5. Schritt: Die Wirklichkeit annehmen
Der fünfte Schritt im Versöhnungsprozess besteht darin, zu lernen, uns nicht selbst länger im Weg zu stehen, und Verantwortung für die Vergangenheit und Zukunft zu übernehmen. Versöhnung wird eher möglich, wenn wir die Wirklichkeit so annehmen, wie sie ist, und die Situation akzeptieren. Dabei kann uns bewusster werden, dass Leid in unsere Seele gekommen ist, weil wir unversöhnt und beharrend geblieben sind. Zentral wird dann die Frage, wie wir selbst nun im Hier und Jetzt mit der Verletzung verantwortlich umgehen. Das ist das Einzige, was wir bewusst und aktiv beeinflussen und gestalten können.
Welche Geschichte erzählen wir uns?
Manchmal wird unser Blick durch das, was unserer Meinung nach sein sollte, verstellt. Indem wir Ja sagen zu dem, was ist, schieben wir den Schleier zur Seite und beginnen, eine neue Seite des Geschehenen oder unserer Situation wahrzunehmen und die entsprechenden Geschichten zu erzählen.
Oft erzählen wir uns selbst unglückliche Geschichten. Glück oder Unglück sind jedoch mehr eine Frage der inneren Haltung, die wir gegenüber früheren Verletzungen heute einnehmen, als eine Frage der äußeren Gegebenheiten. Die Geschichte, die wir uns selbst innerlich erzählen, ist ja nur selten deckungsgleich mit dem, was auf der äußeren Ebene geschehen ist. Sie bildet vielmehr auch das ab, was in unseren Erinnerungen an früheren Beziehungserfahrungen verankert ist. Dies wiederum formt die aktuelle Geschichte. Wir reichern Geschichten, die wir erzählen, mit unseren ganz eigenen Gefühlen und Interpretationen an. Ohne dieses Bewusstsein können wir der Partnerin auch Unrecht antun. Wir können uns aber vergegenwärtigen, dass wir in zwanzig Jahren eine andere Geschichte über die gleiche Situation erzählen werden. Daher ist die Reflexion, ob die Geschichte stimmt und welche aktuelle Wahrheit wir uns – ohne Beschönigung gravierender Verletzungen – erzählen, für die Versöhnung bedeutsam. Auch für uns selbst kann es sehr wichtig sein, nicht an negativen Wahrnehmungen festzuhalten und uns mit destruktiven Geschichten selbst zu schädigen.
Ein Beispiel:
Ulrich ist unversöhnt mit der Tatsache, dass seine Frau Sabine eine Beziehungsauszeit benötigt. In einer Beratung überlegt er, welche Geschichte er sich innerlich erzählen könnte und welche von beiden ihn glücklicher bzw. unglücklicher macht: die Geschichte von einem Mann, der sich verlassen und verraten fühlt, oder von einem Mann, der mit sich selbst gut zurechtkommt und seiner Frau vertraut, dass sie sich den Raum und die Zeit nimmt, die sie für ihre Entwicklung braucht. Er realisiert, dass er sich selbst und anderen auch andere Geschichten über seine Verletzung erzählen kann, die ihm mehr dienen, mit der Situation konstruktiv umzugehen. Dadurch übernimmt er Verantwortung für sich.
Eigene Anteile erkennen und liebevoll annehmen
Die Ereignisse der Vergangenheit können wir nicht mehr ändern. Sie sind zu einem Teil unseres Lebens geworden und haben uns geformt. Auf die Geschichte, die wir über das Erlebte erzählen, auf die Art und Weise, wie wir unsere Wunde versorgen und welche Ressourcen wir dadurch entwickeln konnten – all dies können wir beeinflussen.
Allein durch die Art, wie wir mit den alten Geschichten umgehen, können wir das Erfahrene größer oder kleiner machen als das, was tatsächlich passiert ist. Daher lohnt es sich, die erzählte Geschichte immer wieder einmal zu überprüfen, ob sie auf diese Weise noch wahr ist, und sie eventuell zu verändern.
