17. Kapitel

Mittwoch

Der Morgen nach dem Gewitter ist von Hoffnung und Verheißung erfüllt. Als Sofia zum Frühstück herunterkommt, leuchtet sie geradezu vor neuer Energie. Sie fühlt sich stark und zuversichtlich, als hätte der Sturm ihre Ängste und Unsicherheiten mit sich davongetragen. Sie argwöhnt, dass dieses Gefühl nicht andauern wird, doch sie ist entschlossen, das Beste daraus zu machen, solange es Bestand hat.

Dave und Janet werkeln in der Küche gemeinsam zwischen Tisch und Vorratskammer herum, und einmal mehr fühlt sie sich an die Mäuse von Brombeerhag erinnert, lieb und unschuldig und freundlich. Sie lacht die beiden an, und sie erwidern ihr Lächeln. Zusammen strahlen sie ein stilles Selbstbewusstsein aus, doch sie beneidet sie nicht mehr, sondern fühlt sich nur von der frischen Entschlossenheit erfüllt, zu ihrer Entscheidung zu stehen.

»Hat das Gewitter euch wach gehalten?«, fragt sie, setzt sich an den Tisch und sieht, wie sie einen kurzen Blick wechseln: belustigt, verständnisvoll, verhohlen. Sofia überlegt, was er wohl bedeutet.

»Ich hatte mir Sorgen um dich gemacht, da oben in dem Dachzimmer«, sagt Janet dann. »Der Regen hämmert ganz furchtbar auf das schräge Fenster. Aber Dave war sich sicher, dass es dir gut geht.«

Wie rührend besorgt die beiden sind. Bei dem Gedanken daran, dass sie wach gelegen und sich Sorgen um sie gemacht haben, schüttelt Sofia den Kopf. »Ich fand es großartig«, erklärt sie. »Ich habe am Fenster gestanden und zugesehen. Es war überwältigend.«

»Du meine Güte«, gibt Janet nervös zurück. »Ein Blitz hätte dich treffen können. Ich hasse Gewitter.«

»Aber irgendwie überstehen wir sie immer, oder?«, sagt Dave und stößt Janet freundschaftlich mit dem Ellbogen an, während er einen Toastständer auf den Tisch stellt und sich setzt. »Und was für ein herrlicher Morgen. Hast du etwas vor?«

»Ja«, antwortet Sofia, indem sie ihren kürzlich gefassten Entschluss umsetzt. »Ich dachte, ich unternehme einen Spaziergang und besuche Baz, Liv und die Zwillinge.«

Es ist ihr ein wenig schwergefallen, Baz’ Namen als Ersten zu nennen und es nicht klingen zu lassen, als ginge es nur um sie und Liv, doch weder Dave noch Janet scheint etwas aufzufallen. Sofia nimmt sich ein Stück Toast und greift nach der Marmelade. Ein eigenartiges Gefühl, so glücklich zu sein. Sie ist nicht daran gewöhnt. Sogar Atmen fühlt sich anders an. Ihr Körper kommt ihr nicht mehr angespannt und verkrampft vor. Stattdessen ist sie entspannt und stressfrei. Um es sich selbst zu beweisen, atmet sie tief ein. Und dann noch einmal.

Dave und Janet mustern sie neugierig, und sie möchte am liebsten loslachen, diese entzückenden kleinen Mäuse-Menschen umarmen und ihnen sagen, dass sie sie liebt.

Sofia nimmt sich zusammen, streicht die Marmelade ordentlich auf und presst die Lippen zusammen, um ihr Lächeln zu vertreiben.

»Das klingt schön«, sagt Janet gerade. »Heute Morgen geht eine leichte Brise. Gutes Wetter zum Drachensteigenlassen.«

Dave schenkt Sofia Kaffee und seiner Frau und sich selbst Tee ein. Er wirkt leicht besorgt, als wäre ihm etwas eingefallen. Sofia isst ihren Toast auf, trinkt den Kaffee und ist dankbar dafür, dass diese beiden Unschuldslämmer keine Ahnung haben, woran sie bei Baz denkt. Es hat nichts mit Drachensteigenlassen zu tun.

