Kapitel 4

Nachdem der ungehobelte Kerl Katharina stehen gelassen hatte, musste sie bis zum Bahnhof laufen und anschließend mit dem Bus zurück ins Kloster fahren. So ein Vollidiot. Wenn sie ihre Augen schloss, sah sie seinen nackten Oberkörper. Der blaue Latz schien in ihrer Erinnerung immer weniger zu verbergen.

Als Katharina schließlich im Kloster ankam, wurde sie von der Pförtnerin aufgehalten. »Schwester Katharina, die Mutter Oberin will dich im Büro sehen. Sofort.«

Sie ahnte bereits, was die Äbtissin von ihr wollte. Ihr Herz wurde tonnenschwer, hart schluckend nickte sie und machte sich auf den Weg in das Büro. Der Nachmittag schien wie eine klobige Last auf ihren Schultern zu ruhen und immer wieder sah sie den Mann aus der Werkstatt vor sich. Ihre Hand fühlte sich taub an, als sie an der Bürotür klopfte.

»Herein.«

Knarrend schob sie die Tür auf und konnte ihren aufgeregten Herzschlag kaum ignorieren. »Guten Abend, Mutter Oberin. Sie wollten mich sehen.« Unsicher blieb Katharina vor dem Schreibtisch stehen und versuchte nicht zu zappeln.

»Katharina. Schön, dass du zu uns zurückgefunden hast.« Die Äbtissin ging mit zusammengepressten Lippen um den Tisch herum und in ihren Augen funkelte es zornig. »Hattest du einen angenehmen Nachmittag?«

Katharina spürte den unsichtbaren Stachel der Worte, mit dem die Mutter Oberin sie treffen wollte. Ruhig bleiben. »Um ehrlich zu sein, gibt es Schöneres, als im Sommer mehrere Stunden im Bus zu sitzen.«

»Ach. Und weshalb, wenn ich fragen darf, bist du auf den Bus angewiesen gewesen? Johann hatte einen Mietwagen bestellt.«

Wieder blitzte das wütende Gesicht des Mechanikers in ihren Gedanken auf. »Da gab es ein Missverständnis«, murmelte Katharina. Sie hoffte, dass die Mutter Oberin nicht weiter nachfragen würde.

»Ein Missverständnis. Dank dieses Missverständnisses haben Deine Mitschwestern die Gartenarbeit heute alleine erledigen können. Nun gut, wir wussten ja beide von vorn herein, dass du für diese Aufgabe nicht geeignet bist.«

Das saß. Katharina schossen Tränen in die Augen. Wegen diesem fürchterlichen Kerl hatte sie der Mutter Oberin erneut einen Grund für die ablehnende Haltung ihr gegenüber geliefert. Sie hatte das in sie gesetzte Vertrauen enttäuscht. Am liebsten hätte sie losgeschrien.

»Ich denke einige Tage fasten werden dir gut tun und hoffe, dass dadurch dein mangelnder Sinn für die Gemeinschaft geschärft wird. Guten Abend.«

Katharina verstand den Rauswurf. Es gab nichts mehr zu diskutieren. Mit gesenktem Kopf ging sie in ihre Kammer. Der Tag hatte so schön begonnen und endete in einem Desaster. Wütend warf sie die Tür ins Schloss und warf sich vor Ärger zitternd auf ihr Bett. Nun konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten.

 

Einige Tage waren zwischenzeitlich vergangen. Doch der ungehobelte Kerl ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Egal was sie tat. Immer wieder sah sie die breite Brust vor sich, die sie nur zu gerne berührt hätte. Die grünen Augen, die sie an eine frisch gemähte Wiese erinnerten. Nein! Schluss damit. Wütend starrte Katharina auf die Arbeitsplatte.

Vor ihr lag ein Berg von Kartoffeln, Karotten und anderem Gemüse, welches darauf wartete, geschält und zerkleinert zu werden. Langsam musste sie anfangen, wenn die Suppe pünktlich in der Obdachlosenmission serviert werden sollte. Ihr Magen knurrte. Sie atmete tief durch, bevor sie nach der ersten dicken Kartoffel griff. Während sie die Knolle schälte, stellte sich vor es wäre das Gesicht des idiotischen Kerls. Idiot! Weshalb lässt er mir nur keine Ruhe mehr? Sie dachte an die Träume der vergangenen zwei Nächte. Oh Gott! Weshalb verfolgt er mich überall hin? Allein der Gedanke an ihn ließ sie vor Scham erröten.

