7. Schritt: Aufeinander zugehen

Das Wesentliche dieses Schrittes besteht darin, Wege zu finden, um wieder aufeinander zuzugehen. Dies kann darin bestehen, dass wir den anderen achtsam und mutig zugleich konfrontieren, neue Wege der Wiedergutmachung und des Ausgleichs finden und lernen, klarer zu kommunizieren.


Mut zur achtsamen Konfrontation

Achtsame Konfrontation meint, zu sich selbst zu stehen und die eigene Authentizität nicht zu verleugnen. Statt die Erwartungen anderer zu erfüllen, wird die eigene Integrität in den Fokus gestellt. Aus Angst vor negativen Konsequenzen oder davor, andere zu verletzen, halten wir oft unsere eigene Sichtweise zurück oder verpacken sie so diplomatisch, dass unsere Botschaft verdreht oder überhaupt nicht ankommt. Achtsame Konfrontation bezieht den Partner mit ein und lässt ihn teilhaben an der Wahrheit der eigenen Erinnerungen von Verletzungen. In einer Sprache jenseits von Schuldzuweisungen wird das Schweigen gebrochen, vor allem wenn es um Tabuthemen geht. Dann kann es bedeutsam werden, noch einmal auszusprechen, was nicht in Ordnung war. Manchmal haben Menschen allzu lange ihre Verletzungen hinter vielen unausgesprochenen Worten mit sich herumgetragen.

Beispiel: Paul und Marion

Nach fast vierzig Jahren Ehe kommen Marion und Paul zur Paarberatung. Seit sich einige Jahre zuvor viele Übergänge auf einmal ereignet haben, erleben sie ihre Paarbeziehung als belastet: Die Kinder sind ausgezogen, er rutschte als Führungskraft in eine Burnoutkrise und wechselte in den vorzeitigen Ruhestand, sie begleitete intensiv ihre alte Mutter. Ihr Tod riss ein Loch in ihr Leben. Sie fühlte sich mutterseelenallein. Während sie immer noch in Vollzeit arbeitete, hatte er noch ein Fernstudium in Psychologie gemacht und verbrachte viel Zeit vor dem Computer. Es wurde deutlich: Marion und Paul hatten die Übergangssituation und ihre Neufindung als Paar nicht bewältigt. Die Krisen forderten beide zu einer Entwicklung heraus, die sie bisher noch nicht leben konnten.

Verschiedene Muster, sich gegenseitig zu verletzen, hatten sich eingespielt, wodurch ihre Beziehung zunehmend strapaziert wurde. Marion fühlte sich in der Beziehung ohnmächtig, trotzig, alleingelassen und wünschte sich viel mehr gemeinsame Aktivitäten. Sie hatte den Eindruck, nur geben zu müssen und nichts zu bekommen: »Für mich bleibt nichts übrig.« Wenn Marion stur war, beachtete sie Paul nicht. Darauf reagierte er aggressiv, was sie wiederum ablehnte. Sie vermisste seine sanftmütige Seite.

Im Beratungsgespräch wird deutlich, dass es Marion ungeheuer schwerfällt, ihre eigenen Bedürfnisse auszudrücken. Sie zieht sich zurück und scheint unerreichbar. Obwohl Paul ihr gut zuredet, ihre Gefühle mitzuteilen, ist sie ratlos, wie sie dies tun soll.

Marion befürchtet, ohnehin nicht gehört zu werden. Als Paul ihr versichert, dass er sie verstehen möchte, erzählt sie ehrlich, was sie am meisten plagt. Durch seinen sozialen Rückzug müsse immer sie sein Bedürfnis nach Austausch befriedigen, und das oft stundenlang. Darüber hinaus fühle sie sich analysiert durch seine psychologischen Theorien und jahrelangen Studien am Computer. Und sie wolle das nicht länger ertragen. Sie gibt sich die Erlaubnis, Gespräche zu unterbrechen, den Raum zu verlassen, wenn sie das will, ohne Angst, ihn dann alleine zu lassen. Er ist bereit zu versuchen, in diesen Situationen möglichst nicht aggressiv zu reagieren, wenn sie schroff hinausgeht. Sie spürt deutlich ihren Entwicklungsimpuls: »So bin ich, das will ich, das will ich nicht, ich bin für mich da.«