»Gute Idee«, bemerkt sie munter.

»Wir fahren zum Supermarkt«, erklärt Janet. »Brauchst du etwas?«

»Da fällt mir nichts ein«, gibt Sofia zurück – und es ist die Wahrheit. Ihre neue Entschlossenheit scheint ihre Gedanken vollständig auszufüllen. »Aber trotzdem danke.«

»Solltest du nicht nachhören, ob sie überhaupt zu Hause sind?«, schlägt Dave schüchtern vor. »Das ist ein ziemlich weiter Weg.«

»Oh.« Sofia ist aus dem Konzept gebracht. In ihrer frischen Begeisterung ist ihr gar nicht klar gewesen, dass ihr Plan einen Fehler haben könnte. »Wäre wahrscheinlich gescheit.«

Ihre Gedanken überschlagen sich. Wenn sie Liv eine SMS schreibt und Liv Baz davon erzählt, glaubt er vielleicht, sie beide möchten, dass er sich aus dem Weg hält. Andererseits hat sie keine andere Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen – und sie muss Baz überraschen und kurz mit ihm allein sein.

»Wenn ich es recht bedenke«, sagt sie, »könnte ich wahrscheinlich das Auto nehmen, doch ich glaube, ich laufe. So habe ich wenigstens Bewegung, auch wenn niemand da ist.« Sie trinkt ihren Kaffee aus und lächelt den beiden zu. »Ich breche dann mal auf«, erklärt sie, steht auf und eilt nach oben, um ihre Sachen zu holen.

»Hab’s dir doch gesagt«, meint Dave düster, während sie Sofia nachsehen, die schwungvoll durch das Tor tritt und über die Straße davongeht.

Janet schaut ihr hinterher. »Ihre Mutter bringt mich um.«

Dave runzelt die Stirn, verzieht dann die Lippen zu einem Lächeln und lacht los. »Tut mir leid«, keucht er. »Aber ehrlich. Da haben wir letzte Nacht versucht, leise zu sein, damit sie uns nicht hört, und sie stürmt heute Morgen strahlend davon, um den guten Baz zu verführen.«

»Dave!«, protestiert Janet. »Sag nicht so etwas.«

»Ach, komm schon, Liebling. Das war doch klar. Das Mädchen hat sich Hals über Kopf verliebt. Eigentlich rührend.«

»Es ist nicht rührend«, gibt Janet verärgert zurück. »Das wäre es höchstens, wenn Baz genauso empfinden würde …«

»Aber ich habe dir doch davon erzählt«, unterbrich Dave sie. »Ich habe dir gesagt, wie er sie angesehen hat.«

»Und«, fährt Janet energisch fort, »und wenn er zufällig in ihrem Alter wäre.«

Daves belustigte Miene verfliegt. »Ist das denn wirklich so wichtig?«

Janet starrt ihn an, atmet durch die Nase ein und zieht die Augenbrauen hoch. »Sieh mal«, erklärt sie geduldig, »ihre Mum und ihr Dad hoffen immer noch, einmal Großeltern zu werden. Sie wünschen sich, dass Sofia jemanden findet, sesshaft wird und ein Baby bekommt. Meinst du wirklich, Baz will in seinem Alter noch einmal eine Familie gründen? Möchtest du derjenige sein, der ihren Eltern sagt, dass ihre geliebte Tochter sich in einen Mann verguckt hat, der so alt ist wie sie? Sie haben sie uns anvertraut, damit wir sie in einer schweren Zeit unterstützen, und nicht, damit wir sie dazu ermuntern, sich in einen Mann zu verlieben, der alt genug ist, um ihr Vater zu sein.«

Dave verzieht das Gesicht. »Ich hasse diese Formulierung«, murrt er.

