Katharina war schwindlig von der schwülheißen Sommerhitze. Als würde die Luft vor der drückenden Kraft der Sonne erstarren, so wie ihr Innerstes vor der erdrückenden Leere in ihrem Herzen. Die Arbeit im weitläufigen Gemüsegarten des Klosters hinterließ ihre Spuren. Ihr Rücken schmerzte und an den Händen bildeten sich schmerzhafte Blasen.
Sie nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, während sie sich erschöpft auf der kleinen Bank unter der alten, schattenspendenden Tanne, niederließ. Oft haben Eugenie und ich hier zusammen gesessen. Leise seufzte sie. Eugenie fehlte ihr sehr und das nach so kurzer Zeit. Es schmerzte sehr, dass ihre Freundin so wütend war. Sind wir noch Freundinnen? Sie hoffte es. Sie hoffte es von ganzem Herzen.
Sie saß noch nicht lange, da kam eine Mitschwester schimpfend an ihr vorbei »Nicht trödeln! Wir wollen heute noch fertigen werden.« Schuldbewusst sprang sie sofort wieder auf ihre Beine. Niemals zuvor fühlte sie sich so fehl am Platz, wie heute. Das Gefühl verstärkte sich noch durch das, was sie für Riley empfand. Alles in ihr wollte zu ihm und mit jedem Herzschlag wurde die Sehnsucht nach ihm unerträglicher. Sie wusste, sie musste sich entscheiden.
Wie will ich mein Leben weiterführen? Hier im Kloster, dann muss ich Riley vergessen. Dieser Gedanke trieb einen stechenden Schmerz durch ihr Herz und raubte ihr die Atemluft. Will ich das? Wenn ich mich für ihn entscheide, verliere ich Eugenie. Was soll ich tun? Verzweifelt stand sie da und rieb sich die schmerzhaft pochenden Schläfen. Verloren in ihrer Ratlosigkeit sammelte sie all ihre Kraft zusammen und machte sich wieder an die Arbeit.
Als sie gerade dabei war, eine Kiste geernteter Kartoffeln in die Gärtnerei zu tragen, hörte sie die Stimme der Mutter Oberin hinter sich. »Schwester Katharina.«
Sie drehte sich um, die Äbtissin machte einen gequälten und ernsten Eindruck. Ihr Anblick war alarmierend, sofort bekam sie eine Gänsehaut. »Ja. ... Was ist los? Ist etwas passiert?« Die Worte platzten regelrecht aus ihr heraus.
Die Äbtissin hob beruhigend die Hände und sah sie mütterlich an. »Stell die Kiste ab und komm mit.«
Katharina nickte, stellte die Holzkiste zu den anderen und wusch sich die Hände am Brunnen. Die Konventvorsteherin wartete geduldig auf sie. Schließlich gingen sie zusammen durch den Klostergarten.
»Katharina, wie fühlst du dich?« Diese direkte Frage überraschte sie, verwirrt sah sie die Mutter Oberin an. Deren Blick intensiv und musternd auf ihr ruhte. »Und ich will eine ehrliche Antwort.«
Zunächst schüttelte Katharina hilflos den Kopf. Was sollte sie antworten? Ihr Herz begann heftiger zu schlagen, es wollte die Last, die es niederdrückte, endlich los werden. »Ich ... ähm ...«, stammelte sie.
»Katharina du kannst ganz offen sein. Bitte, sag mir, wie du dich fühlst. Das ist wichtig.«
Nickend atmete Katharina tief durch. Sie suchte nach den richtigen Worten, die ihre innere Zerrissenheit am besten beschreiben konnten. »Ich bin ... verwirrt ... und fühle mich verloren.«
Verständnisvoll lächelte die Mutter Oberin sie an. »Das kann ich mir denken. Dieser Mann hat es dir sehr angetan.«
Katharina biss sich auf die Lippen und sah verlegen zu Boden. Sie war überwältigt davon, so viel Verständnis entgegengebracht zu bekommen. Vor allem da die strenge Konventvorsteherin ihr immer ablehnend gegenüberstand. Und nun, kam es ihr vor, als wäre sie die Einzige, die sie verstehen konnte und auch verstehen wollte, ohne sie für ihre Gefühle zu verurteilen.