Eine Möglichkeit dieser Überprüfung besteht darin, den eigenen Anteil am Geschehenen zu reflektieren. Ohne Schuldzuweisung an uns selbst können wir uns fragen, ob wir dazu beigetragen haben, dass die Beziehungskrise entstehen konnte. Das bedarf viel Selbstehrlichkeit. Diese Sichtweise soll keinesfalls das Geschehene entschuldigen, vor allem nicht, wenn es sich um Gewalterfahrungen handelt. Es geht vielmehr um ein achtsames Gewahrwerden, dass auch wir in Liebesbeziehungen dem Partner Schmerz zufügen, den wir uns aus Scham-, Schuld-, Überlegenheits- oder Ohnmachtsgefühlen heraus vielleicht nicht eingestehen. Diesen eigenen Anteil achtsam anzuschauen, lässt uns einen neuen Umgang mit Schuld und Vergeltungswünschen finden. Denn mit Schuldgefühlen können wir uns selbst neu verletzen.
Die folgenden Fragen sollen dabei unterstützen, den eigenen Anteil aufzuspüren. Bei dieser Selbstreflexion ist es förderlich, sich möglichst frei von Abwehr und Selbstverurteilung zu machen.
Selbstreflexion: Eigene Anteile reflektieren
Was habe ich getan oder unterlassen, dass dieser Konflikt passieren konnte? Trage ich eine Mitverantwortung, auch wenn ich nur zu einem sehr kleinen Teil verantwortlich bin? Wo war mein Nein? Was habe ich nicht getan, was ich hätte tun sollen? Wo habe ich mich selbst nicht geschützt? Wo habe ich nicht genug für mich gesprochen? Wo habe ich den anderen oder mich selbst verletzt? Wo habe ich mich selbst verraten? Wo behandle ich mich selbst so, wie ich es dem Partner vorwerfe? Welche Annahmen und Überzeugungen aus meiner eigenen Geschichte trage ich in die Beziehung hinein und präge sie dadurch?
Durch diese Selbstreflexion können wir unseren eigenen Anteil am Konflikt liebevoll anschauen und aus den Opferidentifikationen heraustreten bzw. erkennen, wo wir an Opferrollen festhalten. Denn eine defensive Position trennt uns vom Partner und verkennt, dass auch wir die Macht haben, ihn zu verletzen. Wenn wir es dagegen wagen, Selbstverantwortung zu übernehmen, verliert die alte Geschichte, die davon handelt, dass wir gut sind und der Partner schlecht ist und uns etwas angetan hat, ihre Dominanz. Wir erkennen, dass auch wir uns gut und weniger gut verhalten haben, genauso wie der Partner.
Wichtig bei dieser Selbstreflexion ist, dass wir eine verzeihende Haltung gegenüber unseren Eigenanteilen einnehmen. Und wenn wir dann doch in Selbstverurteilungen abrutschen, sollten wir uns auch dies verzeihen. Das Balancieren auf der Grenze von Ehrlichkeit und Selbstanklage braucht große Achtsamkeit. Und es braucht Mut, die Opferrolle loszulassen. Solange wir darin verharren und uns fragen: »Warum ist mir das passiert?«, »Was hätte ich anders machen können?« hindern wir uns an der Einsicht, dass es passiert ist – ob es Sinn macht oder nicht. Wir können es nicht ändern. Das Einzige, was wir beeinflussen können, ist das, was wir daraus machen. Eine große Chance zur inneren Versöhnung liegt darin, nachzuspüren, ob und wie wir leidvolle Zustände in uns selbst miterschaffen.
