Donnerstag
»Du meinst, du hast es ihm tatsächlich auf den Kopf zugesagt?«, verlangt Dave ungläubig zu wissen. »Du bist direkt damit herausgerückt und hast ihn gefragt? Warum hast du mir das nicht schon gestern Abend erzählt?«
»Weil wir nach dem ganzen Aufräumen müde waren und Sofia oben war«, gibt Janet zurück. »Um Himmels willen. Wie hätte ich das tun können?«
»Und er hat es einfach zugegeben?«
»Ja. Er hat nicht um den heißen Brei herumgeredet, das muss ich ihm zugestehen. Er hat gesagt, er sehe schon, wie unpassend das sei. Das ist das Wort, das er gebraucht hat. ›Unpassend‹.«
»Armer guter Baz«, meint Dave. Es tut ihm leid, dass sein alter Freund in einer so heiklen Lage steckt.
»Warum?«, fragt Janet. »Wieso ›armer guter Baz‹? Ich würde sagen, Baz ist ein Glückspilz.«
»Ja, aber trotzdem. Das muss doch sehr peinlich gewesen sein.«
»Nun, was hättest du an meiner Stelle getan?«, kontert Janet. »Ich komme in die Küche, und da stehen die beiden da, völlig ineinander versunken. Sofia ist so rot wie der Claret, den du getrunken hast, und Baz benimmt sich wie ein Teenager, der keinen Ton herauskriegt. Was hättest du denn gemacht?«
Dave schweigt. Er hätte wahrscheinlich eine einfältige Bemerkung über die Party abgegeben und wäre wieder hinausgeeilt. Ganz bestimmt hätte er seinen alten Freund nicht gefragt, ob Sofia und er ein Paar sind. Respektvoll sieht er seine Frau an, die seinen Blick erwidert.
»Zumindest hat er nicht versucht, ihr die Schuld zuzuschieben«, meint sie. »Das muss ich ihm zugutehalten. Ich habe ihm gesagt, wenn er ihr wehtut, bringe ich ihn um.«
Dave schnaubt vor Lachen. »Was hat er darauf geantwortet?«
Janet wirkt leicht verwirrt. »Er hat gesagt, er habe mich verkannt. ›Du bist keine Maus, sondern eine wahre Tigerin‹, hat er gemeint, was immer das heißen soll.«
»Und wo steckt Sofia jetzt?«
Janet schüttelt den Kopf. »Ist mit dem Auto weggefahren. Angeblich einkaufen, aber wahrscheinlich trifft sie sich mit Baz, und dann fährt sie zur Strandvilla. Livs Bruder kommt heute und Matt am Freitag, dort wird also viel los sein.«
»Wahrscheinlich wünscht sich Baz, er könnte nach Bristol zurückfahren, sobald Sofia am Wochenende abgereist ist«, meint Dave. »Ich frage mich, wie das alles weitergehen wird.«
Er möchte, dass Janet ihn beruhigt, ihm versichert, dass sein alter Freund und Sofia zusammen irgendeine Art Glück finden.