In der Folge nimmt sich Marion vor zu üben, sich ohne Trauer und Rückzug abzugrenzen und liebevoll zu sagen: »Es ist mir zu viel.« Paul erklärt sich bereit, Druck herauszunehmen. Marion lernt, die Opferrolle zu verlassen, ihre Bedürfnisse klarer auszudrücken und sich selbst das zu geben, worauf sie lange Zeit vergeblich gewartet hatte. Die Traurigkeit und die Vorwürfe weichen einer Selbstfürsorglichkeit. Sie erkennt, dass sie Zeit ihres Lebens die Bedürfnisse anderer erfüllt hat, statt ihre eigenen zu fühlen. Sie entscheidet sich klar: »Jetzt bin ich dran«.

Paul sieht seinen Entwicklungsimpuls darin, sich andere Menschen zum Austausch zu suchen, die seine Interessen teilen.

Verantwortung zurückgeben

Marion und Paul entdecken ihre Unterschiede. Er liebt es, alleine zu sein, den Dingen theoretisch auf den Grund zu gehen, sich in komplexen Gedankengebäuden zu bewegen und mit anderen darüber zu diskutieren. Da er sich zu diesen Themen mit ihr nicht austauschen kann, ist er enttäuscht, fühlt sich mit seinen Gedanken abgelehnt. Sie wiederum liebt das Tun, das Gesellige, versteht sich als Macherin. In diesen Bedürfnissen können sie sich gegenseitig nicht das geben, was sie sich wünschen. Stattdessen machen sie jeweils den anderen dafür verantwortlich, dass sie nicht bekommen, was sie brauchen.

Betrachten wir zunächst ein Ritual, welches Paare dabei unterstützt, die Verantwortung, die man zugeschoben bekommen oder dem Partner lange Zeit abgenommen hat, dem anderen zurückzugeben.

Ritual: Verantwortung zurückgeben48

Nehmen Sie sich einen Abend bewusst füreinander Zeit. Überlegen Sie zuvor für sich alleine, für was Sie verantwortlich gemacht wurden bzw. welche Verantwortung Sie der Partnerin abgenommen haben, obwohl es ihre ist. Spüren Sie nach, ob es Grenzen gibt und Sie Ihrer Partnerin diese Verantwortung wieder zurückgeben wollen.

Setzen Sie sich dann einander gegenüber. Feierlich wird das, worum es geht, der Partnerin zurückgegeben. Formulieren Sie z. B. sinngemäß: »Hiermit gebe ich dir die Verantwortung für deine Einsamkeitsgefühle, für deine Gereiztheit, für deine Trauer an dich zurück. Für das, was du daraus machst, trägst du alleine die Verantwortung. Ich gebe sie dir hiermit zurück.« Sie können diesen Akt unterstützen, indem Sie symbolisch für die zurückgege­bene Verantwortung einen Stein überreichen oder einen Zettel, auf dem Sie das notiert haben, was Sie zurückgeben. Geben Sie beim Empfang der Verantwortung den Partner aus der Verantwortung frei, z. B. mit den Worten: »Ich nehme meine Verantwortung voll und ganz an« oder: »Ich entlasse dich aus dieser Verantwortung.«

Rituell geben sich Paul und Marion die Verantwortung für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zurück und entbinden sich gegenseitig davon, dafür Verantwortung zu tragen. Zunehmend übernehmen sie ihre Verantwortung für ihre Bedürfnisse selbst: »Ich habe mehr für mich getan, ich habe aufgehört, mich selbst zu verlassen, und komme wieder bei mir an.« Für Marion ist es entlastend, sich nicht mehr stundenlang seine psychologischen Erkenntnisse anhören zu müssen, für ihn ist es ein Antrieb, andere Menschen zum Austausch zu finden. Sie kann ihn in Ruhe am Computer sitzen lassen – wenngleich sie doch ab und zu immer noch denkt, der Computer zerstöre ihre Beziehung.