Das Bereuen des eigenen Verhaltens erhält eine andere Bedeutung, wenn es damit verbunden ist, sich die eigenen Fehler liebevoll einzugestehen und sie als Lernerfahrung zu würdigen. Das ermöglicht uns, aufzuhören, nach dem Warum zu fragen, und anzuerkennen, dass unsere Seele vielleicht die beste Weise gewählt hat, mit der Verletzung umzugehen. Manchmal verletzt uns unser Ärger über uns selbst mehr als unser Ärger über den Partner. Diese dahinterliegende Traurigkeit zu spüren, kann uns dabei unterstützen, einen Schritt in Richtung Selbstverantwortung und Selbstfürsorge zu machen und unseren Ärger über uns selbst heilsam auszudrücken. Die zentrale Frage ist dann: Wie kann ich mir dafür selbst vergeben?
In diesem Prozess ist es wegweisend, dass wir nicht an der Frage hängenbleiben, was unsere Schuld ist, sondern den Schmerz über die eigene Fehlbarkeit annehmen. Durch diese Annahme können wir einen Teil unseres Egos hinter uns lassen und eine neue Selbstdefinition finden. Die größte Verantwortung, die wir in diesem Versöhnungsprozess haben, ist die Selbstvergebung.
Verantwortung für sich selbst übernehmen
Wenn es uns nicht möglich ist, die Wirklichkeit so anzunehmen, wie sie ist, können wir dadurch äußeres Leid verstärken. Leid und Unglück entstehen oft dort, wo wir trotz Widerständen unserer Partnerin an dem Wunsch festhalten, sie solle anders sein. Aber führt die Erfüllung unserer Wünsche durch die Partnerin wirklich zum Glück? Oder bleiben wir da in einem Missverständnis gefangen? Wunschbilder verstricken uns meist in leidvolle Gedanken und führen zu Strategien, die oft wenig Aussicht auf Erfolg haben. Damit schneiden wir uns vom Fluss des Lebens ab. Wir bleiben an unrealistischen Erwartungen und alten Wünschen hängen. Wir bäumen uns verzweifelt auf und kämpfen hoffnungslose Kämpfe. Auf diese Art verpassen wir einen Teil unseres Lebens, nehmen uns die Chance auf Weiterentwicklung und büßen unsere Lebendigkeit ein. Die Realität ist meist, dass sich die von uns so ersehnten und als berechtigt erlebten Wünsche an den Partner oft in ein qualvolles Verlangen wandeln.
Das Loslassen der Veränderungswünsche, das von uns in diesen Situationen gefordert wird, können wir aber nicht einfach »machen«. Es ist vielmehr ein Prozess, der uns mal mehr, mal weniger gelingt. Zugleich kann es eine große Befreiung bedeuten, den inneren Widerstand fallen zu lassen und Ja zu sagen zu unserem Leben. Wenn wir aufhören, uns gegen das zu wehren, was ist, beginnen wir auch, Ja zum Leben zu sagen. Es ist ein vielfältiges Ja: Ein Ja zu dem, was ist, auch wenn es anders ist als das, was wir wollen, ein Ja, zu dem was war, ein Ja zu den eigenen vergangenen Entscheidungen, ein Ja zu erfüllten und unerfüllten Wünschen und letztlich zum Lauf des eigenen Lebens. So bedeutsam es ist, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen, so ist es genauso wichtig, Ja zu sagen zum Leben, zum Unbekannten, zum Schmerz, zur Freude. Damit übernehmen wir Verantwortung für uns selbst und unser Leben, statt den Partner dafür verantwortlich zu machen. Unsere Liebe kommt darin zum Ausdruck, dass wir das Festhalten unserer Wünsche an den Partner überwinden und akzeptieren: Er geht den Weg, den er gehen muss. Sich zu versöhnen bedeutet in diesem Sinne zuerst, sich selbst und dem Leben zu verzeihen – auch und gerade dort, wo es von uns das Loslassen von Wünschen und Erwartungen fordert.
Schauen wir uns zunächst an, wie die Entwicklung von Lukas und Miriam weiterging: Lukas erzählt:
»Obwohl wir wieder zu unserer Liebe zurückgefunden hatten, gab es zugleich bei mir immer dieses zweifelnde ›Aber‹. Das war für Miriam schwer auszuhalten.