»Tja, ich kann nur sagen, dass Sofia wie eine sehr glückliche und äußerst erfüllte Frau wirkt«, bemerkt Janet nachdenklich. »Und das alles an einem Vormittag. Der gute Baz beeindruckt mich.«
Dave beginnt zu lachen. Er umarmt Janet und drückt sie fest an sich. »Wie praktisch du immer denkst!«
»Aber trotzdem«, sagt sie mit gedämpfter Stimme. »Was hat er mit ›keine Maus, sondern eine Tigerin‹ gemeint?«
»So ist es schön«, bemerkt Sofia, die mit Baz im Garten des Harbour House sitzt. »Ich hoffe nur, Annabel kommt nicht wieder herein.«
»Viel zu früh für sie«, versichert ihr Baz. »Hattest du ein Problem wegzukommen?«
Sofia verneint. »Dave und Janet sind ganz glücklich damit, einfach dazusitzen und sich von gestern Abend zu erholen. Ist es nicht wundervoll, dass sie nichts bemerkt haben?«
Sie sieht einen seltsamen Ausdruck über Baz’ Gesicht huschen und schaut ihn eindringlicher an. »Was ist?«
»Nichts«, antwortet er. »Gar nichts. Aber ich werde froh sein, wenn ich wieder in Bristol bin, genau wie du. Hier sind wir im Moment ein wenig zu eingeengt.« Er greift nach ihrer Hand und hält sie fest. »Ich hoffe, für uns wird alles gut, mein Liebling.«
Begütigend drückt sie seine Hand. »Das wird es. Das weiß ich einfach. Wenn wir es langsam angehen, findet sich alles. Da bin ich mir ganz sicher.« Sofia ist überrascht, wie ruhig sie sich fühlt, wie stark und sicher. So mit ihm zusammen zu sein, das Recht zu haben, ihrer Liebe Ausdruck zu verleihen, und zu erleben, wie sie so bereitwillig und offen erwidert wird, ist außerordentlich und wunderbar. Sie nimmt ihre Hand weg und greift nach ihrer Kaffeetasse. Sie wünschte, sie müsste Andy nicht treffen und bräuchte sich vor Liv nicht zu verstellen, doch sie sieht keinen Weg daran vorbei. Die Aussicht, Baz’ Schwiegertochter und ihrem Zwillingsbruder alles zu erklären – ganz zu schweigen von seinem Sohn –, wirkt im Moment noch so einschüchternd, dass sie nicht darüber nachdenken möchte.
»Dann kommst du zum Mittagessen?«, fragt Baz gerade. »Ich habe Liv gesagt, du wärest noch nicht ganz sicher.«
»Nein«, erklärt Sofia unvermittelt. »Nicht zum Mittagessen. Ich komme auf eine Tasse Tee vorbei. Würde das reichen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Mittagessen mit dir und Liv durchstehen kann. Den gestrigen Abend habe ich geschafft, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hat, aber ich weiß nicht, ob ich das beim Mittagessen fertigbringe. Ich weiß, das ist feige, doch Tee ist einfacher.«
»Die Zwillinge werden alle ablenken«, sagt Baz tröstend, »und du wirst Andy mögen. Aber nicht allzu sehr«, setzt er warnend hinzu, und sie lachen beide. »Und wie war es«, fragt er beiläufig, »heute Morgen im Baumstumpfladen?«
Sofia wirkt nachdenklich. »Nett. Janet war sogar sehr süß. Hat mich umarmt und mir gesagt, ich solle glücklich werden. Keine Ahnung, warum. Die beiden sind so was von lieb.« Sie schmunzelt. »Mr. und Mrs. Apple.«
»Mmm«, meint Baz, und sie sieht ihn fragend an, doch er lächelt ihr nur zu.
»Lieber Baz«, sagt sie, beugt sich vor und küsst ihn schnell, berührt seine Lippen kurz mit ihrem Mund. »Ich bin sehr glücklich. Obwohl ich mich, um ehrlich zu sein, vor Annabels Lunchparty morgen fürchte. Mir war gar nicht klar, wie schwierig das ist. In deiner Nähe zu sein und doch nicht bei dir, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Es tut mir so leid, dass es so sein muss«, gibt er betrübt zurück.
Sofia bereut ihre Worte. Es ist, als hätte sie herausgestellt, dass sie sich verstecken müssen, weil er sonst vielleicht Probleme mit seiner Familie und seinen Freunden bekommt. »Nicht nötig«, versetzt sie rasch. »Eigentlich macht es auf gewisse Art sogar Spaß. Und es ist ja nur für kurze Zeit, bis wir einander ganz für uns richtig kennengelernt haben, ohne andere Leute, die uns Ratschläge erteilen und versuchen, uns alles zu verderben.«
»Ist schon in Ordnung.« Baz nimmt wieder ihre Hand. »Wahrscheinlich stehe ich noch unter Schock. Ich kann mein Glück kaum fassen.«
»Glaub ruhig daran.« Sie drückt seine Hand fest und lässt sie dann los. »Und jetzt verschwinde ich lieber, bevor Annabel noch einmal auftaucht. Bis später.«
Annabel schreibt Listen. Nur Listen können sicherstellen, dass eine Party zu einem Erfolg wird. Während sie kritzelt, prüft und in den Kühlschrank späht, ist sie sich bewusst, dass Miles sich hinter ihr herumdrückt. Irritiert durch seine Anwesenheit dreht sie sich um und sieht ihn an.