»Welche würdest du denn vorziehen?«

»Ach, sei still«, sagt er. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, was wir dagegen unternehmen können. Wie sollten wir das ahnen? Außerdem, woher wollen wir wissen, dass sie nicht glücklich miteinander werden? Das wäre nicht das erste Mal. Vielleicht ist Baz genau das, was sie braucht. Das arme Mädchen hat genug von egoistischen jungen Männern. Warum dann nicht ein netter, großzügiger, freundlicher älterer Mann?«

Janet seufzt und zuckt mit den Schultern. »Meinetwegen. Doch ich werde nicht diejenige sein, die es ihren Eltern sagt. Ich meine ja nur.«

»Es ist ihre Sache, ihren Eltern davon zu erzählen«, erwidert Dave. »Und überstürzen wir nicht alles ein wenig? Vielleicht ist es ja nur eine kleine Urlaubsromanze.« Wieder lächelt er. »Ich würde viel darum geben, das Gesicht des guten Baz zu sehen, wenn Sofia in dieser Stimmung bei ihm aufkreuzt.«

Janet schmunzelt ebenfalls. »Schrecklich. Man ist verliebt und glaubt, dass niemand eine Ahnung hat, und dabei strahlt man wie ein Leuchtturm.«

»Ich finde das nicht furchtbar«, meint Dave, »sondern wunderschön. Und ich muss noch etwas essen. Ich habe mein Frühstück gar nicht geschmeckt, während sie da saß und Leidenschaft ausgestrahlt hat.«

»Ich habe eine bessere Idee«, sagt Janet und folgt ihm wieder ins Haus. »Wir fahren nach Kingsbridge, um Kaffee zu trinken und Croissants zu essen. Ich finde, das haben wir uns verdient.«

»Die Zwillinge haben schlechte Laune«, sagt Liv zu Baz, als sie in seine »Höhle« tritt. »Das kommt von Kuchenschlachten um Mitternacht.«

»Unsinn«, widerspricht er und dreht sich von seinem Computer weg, um sie anzusehen. »Sie haben oft schlechte Laune. Ich auch. Und du ebenfalls. Das war eine großartige Nacht. Ich fühle mich sogar besonders ausgeruht.«

»Du bist wahrscheinlich daran gewöhnt«, gibt Liv zurück. »Jedenfalls langweilen sie sich mit ihren Stickeralben und kleben stattdessen mich voll.« Sie zeigt ihm ihre Arme, die die Zwillinge mit winzigen rosa Herzen geschmückt haben. »Also habe ich beschlossen, eine kleine Ausfahrt mit ihnen zu unternehmen. Nur bis nach South Milton. Möchtest du mitkommen?«

Er runzelt die Stirn und denkt darüber nach. »Ich glaube nicht, danke. Ich bleibe hier und faulenze. Ist alles in Ordnung? Du siehst quietschfidel aus. Dir hat das Mitternachtspicknick offenbar gutgetan.«

»Ja, doch, mir geht’s gut«, räumt Liv ein. »Aber ich möchte mit Matt reden. Ich habe eine Voicemail von ihm bekommen, und er klang gut und hat vom Wochenende gesprochen. Doch es ist nicht das Gleiche, wie mich mit ihm zu unterhalten. Es ist schwierig, hier Empfang zu bekommen, ohne auf die Klippe zu klettern, daher dachte ich, nach South Milton zu fahren. Ich könnte uns zum Mittagessen zu Fish and Chips einladen.«

Es stimmt, heute Morgen ist sie glücklich über Matts Nachricht; sie fühlt sich hoffnungsvoll und aufgemuntert. Ihre Beziehung ist schon so lange angespannt, doch seine Voicemail vom vergangenen Abend war so nett, so liebevoll, als hätte er erkannt, dass sie uneins gewesen sind, und wollte das in Ordnung bringen. Sie hat die Nachricht zweimal abgehört.

