sie sind bestimmt nicht erfreut, dass du und deine kleinen Freunde hergekommen seid, um das Exemplar zu quälen, das sie gefangen haben, und dass ihr euch dabei auch noch dermaßen dämlich angestellt habt, dass sogar ein Schwächling wie unser Kellen« – sie zeigte auf mich, was mich nicht eben in Begeisterung versetzte –, »… es geschafft hat, euch alle drei so lange außer Gefecht zu setzen, dass er das Biest freilassen konnte.« Sie ließ sich auf ein Knie nieder und sagte Tennat direkt ins Gesicht: »Und außerdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass Kellens Vater kommt und dir eine Tracht Prügel verpasst, wenn er erfährt, was du seinem Sohn antun wolltest, ›Magierrat‹ hin oder her.«
»Aber wir müssen doch melden, was hier passiert ist!«, warf Panahsi ein, der inzwischen wieder halbwegs sicher auf den Beinen stand, auch wenn sein Blick noch glasig war.
»Ihr vier habt einen kleinen Abendspaziergang unternommen, weil ihr außerhalb der Stadt ein bisschen Astronomie lernen wolltet. Dann habt ihr entdeckt, dass das Nekhek-Rudel seinen Artgenossen befreien wollte. Mutig, wie ihr seid, habt ihr versucht, die Tiere daran zu hindern, wurdet aber von ihnen überwältigt. Alle eure Blessuren«, dabei sah sie mich an und verzog das Gesicht, »stammen von den Nekhek.«
Nephenia schüttelte den Kopf. »Kein Mensch glaubt uns, dass wir –«
»Klar glaubt euch das niemand«, unterbrach Ferius sie. »Allen wird klar sein, dass ihr lügt, schon allein deshalb, weil einer von euch die Wachposten bestochen hat, eine kleine Pause zu machen. Aber die Leute werden glauben, dass ihr hergekommen seid, um zu zeigen, dass ihr keine Angst vor dem Nekhek habt. Kapito? Wir werfen ihnen eine offensichtliche Lüge vor, damit sie die größere nicht mitkriegen.«
Man sollte nicht denken, dass vier junge Leute, die gerade noch so erbittert aufeinander losgegangen waren wie wir, es so schnell dabei bewenden ließen, aber mein Volk denkt stets pragmatisch. Nephenia wollte nicht, dass sich der Konflikt weiter zuspitzte, Panahsi war so fertig, dass er einfach nur wollte, dass es vorbei war, und Tennat … Tennat überlegte wahrscheinlich schon, wie er das alles gegen mich – oder gegen die beiden anderen – verwenden konnte. Oder gegen uns alle auf einmal. Ferius schien genau zu wissen, wie sie jeden von uns packen und ihn davon überzeugen konnte, dass ihre Lösung, jedenfalls vorerst, für alle das Beste war.
Als die ersten Männer und Frauen mit ihren Leuchtglaslaternen die Oase betraten, waren wir uns einig geworden. Man stellte mir eine Menge Fragen, aber ich sah mich nicht in der Lage zu antworten. Die Mischung aus Angst und Entsetzen, die mich während der Auseinandersetzung aufrechtgehalten hatte, verflog rasch und ich wurde immer wieder ohnmächtig – bis Ferius erklärte, dass sie mich zu meinen Eltern bringen müsse und dass die anderen ebenfalls nach Hause gehen sollten.
Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist Nephenia, die auf mich herabschaute, bevor sie ging. »Du hast mich geschlagen, Kellen!«, sagte sie.