Zehn Jahre früher. Das Geräusch von Inlineskates, vermischt mit den Stimmen von Kindern. Die Mütter gehen mit ihnen in den Park, wenn sie brav waren und die Hausaufgaben gut gemacht haben. Wir haben sie gut gemacht. Oder sind jedenfalls gut darin, ihr das weiszumachen.
Es sind einfache Zeiten, wir sind in den neunziger Jahren, und um mit jemandem Freundschaft zu schließen, braucht man nur danach zu fragen: Niemand lehnt ab. Wollen wir Freunde sein? Es reicht, einen formellen Antrag vorzubringen, um ein Ja zu bekommen. Man braucht nur diese vier Worte zu krähen und schon hat man einen brandneuen Freund, eine brandneue Freundin. Es spielt keine Rolle, ob wir uns nie mehr wiedersehen oder ob wir noch jahrelang auf Rollerblades gegeneinander antreten werden und sich unsere Wege erst danach trennen und wir vergessen werden, dass wir jeden Nachmittag unserer Kindheit zusammen verbracht haben. Freund ist Freund. Es geht nicht um ein Versprechen für die Zukunft. Die Gegenwart genügt.
Die Nachmittage in der Villa Lazzaroni verbrachten wir damit, jeden Winkel, jeden Busch, jeden Brunnen des Parks in Beschlag zu nehmen. Wir sammelten Pinienkerne und kehrten mit rabenschwarzen, nach Harz riechenden Händen nach Hause zurück. Am liebsten aßen wir die Pinienkerne direkt vor Ort, schlugen die harten Schalen mit einem Stein auf wie Urzeitmenschen. Ihr Anblick ohne Panzer gefiel uns, splitternackte, bleiche, leicht bittere Würmchen, von denen wir so viele knabberten, bis unser Magen protestierte.
Und dann skateten wir. Skateten viel, skateten ständig. Draußen war das unsere Lieblingsbeschäftigung. Den Erwachsenen zum Trotz, die schon damals erzählten, die Generation Pokémon hätte ihre Natürlichkeit verloren. Dabei hatten wir zur realen einfach noch eine zusätzliche Dimension hinzugefügt, mehr nicht. Aber sie haben uns nie verstanden.
Oft spielten wir mit den Kindern von der Rollschuhbahn Früchtewolf. Mit den Rollerblades war es ein bisschen schwieriger, machte aber auch viel mehr Spaß. Es machte so viel Spaß, dass ich damals, als ich unglücklich stürzte und sich der Ellbogenknochen verschob und Mama ihn, bevor sie einen Rettungswagen rief, kurz antippte und er mit einer merkwürdig flüssigen Mutantenbewegung wieder an seinen Platz zurücksprang, nicht nur keine Träne vergoss, sondern die ganze Zeit über lachte. Vermutlich, weil auch du lachtest.
Ich denke daran zurück, mache die Augen zu und bin wieder dort. Acht Jahre, aufgeschürfte Knie, Harzgeruch an den Händen, die Skates eng um die Fußgelenke geschnürt, um sie nicht zu verlieren, um nichts von diesem Moment zu verpassen.
Das Spiel beginnt.
Tock tock.
Wer ist da?
Der Früchtewolf.
Welche Frucht willst du?
Kirsche!
Das ist das Startzeichen. Die Jagd fängt an, die Kinder stieben auseinander wie ein Bienenschwarm, der von einem wütenden alten Weib mit einem Fangnetz in die Flucht geschlagen wird. Ich fliehe so erschrocken wie vergnügt. Gewöhnlich ist die Angst nicht echt, es ist nur Adrenalin, das ist das Schöne am Spiel. Diesmal ist es anders. Den Wolf spielt ein richtig mieser Kerl, ein Junge, der uns riesengroß vorkommt, Luca. Wir nennen ihn einfach den Rotschopf. Das Problem ist, dass der Rotschopf immer den Wolf spielen will. Manchmal verliert er sogar absichtlich beim Abzählen. Vielleicht, weil er größer als die meisten von uns ist und mit zwei Schritten jeden erwischen kann, vielleicht, weil er das unglückselige Opfer nicht nur erwischen, sondern zum Spaß auch umschmeißen will. Ihm einen Stoß verpassen. Er macht es jedes Mal.