»Was ist?«, fragt sie. »Meggie kommt gleich. Wolltest du nicht nach Kingsbridge fahren und noch Wein besorgen?«
»Vielleicht«, antwortet er, »obwohl ich nachgesehen habe und nicht glaube, dass das nötig ist. Ich wollte dir nur etwas sagen.«
»Was denn jetzt schon wieder?«
Sie verbirgt ihre Ungeduld nicht, und er seufzt.
»Wahrscheinlich ist es nicht der beste Zeitpunkt, doch es dauert nicht lange, und ich wollte es dir mitteilen. Ich habe beschlossen, dass wir eine Wohnung in Bristol kaufen.«
Sie starrt ihn an. Ärger über das »Ich habe beschlossen«, Verblüffung und aufkeimendes Interesse wetteifern in ihrem Inneren. Es ist einfach nicht der richtige Moment für diese Diskussion, aber … eine Wohnung in Bristol … Sie denkt darüber nach. Das hätte alle möglichen Vorteile, und der größte wäre, Baz öfter zu sehen. Für sie ist sonnenklar, dass Baz bei seinem jetzigen Besuch etwas Neues ausstrahlt, etwas Aufregendes. Sie kann es nicht ganz definieren, obwohl sie tief im Inneren weiß, dass er viel stärker auf sie reagiert als sonst. Die Vorstellung einer Wohnung spricht ihre Fantasie an, sie sieht Möglichkeiten und spürt eine wachsende Aufregung. Miles beobachtet sie. Sie bringt ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle und nickt ihm zu. »Das könnte eine gute Idee sein«, sagt sie zu ihm. »Es müsste natürlich in Old Clifton sein.«
»Natürlich«, gibt er zurück. Seine Stimme hat einen ironischen Unterton, und sie wirft ihm rasch einen Blick zu. Doch er sieht genauso aus wie immer, und sie lächelt.
»Gut«, meint sie. »Dann müssen wir uns ein paar Angebote von Maklern einholen.«
»Oh, das habe ich schon erledigt«, erklärt er, und wieder klingt seine Stimme eigenartig.
Aber jetzt hat sie keine Zeit, darüber nachzudenken, sie hat zu viel zu tun. »Na schön«, sagt sie herablassend. »Ich muss weiterkommen. Aber wir erzählen öffentlich noch nichts davon.«
Miles zögert. »Ach, übrigens. Livs Bruder kommt heute. Sollten wir ihn nicht auch einladen, wenn er morgen noch da ist?«
»Das würde die Sitzordnung vollkommen durcheinanderbringen«, erwidert sie gereizt. Begreift er denn nicht, dass es auch ohne einen unbekannten Bruder schon schlimm genug ist, Liv und das Patenkind einladen zu müssen? »Kommt überhaupt nicht infrage. Oh, das ist Meggie. Lässt du sie herein, ja? Sie soll im Salon anfangen.«
Sie kehrt zu ihrer Liste zurück, doch die Aussicht auf eine Wohnung in Bristol schlägt in ihrem Hinterkopf feste Wurzeln, und sie spürt eine ganz neue Aufregung in sich aufsteigen.
Meggie lächelt Miles zu, stellt ihre Tasche auf dem Stuhl in der Diele ab und tritt an den großen Schrank unter der Treppe, um Lappen und Möbelpolitur zusammenzusuchen.
»Ich hole den Staubsauger«, erklärt Miles hilfsbereit, und Meggie dankt ihm mit einem Nicken für seine Freundlichkeit. Sie mag den großen Bodenstaubsauger nicht. Es ärgert sie, ihn hinter sich herziehen zu müssen. Er scheint sie höhnisch anzugrinsen, wenn er sich an Türrahmen, an den Ecken von Betten oder hinter Stühlen verhakt. Sie mag richtige Staubsauger, die sie vor sich herschieben kann.
