Kapitel 24

Rileys Hand zitterte, als er das Glas befüllte. Die blutende, pochende Wunde seitlich an seiner Stirn ignorierte er konsequent. Dieser Schmerz war nichts im Vergleich dazu, dass Katharina fort war. Verdammt, wie gerne würde ich sie jetzt im Arm halten. Fuck. Alles war so furchtbar schief gelaufen. Dieser blöde Bulle. Verflucht. Ich sitze so richtig in der Scheiße. Gepackt von seinem Zorn nahm er das Glas und warf es gegen die Wand. Es zersplitterte klirrend und der Scotch, mit dem Riley das so dringend nötige Vergessen einleiten wollte, tropfte von der Wand.

Plötzlich näherten sich stampfende Schritte. Riley erstarrte und lauschte. In diesen zerfallenen Mauern ließ sich nichts verbergen. Ein überraschender Angriff war daher auch nicht möglich. Ein weiterer Grund, weshalb Riley sich für diese Behausung entschieden hatte. Er holte seinen Revolver aus der Kommode hervor. Glückwunsch. Nach dieser Nacht bist du wieder mein bester Freund. Geübt entsicherte er die Waffe und richtete sie auf die Tür und wartete.

Einige Minuten lang, die sich scheinbar zu Stunden hinausziehen wollten, hörte er nur die näherkommenden Schritte. Das Herz pumpte aufgeregt das Adrenalin durch seinen Körper und jede einzelne Zelle machte sich kampfbereit. Schließlich breitete sich eine gefährliche Ruhe in ihm aus.

Die nächsten Sekunden vergingen für Riley wie in Zeitlupe. Die Tür wurde geöffnet und Rileys Finger, der auf dem Abzug lag, begann zu zucken. Er hielt den Atem an. Ein Mann betrat das Zimmer. Abdrücken? Abwarten? Im ersten Augenblick dachte Riley, Sly stehe breit grinsend vor ihm, doch dann klärte sich seine Sicht und er erkannte Kommissar Marcl. Erleichtert atmete er aus, sicherte die Waffe und stecke sie sich in den Hosenbund.

»Jamerson, gut, dass ich Sie gefunden habe«, auch in der Stimme des Kommissars war die Erleichterung deutlich zu hören.

Der Bulle hatte ziemlich was abbekommen. Eine Platzwunde an der Stirn, ein blaues Auge, mehrere Schürf- und Kratzwunden im Gesicht. Seine Hand war ebenfalls bandagiert, was Riley nun wieder an seine eigene körperliche Verfassung erinnerte. Er tastete sich mit der Hand an den Kopf und fühlte das getrocknete Blut an seiner Wange. Fuck, in einigen Stunden werde ich verfluchte Kopfschmerzen haben.

»Was ist nun schon wieder? Haben Sie für eine Nacht noch nicht genug?«

»Badman ist geflohen«, verkündete Marcl.

Was er nicht sagt. Riley rollte genervt mit den Augen und atmet tief durch. »Das hab ich mitbekommen.«

»Er wird sicherlich hinter Ihnen her sein ...«

Das Entsetzen auf dem Gesicht des Bullen war einfach zu köstlich, Riley konnte sich nicht mehr zusammennehmen und lachte schallend los. »Daran denken Sie jetzt erst«, er applaudiert dem Bullen zu. »Wahnsinn, ohne Ihr Gespür wären wir echt aufgeschmissen«, Rileys Stimme ging vor Sarkasmus über. »Was glauben Sie eigentlich, was ich gerade vorhabe? Dank Ihres so gründlich durchdachten Plans kann ich jetzt aus der Stadt verschwinden.« Riley hatte sich unbewusst zu seiner vollen Größe vor Marcl aufgebaut.

»Es tut mir leid. Wirklich.«

Riley schnaubt verächtlich. »Schieben Sie sich die Entschuldigung sonst wo hin!«, fauchte er. Gegen seine Wut ankämpfend begann er, seine paar Habseligkeiten und Katharinas Foto aus der Kommode in einen Rucksack zu stopfen.

»Vielleicht hilft es, wenn ich Ihnen sage, dass Frau Schulmann gerade im Zug sitzt und unterwegs ist zu ihrer Tante ... «

Abrupt hielt Riley inne. Verdammter Mist. Katharina! Sly hatte uns zusammen gesehen. Mehrfach. Er weiß, dass sie mir etwas bedeutet. Scheiße. Sie ist ebenfalls nicht mehr sicher. Fuchsteufelswild wirbelt er herum.

»Sie sind ein elendiger ...«, Riley stürmte auf Marcl zu und packte diesen am Kragen seines Hemdes und drückte ihn gegen die nächste Wand. »Scheißkerl. Wissen Sie das. Wenn Katharina irgendetwas zustößt, dann bring ich Sie um.«

Marcl hielt die Hände hoch und keuchte. »Jamerson ... Riley ... beruhigen Sie sich.«

»Ich soll mich beruhigen«, schrie Riley, während er ihn nochmals kräftig gegen die Wand stieß und anschließend ließ er von ihm ab. Er ist es nicht wert. Ich verliere nur Zeit. Riley konzentrierte sich darauf, seine Sachen zusammenzusuchen und in den Rucksack zu packen. Er musste sich beeilen. Eine bedrohliche Stille breitete sich zwischen den Männern aus.