Die Erinnerungen an Riley, Eugenie und an den fürchterlichen Streit stiegen in ihr hoch, und unweigerlich sammelten sich Tränen in ihren Augen. »Ich weiß, dass es falsch ist ...«
Vehement schüttelte die Mutter Oberin den Kopf, sie legte ihr eine Hand beruhigend auf die Schulter. »Wie kommst du darauf? Einen Menschen zu lieben, ist niemals falsch. Die Liebe ist das Mächtigste, mit dem der Herr uns ausgestattet hat.« Sie machte eine Pause und lächelte Katharina an. »Und nach meinen Kenntnissen bist du Herrn Jamerson ebenfalls nicht egal.« Katharina verschlug es die Sprache, mit großen Augen starrte sie die Mutter Oberin an. »Weißt du, Riley Jamerson war hier. Er wollte zu dir. Doch es wurde ihm gesagt, dass du ihn nicht sehen willst. Er war sehr verärgert.«
Riley war hier? Der Gedanke ließ ihren Magen zusammenkrampfen. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. »Was? Nein. Nein. ...«
»Doch«, beharrte die Mutter Oberin. »Also warum wolltest du ihn nicht sehen?«
»Das ... ich .... nicht sehen ...« Katharina kämpfte darum die Fassung zu bewahren und nicht in Hysterie zu verfallen, während sie sinnlos vor sich hin stammelte. »Mir hat niemand gesagt, dass er hier ist. ... Ich hätte ihn doch nie weggeschickt.«
Die Augen der Mutter Oberin ruhten auf ihr. »Das dachte ich mir schon.« Seufzend atmete sie aus und lächelte sie an. »Los komm. Du hast etwas in der Stadt zu klären.«
»Warten Sie. Ich kann nicht einfach ... Ich weiß nicht ... wie ... was ich tun soll.«
»Katharina, du liebst ihn. Höre auf das, was dein Herz dir sagt. Wie du schon gesagt hast: Du fühlst dich verloren. Du bist im Moment auch verloren. Doch tief in deinem Herzen weißt du, was du willst und was du zu tun hast. Was das Richtige für dich, für dein Leben ist. Vergiss nicht es ist dein Leben. Deine Entscheidung und die musst du ganz für dich alleine treffen. Ohne Angst. Ohne Rat von dritter Seite. Und nun geh und rede mit ihm. Verliere jetzt keine Zeit mehr.«
Katharina betrachtete die Mutter Oberin nachdenklich und horchte in sich hinein. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr Magen schien Purzelbäume zu schlagen. Sie hat recht, ich muss mit ihm reden. Jetzt. Dankbar nickte sie der Äbtissin zu und lief los.
***
Mit einem Auto des Klosters fuhr sie in die Stadt. Die Mutter Oberin hatte recht, tief in ihrem Herzen wusste sie, was sie wollte. Doch sie hatte keine Ahnung, wie sie es Riley sagen sollte. Wie wird er reagieren? Katharinas Herz pochte immer lauter, und als sie auf den Hof der Werkstatt fuhr, dachte sie, es würde ihr gleich aus der Brust springen. Sowie sie das Auto abgestellt hatte und ausgestiegen war, kam John auf sie zu.
»Schönen Tag ... Schwester Katharina.« Er sah sie überrascht an. »Ist etwas mit dem Wagen?«
»Hallo«, grüßte sie atemlos zurück. »Nein damit ist alles in Ordnung.« Verlegenheit stieg in ihr auf und sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. »Ist ... ähm ... ist Riley da?«
Johns Gesicht verfinsterte sich und deutete auf die Halle. »Er ist kurz vor Ihnen aufgetaucht. Allerdings nicht in der besten Verfassung. Ich würde ihn an ihrer Stelle in Ruhe lassen.«
Was heißt »nicht in der besten Verfassung«? Fragend sah sie John an, dieser schüttelte nur mit bedauerndem Gesichtsausdruck den Kopf. Soll ich hineingehen oder wieder gehen? Unschlüssig starrte sie abwechselnd zwischen dem Rolltor und John hin und her. Ich muss es ihm sagen und dann sehen wir weiter. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und würde nun keinen Rückzieher mehr machen. Tief atmete sie ein und machte sich entschlossen auf den Weg zu Riley.
Bereits als sie die Halle betreten hatte, kam ihr starker Alkoholgeruch entgegen. Es schien als wäre das Chaos heute hier noch größer als sonst. »Riley?«, rief sie laut und ließ den Blick schweifen.
Es rumpelte im hinteren Bereich, gefolgt von mehreren Flüchen. Sie folgte dem Geräusch, ohne lange weiter nach ihm suchen zu müssen. Riley torkelte ihr zwischen zwei Karosserien mit grimmigem Gesicht entgegen.
»Was willst du«, lallte er wütend.
An seinem Hals hatte er einen blauen Fleck. Was ist das? Ein Knutschfleck? Plötzlich stach es in ihrer Mitte, um sich selbst zu schützen, und den Schmerz zu verdrängen, verschränkte sie daher die Arme vor der Brust. »Ich wollte mit dir reden«, ihre Stimme klang bissiger als gewollt.
»Ach, auf einmal«, er wischte sich mit der Hand die Nase und seine Augen verengten sich. »Ich will DICH aber nicht sehen.«
Seine Worte prasselten auf sie herab wie eisige Hagelkörner, sie zuckte leicht zusammen und schluckte. »Wie meinst du das?«
Wütend wandte er sich von ihr ab und zischte: »Verschwinde«.