Ausgleich von Geben und Nehmen

Nach fast vierzigjähriger Ehe, die entsprechend traditioneller Geschlechterklischees gelebt wurde, gelingt es Marion, die bislang selbstverständliche, unhinterfragte klassische Rollenverteilung ehrlich anzusprechen: Sie habe das Karussell von Arbeitengehen, Einkaufen, Wäschewaschen, Putzen satt, während er am Computer säße, und nur mal ab und zu auch zu kochen, wäre keine wirkliche Arbeitserleichterung für sie. Sie betont, dass es für sie sehr wichtig wäre, hier endlich eine Balance zu finden. Beide handeln aus, dass er die Wäsche, den Abwasch und den Einkauf übernimmt. Diese Vereinbarung gibt ihr die Sicherheit, dass sie eben nicht nur gibt, sondern auch erhält.

In Beziehungen ist es bedeutend, dass zwischen Geben und Nehmen, Nähe und Autonomie sowie Anpassung versus Durchsetzung immer wieder ein Ausgleich gefunden wird. Bestimmt z. B. immer nur der Partner, während die Partnerin sich anpasst, kann das die Beziehung beeinträchtigen. In Beziehungen wird unbewusst eine Art Fairnessbilanz erstellt. Keiner darf das Gefühl haben, schlechter wegzukommen. Vor allem wenn frühere Abmachungen in den Zuständigkeiten gebrochen werden oder sie jahrzehntelang als selbstverständlich angesehen werden, entsteht Verletzung. Der Eindruck, dass es nicht mehr fair zugeht in der gemeinsamen Sorge, Verpflichtung und Verantwortung, verschlechtert die Beziehung.

Wenn Geben und Nehmen nicht im Gleichgewicht sind, wird sich einer irgendwann benutzt fühlen und vielleicht andere Wege des Ausgleichs suchen. Sind die Polaritäten in der Beziehung einseitig verteilt, birgt dies die Gefahr, dass dies als ungerecht empfunden wird. Auch wenn es nicht darum geht, Geben und Nehmen aufzurechnen, bedarf es trotzdem einer für beide Seiten stimmigen Balance. Solange ein Partner unzufrieden ist oder zu kurz kommt, wird das auf Dauer für beide Seiten belastend.

Beim Nachdenken, wie Geben und Nehmen ausgeglichen werden können, ist es hilfreich, auch Unterstützungssysteme zu aktivieren. Das kann ganz einfach eine Haushaltshilfe sein, die Entlastung bei den täglichen Verpflichtungen bringt.

Die folgenden Übungen möchten dazu anregen, für sich alleine oder gemeinsam die Balance von Geben und Nehmen zu überprüfen. Achten Sie darauf, dass Sie möglichst offen dafür sind, wozu die Partnerin bereit ist, und dass Sie keine festgesteckten Erwartungen haben.

Reflexionsübung: Geben und Nehmen

Beschäftigen Sie sich mit den folgenden Fragen:

1. Was habe ich bekommen von meinem Partner?

2. Was habe ich ihm gegeben?

3. Wo habe ich meinen Partner gestört? Wo oder wann habe ich ihm Schwierigkeiten bereitet?

4. Was bin ich bereit zu geben? Was brauche ich, damit ich geben kann?

5. Was brauche ich, um zu empfangen, zu nehmen?

6. Wie können wir aufeinander zugehen, damit Geben und Nehmen in einer stimmigen Balance sind?

7. Wozu bin ich bereit?

Übung: Bestimmerzeiten festlegen

Wenn Sie sich häufig über Kleinigkeiten streiten und die Gefahr von Machtkämpfen besteht, ist es nützlich, konkrete Zeiten festzulegen, wer wann bestimmen darf. Beispielsweise bestimmt er bei kleinen Entscheidungen im Alltag von Montag bis Mittwoch, sie bestimmt von Donnerstag bis Samstag. Sonntags bestimmen beide.