»Ihr fehlt mir wirklich alle, Liebes, und ich kann es kaum erwarten, am Samstag hinunterzufahren und euch wiederzusehen. Ich komme spät, aber ich kann über Nacht bleiben und am Sonntag nach dem Mittagessen zurückfahren, obwohl ich immer noch hoffe, für nächste Woche eine Aushilfe zu finden, damit ich richtig mit euch zusammen sein kann. Hör mal, ich versuche, morgen früh gegen zehn noch einmal anzurufen.«

Wenn sie losfährt und auf den Klippen einen Torweg findet, in dem sie anhalten kann, wird sie vielleicht ein richtiges Gespräch mit Matt führen können.

»Schön«, meint Baz. »Das wird euch allen Spaß machen. Aber nehmt Jenks mit, wenn es euch nichts ausmacht. Er wird unruhig, wenn ihr zu lange ausbleibt.«

»Okay«, sagt sie. »Bis später dann.«

Sie geht hinaus und ruft nach den Zwillingen, die bei der Aussicht auf eine Ausfahrt schon fröhlicher wirken. Liv sucht die nötigen Erfrischungen und das Spielzeug für den Ausflug zusammen und bugsiert die beiden und Jenks in Richtung Auto.

Sie startet den Wagen und holpert langsam den Pfad hinauf, wobei sie aussteigt, um die Gatter zu öffnen, biegt schließlich auf die Straße ein und fährt in Richtung Westen. Sehr bald findet sie einen offenen Torweg, der auf ein frisch abgeerntetes Feld führt, steigt aus und lässt die Zwillinge und Jenks laufen. Noch während sie mit ihrem Ball davonrennen, klingelt Livs Handy, und sie greift ins Auto und nimmt es vom Beifahrersitz.

»Matt!«, ruft sie, als hätte sie Angst, er könnte schon aufgelegt haben, doch er ist da.

»Hi«, sagt er. »Wie läuft es? Hast du meine Nachricht bekommen?«

»Ja.« Sie drückt das Telefon ans Ohr, damit ihr kein Wort entgeht. »Der Empfang im Haus ist grauenhaft. Ich stehe mit den Zwillingen und Jenks auf einem Feld auf der Klippe.«

Er lacht. »Klingt gut. Hör mal, ich komme auf jeden Fall am Samstag. Ehrlich, Liv, ihr fehlt mir wirklich. Ohne euch ist es einfach nicht dasselbe.«

»Ich bin mir so gemein vorgekommen, dir alles zu überlassen und herzufahren, um mich zu amüsieren«, gesteht Liv.

»Nein«, sagt er. »Nein, so darfst du nicht denken. Es wäre verrückt gewesen, wenn wir alle verzichtet hätten. Joe hat jetzt sein Gipsbein und kommt heute wieder, um den ganzen Papierkram zu übernehmen, und ich glaube, ich habe jemanden gefunden, der nächste Woche aushelfen kann. Ich bin absolut entschlossen, sehr bald bei euch zu sein. Wir brauchen Zeit zusammen …«

Sie beugt sich dicht über das Telefon und hört zu, wie er weiterspricht, bis langsam ein merkwürdiges Unbehagen in ihr aufsteigt. Für Matts Verhältnisse klingt er einen Hauch übertrieben, fast so, als wollte er sie irgendwie beruhigen und davon überzeugen, dass sie nichts zu fürchten hat. In seiner Stimme liegt ein eigenartiger Unterton, den sie zu deuten versucht. Schließlich erkennt sie ihn wieder: Erleichterung.

»Hör mal«, sagt er gerade. »Ich muss los, doch es war großartig, sich richtig zu unterhalten. SMS sind schön, aber nicht das Wahre. Oh, Joe ist gerade gekommen. Bis Samstag, und umarme die Kinder von mir.«

»Ja«, antwortet sie. »Klar, mache ich.«

»Ich liebe dich, Liv.« Er schreit es beinahe heraus, als müsste er sie davon überzeugen.

»Ich liebe dich auch«, sagt sie.

Dann ist es still, und sie nimmt das Telefon vom Ohr und steht nachdenklich da. Sie fragt sich, warum Matt erleichtert klingt – als wäre etwas passiert, das eine Bedrohung für sie war, die er jedoch abwenden konnte. Aber was kann das sein?