Also nahm ich zum ersten Mal psychologische Hilfe in Anspruch. In der zentralen Therapiephase konnte ich meine Verstrickungen in meine problematische Kindheit erkennen: Das ungeliebte und geschlagene Kind, für das es keinen Platz gab und das nicht so sein durfte, wie es sein wollte. Das war bedrückend, dramatisch und auch erhellend. Ich begann, mich besser zu verstehen, meine Muster zu erkennen. Im Zentrum dabei stand der Aspekt, dass ich selbst verantwortlich bin für mein Glück, dass ich für mich selbst sorgen muss, es niemanden anderen gibt, der diese Lücke meiner Kindheit schließen kann: Was für eine Wende! Die alten Wunden sind da, die damit verbundenen Bedürfnisse ebenso, und gleichzeitig lerne ich, damit umzugehen. Nach und nach schraube ich meine Erwartungshaltung an Miriam zurück, übernehme selbst Verantwortung und frage mich: ›Was kann ich tun, damit es mir gut geht?‹ Für die Lösung dieser Frage hatte ich immer Ideen. Diese Verortung bei mir selbst wirkte unglaublich befreiend und war der Durchbruch in unserer Beziehung.
Es war wie ein Wunder, mit mir selbst in Berührung zu kommen. Heute weiß ich: Es war gar nicht so, dass Miriam mich einschränkte – ich selbst sprach mir Gebote und Verbote aus, etwas zu tun oder zu lassen. Durch weitere therapeutische Begleitung konnte ich meine Kraft nutzen, mich aus der Verklammerung und Symbiose mit Miriam zu lösen. Mittlerweile habe ich gelernt, mir den Raum zu geben, den ich für meine Entwicklung und mein Wohlbefinden brauche.
Ich genieße es, mein Leben zu führen – mit Miriam zusammen. Es ist ganz anders als früher. Zwar geht es auch heute nicht ohne Probleme, denn die alten Muster schwingen immer mit. Ich schaffe es jedoch immer häufiger und besser, diese Muster in der Konfliktsituation zu erkennen und sie Miriam mitzuteilen. Ich merke, oft geht es nicht um uns beide, sondern nur um die Verstrickung mit mir selbst. Das ändert viel! Denn jetzt geht es im Konflikt um persönliches Wachstum und nicht mehr darum, den anderen ändern zu wollen. So ist die Paarbeziehung für mich im eigentlichen Sinne eine Form der Selbstentwicklung geworden.
Unsere Beziehung war aus meiner Sicht noch nie so gut wie zurzeit, nach über 30 Jahren Ehe. Auch unsere Sexualität blüht in einem Maße auf, wie ich mir das nie hätte vorstellen können. Es ist jetzt möglich, meine Bedürfnisse zu artikulieren, ohne Angst, Miriam damit zu bedrohen, weil ich gleichzeitig nicht erwarte, dass sie diese Bedürfnisse sofort oder überhaupt erfüllen will. Es kommt zum Dialog über Bedürfnisse. Diese Art der Begegnung ist für mich Liebe! Das zweifelnde ›Aber‹ ist weg und ich kann mich voll für Miriam entscheiden, weil ich immer sicherer auf meinen eigenen Füßen stehe. Seit ich selbst für mein Wohlbefinden sorge, werde ich von Miriam mit einer neuen Art der Zuwendung beschenkt, die mir das Gefühl gibt: Ich bin von ihr geliebt.«
Das Beispiel zeigt, wie Lukas die Verantwortung für seinen eigenen Anteil an der Verletzung angenommen hat. Es ist ihm möglich geworden, eine neue Sichtweise, eine neue Geschichte zu finden und für sich selbst zu sorgen.
Übungen und Rituale
Wenn wir die Wirklichkeit annehmen, wird unser Blick auf die Beziehung realistischer. Das ermöglicht, uns von idealisierten Bildern zu trennen. Nicht jede Wunschvorstellung konnte erfüllt werden, einiges wird vermisst oder es wird ernüchtert erkannt, dass wir in die Partnerin etwas hineingesehen haben, was sie nicht ist. Die folgende Übung unterstützt, gemeinsam rituell Abschied von Idealbildern zu nehmen.
