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A ls ich mein Baby das erste Mal stillte, nach dem ganzen Drama und der Euphorie seiner Geburt, floss meine Milch üppig und gelb wie Butter. Schmerz durchfuhr meine Brustwarze und signalisierte meiner Gebärmutter, die Plazenta abzustoßen. Ich nahm mein Messer und schnitt die Nabelschnur durch, aus der noch Blut spritzte, bis ich sie mit einem Stück gelbem Faden aus meiner Stricktasche abband und das Beste hoffte. Ohne die Bescherung auf dem Boden der Hütte aufzuputzen, kletterte ich ins Bett und steckte uns unter die zwei verbliebenen unverschmutzten Quilts. Ich hatte zwar Sorge, dass die duftenden Säfte einer Geburt Tiere anlocken könnten, aber ich konnte jetzt nicht mehr die Energie aufbringen, aufzustehen und zu putzen. Ich bewunderte die Perfektion meines Babys, während es saugte: makellose Lippen, Nase, Stirn, die wunderschönen Schnörkel seiner Ohren, die dunklen, nachdenklichen Augen, die denen seines Vaters so ähnlich sahen. Sein Familienname würde Moon lauten, nahm ich an, und ich flüsterte ihm Kosenamen zu, wie Mondgesicht oder Mondkuchen und den einen, der ihm blieb, aus dem Lied »Blue Moon« und der Big Blue Wilderness – mein Baby Blue. Ich fühlte mich erschöpft bis in die Fingerspitzen nach dieser Geburt, aber trotzdem überwältigt von Dankbarkeit – für seinen Atem, für meine Milch, dafür, dass ich diese beängstigende Geburt überstanden hatte und ein Stück von Wilson Moon in meinen Armen hatte. In diesem ganz besonderen Kokon der gerade überstandenen Geburt schliefen wir tagelang. Irgendwann in der Mitte dieser Starre schwollen mir die Brüste an und brannten, und ich befürchtete schon, dass irgendetwas furchtbar schiefging, doch meine Milch floss weiter, jetzt weiß und sahnig.

Aber die Reste meiner Kräfte schwanden bald dahin, und damit die einzige Nahrungsquelle für das Baby. Ich hatte keine Energie zum Fischen. Und selbst wenn ich es geschafft hätte, den Hang mit den Himbeeren hochzuklettern, wären jetzt zu viele Bären auf diesem Weg unterwegs gewesen. Nachdem alle Reserven längst aufgebraucht waren, hatte ich nur meine tägliche schmale Ernte aus meinem immer noch reifenden Garten, hauptsächlich Blattgemüse und Erbsen – wie dumm von mir, solche langsam wachsenden Rüben und Kohlköpfe anzupflanzen – und dünne Karotten, kieselsteingroße Kartoffeln und ein paar übrig gebliebene Beten, die nicht größer waren als die Faust von Baby Blue. Ich war so verzweifelt, dass ich kurz in Erwägung zog, ob ich etwas von der Nachgeburt essen sollte, die ich zu guter Letzt doch noch in den obersten Quilt eingewickelt und so weit vom Lager weggezogen hatte, wie meine verminderten Kräfte es mir gestatteten. Ich wusste, dass manche Tiere das taten. Mir kam auch in den Sinn, dass ich meine eigene Milch aus der hohlen Hand trinken könnte. Doch dann verwarf ich beide Ideen, weil ich damit endgültig den Bereich des Unanständigen betreten hätte. Der Garten musste reichen. Aber es war nicht genug, und das wusste ich.

Als Baby Blue gut zwei Wochen alt war – von Tag zu Tag aufgeweckter, obwohl sowohl meine Milch als auch meine Geisteskräfte langsam nachließen –, wachte ich eines Morgens auf und stellte fest, dass es so neblig und kalt war, als wären es die letzten Minuten der Dezemberdämmerung. Es fühlte sich grundfalsch an ab dem Moment, in dem ich die Augen aufschlug.

Ich legte das schlafende Baby neben mich und stopfte den Quilt, den wir gemeinsam benutzten, unter die Strickdecke, mit der ich ihn gewickelt hatte. Schaudernd zog ich meinen großen Pullover über und spähte aus dem kleinen Fenster. Schnee. Mindestens ein guter halber Meter war über Nacht gefallen. Obwohl es nach meinen Schätzungen erst Ende August war. Die Launen des Hochlandes kennen keine Gnade in Wetterdingen. Vielleicht jubelten die Bewohner von Iola da unten über den ersten Regen seit dem Frühjahr auf das verdurstende Land. Ich hingegen musste nicht mal den Fuß vor die Tür setzen, um zu wissen, dass der plötzliche Schneefall und die eisige Luft mein Schicksal besiegelt hatten. Mein Garten war dahin.

