Ich brauche mindestens eine Minute, um mich von meiner Überraschung zu erholen.

Er ist ein Mädchen. Aziz ist ein Mädchen, nicht der Junge, für den ich ihn hielt.

Warum habe ich das nicht früher gemerkt?

Ich sehe ihren Busen, die dunklen Brustwarzen. Den Kranz von dunklen Locken, die ihr jetzt, von der Mütze befreit, bis zu den Schultern reichen.

Eine Hälfte von mir ist wie hypnotisiert, die andere Hälfte geht auf Abstand und ruft mich zur Pflicht.

Ich schlucke meine Verblüffung hinunter, den Frosch im Hals hinterher, und beginne mit meinen Abreibungen. So nannte Mama das.

 

Ich befeuchte ihre Schläfen, die Brust, die kleine Grube unter dem Hals. Ich mache das T-Shirt mit Wasser aus einer der Dosen wieder nass und tupfe ihre Handgelenke und Hände ab. Dann beginne ich von vorne.

So mache ich weiter, wie lange, kann ich nicht sagen, während ich neben ihr kauere und ihr etwas zuflüstere, sobald sie wieder mit ihrem Monolog beginnt. Bis ich endlich merke, dass ihre Aufregung dem Schlaf weicht und ihr Atem regelmäßig wird und mindestens so tief wie meine Erleichterung.

Ich lege ihr die Hand auf die Stirn. Die ist warm, aber nicht mehr heiß. Oder weniger heiß als vorhin.

Vorsichtig ziehe ich sie wieder an.

Dann setze ich mich neben ihren Schlafsack, mit dem Rücken gegen die Wand. Das Adrenalin hat nachgelassen. Eine Dose rollt

 

Und jetzt?

Jetzt was?

Stell dich nicht blöd. Was wirst du jetzt tun?

Na ja, vielleicht …

Nein. Kein Na ja und kein Vielleicht. Du weißt, dass du keine Wahl hast.

Im Ernst?

Mehr als positiv.

Dann …

Dann ist jetzt Schluss mit dem Quatsch.

Aber vielleicht geht das Fieber runter. Vielleicht, wenn ich noch ein bisschen warte …

Wenn du noch ein bisschen wartest, bist du ein Arschloch. Wahrscheinlich bist du das sowieso, aber in einer anderen Größenordnung. Und das ist der entscheidende Punkt.

 

Meine zwei Seiten, die sich bekämpfen, kennen die Sumo-Regeln nicht.

Sie begnügen sich nicht damit, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen: Sie hauen sich richtig. Wenn möglich, kämpfen sie dreckig. In jedem Fall kämpfen sie hart.

Normalerweise ist die schlechte Seite stärker, aber heute gibt die gute nicht nach.

Am Ende dieser endlosen Nacht hat sich etwas für immer verändert, das wissen sie alle beide, die zwei Mattias, die sich hier belauern und mit Boxhandschuhen in einem Ring herumhüpfen.

Deshalb beschließen sie zum ersten Mal, sich zu vertragen.

Jetzt bleibt nur eines zu tun. Nur eins. Meine Rache ist beendet. Sie hat jeden Sinn und Spaß verloren.

Seine Bedürfnisse.

Ich scrolle auf dem Smartphone hinunter zu Ma.

Sie antwortet sofort. Meine Stimme klingt müde, rau und falsch.

»Mama?«

Für einen Moment explodiert die Stille. Eine Stille wie ein Getöse.

In diesem Getöse steckt alles und noch viel mehr: Sorge, Schmerz, Erleichterung, eine immer noch atemlose Angst, Dinge, die besser nicht gesagt werden. Oder zumindest nicht jetzt, nicht hier. Und ganz tief unten, so tief unten, dass man schon sehr gut aufpassen muss, ist auch ein Gedichtvers zu hören, derselbe, den ich vor nicht allzu vielen Stunden an eine Tür gekritzelt habe:

Höre, wie schnell mir dein Herz schlägt.

Absurd, ich weiß nicht einmal, wer das geschrieben hat.

Aber in diesem Moment ist es perfekt. Zum zweiten Mal in so wenigen Stunden ist es das Einzige, was es zu sagen gibt.

Das Einzige: für meine Mutter und auch für mich.