»Sagen Sie Bescheid, wenn Sie so weit sind. Dann trage ich das Ungetüm für Sie nach oben«, bietet Miles an.
»Danke«, gibt sie zurück, »aber ich glaube, heute konzentrieren wir uns auf das Erdgeschoss. Das Esszimmer und das Silber müssen für morgen bereit sein. Hier drinnen mache ich nur eine kurze Runde.« Nur, weil Miles so freundlich ist, arbeitet sie überhaupt noch für Annabel Carver.
»Wir können doch den Captain nicht im Stich lassen«, sagt Phil, wenn Meggie sich über Annabels Unhöflichkeit beklagt. »Der arme Kerl braucht alle Unterstützung, die er bekommen kann. Er kann nur ein gewisses Maß an Zeit auf dem Golfplatz verbringen. Du musst nett zu ihm sein.«
Meggie beginnt, Staub zu wischen, doch ein Stapel Papiere auf dem kleinen antiken Sekretär weckt ihre Aufmerksamkeit: Maklerangebote. Sie beugt sich darüber, um sie anzuschauen, und sieht das Fotos eines hübschen alten Hauses in Bristol. Geräumige Dreizimmerwohnung im beliebten Stadtteil Old Clifton, liest sie, und dann hört sie Annabel rufen und immer näher kommen, daher wendet Meggie sich rasch ab. Sie fragt sich, ob die Carvers nach Bristol ziehen wollen, und was Baz wohl davon halten wird, wenn sie Nachbarn werden.
Als sie die Fotos auf dem marmornen Kaminsims abstaubt, betrachtet Meggie voller Zuneigung Lily, die auf ihrem Pony sitzt. Was für ein entzückendes Kind sie war, als sie klein war, und wie sie diesen Buttons geliebt hat! Ein Jammer, dass sie so weit weggezogen ist! Aber Meggie hat eine ziemlich gute Vorstellung davon, warum – abgesehen von dem außerordentlich guten Jobangebot in Neuseeland. Ein paar Jahre vor seinem Unfall war Phil nach dem Fußball mit seinen Freunden in einem Pub unten in Plymouth gewesen und hatte Lily mit einer Freundin gesehen – offensichtlich waren die beiden ein Paar. Sie hatte ihn nicht bemerkt, und er hatte sich hinausgeschlichen, bevor sie ihn entdeckte.
»Komisch, dass die Kleine nie Freunde hat, dabei ist sie so hübsch«, hatte Meggie nicht lange darauf gemeint.
»Ich glaube, sie interessiert sich nicht für Jungs«, hatte Phil daraufhin erklärt und ihr erzählt, wie er die beiden zusammen gesehen hatte. Als sie erstaunt dreinschaute, hatte er gutmütig mit den Schultern gezuckt. »Gibt halt solche und solche.«
Meggie stellt das Foto von Lily und Buttons wieder an seinen Platz und stößt einen kleinen Seufzer aus. Heutzutage spricht Annabel nie von ihrer Tochter, obwohl sich Meggie manchmal nach ihr erkundigt, einfach um Annabels verärgerte Miene zu sehen. Miles ist da anders. Er redet immer noch gern von Lily, erzählt, was sie tut, wo sie lebt.
Er tritt jetzt hinter Meggie ein, kommt herüber, nimmt die Maklerangebote und steckt sie in die Schublade.
»Und, wie geht’s Lily?«, fragt Meggie ihn. »Ist sie glücklich?«
Miles lächelt ihr zu. »Ich glaube schon.« Er zögert und spricht ein wenig leiser. »Ich hoffe, sie recht bald zu sehen.«
Bevor sie etwas darauf sagen kann, ist wieder Annabel zu hören, die nach jemandem ruft, und er zuckt mit den Schultern, lächelt und geht hinaus. Meggie steckt den Staubsauger ein, schaltet ihn ein, damit sie Annabel nicht hört, und versetzt ihm einen kleinen Tritt.