Langsam geht Liv in das Feld hinein und sieht zu, wie die Zwillinge den Ball hin- und herkicken, während Jenks immer wieder danach springt und aufgeregt kläfft. Sie steckt die Hände in die Taschen; in der einen hält sie immer noch das Telefon. Ihre Freude von vorhin ist verflogen. Ihr Instinkt warnt sie, dass etwas nicht stimmt, und ihre vertraute Unruhe kehrt zurück.

Sofia nähert sich dem Strandhaus und schaut sich nach den Zwillingen oder Liv um, doch sie hört nichts, kein Geschrei, keine Rufe, kein Hundegebell von Jenks. Ihr wird klar, dass das Auto nicht da ist, und Enttäuschung steigt in ihr auf. Dave hat recht gehabt; sie hätte eine SMS schreiben sollen. Dann sieht sie, dass die Haustür offen steht, geht fast auf Zehenspitzen darauf zu und schöpft neue Hoffnung.

Gerade, als sie rufen will, taucht mit einem Mal Baz auf, und beide stoßen vor Verblüffung und Ungläubigkeit einen Schrei aus. Sofia weiß, dass sie beide exakt das Gleiche empfinden. Dass so etwas passiert, hatten sie sich am meisten gewünscht, und doch war es am unwahrscheinlichsten. Ihr absolutes Vertrauen darauf, dass er genauso fühlt, lässt ihren Optimismus von eben zurückkehren, und sie lacht.

»Tut mir leid«, sagt sie, obwohl das nicht stimmt. »Ich wollte mich gerade bemerkbar machen. Habe ich dich erschreckt?«

Sein Lächeln ist so warmherzig, so liebevoll, dass sie sich am liebsten einfach in seine Arme stürzen würde, doch sie wartet, bis er ihr eine Hand entgegenstreckt. Sofia sieht ihm an, dass er keine Ahnung hat, wie er sie begrüßen soll. Dies ist kein gesellschaftlicher Anlass. Baz ist ihr bisher erst viermal begegnet, und für dieses ungeplante Zusammentreffen existieren keine Regeln. Beim Drachensteigenlassen und später bei der Party waren sie von anderen umgeben, und die Teeparty mit Liv und den Zwillingen hatte ihre eigene Dynamik. Beim Einkaufsbummel in Kingsbridge hat er sie einfach auf einen Kaffee entführt. Doch hier und jetzt ist alles anders.

Wie einfach es wäre, denkt sie, wenn wir uns natürlich benehmen könnten! Spontan tritt sie einen Schritt vor, umfasst Baz’ Arm und küsst ihn direkt neben dem Mund auf die Wange. Es ist eine intime Berührung, und sie spürt, wie der Schock darüber als kleiner Schauer an seinem Arm herunterläuft, der sich unter ihrer Hand anspannt.

»Sofia«, sagt er.

Seine Stimme zittert ganz leicht, was ihr Mut schenkt, und sie lächelt. Ihr Gesicht ist seinem immer noch ganz nahe, und sie sieht ihm in die Augen. Es erstaunt und rührt sie, wie bewegt er ist. Doch er ist auch vorsichtig, um ihre Geste nicht auszunutzen, falls er sie missverstanden hat. Das Herz schwillt ihr vor Zärtlichkeit an, und sie hält weiter seinen Arm.

»Ich habe irgendwo gelesen«, sagt sie leise, die Lippen nur Zentimeter von seinem Ohr entfernt, »dass ein Mann und eine Frau sich am Ende verlieben, wenn sie einander vier Minuten in die Augen sehen.«

Baz lächelt bedächtig und zärtlich. »Oh, liebste Sofia«, sagt er. »So lange? Bei mir hat es ungefähr zehn Sekunden gedauert. Aber ich probiere es, wenn es dir wichtig ist.«

Vor Freude lacht sie laut. Sie ist noch nie so glücklich gewesen. »Ach nein. Ich schlage deine zehn Sekunden locker, doch wir wollen ja keinen Wettbewerb daraus machen.«

Er legt die Hand auf ihre und sieht sie eindringlich an, und nun fühlt sie sich ein wenig befangen. Entschlossen, jetzt nicht den Mut zu verlieren, hält sie seinem Blick stand und sehnt sich danach, dass Baz die Kontrolle übernimmt – was er tut, indem er sie ins Haus zieht und die Tür schließt. Sie hört, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht.

