Kapitel 17

Schwer drückte die schwüle Luft den Tag zu seinem Ende. Der Himmel färbte sich ein, das Himmelblau wurde eingetaucht in ein sanftes Rosa, und obwohl keine einzige Wolke am Himmel stand, konnte man das kommende Gewitter in jeder Faser des Körpers spüren. Der Tag war aufwühlend, zu aufwühlend für Riley. Katharina verlässt das Kloster. Für mich?

Immer stärker wurde ihm die Tragweite dieser Entscheidung bewusst. Mit einem Schlag hatte die Information den Alkohol aus seinem Körper verdrängt, ihn nüchtern gemacht. Doch in dem nun klaren, verkaterten Zustand, erschien ihm Katharinas Entschluss noch bedeutsamer. Was, wenn ich sie enttäusche?

Katharina fuhr mit ihm zu seiner Bude. Nun standen sie in den maroden Räumen nebeneinander und keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. Bislang hatte Riley das Ambiente nicht gestört. Hauptsache trocken. Jedoch in diesem Moment spürte er zum ersten Mal im Leben ein Gefühl, dass Scham sehr nahe kam.

Schweigend ließ Katharina ihren Blick durch die Zimmer schweifen und er versuchte verzweifelt diesen zu deuten. Sie lächelte, doch konnte er ihr ansehen, dass der desolate Zustand der Behausung sie schockierte.

»Nur vorübergehend ...« Das dachte er auch, als er vor fünf Jahren nach dem Aufenthalt im Gefängnis hier einzog. Nur vorübergehend. Weshalb er sich in all der Zeit nichts anderes suchte, lag daran, dass er das Gefühl hatte, das hier verdient zu haben. Die Strafe hatte er abgesessen, für seine Taten gebüßt, vor dem Gesetz war er rehabilitiert. Doch für ihn fühlte es sich nicht so an. Von den toten Augen verfolgt zu werden, ist in einer Bruchbude wie dieser leichter zu ertragen, als in einer gemütlichen Zwei-Zimmer-Wohnung mit fließendem heißen Wasser.

Katharina lächelte ihn an. »Ist in Ordnung.« Ihr Blick blieb erneut an dem Knutschfleck hängen. Er konnte sehen, wie sehr er sie mit diesem Hämatom kränkte.

Jeden Moment wird sie eine Erklärung verlangen. Dauert mit Sicherheit nicht mehr lange. Er bereute, dass er letzte Nacht dem aufgekochten Ärger nachgegeben hatte und zu Slys Party gefahren war. Es war ein Fehler. Am liebsten hätte er sich selbst in den Arsch getreten, dass er die Kontrolle über sich aufgegeben hatte. Doch zu seiner Überraschung fragte sie nicht nach und im nächsten Moment spürte er ihre Arme um seinen Hals. Sein Herz schlug schnell, pochte wild gegen seine Rippen und plötzlich tauchte in ihm die Hoffnung auf, dass alles sich zum Guten entwickeln wird. Das wäre das erste Mal in meinem Leben. »Ich werde mir eine richtige Wohnung besorgen.«

Katharina sah ihn durchdringend an. In den Tiefen ihrer blaugrünen Augen wollte er versinken und niemals wieder auftauchen. Er sah die Liebe in ihrem Blick, wahre Liebe nicht das gierige Verlangen nach Sex, das keinerlei Bedeutung hatte. Ein Schauer lief über seinen Rücken und er kämpfte gegen den aufbrausenden Sturm der Gefühle in seinem Herzen an. »Riley, das ist nicht wichtig.«

»Doch ist es«, beteuerte er und spürte, dass ihm das Gesicht heiß wurde.