»Und wage bloß nicht, unter dem Sofa stecken zu bleiben«, warnt sie ihn und beginnt zu saugen.
Langsam fährt Andy den Weg hinunter, parkt und klettert aus dem Auto. Von Livs Wagen ist nichts zu sehen, doch noch während er sich umsieht, tritt Baz aus der Strandvilla und winkt ihm zu.
»Ich habe mich unbeliebt gemacht«, ruft er. »Ich bin früh losgefahren, doch ich habe nicht das Richtige eingekauft. Liv und die Zwillinge sind schnell noch einmal nach Kingsbridge gefahren. Sie war sich nicht ganz sicher, um welche Uhrzeit du ankommst.«
»Ich bin früh los«, erklärt Andy. »Hatte beschlossen, in Gang zu kommen, bevor die Touristen alles verstopfen.« Er stößt einen lautlosen Seufzer der Erleichterung aus. Er hatte sich gefragt, wie er es schaffen soll, allein mit Baz zu reden, und jetzt hat die Gelegenheit sich problemlos eröffnet.
»Kaffee?«, fragt Baz gerade. »Ich nehme an, du bleibst über Nacht?«
»Vielleicht«, sagt Andy und folgt ihm ins Haus. »Momentan ist noch nichts festgelegt. Ich muss mir dir sprechen, Baz.« Sinnlos, um den heißen Brei herumzureden. Liv kann jeden Moment zurückkehren, daher kommt es auf jede Minute an.
Baz dreht sich um und schaut ihn verwirrt an. »Wieso, was ist los?« Er lächelt. »Du bist sichtlich gut in Form. Wie läuft denn alles?«
»Tja, eigentlich ein bisschen merkwürdig. Ich bin gestern bei Matt vorbeigefahren.« Er zögert und spricht dann weiter. »Diese Bilder, Baz, die er im Bistro hängen hat … Wie gut kennst du Maurice Leclos?«
Baz’ Lächeln verblasst, er wird sehr still und schaut argwöhnisch drein. »Warum fragst du?«
»Weil sich eine dritte Person bei uns im Bistro befand, die sich sehr für diese Gemälde zu interessieren schien. Das Thema hat sie fasziniert. Die Markthändler und diese zwei Jungen, die die Standbesitzer bestehlen. Sie hat nach Maurice Desmoulins gefragt, und als ich erklärt habe, dieser Name stehe im Zusammenhang mit der Französischen Revolution und dem Terror, sagte ihr das offensichtlich etwas. Sie schien zwei und zwei zusammenzuzählen und zu einem erschreckenden Ergebnis zu kommen. Als sie jünger war, erzählte sie, hat sie bei einer Investmentbank gearbeitet, wo jemand namens Maurice ›Terror‹ Leclos eine sehr wichtige Rolle spielte.«
»Wer ist sie?« Baz’ Stimme klingt gelassen, doch seine Miene ist finster.
»Sie heißt Catriona. Wir kennen sie von Kindheit an, und sie ist eine verschlagene, gerissene und gefährliche Frau. Sie hat keine glückliche Vorgeschichte mit unserer Familie. Als ich jünger war, dachte ich, wir wären ihr gegenüber alle ein wenig unfair, und Catriona und ich waren für sehr kurze Zeit ein Paar, doch ich habe mich dann der Ansicht der anderen angeschlossen: Sie ist darauf aus, Unruhe zu stiften. Sie hat es bei Matt versucht und ist abgeblitzt, und dann hat sie die Bilder entdeckt.«
»Und du dachtest, ich sollte davon wissen?«
Andy zuckt mit den Schultern. »Sie wirkte sehr erstaunt zu hören, dass du früher als Investmentmanager in London gearbeitet hast, ungefähr zur gleichen Zeit wie Maurice Leclos. Sie fand, dass der Junge auf dem Bild Matt ähnlich sieht, aber dieser Meinung war ich nicht. Ich habe mich gefragt, ob Maurice Leclos vielleicht ebenso klein und dunkel ist wie du groß und blond und ob er sich mit diesen beiden Jungen einen kleinen Spaß gemacht hat.«
Baz starrt ihn an. »Wie äußerst scharfsinnig von dir.«
Einen Moment lang sieht Andy einen ganz anderen Baz vor sich: cool, mit blitzschnellen Reflexen, hartgesotten.