Übung: Abschied von idealisierten Bildern44
Schreiben Sie auf einzelne Kärtchen je eine der Eigenschaften, die Sie an Ihrem Partner anfangs liebten, die Sie faszinierten.
Was wurde daraus? Wie haben sich die Anfangsbilder verändert? Gibt es etwas, das Sie vermissen? Was waren Idealisierungen? Können Sie einige Bilder loslassen? Welche nicht? Können Sie als Frau z. B. die Idee aufgeben, dass Ihr Partner immer der starke Mann an Ihrer Seite sein muss? Oder Sie als Mann die Vorstellung, dass Ihre Partnerin Sie immer liebevoll umsorgt und Ihnen jeden Wunsch von den Augen abliest?
Um die alten Bilder loszulassen, können Sie diese zur Seite legen oder verbrennen. Es kann sein, dass Sie einige Bilder noch eine Weile behalten wollen. Unterscheiden Sie, was erfüllbare und unerfüllbare eigene Wünsche an den Partner sind.
Viel Zeit und ungestörte Aufmerksamkeit sind wichtige Voraussetzungen für diese Übung.
Betrachten wir noch weitere Möglichkeiten, um die Partnerin von unerfüllt gebliebenen Erwartungen zu befreien. In einem Ritual etwa kann ausgedrückt werden, welche Bilder noch nicht losgelassen werden können und was eigene Wünsche sind, die der andere nicht einlösen kann. Rituell können dafür Steine ins Wasser geworfen, Stöcke zerbrochen werden, ein Floß gebaut werden, mit dem symbolisch die alten, überholten Bilder dem Fluss übergeben werden. Anschließend können Sie nachspüren, für was durch den Abschied von den alten Bildern der Raum frei geworden ist. Das erneuert die Bindung zur Partnerin.
Sie können auch gemeinsam oder alleine für sich rituell über eine Schwelle gehen, um auszudrücken, dass Sie sich von alten Bildern und Mustern verabschieden und symbolisch in eine neue Sicht der Beziehung und der Partnerin eintreten. Dazu können Sie bereits vorhandene Schwellen wählen, wie einen Bachlauf in der Natur oder einen Torbogen. Eine Schwelle können Sie im Raum auch mit Tüchern oder Symbolen legen. Bevor Sie die Schwelle übertreten, blicken Sie symbolisch zurück auf die alte Geschichte, die Sie sich erzählt haben. Wenn Sie bereit sind, diese hinter sich zu lassen, treten Sie bewusst über die Schwelle im Wissen, jetzt das Alte hinter sich zu lassen und Ja zu dem zu sagen, was ist und was kommen mag. Die Kraft dieses Rituals kann stärker werden, wenn Sie z. B. einen symbolischen Ort für das Vergangene suchen. Für Ihre neue Haltung oder Geschichte können Sie einen persönlichen Kraftsatz wählen, der anerkennt, was ist und was war.
Die folgenden Fragen ermöglichen einen Perspektivwechsel, um die Wirklichkeit besser annehmen zu können.
Übung zum Perspektivwechsel:
- So schwer es war: Was habe ich daraus gelernt?
- Was würde ich heute anders machen?
- Mal aus einer glücklichen Zukunft heraus betrachtet: Wie werde ich über die Situation, mich, den anderen denken, wenn ich 70 Jahre alt bin?
- Wenn ich einmal unterstelle, dass es gute Absichten hinter dem für mich schwierigen Verhalten gibt: Was könnte diese gute Absicht sein?
- Was schätzen unsere Freunde bzw. Kinder an meinem Partner?
- Was kann ich in schwierigen Situationen mit meiner Partnerin üben? Was kann ich lernen? Wozu fordert mich meine Partnerin / die Verletzung heraus?