Behutsam nahm er Katharinas Gesicht in seine rauen Hände und das Gefühl ihrer zarten Haut ließ ihn alles um sich herum vergessen. Sein Finger strich zärtlich über ihre Lippen und in seinem Bauch begann es zu flattern, als hätte er abertausend Käfer verschluckt. Sein Herz geriet aus dem Takt und überschlug sich in der nächsten Sekunde, doch das war egal, nun zählte nur noch dieser Engel vor ihm und das Gefühl, das sie ihm gab.

Verehrend und leidenschaftlich küsste er sie und wie von selbst wanderten seine Hände ihren Körper entlang. Verdammt, sie ist perfekt. Völlig ausgehungert nach ihrer Nähe drückte er sie fester an sich. Ihr leises Stöhnen schickte ihm einen heißen Schauer der Erregung über den Körper. Sie küssten sich so innig, dass ihnen die Luft zu atmen fehlte.

 

Ihre Zweisamkeit wurde von einem lauten Poltern an der Tür jäh unterbrochen. Nur widerwillig lösten sie sich voneinander, seufzend vergrub Katharina ihr Gesicht an seiner Brust. Riley wandte sich dem Störenfried an der Tür zu und verschluckte sich, als er Sly breit grinsend im Rahmen stehen sah.

Verflucht, das ist nicht gut. Er hustete, unwillkürlich spannten sich seine Muskeln an und seine Arme schlossen sich um Katharina, wie um einen Rettungsanker. Was will er hier?

»Stör ich gerade ...«, stellte Sly brüllend vor Lachen fest. Ungerührt betrat er den Raum und sofort lud sich die Atmosphäre explosiv auf.

»Verzieh dich wieder«, schnauzte Riley ungehalten.

»Hach komm schon, Alter.« Sly legte den Kopf schräg und grinste schmierig. In den schwarzen Augen blitzte es gefährlich auf. »Gestern Abend hattest du auch nichts gegen unsere kleine ...«, sein gieriger Blick betrachtete nun Katharina und er leckte sich über die Zähne. »...Party.«

Riley presste die Kiefer zusammen. Automatisch schob er Katharina hinter sich, um sie vor Slys Blick zu schützen. Er glaubte, ihr Herz laut und aufgeregt pochen zu hören. Ihm war klar, dass sie spürte, dass die Situation sich gefährlich verändert hatte.

»Du könntest dich nun, für meine Großzügigkeit revanchieren ...«

»Was willst du hier?«, zischte Riley und hoffte, das Thema zu wechseln.

Sly lachte aus vollem Halse und Riley wusste, wie sehr er es genoss. Er hatte ihn gerade in der Hand und könnte mit nur wenigen Worten die beginnende Beziehung zu Katharina endgültig zerstören. Erneut fühlte sich Riley mit dem Rücken gegen die Wand gedrängt. In seinem Inneren rebellierte alles gegen die aufsteigende Hilflosigkeit, als hätte er Beton im Magen. Kalter Schweiß lief seinen Rücken hinab und seine Kehle fühlte sich zugeschnürt an.

»Schon gut, Mann. ... Du kannst die Kleine gleich flachlegen. Aber zuerst müssen wir das geschäftliche Regeln.«

Riley keuchte und schluckte schwer. Ohne Katharina anzusehen, wusste er, dass sie ihn fragend ansah. Brennend ruhte ihr Blick auf ihm. »Was ist so wichtig, dass nicht bis übermorgen Nacht warten kann?«

»Sollen wir das wirklich hier ... vor dem Täubchen ... besprechen?« Sly führte eine abwertende Handbewegung in Katharinas Richtung aus.

Sie ist keine deiner Schlampen, Arschloch. Riley kämpfte darum, dass er die Worte nicht laut aussprach und die Fassung bewahrte. Jetzt auszurasten, käme einem Todesurteil gleich. Für sie beide. »Gehen wir nach draußen«, sagte er und deutete auf die Tür. Dann sah er Katharina an, die ihn ängstlich und fragend zugleich anstarrte. »Bin gleich zurück«, er schob seinen Worten ein Lächeln hinterher, um sie zu beruhigen.