»Ich hatte überlegt, wie man Cat vielleicht von weiteren Nachforschungen abbringen kann«, sagt Andy bescheiden.
»Und?«
»Und ich weiß, dass sie wirklich gern in einer Investmentbank in New York arbeiten möchte. Bisher ist ihr die Chance verwehrt geblieben – nicht, weil sie nicht gut wäre, sondern weil sie sich Feinde macht. Ich habe es überprüft. Maurice Leclos sitzt im Vorstand einer ganzen Menge Banken. Eine davon befindet sich in New York.«
»Ich hätte Matt nie erlauben dürfen, diese Bilder aufzuhängen«, sagt Baz. »Aber wer hätte gedacht …?«
»›Von allen Bars auf der Welt‹ …«, zitiert Andy leise und nicht ganz korrekt aus Casablanca.
Baz sieht ihn scharf an. »Erstaunlich, dass du dir das so schnell zusammengereimt hast.«
Andy erwidert seinen Blick, bleibt ruhig und gibt nicht zu, dass er in Baz’ SMS geschnüffelt hat.
»Zuerst hatte Cat keine Ahnung, ihr haben nur die Bilder gefallen; und als ihr klar wurde, dass etwas daran wirklich eigenartig war, hatte ich schon selbst ein paar Schlüsse gezogen. Außerdem bin ich so etwas aus meiner Vergangenheit mit Cat gewohnt.«
Baz schweigt, als ginge er mit sich zurate, und scheint dann zu einer Entscheidung zu gelangen.
»Du hast ein Recht darauf, den Grund dafür zu erfahren«, erklärt er schließlich. »Die offizielle Version ist, dass Matts Mutter bei der Geburt eines Bruders gestorben ist. Das ist nicht wahr. Sie hat das Kind bekommen, aber der Kleine gedieh nicht, und wir haben herausgefunden, dass er Krebs hatte und nicht mehr lange leben würde. Das hat ihr das Herz gebrochen. Und mir auch. Ich versuchte, ihr beizustehen, doch ich konnte ihr nicht helfen, sie nicht erreichen. Eine schreckliche Zeit war das. Matt haben wir zu meiner Mutter nach Bristol geschickt, und Lucy und ich haben versucht, damit umzugehen. Die Ärzte haben ihr Valium gegen die Depressionen verschrieben. Das war damals üblich, bevor man über die Langzeitfolgen Bescheid wusste. Aber ihre Depressionen verschlimmerten sich. Dann hat sie eines Tages das Baby erstickt und eine Überdosis genommen. Ich kam nach Hause und habe die beiden gefunden.«
Andy ist so entsetzt, dass er kein Wort herausbringt. Er streckt einfach beide Hände nach Baz aus, der nickt, als nähme er die mitfühlende Geste an.
»Ich war noch lange vollkommen durcheinander. Dann kam Maurice mit diesem verrückten Vorschlag zu mir. Es war beinahe so etwas wie eine Mutprobe. Ein dummer Streich. Er hat mir die Informationen geliefert, ich habe die Aktien gekauft, als die Kurse fielen, und dann verkauft, als die Preise wieder stiegen. Doch inzwischen hatte meine Mutter vorgeschlagen, Matt und ich könnten zu ihr nach Bristol ziehen, und ich solle die Galerie übernehmen. Damit Maurice seinen Anteil bekam, haben wir uns darauf geeinigt, dass ich ihm Gemälde abkaufen würde, wenn er Geld brauchte. Meinen Anteil habe ich an die Krebsforschung gespendet.«
Er verstummt, und Andy weiß nicht, was er sagen soll.