Das Gefühl in ihrem Herzen hatte sich verändert. Die Zweifel, die sie vor einigen Tagen leicht zurückdrängen konnte, kamen nun stärker und drängender zurück. Es zog sie hinaus in die Welt. Und auch wenn sie es nicht zugeben wollte, wünschte sie sich nichts sehnlicher als zu spüren, wie das Leben in dem Körper des Mannes pulsierte. Sie wollte seine sinnlichen Lippen kosten und wissen, wie es sich anfühlt, von ihm umarmt, geliebt zu werden.

Der Teufel persönlich hat ihn zu mir geschickt. Oder war es Gott, der meine Überzeugungen prüfen wollte? Würde Gott mich mit einer solchen Versuchung quälen?

»Katharina, was machst du da?«, Eugenie legte eine Hand auf ihre. »Die Kartoffel hat dir nichts getan.«

Die Stimme riss Katharina aus ihren Gedanken. Sie zuckte zusammen und schnitt sich in den Finger. Sofort blutete sie. Katharina starrte auf die Wunde, wusste, dass sie einen realen Schmerz fühlen sollte, doch da war nichts. Nur Wut und dieser namenlose Typ in ihrem Kopf und in ihrem Herzen.

»Warte«, Eugenie drückte ihr ein Geschirrtuch auf den blutenden Finger. »Was um Himmelswillen ist nur mit dir los?«

Katharina schüttelte heftig ihren Kopf und kämpfte gegen die Tränen, die ihr nun in die Augen schossen. Eugenie sah sie mütterlich an. »Seit du von deinem Ausflug in die Werkstatt zurück bist, bist du so schweigsam, unkonzentriert und wütend.«

Erschrocken sah Katharina hoch. War es so offensichtlich? Sie sah in die weisen braunen Augen und wusste, dass Eugenie so lange keine Ruhe gab, bis sie wusste, was mit ihr los war. Sie schluckte gegen den imaginären Kloß in ihrem Hals an, während sie darüber nachdachte, wie sie beginnen sollte. »Der ... Mechaniker ... war sehr ... unfreundlich.«

Eugenie zog eine Augenbraue hoch und wurde sofort hellhörig. »Der unfreundliche Mechaniker. War John nicht da?«

Katharina sah sie ratlos an, hob und senke die Schultern. Sie hatte vorher weder diesen John noch den Mechaniker gesehen. Eugenie kicherte. »Du Arme, du hast also Riley Jamerson getroffen. Ein zweifelhaftes Vergnügen.«

»Ich weiß es nicht«, Katharinas Worte klangen trotziger als sie sollten. »Er hat sich mir nicht vorgestellt und geflucht, dass einem die Ohren abfallen wollten.«

Nun brach Eugenie in schallendes Gelächter aus. Das Lachen war ansteckend und half Katharina für einen Moment ihre Wut und das verwirrende Gefühl zu vergessen.

»Das kann ich mir gut vorstellen« Eugenie machte eine Pause und betrachtete die Novizin. Der tiefgründige Blick der Freundin ließ Katharina augenblicklich wieder ernst werden. »Riley arbeitet an seinem Bad-Guy-Image genauso hart wie an den Autos. Ich kenne ihn, seit er als Teenager hier hergezogen ist.«

Damit hatte Eugenie ihre volle Aufmerksamkeit. Kaum vorstellbar, dass dieser Rüpel mal ein Teenager gewesen war.

»Er hat schon immer diesen rauen Charme und weiß genau, wie er ihn für seine Zwecke einsetzen kann. Wo Riley Jamerson auftaucht, ist der Ärger meistens nicht weit entfernt.« Eugenie schüttelte fassungslos den Kopf. An was auch immer sie dachte, es musste etwas Schlimmes gewesen sein. »Katharina«, ihr Blick wurde eindringlich. »Er reißt jeden mit sich in den Abgrund. Es gibt Menschen, denen wir nicht helfen können. Niemand könnte das. Nicht einmal Gott. Ich bitte dich, halte dich von Riley Jamerson fern.«

Eugenies Bitte raubte Katharina fast den Atem, und obwohl die Bestürzung über die Worte sie fast zu zerreißen schien, nickte sie.