»Was für ein Glück«, sagt er, »dass das Auto weg ist. Jeder Besucher wird denken, dass niemand zu Hause ist, und uns nicht stören.«

Sie fasst seine Hand, und er hebt ihr Kinn, um sie genauso aufmerksam anzusehen. In seinem Blick steht eine Frage, und sie nickt und lächelt ihm zu, und er legt den Arm um sie, als sie zusammen die Treppe hinaufsteigen.

Baz regt sich, runzelt die Stirn und schlägt die Augen auf. Er hatte einen wunderbaren Traum, in dem Sofia zur Strandvilla gekommen ist und ihm ihre Liebe gestanden hat, und dann haben sie in seinem ungemachten Bett miteinander geschlafen. Er wälzt sich auf den Rücken, streckt einen Arm aus und fühlt ihren warmen Körper immer noch neben sich. Ein gewaltiger Schock überläuft ihn. Baz keucht auf, beugt sich über sie und sieht sie an. Lächelnd breitet sie die Arme aus.

»Ich dachte, es wäre ein Traum gewesen«, sagt er, und seine Stimme klingt an ihrer Schulter gedämpft. »Ein wunderschöner Traum. Ich hatte so eine eigenartige Nacht. Das Gewitter, das Mitternachtspicknick, und danach bin ich im Morgengrauen schwimmen gegangen. Und dann bist du gekommen.«

Er möchte Jubelschreie ausstoßen oder vor Dankbarkeit weinen, doch er zieht sie einfach fester an sich. Er kann spüren, wie sie lautlos lacht und in seinen Armen erbebt.

»Mitternachtspicknick?«, fragt sie, und er fühlt ihren warmen Atem in seinem Ohr.

»Die Zwillinge hatten Angst. Sie konnten nicht schlafen, und da haben wir in Livs Bett zusammen mit Jenks ein Mitternachtspicknick veranstaltet. Als die Kinder eingeschlafen sind, war es schon früher Morgen. Also habe ich Jenks hinausgelassen, und es war alles so magisch, dass ich schwimmen gegangen bin.«

»Es war wirklich magisch«, pflichtet sie ihm bei. »Ich habe es von meinem Fenster aus beobachtet, und da habe ich beschlossen, zu dir zu gehen.«

Er hält sie immer noch fest umschlungen und vergräbt das Gesicht an ihrer warmen, weichen Haut, weil er zu große Angst hat, um sie anzusehen, für den Fall, dass es für sie nur ein wenig Spaß bedeutet hat. Er weiß, dass er das einfach nicht ertragen könnte, doch wie in aller Welt kann er mehr von ihr verlangen? Der Altersunterschied … Angst ergreift ihn, und er dankt dem Himmel dafür, dass alles so unerwartet und außerordentlich war, dass er keine Zeit zum Überlegen hatte.

»Wahrscheinlich«, meint sie unter bezauberndem Zögern, »sollten wir uns anziehen für den Fall, dass Liv und die Zwillinge zurückkommen.«

Er vermutet zwar, dass es bis zur Mittagszeit noch lange hin ist und sie alle in South Milton sind, aber er beugt sich der Vernunft. Schließlich könnte Liv es sich anders überlegen und beschließen, früher zurückzukommen …

Der Gedanke hilft ihm, Sofia aus seinen Armen zu lassen und an die Bettkante zu rutschen. Sie kleidet sich an und fährt sich mit den Händen durch die dichte Mähne, und er hantiert ungeschickt mit seinem Shirt und fragt sich, wie in aller Welt es jetzt weitergehen wird. Während er seine Jeans anzieht und mit den Füßen in die Segelschuhe fährt, ist er sich bewusst, dass Sofia im Bad verschwunden ist.