Wege der Wiedergutmachung finden und vereinbaren

Paul und Marion überlegen beide, welche Handlungen der Wiedergutmachung sie miteinander versöhnen könnten. Der entscheidende Wendepunkt kommt, als Marion Paul bittet, mit ihr den Keller zu entrümpeln und gemeinsam mit ihr all die Sachen ihrer verstorbenen Mutter auszusortieren. In dieser Zeit der Trauer hilft er ihr und signalisiert ihr: »Wir machen das gemeinsam.« Zum ersten Mal seit zehn Jahren hat sie wieder das Gefühl, dass er der Mann an ihrer Seite ist. Sie fühlt sich nicht mehr so alleine. Sie genießen es, ein gemeinsames Ziel erreicht und Ordnung im Keller geschaffen zu haben. In der Folge kann sie ihre Wünsche klarer äußern, z. B. dass er den Rasen mäht. Paul versteht sein Ringen um ein gutes Selbstwertgefühl und sein Bedürfnis, Anerkennung für seine Ideen und Gedankenwelten zu bekommen. Und beide dürfen etwas Altes loslassen: Er seinen Beruf, sie die Trauer über ihre verstorbene Mutter sowie ihre aufopfernde Mutterrolle. Damit lassen beide ein altes Beziehungsmuster los. Zunehmend beginnen sie wieder Aktivitäten, die ihnen früher Spaß gemacht hatten, wie gemeinsames Singen und Spieleabende mit Freunden.

Im Rückblick stellen sie fest, wieviel Schlechtes sich in ihre Beziehung eingeschlichen hatte, das sie nun wieder austreiben konnten. Indem sie wieder aufeinander zugingen, konnten sie sich wieder füreinander öffnen und gute Erfahrungen in der Beziehung machen. Heute unterstützen sich beide, lachen häufiger, fühlen sich in ihrer Beziehung »entgiftet«, sind weicher geworden und fühlen sich wieder verbunden.

Es entspricht zutiefst unserer menschlichen Natur, etwas wiedergutmachen zu wollen. Ohne Wiedergutmachung würden Gemeinschaften auseinanderfallen. Wiedergutmachungen sind Versöhnungs­handlun­gen. Wiedergutmachung ist allerdings zwei­schnei­di­g, da sie automatisch impliziert, dass etwas falsch ist, jemand eine Schuld trägt, die er »wieder gut machen« muss. Zwischen der Forderung nach einem gerechten Ausgleich und bitterer Anklage liegt nur ein schmaler Grat. Manchmal wird über Schuldzuweisung und die Erwartung von Wiedergut­machung auch überprüft, wie tragfähig die Beziehung noch ist. Statt sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, sollten Paare sich vielmehr auf die Frage konzentrieren, was in Zukunft anders laufen soll und wozu sie bereit sind. Der Akt der Wiedergutmachung beinhaltet im Kern die gegenseitige Anerkennung der Würde des anderen und stellt im besten Fall eine verletzte »Gleichwürdigkeit« wieder her. Der Akt der Wiedergutmachung gibt dem Partner seine Würde zurück. Es ist ein Handeln im Bewusstsein, dem anderen zu vergeben.

Die Grundaussage ist: »Ich sehe, ich habe dich verletzt. Kann ich etwas für dich tun, damit es für dich wieder gut ist?«49 Mit einem Akt der Wiedergutmachung zeigt der Partner, dass er es wirklich ernst meint. Das ermöglicht, ein Gegengewicht zur Verletzung herzustellen. Bei Verletzungen entsteht eine Minusbilanz auf dem Beziehungskonto bei dem Partner, der etwas »angetan« hat. Im Wissen darum, dass Verletzungen nie wirklich verrechnet werden können, gleichen symbolische Handlungen der Wiedergutmachung das belastete Konto wieder aus. Diese eher nüchterne Betrachtung wirkt Beziehungsdramen entgegen.

Um Verletzungen der Vergangenheit leichter versöhnen zu können, braucht es die Anerkennung, dass die Verletzung passiert ist. Es ist meist wenig produktiv, die Verletzung zu ignorieren oder zu versuchen, sie abzuschwächen, etwa mit den Worten: »Es war ja nicht so gemeint. Und du hast doch auch schon …« Der Partner fühlt sich dann meist zurückgewiesen und hat den Eindruck, ihm würde die Berechtigung seiner Gefühle aberkannt. Um sich vom Schmerz lösen zu können, ist die Anerkennung der Verletzung eine wesentliche Voraussetzung. Es ist also notwendig, keine Ausreden vorzubringen: »Auch wenn ich es nicht gewollt habe – ich anerkenne, dass es dich verletzt hat.« Erst zu einem späteren Zeitpunkt können beide gemeinsam herausfinden, warum es verletzt hat.