Seit einiger Zeit scheint es der Rotschopf auf mich abgesehen zu haben. Und der Zufall will es, dass ich heute ausgerechnet Kirsche gewählt habe.
Ich flüchte.
Skate Hals über Kopf davon, die Augen weit aufgerissen, gierig nach Luft schnappend. Ich bin so schnell, dass ich den Wolf verwirren kann: Er verliert mich aus den Augen. Ich verlasse die Bahn, rasch weg, weg, weg zum Karussell, das aussieht wie ein Piratenschiff. Dann verpfeift mich ein Junge, ein rotznäsiger, dummer Denunziant: »Dort ist sie!«, ruft er und zeigt auf mich. Ich skate weiter, schnell, schnell, weg vom Wolf, oh, wie ich die Wölfe hasse, und diesen hier hasse ich noch mehr als die anderen, aber dann stolpere ich über eine Stufe und segle – segle buchstäblich, die Arme nach vorne gestreckt, um den Fall abzufedern – ins Gras. Ich bleibe unverletzt, doch mein Spurt ist zu Ende. Der Rotschopf hat mich eingeholt. Aber ich bin bereits wieder auf den Beinen.
»Erwischt«, schreit er und schmeißt mich wie üblich um. »He, sie ist doch gerade erst aufgestanden!«, protestiert eine freundlich gesinnte Stimme. Ich drehe mich um und sehe, dass diese freundlich gesinnte Stimme du bist. Mein ewiger Verbündeter, mein Bruder.
Ausgerechnet heute hat Mama mich in einen Rock gesteckt. Ich hasse Röcke. Hasse es, in einem Rock zu skaten. Sie hat trotzdem darauf bestanden, weil ich in ihren Augen so hübsch aussehe in einem Rock. Der Rotschopf wittert eine gute Gelegenheit, sieht dich herausfordernd an und zieht mir den Rock hoch, sodass man den Slip sehen kann. »Los, mach schon weiter, verteidige dein Schwesterchen!«, sagt er. Ich zapple, um ihm einen Tritt zu versetzen, aber deine kleine Faust ist flinker, erreicht ihn blitzschnell. Soll Opa dich ruhig eine halbe Portion nennen, diesen Schlag, den du dem größten Früchtewolf aller Früchtewölfe verpasst hast, werden wir nie vergessen: Weder er, der an Kinder gewöhnt ist, die sich von ihm alles gefallen lassen, und dich nun erstarrt ansieht, noch du, der sich von jetzt an stark fühlen wird, noch ich, die heute entdeckt hat, was ein Bruder ist, und es nie vergessen wird.
Alle, die an deiner Seite aufgewachsen sind, verlassen sich darauf, dass die Kleinen angesichts von Gewalt zusammenstehen. Mit den Kleinen meine ich Gleichgestellte. Daran hast du mich gewöhnt, an nichts Geringeres.
In den ersten Lebensjahren haben du und ich uns gegenseitig Gerechtigkeit beigebracht. Wir haben verstanden, dass ein Sieg immer möglich ist – nicht allein, nie allein, aber wenn man Verbündete hat.
Ein stillschweigendes, auf Taten beruhendes Versprechen. An diesem Tag ist mir klar geworden, dass du immer für mich da sein würdest, mindestens so sehr, wie ich immer für dich da sein würde. Es spielte keine Rolle, ob wir es mit einem Vollidioten von Früchtewolf oder mit einem echten Wolf zu tun hatten, einem, der eher in einen Albtraum als in die Realität passte. Du warst in meiner Vorstellung der Jäger aus Rotkäppchen, allzeit bereit, mich zu verteidigen, allzeit bereit, sich an jedem zu rächen, der mir ein Haar krümmen wollte.
Aus diesem Grund war ich zehn Jahre später überzeugt davon, zu wissen, wohin du gingst. Und ich irrte mich nicht.