Wie lange bin ich schon nicht mehr hier gewesen? Katharinas Herz hämmerte wild gegen ihre Rippen und ein dicker Kloß machte sich scheinbar in ihrer Kehle breit. Die Fahrt im Taxi kam ihr viel zu kurz vor, im Handumdrehen hielt es bereits vor dem Eingang der Villa. Sie holte das Geld aus der Tasche und bezahlte den Taxifahrer. »Vielen Dank«, murmelte sie und stieg mit weichen Knien aus.
Ob Claudia wütend werden wird? Ist sie überhaupt da? Die Villa wirkte dunkel, verlassen. Sie hörte, wie sich das Taxi auf dem knirschenden Kies langsam entfernte. Ihre Hand zitterte, als sie auf die Klingel drückte. Sie hielt ihren Atem an und wartete, doch weiterhin blieb es still und dunkel in dem riesigen Haus. Sie ist tatsächlich nicht da. Enttäuscht suchte sie nach den Reserveschlüssel in ihrer Tasche.
Katharina schloss die Tür hinter sich, doch in der einsamen Eingangshalle kam ihr das Klicken wie ein Donner vor. Sie ließ ihre Reisetasche zu Boden sinken und suchte den Lichtschalter. »Claudia«, rief sie. In der Hoffnung sie könnte das Klingeln einfach nicht gehört haben. Leider erfolglos.
Gedankenversunken wanderte sie durch das Erdgeschoss der Villa. Die Erinnerungen, die die Räume in ihr hervorriefen, taten ihr schrecklich weh. Teilweise glaubte sie ihre Eltern miteinander reden zu hören und ihren Bruder lachen. Sie kam ins Wohnzimmer und betrachtete das Bild ihrer Familie vom letzten gemeinsamen Urlaub am Strand, dass Claudia auf der Vitrine neben der Tür stehen hatte. Der Sommer vor dem Unfall. Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und ihre Finger strichen sanft über den Rahmen, begleitet von einem traurigem Lächeln. Mama, wenn du nur hier wärst.
Sie schloss die Augen und dachte an Riley. Wo er wohl gerade ist? Geht es ihm gut? Still bat sie Gott erneut, dass er unverletzt die Nacht überlebt hatte. Ich hätte aussteigen sollen. Die Sehnsucht nach Riley schien übermächtig zu werden, sie brannte in ihr und drohte sie zu verschlingen. Mit jedem Schritt, jedem Atemzug glaubte sie, ihr Herz, ihre Seele würden auseinandergerissen werden.
Schluchzend wandte sie sich von dem Bild ab und ging zu dem alten Klavier, das ihrer Mutter gehörte, und noch immer in der anderen Ecke des Raumes stand. Ihre Tante hatte nur wenig verändert, in all der Zeit, die sie hier lebte. Aus Respekt vor ihrem verstorbenen Bruder und vor Katharina. Sie wollte immer, dass Katharina hierher zurückkam und ihr Leben hier lebte. »Claudia, wo bist du? Du bekommst deinen Willen«, sagte Katharina zu sich selbst, während sie langsam über den Deckel des Klaviers strich. Das lackierte Holz rief das Gefühl von Ehrfurcht in ihr hervor, so wie früher, als Kind. Mit Herzklopfen hob sie den Deckel und betrachtete die Klaviatur.
Die 88 Tasten glänzten weiß und schwarz und luden sie ein, darauf zu spielen. Sie folgte der Einladung und ließ ihre Finger über eine kleine Gruppe der Tasten tanzen, leise erfüllte die Melodie den Raum. Katharina schloss ihre Augen, in diesem Moment hatte sie das Gefühl, ihre Mutter säße lachend neben ihr. Sie hörte ihre Stimme, spürte ihre Wärme und sofort wurde ihr ein wenig leichter ums Herz. Ihre Finger wurden sicherer in ihrem Spiel und die Melodie wurde lauter und kräftiger und umfing ihren Körper.
Sie öffnete ihre Augen, beseelt von dem vertrauten Klang, und sah durchs Fenster hinaus in den Garten. Erst jetzt fiel ihr auf, das die Scheibe neben der Tür zerbrochen war. Erschrocken geriet sie aus dem Takt und die Musik erstarb abrupt. Was war hier los? Ihr Blick wanderte weiter und auf dem Teppich waren einige rote eingetrocknete Flecken.