Er eilt nach unten und schließt die Tür auf, und dann fällt ihm ein, dass die Küchentür offen steht, und er beginnt zu lachen. Jeder hätte hereinkommen können. Als Sofia auftaucht, lacht er immer noch, und er erklärt ihr, was so komisch ist. Sie prustet ebenfalls los, und mit einem Mal ist die ganze Verlegenheit verschwunden. Baz fühlt sich wieder stark. Immer noch hat er keine Ahnung, wo das enden soll, doch er spürt, dass er in der Lage ist, die Zukunft anzugehen, einen Schritt nach dem anderen. Er wartet darauf, dass Sofia den ersten tut.

Und sie macht ihn, ohne zu stolpern oder zu zögern. »Wann fährst du zurück nach Bristol, Baz?«

»Nicht allzu bald. Liv bleibt vierzehn Tage hier, dann nimmt sie mich mit nach Truro, und von dort aus fahre ich mit dem Zug wieder nach Bristol. Matt hofft, glaube ich, dass er einen Teil der nächsten Woche mit uns verbringen kann. Wie sieht’s bei dir aus?«

»Ich bin nur diese Woche hier. Ich muss zurück und mir einen Job suchen. Ich würde mir wünschen, etwas in Bristol zu finden. Doch im Moment wohne ich noch bei meinen Eltern in Bath.«

»Wenn du eine Unterkunft benötigst«, sagt er leichthin, »zum Beispiel, wenn du zu einem Bewerbungsgespräch in die Stadt kommst, brauchst du nur zu fragen. Sobald ich zurück bin.«

»Und wenn ich einfach Lust habe, Bristol ohne Vorstellungsgespräch zu besuchen, sobald du zurück bist?«

Sie setzt ihre Schritte immer noch unbeirrt und sicher, obwohl ihre Miene jetzt weniger zuversichtlich wirkt, sondern verletzlich.

»Meine liebste Sofia«, sagt er zärtlich. »Du wirst immer willkommen sein. Das weißt du doch, oder?«

»Ich habe aber das Bedürfnis, es zu hören«, erklärt sie. »Schließlich …« Sie zögert. »Vielleicht hast du ja andere Verpflichtungen.«

Er lächelt. »Vielleicht sollten wir doch dieses Vier-Minuten-Experiment durchführen. Ich hatte gehofft, dich schon überzeugt zu haben … aber gern, wenn du das brauchst.«

Sie lacht, durchquert den Raum und legt die Arme um ihn. »Ich erlasse dir die vier Minuten«, sagt sie und macht den nächsten Schritt. »Doch ich brauche deine Handynummer. Wenn wir uns SMS schreiben könnten, wäre das hilfreich. Es ist ein bisschen kompliziert, wenn man bei anderen Leuten wohnt, obwohl sie reizend sind. Es wird schwierig sein, uns zu … verstellen.«

»Wir könnten es einfach öffentlich machen.«

Er drückt die Wange in ihr wildes kupferrotes Haar und wartet darauf, dass sie zaudert, zurückweicht. Doch sie zögert keine Sekunde.

»Das wäre Liv gegenüber nicht fair, solange wir alle zusammen hier sind. Die Leute werden Zeit brauchen, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Und alle werden sich über den Altersunterschied zwischen uns auslassen. Ich war noch nie verheiratet und habe keine Kinder, und du hast zwei Enkel.«

Angesichts ihrer Direktheit keucht er leise auf, und sie zieht sich zurück, um zu ihm aufzulächeln.

»Ich will nicht, dass deine Freunde versuchen, dich davon abzubringen«, sagt sie. »Jeder hier wird eine Meinung dazu haben. Doch es ist nur eine Sache zwischen dir und mir, Baz.«

Er beugt sich vor, um sie zu küssen. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, murmelt er.

Immer noch sieht sie zu ihm hoch und fordert ihn lachend heraus. »Doch, das weißt du.«

Und so macht er den nächsten Schritt selbst, trittsicher und selbstbewusst. »Ich liebe dich«, erklärt er.