Das einzig Schwierige an meiner Entscheidung, Hilfe zu suchen, war das Warten, bis der Sturm sich gelegt hatte. Sobald ich beschlossen hatte aufzugeben, wollte ich meinen Vorsatz auch in die Tat umsetzen. Doch zwei quälende Tage lang klarte weder der Himmel auf, noch stieg die Temperatur. Ich behielt das Baby immer schön unter meinem Pullover, Haut an Haut. Die meiste Zeit schliefen wir, oder ich stillte ihn. Wenn die Wärme oder die Milch nicht mehr reichte, weinten wir beide. Am dritten Morgen trat ich in den Sommersonnenschein hinaus, und die Erde trank gierig das Schmelzwasser. Am Nachmittag waren nicht mehr viele Überbleibsel des Schnees zu sehen, außer ein paar schlammigen Stellen im Schatten und dem schlaffen grünen Schleim, der einmal mein Gemüsegarten gewesen war. Nichts hatte überlebt. Die winzigen Beten und Karotten und Kartoffeln konnte man noch essen, aber ihre Blätter und damit ihre Zukunft waren zerstört. Ich grub mich durch die Ruinen meines Gartens, um zu ernten und zu essen, was ich konnte. Und dann wickelte ich mein abgemagertes Baby mit einer frischen viereckigen Windel, hüllte ihn fest in die Strickdecke, drückte ihn an meine Brust und begann in die Richtung zu marschieren, in der ich mit der größten Wahrscheinlichkeit vermuten durfte, andere Menschen zu finden.

Monate zuvor, als ich hier angekommen war, hatte ich mir vorgestellt, wie ich sorgfältig mein Lager abbauen würde, wenn der Tag zum Aufbruch gekommen war. Ich würde den Gemüsegarten umgraben, die kreisförmig ausgelegten Steine und das Gestell für meinen Topf von der Feuerstelle entfernen, Seile herunterziehen, die Hütte ausräumen und den hohlen Baumstamm umwerfen, den ich als Stuhl benutzt hatte. Ich würde meinen Sommer der Schande auslöschen, ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Doch als ich jetzt davonging, zu schwach, um auch nur das Bett zu machen oder Gabel und Löffel in mein Bündel zu packen und es auf meinen Rücken zu nehmen, fragte ich mich zweierlei: Wer sollte wohl so viel Interesse an mir haben, dass er diesen Platz aufstöberte? Und was sollte ich mit dem überzeugendsten und dauerhaftesten Beweis von allen anfangen – dem Baby selbst? Was nützte mir ein verstecktes Lager, wenn ich am Ende doch mit einem Neugeborenen auf dem Arm durch Iola lief? Ich schüttelte den Kopf und setzte mich in Bewegung, ein ganzes Leben älter als das Mädchen, das im April hier angekommen war.

Es war der längste Weg meines Lebens. Ich kann nicht abschätzen, ob es ein Kilometer war oder zehn. Ich wusste nur, dass ich das fast gewichtslose Baby an meine Brust drücken und einen Fuß vor den anderen setzen musste. Das Delirium spielte mit mir, ließ mir meinen Fußmarsch wie außerweltlich erscheinen. Ich ging mit Dringlichkeit und Zielstrebigkeit in meinen Schritten, obwohl ich nicht wusste, wohin eigentlich, und der Wald, der uns umgab, fühlte sich auf eine Art feindselig an, wie er es seit Monaten nicht mehr getan hatte – die Spätsommersonne prügelte teuflisch vom Himmel, die Singvögel sangen eine unermüdliche Marschmelodie, das Gelände war so unwegsam und anstrengend wie eine Wiese voller Schädel. Sogar die großen Stängel der dunkelrosa Weidenröschen verspotteten mich mit ihrer eleganten Fähigkeit, dem Schneesturm zu trotzen, der meine Hoffnungen zerstört hatte. Als mein Baby leise anfing zu weinen, machte ich eine Pause und legte ihn an, obwohl ich wusste, dass ich ihm nur ein paar kümmerliche Schlucke Milch anbieten konnte, die ihn nur für ein paar Minuten zufriedenstellen würden, bevor er anfing, nach mehr zu jammern. Wie die staubtrockene Landschaft vor dem Schnee, so war auch mein Körper ausgetrocknet. Ich hatte nichts mehr zu geben.

Als ich auf meinem ernsten Marsch auf eine Lichtung trat, erschreckten die Hirschkuh und ich uns gegenseitig. Ich hatte sie seit Wochen nicht mehr gesehen Wir waren keine fünf Meter voneinander entfernt, als sich unsere Blicke trafen. Wir waren jetzt beide Mütter – aber wo waren ihre Kitze? Da raschelte es im Gebüsch, und ihr Lieblingsnachwuchs kam heraus, groß und elegant. Das Kitz musterte mich mit kluger Vorsicht, als es an die Seite seiner Mutter trat. Das Paar zog anmutigen Schrittes weiter. Ich setzte mich auf einen Felsen und wartete. Als das schwächere Kitz nicht mehr erschien, drückte ich Baby Blue nur umso fester an mich und stolperte weiter.