»Riley?« Das darf jetzt nicht wahr sein. Sie bemühte sich ruhig zu bleiben. »Sieh mich bitte an, ich ...«
»Du ...«, er wirbelte herum, hob eine Hand und stürmte auf sie zu. Katharina wich erschrocken einige Schritte zurück. Der gehässige Ausdruck in seinem Gesicht ließ sie frösteln. »Vor den alten Weibern lässt du mich auflaufen. Jetzt kommst du angeschissen. Du bist so eine verfluchte Heuchlerin. Verdammtes Miststück. Hau ab.«
Mit jedem Wort schossen ihr mehr Tränen in die Augen. Mit jeder einzelnen Silbe hörte sie, wie es in ihrem Herzen knackte, und sie spürte einen Riss, wie auf einer Glasscheibe, der sich schnell auszubreiten begann. Noch bevor sie sich wieder gefasst hatte, packte er sie mit festem Griff an den Schultern und drängte sie gegen einen der Wagen. Sein dicht an sie gepresster Körper bebte. Die Mischung aus Schweiß und Alkohol vernebelte für eine Sekunde ihre Sinne. Mit einer Hand hielt er ihr Kinn, so dass sie in seine zornigen Augen sehen musste. In dem Grün loderte ein Feuer, das sie zu verschlingen drohte. Ein leises Keuchen entkam ihr und sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
»Lass mich los«, presste sie hervor und schaffte es dem zornig glühenden Grün zu entkommen. Ihr Blick wanderte seinen Hals entlang und blieb erneut an dem nun deutlich erkennbaren Hämatom hängen. Tatsächlich ein Knutschfleck. Auch wenn sie eine Novizin war, wusste sie, wie so ein Fleck entstand. Ihr wurde übel. Schwer schluckte sie gegen die plötzliche Enge in ihrem Hals an und augenblicklich schoss eine wahnsinnige Wut durch sie hindurch.
»Na ... ist es das, was du willst? Gefällt es dir mich zu sehen?« Gefährlich funkelte es in Rileys Augen auf.
»Lass. Mich. Los«, wiederholte sie laut und bestimmt. Ihre Blicke versanken erneut ineinander, doch diesmal stieg keine Wärme in ihr auf. So durfte er sie nicht behandeln, niemals. Sie schoss ihm ihre Wut entgegen, bis er aufgab und ihrem Blick nicht mehr standhalten konnte. Er ließ sie los und wich einige Schritte zurück.
Ihre Gedanken und Gefühle fuhren Achterbahn. Viele Schimpfwörter fielen ihr ein, die sie ihm an den Kopf werfen wollte, doch kam es ihr vor, als hätte er ihr die Stimme geraubt. John, die Mutter Oberin, sie irrten sich. Ich bedeute ihm nichts. Wie auch immer, ihre Entscheidung war dennoch gefallen und sie würde sie nicht rückgängig machen. »Es war ein Fehler herzukommen. Entschuldige bitte.« So schnell ihre Beine sie tragen konnten, flüchtete sie aus der Werkstatt, bevor sie keine Kraft mehr hatte die Tränen, die ihr bereits in den Augen brannten, zurückzuhalten.
Das Blech der Karosserie krachte und Riley brüllte lauthals hinter ihr her. Ohne sich umzudrehen, hörte und spürte sie, dass er sie verfolgte. Sie rannte schneller, geradewegs auf das Tor zu, unter dem gerade John auftauchte. Im nächsten Augenblick schlüpfte sie durch das Tor hindurch, an John vorbei. »Riley es reicht!«
Katharina hatte fast den Wagen des Klosters erreicht, als sie schließlich stehen blieb und sich zu den Männern umdrehte. John hatte sich vor Riley aufgebaut und ihn gestoppt. Bei Tageslicht war seine Erscheinung zum Fürchten. »Geh mir aus dem Weg«, zischte Riley drohend.
»Sonst was? ... Nein. Was immer du vorhast, lass es.« John sah Riley eindringlich an und schüttelte sachte den Kopf. »Hörst du.«
Katharina sah, wie Riley zu Stein erstarrte, er wirkte geschockt und schloss die Augen. Mit den Händen strich er sich über den Kopf. Er schrie erneut auf und richtete seinen Blick nun auf sie. Sofort war sie erneut darin gefangen. Nach Luft ringend spürte sie, dass sie nicht von ihm weg wollte, obwohl sie wütend war. Ich liebe ihn und will nicht mehr ohne ihn sein. Herrgott hilf mir.
Sie sah zum Himmel und atmete durch. Anschließend ging sie auf Riley ein kleines Stück zu. »Riley, ich wollte dir ... sagen«, es auszusprechen fiel ihr trotzallem schwer. »Dass ich das Kloster verlasse.« Noch bevor er ihr antwortete, löste sich die tonnenschwere Last in ihrem Herzen in Luft auf.
»Stimmt das?«, Riley war kleinlaut und musterte sie misstrauisch, während er unruhig von einem Bein aufs andere trat.
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, sie nickte. Sie hatte sich entschieden und egal was nun kommen würde, ihre Entscheidung stand fest. Es war ein befreiendes Gefühl, das sie durchströmte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich frei.