»Hören Sie das?«, fragte Marcl plötzlich.

Riley hielt inne und lauschte. Es war still, dann hörte er dieses Zischen, dass immer deutlicher wurde. Scheiße. Er drehte sich zum Fenster und sah, wie etwas auf sie zugeflogen kam.

 

»Raus hier«, brüllte Riley, schulterte den Rucksack und entsicherte seinen Revolver. Mit der Waffe in der Hand rannte er so schnell er konnte raus.

Marcl hechtete ihm nach. Ein donnerndes Krachen folgte und endete in einem dicken Rauch, der einem das Atmen fast unmöglich machte. Riley spürte die Hitze, die nun hinter ihm herjagte, daher rannte er noch schneller. Gerade als die beiden Männer das Gebäude verlassen konnten, stand die Etage, in der Riley sich eingerichtet hatte, vollständig in Flammen.

In der nächsten Sekunde flogen erneut zischende Pistolenkugeln an ihm vorbei. Marcl deutete Riley, dass er ihm folgen sollte, während er seine Dienstwaffe zog. Riley schoss blind auf die Angreifer und zusammen mit Marcl suchte er hinter einer großen Mülltonne Schutz.

»Gleich kommt Verstärkung ...«, beteuerte Marcl. Und er hatte, zu Rileys erstaunen, recht. Nur wenige Sekunden später konnte er schnell näherkommende Polizeisirenen hören. Augenblicklich suchten Slys Leute das Weite. Fürs Erste war es überstanden.

Polizei und Feuerwehr trafen gleichzeitig ein. Sie versuchten das Gebäude zu retten, doch die Flammen hatten zu stark um sich gegriffen. Das war es dann auch damit. Innerhalb weniger Stunden hatte Riley alles verloren. Seine Ruhe, seine Freundin, seine Bude, sein hart erarbeitetes, bürgerliches Leben.

Marcl sah Riley betreten an. »Das ist jetzt ... ähm ...«

»Schenken Sie es sich einfach ... okay«, herrschte Riley ihn an. Er hatte genug für diese Nacht, für diesen Tag. Eigentlich für sein ganzes Leben. Doch zuerst musste er sich darum kümmern, dass Katharina in Sicherheit war. »Was sagten Sie? Wo ist Katharina hin?«

»Im Zug, auf dem Weg nach Griesbach ... zu ihrer Tante, Claudia Vornstädt.« Marcl musterte Riley eindringlich.

Nach Griesbach?! Marcls Worte zogen Riley endgültig den Boden unter den Füßen weg. Im Geiste sah er seinen verstorbenen Großvater vor sich, der ihn mit strengem Blick betrachtete, als wollte er ihm sagen: »Ich habs dir doch gesagt. Deine krummen Dinge lohnen sich nicht. Und was treibst du da mit dem Mädchen? ...« Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn und wie in Trance folgte er Marcl zur Polizeiwache.

 

Als die beiden Männer bei der Polizeiwache ankamen, blickte Riley zum Himmel. Die Sonne kämpfte sich gerade durch die dicken Regenwolken, der Sturm war vorüber. Wie betäubt folgte er Marcl in das Gebäude hinein. Sein Blick wanderte an sich hinab, seine Kleidung war völlig verdreckt und an einigen Stellen zerrissen. Er sah aus wie der letzte Penner. »Kann ich irgendwo duschen?«, fragte er und Marcl nickte und zeigte ihm den Weg.

Den Dreck der vergangenen Nacht konnte er abwaschen, doch das Gefühl in seinem Inneren nicht. Jedoch war die vergangene Nacht geduscht und frisch angezogen, leichter zu ertragen. Auch seine Platzwunde an der Stirn sah nicht mehr so schrecklich aus, wie noch vor zwei Stunden. Er stand vorm Waschbecken, Katharinas Foto in der linken Hand und starrte in den Spiegel, ohne etwas darin zu sehen. Seine Gedanken kreisten nur noch um Katharina und Sly.

Sly ist hinter mir her, hinter uns. Katharina ist unterwegs nach Griesbach. Verdammt. Zumindest hat sie einen Vorsprung. Die Villa. Sly kann nichts davon wissen. Sie ist dort in Sicherheit. Das hoffte er jedenfalls und versuchte sich damit zu beruhigen. Noch immer jagte der Ort durch seine Gedanken wie ein Stromschlag.

»Alles in Ordnung?«, hörte er Marcl hinter sich.

»Ja. ... Nein. ...«, Rileys linke Hand begann zu zittern und erhaschte sofort die Aufmerksamkeit des Kommissars. Überrascht starrte dieser ihn an. Riley war sofort bewusst, dass Marcl Katharina darauf wiedererkannte.

»Wo haben Sie das her?«, platzte es aus ihm heraus.

Riley schluckte schwer. Zeit für die Wahrheit.

»Ich habe es am Silvesterabend 2004 aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters gestohlen.« Marcl sah ihn verständnislos an. Riley rang nach Luft. »Das ist die Nacht, in der ihre Familie bei dem Autounfall starb.«