 

Schweren Herzens ließ er sie zurück und ging mit Sly vor die Tür. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, dass die ersten dunklen Wolken sich am Horizont auftürmten. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. »Was ist nun?«, fauchte er Sly an.

»Dieser Marksen ist ein Problem. Es ist besser, wenn wir es alleine durchziehen?«

Er hat recht. Der Bulle sollte nicht dabei sein, doch er hatte kein Wahl, er musste Sly davon überzeugen, dass er sich irrte. »Problem«, wiederholte Riley so beiläufig und uninteressiert wie möglich.

»Hey, es geht um drei Millionen, Jamerson. Ist auch in deinem Interesse, dass der Typ nicht auftaucht.« Riley entging der drohende Ton in Slys Stimme nicht und dessen Blick sagte mehr als tausend Worte. Slys Verhalten deutete darauf hin, dass er irgendetwas ahnte.

Fuck, ich bin am Arsch. Unbewusst hielt er den Atem an. Sie alle hatten Riley eine unsichtbare Schlinge um den Hals gelegt und nun zog diese sich langsam zu. Er nickte und Sly ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Erst als er auf dem Hof ein Auto wegfahren hörte, atmete Riley erleichtert aus.

 

Er schnaufte erst einmal tief durch, bevor er zurückging. Die feuchtwarme Luft im Zimmer schien zum Schneiden dick. Katharinas Gesicht glänzte und ihre Augen waren größer als zuvor, sie schaute ihn ernst an. Er hatte die Tür hinter sich noch nicht ganz geschlossen, da legte sie schon los, begleitet von einem ersten, jedoch noch weit entfernten Donner. »Was hat du vor? Um was für drei Millionen geht es?« Aufgeregt marschierte sie vor ihm auf und ab, die Arme vor der Brust verschränkt.

Riley konnte es in ihren Augen sehen, dass sie jedes Wort verstanden hatte und bereits ihre ersten Schlussfolgerungen aus dem Gehörten zog. Es fröstelte ihn trotz der Hitze.

»Ihr wollt Geld stehlen. Drei Millionen, um genau zu sein. Oder?«, Katharina wurde mit jedem Wort lauter. »Habe ich recht?«, schrie sie nun.

Seine Kiefer mahlten, hilflos fuhr er sich mit der Hand über die geschorenen Haare, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Alles wurde auf einen Schlag komplizierter.

»Du willst stehlen? Das ist unrecht!«, rief sie entsetzt.

»Katharina, jetzt mach mal halblang ...«

Es blitzte vorm Fenster, als sie abrupt stehen blieb und ihn entgeistert anstarrte. »Es ist ...«, verzweifelt überlegte er, was er ihr sagen konnte, damit sie sich wieder beruhigte. Doch nichts Passendes fiel ihm ein. Nichts was ihm weiterhelfen würde. »Ich regle das.«

»Bitte sag mir, dass ich mich irre. Dass du nicht vorhast, drei Millionen Euro zu stehlen.« Ihr Blick war so intensiv, so eindringlich, schon fast beschwörend.

Riley sah sie verloren an. Er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. So oder so, ich bin am Arsch.

»Versprich es mir ...«, forderte sie erneut, als er nicht antwortete.

»Das kann ich nicht«, Riley blickte sie stur an. »Ich will dich nicht belügen, Katharina. Aber ich verspreche dir, dass alles in Ordnung kommt.«

»Was? ... Mit gestohlenem Geld?« Katharina machte eine Pause, um wieder zu Luft zu kommen.

Donnernd entlud sich der tiefdunkle Himmel. Sie sah ihn verständnislos an. »Kannst du damit leben? Wirklich?« Regentropfen so groß, wie Hagelkörner, prasselten gegen das Fenster und eine einzige Träne bahnte sich ihren Weg über Katharinas Wange. »Ohne mich!«