Es ist heilsam, ausdrücklich um Verzeihung zu bitten und mitzuteilen, dass wir bedauern, verletzt zu haben. Bei Zeichen von Demut und Reue fällt es der verletzten Partnerin leichter zu vergeben. Da sich dies aber auch wie eine »Demutsgebärde« und wie ein Kniefall anfühlen könnte, fällt das gar nicht so leicht. Bedauern zu äußern, lässt uns auf den guten Willen der Partnerin angewiesen sein. Wir machen uns bewusst davon abhängig, ob die Partnerin sich uns wieder zuwendet. Und bekommen dann vielleicht Angst, dass die Entschuldigung nicht angenommen wird. Das ist verständlich, denn es fällt nicht so leicht, ein erlittenes Unrecht zu vergeben. In uns gibt es auch einen uralten Impuls zur Rache. Verharren wir hier in verletztem Stolz, wirkt dies trennend.

Wenn wir uns auf einen Akt der Wiedergutmachung einlassen, bekennen wir uns damit zu einem Fehler. Wiedergutmachung erkennt an, dass eine Verletzung passiert ist. Wir brauchen aber ebenso die Chance, dass unsere Wiedergutmachung angenom­men wird und wir aus der Rolle des Schuldigen freigesprochen werden. Dies führt im besten Fall zu einer stimmigen Balance von Fairness und Gerechtigkeit. Wenn die Frage über die Form und Höhe der Wiedergutma­chung bzw. die Art des Ausgleichs wieder zu neuen endlosen Diskussionen über Gerechtigkeit, Schuld und Enttäuschun­gen führt, dann sollte das Paar vermutlich die Wiedergutmachung besser weglassen und andere Wege der Wiederannäherung suchen.

Die folgende Übung fasst noch einmal die Worte der Versöhnung, wie Jellouschek sie beschrieben hat, zusammen.

Versöhnungsritual: Worte der Versöhnung50

Ein Partner spricht aus: »Ich sehe, dass ich dich, auch wenn ich das nicht gewollt habe, mit meinem Verhalten verletzt habe. Das tut mir zutiefst leid. Ich bitte dich, mir zu verzeihen.«

Die zuhörende Partnerin antwortet: »Ich habe gehört, dass du erkennst, was mich verletzt hat. Und ich sehe, dass es dir leidtut. Ich akzeptiere deine Bitte und verzeihe dir. So gut es geht werde ich versuchen, meine Verletzung loszulassen und sie bei Auseinandersetzungen in Zukunft nicht mehr zu erwähnen.«

Wird die Verletzung durch die Entschuldigung nicht aufgehoben, kann zusätzlich noch eine Wiedergutmachung erfolgen.

Es braucht Mut, um Unversöhntes zu klären, ehrliche Dialoge zu führen und Wiedergutmachung auszuhandeln. Dabei wäre es natürlich wünschenswert, dass die Partnerin, die verletzt hat, sagt: »Mir ist bewusst, wie sehr es dich verletzt hat. Ich verspre­che, es nicht wieder zu tun.« Der springende Punkt ist, dass wir das nicht erwarten können. Wenn wir ohne Stolz und ohne moralische Erhöhung vergeben, kann uns das davor bewahren, uns erneut in Machtkämpfe zu verwickeln.

Übung: Formen der Wiedergutmachung finden

Reflektieren Sie gemeinsam: Was brauche ich von dir? Welche Formen des Ausgleichs wären für mich versöhnlich? Vereinbaren Sie ganz konkrete, einfache Wiedergutmachungshandlungen: Was soll in Zukunft anders laufen? Wie weit bin ich bereit, dir entgegenzukommen?


Achtsame Kommunikation im Alltag

In vielen Paarbeziehungen ist die Art des Miteinanderredens Auslöser für Verletzungen. Worte haben eine große Macht. Beziehungen können an verletzenden Worten zerbrechen oder sich entzweien. Worte können wie Giftpfeile wirken. Daher ist es so wichtig, sorgfältig und respektvoll mit Worten umzugehen.

Im Prozess der Versöhnung und des Aufeinander-Zugehens brauchen Paare oft eine neue Art der achtsamen Kommunikation, die ermöglicht, dass beide Partner lernen, sich wirklich zuzuhören.