- Was funktioniert dennoch leicht und gut in unserer Beziehung und im Umgang mit unseren Verletzungen?
- Welche hilfreichen Strategien habe ich gelernt, um mit Verletzungen wie dieser umzugehen?
- Wie unterstütze, fördere, liebe, tröste, ermutige ich mich / meinen Partner?
Die folgende Imagination kann im Alltag eingesetzt werden, wenn wir uns wieder einmal verletzt fühlen und in vorwurfsvolle Gedankenspiralen geraten. Denn aufgrund einer eigenen Verletzung versuchen wir, mit Vorwürfen beim anderen, der uns so unerreichbar und unberührbar vorkommt, Emotionen zu wecken. Die Imagination hilft, das innere Gewitter zu entladen, bevor es den Partner mit unbedachten Worten aus dem Affekt heraus trifft.
Imagination – Gefühle und Vorwürfe differenzieren45
Stellen Sie sich vor Ihrem inneren Auge vier symbolische Orte vor. Der erste Ort ist ein Altar, der für den heiligen Aspekt Ihrer Gefühle steht. Als zweiten Ort imaginieren Sie einen Komposthaufen, der Sie daran erinnert, dass alles Lebendige nie so bleibt, wie es war, und dass das, was uns als Abfall erscheint, sich zu fruchtbarer Erde verwandeln kann. Mit dem Spiegel als drittem imaginiertem Ort wird symbolisiert, dass Sie bei sich selbst hinschauen, Ihre eigenen Anteile wahrnehmen, die äußere Situation als Spiegel für Projektionen reflektieren. Der letzte vorgestellte Ort sind die Ohren der Partnerin.
Wann immer eine verletzende, unversöhnte Situation in Ihrem Alltag passiert und Sie ärgerlich und verletzt reagieren, können Sie sich für einen Moment zurückziehen. Gehen Sie in die Imagination, indem Sie Ihre Augen schließen und ein paar tiefe Atemzüge nehmen. Versuchen Sie zu unterscheiden, wo die Situation hingehört: auf den Altar, auf den Kompost, in den Spiegel oder in die Ohren der Partnerin. Wenn Sie in der Stille den stimmigen Ort gefunden haben, richten Sie dann in Ihrer Vorstellung Ihre Gefühle symbolisch auf diesen Ort und legen Sie sie dort symbolisch ab. Sollten die Ohren der Partnerin gemeint sein, spüren Sie nach, was davon Sie Ihrer Partnerin ganz real sagen möchten.
Die nächste Übung kann spielerisch eingesetzt werden, um Missverständnissen vorzubeugen, bevor wir auf etwas reagieren, das nur in unserem Kopf existiert, vom anderen aber so nie gemeint war.
Spielerische Übung: Was kommt bei mir an?
Im Konflikt kommt es sehr häufig zu Missverständnissen. Das, was der eine hört, hat der andere aus seiner Sicht gar nicht so gemeint oder gesagt. Die andere besteht aber darauf, dass es genauso war.
Spielen Sie damit: Gehen Sie spazieren und sprechen Sie bewusst über ein kontroverses Thema. Jeweils nach ca. drei Sätzen wiederholen Sie in eigenen Worten, was Sie vom Partner verstanden haben. In der Regel kommt dann: »Nein, das habe ich so nicht gesagt.«
Ein erster Schritt wäre hier: Selbstverantwortung übernehmen: »Ah, ich habe es noch nicht so ausgedrückt, dass es bei dir so ankommt, wie ich es gemeint habe.«
Ein anderer Schritt wäre: »Ah, das also kommt bei dir an. Das ist ja interessant. Wie kommt es, dass es so bei dir ankommt?« Welche eigenen Prägungen, ungelöste Verletzungen formen die Art des Zuhörens? Was lerne ich daraus?
Spielen Sie damit. Wertfrei, liebevoll, wie Kinder, die gemeinsam etwas Neues im Land der Beziehungsseele entdecken dürfen.