Gerade als sie aufstand, um sich die Flecken näher anzusehen, applaudierte jemand hinter ihr. Katharinas Herzschlag setzte aus und sie bekam eine Gänsehaut. Dieser Geruch. Widerwillig drehte sie sich zu dem Eindringling um. Ihre Knie wurden weich wie Gummi, als sie den großen, dunkelhaarigen Mann, mit der Boxerstatur, sah. Er hatte eine Schusswaffe auf sie gerichtet. Sie japste verzweifelt nach Luft, wie ein Fisch, der von der Flut an Land gespült wurde. »Sly«, kam es tonlos von ihren Lippen. Was tat er hier? Wo war Riley? Ihr Magen zog sich zusammen und glich einem Brocken aus Beton.
»Hallo Schätzchen«, Sly lies den Blick anerkennend durch den Raum schweifen. »Hübsche Hütte. Hat mir Riley gar nicht erzählt, dass du ein reiches Kätzchen bist.«
Geschmeidig wie eine Raubkatze, bewegte sich Sly auf Katharina zu. Instinktiv wich sie einige Schritte zurück und versuchte nicht in Panik zu geraten. Allerdings stand sie der aufsteigenden Angst machtlos gegenüber, sie lähmte sie. Weshalb ist dieser Kerl hier? Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. In der Zeitung hatten sie geschrieben, dass die Täter verhaftet wurden. Katharina konnte an nichts anderes Denken, während sie mit Todesangst in den Lauf der Waffe starrte.
»Krieg ich denn kein Küsschen zur Begrüßung?«, spottete Sly.
»Was wollen Sie?«, Katharina bemühte sich, ihre Angst zu verbergen und ihre Stimme fest klingen zu lassen.
»Kannst du dir das nicht denken, Süße?«
»Nein ... kann ich nicht«, Katharina schluckte schwer. »Also bitte, klären Sie mich auf.«
»Na schön, Täubchen.« Sly rollte mit seinen Augen und sog lang und tief die Luft ein. »Weißt du, Riley hat mich verarscht. Und das darf keiner ungestraft.«
In den Blick der schwarzen Augen trat ein widerlich lüsterner Ausdruck. Katharina lief es eiskalt den Rücken hinab. »Und was hat das mit mir zu tun?«
Weshalb frage ich überhaupt nach? Ist doch klar, dass ich nun dafür büßen sollte. Sie konnte das Zittern, das ihren Körper erfassen wollte, kaum noch zurückhalten. Sly lachte lauthals auf.
»Ach, das ahnst du doch bereits«, in Slys Augen funkelte es gefährlich.
Er machte einen Satz und im nächsten Augenblick hatte er Katharina am Hals gepackt. Sie versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch je mehr sie sich wehrte, desto fester drückte er ihr die Luft ab. Er presste ihren Körper gegen seinen und sein Geruch drehte ihr den Magen um.
Der Schlag ihres Herzens dröhnte wie laute Bässe in ihren Ohren. Niemand weiß das Sly da ist. Es wird also niemand kommen, um mir zu helfen. Er tötet mich mit Sicherheit. Sie hörte, wie Sly an ihren Haaren einatmete und fühlte, wie er ihre Haut berührte. Rau und grob, ohne Rücksicht. So ganz anders, wie Riley es getan hat. In diesem Moment würde sie alles dafür geben, wenn Riley hier wäre. Oh Gott, bitte hilf mir.
Sie schloss die Augen und die Panik riss sie mit sich, wie die Welle eines Tsunamis. Sie wollte losschreien und wild um sich schlagen, Sly irgendetwas entgegensetzen, jedoch war sie wie gelähmt, erstarrt in Angst, als hätte man ihren Körper in die Tiefkühltruhe gelegt und ihre Glieder steifgefroren. In diesem Zustand kann Sly mit mir machen, was er will!
Und das tat er auch. Er packte Katharina am rechten Oberarm und zerrte sie mit sich. Hinaus in den Hausflur, die Treppen hinauf, weiter über den Gang des ersten Obergeschosses zu den Schlafzimmern. Er stieß die erstbeste Tür auf und schubste sie in den Raum. Slys schwarze Augen verschleierten sich und sein Gesicht verzog sich zu einer widerlichen Fratze, während er an ihrer Kleidung zog und sie auf das Bett stieß.