Es ist sinnvoll, schwierige Themen möglichst nicht nebenbei, zwischen Tür und Angel, im Affekt, in Stresssituationen oder öffentlich zu besprechen. Hilfreich sind regelmäßige Gespräche zu einem festen Zeitpunkt in der Woche, in dem das Paar sich in einer ruhigen Atmosphäre austauschen kann.

In diesen Zwiegesprächen sprechen beide mit einem Redegegen­stand, der unterstützt, dem anderen nicht ins Wort zu fallen. Bevor über die Beziehung gesprochen wird, ist es gut, zunächst einmal allgemeiner zu erzählen, wie es einem aktuell im Leben geht, was einen bewegt, Kraft kostet und was Kraft gibt. Vor dem Hintergrund der Gesamtsituation wird dann vielleicht sichtbar, dass die Partnerin aktuell bereits durch die Arbeitssituation angespannt ist. Erst dann wird darüber gesprochen, was in der Beziehung gerade schön ist oder belastet. Indem ein Paar diese Räume schafft, wird es möglich, die eigenen Gefühle auf ruhige Art und Weise auszu­drücken, bevor sie wie Giftpfeile abgeschossen werden. Mit Mut, Klarheit und Liebe wird die eigene Wahrheit ausgesprochen.

Der Fokus sollte dabei darauf liegen, nicht die Defizite der Beziehung und der Partnerin zu betonen, sondern den Blick auf den Wunsch zu richten, gemeinsam Lösungen zu finden.

Die Regeln für eine konstruktive Kommunikation sind: in Ichbotschaften sprechen, die eigenen Grenzen mitteilen, die eigenen Bedürfnisse und Gefühle ausdrücken und sich gegenseitig aktiv zuhören.

Bei den Ichbotschaften wird ein konkretes Verhalten in einer spezifischen Situation benannt, statt die Person als Ganzes zu bewerten. Das ist für die Partnerin oft viel leichter anzunehmen. Der entscheidende Dreh zur Ichbotschaft findet statt, indem wir selbst die Verantwortung für unsere Reaktion übernehmen. Statt zu sagen: »Du bist dominant«, können wir dann formulieren: »Ich ärgere mich, weil ich mich heute von dir drei Mal habe unterbrechen lassen.« Mit dieser Aussage wird deutlich, dass nicht der andere uns etwas »angetan« hat, sondern dass wir nicht so reagiert haben, wie wir es von uns selbst wünschten. Denn wir hätten in der Situation sagen können: »Warte, ich möchte gerne noch ausreden.« Wahrscheinlich wäre auf diese Weise kaum Ärger entstanden. Förderlich ist es, konkrete Ideen zu entwickeln, wie es besser gehen könnte: »Das nächste Mal werde ich versuchen, dich sofort darauf hinzuweisen.«

Wenn wir auf der Ebene von Gefühlen und Bedürfnissen, möglichst frei von Wertungen kommunizieren und klarer formulieren, was wir brauchen, kann das die Paar-Kommunikation enorm entlasten und bereichern. Im Bewusstsein darum, dass unsere Bedürfnisse allgemein menschlich sind, können wir uns tief miteinander verbunden fühlen und leichter Verständnis füreinander haben. Denn auf der Ebene der Bedürfnisse sind wir Menschen sehr gleich. Wir alle brauchen Liebe, Verständnis, Ausgleich, Gerechtigkeit, Nähe, Zugehörigkeit, Autonomie, Akzeptanz. Kommunizieren wir auf der Bedürfnis­ebene und übernehmen dabei Verantwortung für unsere Gefühle, kann das, was wir mitteilen wollen, viel leichter angenommen werden. Das, was uns wichtig ist, kann beim Partner ankommen. Dazu ist einige Übung und Achtsamkeit wichtig. Marshall Rosenberg51 hat in seinen Schriften zur »Gewaltfreien Kommunikation« eine Fülle von Anregungen dazu gegeben.

