Ich betrachte mein Spiegelbild im Fenster.
Das magere Gesicht, die großen schwarzen Augen, die tief herabgezogene Mütze.
Ich lehne den Kopf gegen das Glas.
Magda, die Frau, der mich Gizi anvertraut hat, spricht jetzt mit ihrer Tochter. Mit der Stimme streichelt sie ihren Schlaf, mit den Fingern kämmt sie ihre Haare.
Gegenüber sitzen die beiden Brüder, die Köpfe über ein Handyspiel gebeugt.
Ich schaue hinaus.
Sammle Einzelheiten.
Mit den Einzelheiten wehre ich mich gegen die Gedanken.
Ich habe überstürzt gehandelt, als ich wegfuhr. Was werde ich jetzt machen? Wohin werde ich gehen? Welcher Weg erwartet mich morgen?
Ich schaue hinaus.
Sammle Einzelheiten.
Ich könnte sie zu einer langen Kette auffädeln.
Ein rot-grauer Zug auf einem Gleis. Dünen über Dünen aus verrostetem Eisen auf einem etwas traurigen alten Lagerplatz. Gebäude mit Leuchtschriften. Cinema City. Tesco. Plaza Arena. Andere, gemalte Schriften auf Mauern. Rot, gelb, schwarz. Weiß und blau.
Wir fahren langsam über einen breiten Fluss.
Das Wasser ist ruhig, grau wie der Himmel.
Donau, sagt jemand.
Niedrige Bäume, ein weicher Hügel, die Statue einer Frau, die davonzufliegen scheint, die Arme in den Himmel ausgestreckt, während unter ihr die Stadt zurückweicht, als wären wir schon im grünen Umland.
Dann beginnt der Zug wirklich schnell zu fahren, und alles verschwimmt.
Die Straßen, die Lichtmasten, die das Gleis ein Stück begleiten, die Dächer der Häuser in den Dörfern, der spitze Turm einer Kirche, der Felsen, der aus der Erde hervorsticht wie ein Knochen aus einer Wunde, die Flecken der Wälder jenseits eines Flusses, die großen Räder, die ich noch nie gesehen habe, die sich mit drei langen, dünnen Armen im Wind drehen.
Meine Augen verlieren sich in ihrem Wirbeln und Wirbeln.
In diesem Grün sehe ich auch andere Grüns. In den Dörfern sehe ich andere Dörfer, in den Wäldern andere Wälder, andere Flüsse.
Die Lichter und Schatten von Täbris. Die großen Palmen voller Datteln am Eingang der Stadt Bam. Der stinkende Lämmerpferch, in dem wir zwei Nächte verbrachten, als es kein Essen und Trinken mehr gab. Die langen, langsamen Reihen der Kamele. Die majestätischen Berge des Elburs, die wir zu Fuß überqueren mussten, an der Grenze zwischen Iran und Türkei. Ihre im Nebel verlorenen Gipfel. Unsere vorsichtigen Schritte beim Abstieg, wenn du denkst, das Schlimmste liegt hinter dir, dabei wird es noch gefährlicher. Der Joghurt, den mir ein alter Kurde angeboten hat: der beste, den ich je gegessen habe.
Die Dunkelheit und die große Angst, als der Rah Balad, der uns den Weg zeigte, auch mich zwang, wie alle anderen eine Etappe hinten im Kofferraum zu übernehmen, weil im Auto nicht genug Platz war. Dunkelheit, Übelkeit, Angst. Die Kuppel der Hagia Sophia vor einem safrangelben Himmel. Die Wunden unter meinen Füßen. Der Wald zwischen Serbien und Bulgarien.
Alles dreht sich, mischt sich und verwirrt sich im Wirbel der Räder im Wind.
Die Welt löst sich auf.
Das Letzte, was ich sehe, sind Magdas Finger auf den Haaren ihres kleinen Mädchens.
Ich schaffe es nicht mehr, mein Gebet zu sagen.
Mit dem letzten Gedanken, bevor ich einschlafe, denke ich an Oma. Aber vor allem denke ich an Mama, wie jeden Abend. Ich denke an die honigsüßen Namen, die Papa sich für sie ausdachte.
Da höre ich eine Stimme.
Sie scheint aus einem anderen Leben hierherzudringen.
Sie durchquert Wüsten und Berge und steigt auf den Buckel eines Kamels und wird von einem Floh zu einem Hund getragen und von einer Hand, die den Hund streichelt, in einen dunklen Kofferraum gesteckt und abgesetzt auf dem Stacheldraht an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn.
Und jetzt ist die Stimme aus der Vergangenheit hier in diesem Zug, bei mir.
Prinzessin Schwindelig …
Prin-zes-sin Schwin-de-lig …
Die Klänge werden zu Watte.
Jeder Ton die Feder eines Kissens.
Und während ich mich in den Federn wiege, versinkt die Welt im Dunkel.