»Ich habe es als eine Art Rache gesehen, verstehst du?«, fährt Baz schließlich fort. »Am Leben. Am Schicksal. Keine Ahnung, woran. Damals habe ich es nicht als kriminelle Handlung betrachtet. Die beiden so vorzufinden, das Baby in ihren Armen und mit ihrem Erbrochenen bedeckt … Wie gesagt, ich war vollkommen durcheinander. Aber das ist keine Entschuldigung, nicht wahr?«
»Nein«, erwidert Andy behutsam. »Wahrscheinlich nicht. Nicht wirklich.«
»Von Zeit zu Zeit führt Maurice mich in Versuchung, beinahe scherzhaft. Ich kenne ihn schon, seit wir zusammen zur Schule gegangen sind. Er ist ein wenig älter als ich und hatte immer Stil. So eine Art Glamour. Er war klein, und ich war groß, und die anderen Jungs pflegten uns ›lange Rede, kurzer Sinn‹ zu nennen. Doch Maurice hatte stets die Oberhand. Er erinnert mich immer noch gern daran, sodass ich die Sache nie wirklich hinter mir gelassen habe. Und jetzt könnte diese Frau uns nach all dieser Zeit auffliegen lassen.«
»Wenn Maurice in der Bankenwelt so bekannt ist, könnte sie, wenn schon nichts anderes, über die sozialen Medien einen sehr unangenehmen Skandal auslösen«, räumt Andy ein. »Aber wenn sie … abgelenkt würde, wer weiß?« Er zuckt mit den Schultern.
Baz setzt sich an den Küchentisch und stützt den Kopf in die Hände. »Vor so etwas kann man einfach nicht fliehen«, sagt er. »Ein dummer Fehler. Eine verheerende Fehleinschätzung.«
»Also, vielleicht solltest du Maurice vor dieser Gefahr warnen und sehen, ob man sie abwenden kann. Ich glaube, es würde mich ernsthaft unglücklich machen, wenn Cat dich vor Gericht zerren würde.«
Baz blickt zu ihm auf. »Du meinst, man könnte sie … bestechen?« Bei der Vorstellung verzieht er vor Selbstverachtung den Mund.
»Wir alle tun Dinge, die wir später bedauern. Größere und kleinere. Cat möchte wirklich gern in New York arbeiten. Wenn man ihr einen Job in Maurices Bank anbieten würde, wäre es weniger wahrscheinlich, dass sie plaudert. Einen Versuch ist es wert. Um unser aller willen.«
»Wird sie das nicht erraten? Würde ihr das nicht noch mehr Munition liefern?«
»Vielleicht kann Maurice das ja schlau anstellen. Es muss einen Versuch wert sein.«
Baz zögert. »Ich rede mit ihm.«
»Mach es jetzt«, sagt Andy. »Vergeude keine Zeit. Hier.« Er schnappt sich ein Notizbuch, das auf dem Küchentisch liegt, kritzelt etwas hinein und reicht es Baz. »Das sind ihr Name und die Adresse ihres Arbeitsplatzes. Versuch es einfach.«
Baz steht auf. »Ja, ich verstehe, dass ich mich damit beeilen sollte. Ich muss aber auf den Klippenpfad steigen, um Empfang zu haben.«
Er nimmt das Papier und sein Handy und geht hinaus. Andy setzt sich an den Tisch. Baz’ Enthüllung hat ihn bestürzt; er hatte zwar die Wahrheit über den Insiderhandel schon vermutet, doch der Gedanke daran schockiert ihn immer noch.
Armer Teufel, denkt er. So viele Jahre hat Baz das alles mit sich herumgetragen, und dabei ist er so ein guter, freundlicher und großzügiger Mann. Aber wer weiß, was jeder von uns unter solchen Umständen tun würde? Wie furchtbar, Frau und Kind auf diese Art zu verlieren!
Er hört das Motorengeräusch eines Autos und steht auf, um aus dem Fenster zu sehen. Liv steigt gerade aus dem Wagen und lässt die Zwillinge heraus, die beim Anblick von Andys Auto vor Aufregung schreien. Er nimmt sich zusammen und geht hinaus, um sie zu begrüßen.