Auf der Ebene des Zuhörens sind zwei Aspekte besonders hilfreich: aus echtem Interesse heraus Fragen stellen, genau nachfragen und aktiv zuhören. Die Haltung des Fragens ist dadurch gekennzeichnet, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass wir die Wahrheit des Partners, seine Sichtweisen, Beweggründe, Motive auch bei größter Vertrautheit nicht wirklich kennen. Es ist eine Haltung der Neugier, des Nichtwissens, der Wertschätzung und Akzeptanz. Bevor wir in die Bewertung gehen, erkunden wir, wie der Partner die Wirklichkeit, die konflikthaften Beziehungs­episo­den wahrnimmt, und erlauben, dass seine Wahrheit sich von unserer eigenen unterscheiden darf. Im Idealfall lassen wir die Sichtweise des anderen so stehen, ohne in Abwehr oder Gegenrede zu fallen. »Das stimmt gar nicht«, »Das ist falsch«, »Das war ganz anders« – diese Sätze könnten signalisieren, erst einmal genauer nachzufragen, ohne Rechtfertigungsdruck auszulösen: »Was hat dich dazu bewegt?«, »Was brauchst du?«, »Was sind deine Motive?« Diese Fragen bauen eine Brücke, um den Partner besser in seiner Wahrheit zu verstehen. Es geht darum, sich an die gute Absicht zu erinnern, statt sich an der vielleicht negativen Wirkung festzu­beißen. Lernen beide Partner, zu ihren Bedürfnissen zu stehen und sie so zu formulieren, dass der Partner dies weder als Mangel versteht noch dadurch unter Druck gerät, sie erfüllen zu müssen, mündet dies in eine große Akzeptanz der Differenz.

Gerade in widersprüchlich erlebten Beziehungssituationen ist das aktive Zuhören eine gute Möglichkeit, um sich zu vergewissern, ob wir die Partnerin auch so verstanden haben, wie sie etwas gemeint hat. Zudem entschleunigt das aktive Zuhören die Geschwindigkeit, die in angespannten Gesprächen oft sehr hoch ist. Aktiv zuzuhören meint, dass wir das Gesagte in eigenen Worten wiederholen, bevor wir uns selbst dazu äußern. Wir versuchen, besonders die Gefühle und dahinterliegenden Bedürfnisse, die wir gehört haben, mitzuteilen. Aktiv zuzuhören beugt Missverständnissen, die die Quelle von Streit werden können, frühzeitig vor. Es würdigt, was der Partner gesagt hat, auch wenn ich nicht damit einverstanden bin oder die Wirklichkeit anders erlebe.

Gelingt es uns trotz allem Bemühen nicht, Verständnis oder Mitgefühl aufzubringen oder einfach die Sichtweise der Partnerin nachzuvollziehen, können wir zumindest sagen: »Ich habe dich gehört.« Erst danach teilen wir mit, was das Gesprochene in uns selbst auslöst. Wir teilen dabei nicht nur mit, was uns kränkt, sondern auch, warum wir bei diesem Thema so empfindlich reagieren. Dadurch wird es leichter, achtsam auf Lösungen zu fokussieren.

Übung: Aktiv zuhören

Wählen Sie ein Thema, bei dem Sie unterschiedlicher Meinung sind. Legen Sie fest, wer beginnt. Die Partnerin, die anfängt, erzählt ihre Sichtweise kurz, lässt Raum für den Partner. Der Partner wiederholt dann in eigenen Worten, ohne seine eigene Meinung hineinzugeben, was bei ihm angekommen ist. Wenn es so richtig wiedergegeben wurde, sagt die Partnerin: »Ja, so habe ich es gemeint.«

Wenn nicht, setzt die Partnerin erneut an, um ihre Sichtweise ver­ständlich zu machen. Dieser Wechsel von Erzählen und aktivem Zuhören geht so lange, bis die Partnerin drei Mal »Ja, so habe ich es gemeint« gesagt hat. Dann wechseln beide die Rollen. Nun erzählt der Partner, und die Partnerin hört aktiv zu, bis sie drei Mal ein Ja-Wort erhalten hat.

Statt einer Übung: Sich an Achtsamkeit im Alltag erinnern

Erinnern Sie sich an Alltagssituationen: Wie bewusst nehmen Sie sich Zeit füreinander, wenn Sie sich wiedersehen oder auseinandergehen? Wie flüchtig sind Ihre Küsse und Umarmungen, wie dialogisch Ihre Gespräche? Wie oft sprechen Sie miteinander, obwohl Sie in Gedanken gerade mit etwas anderem beschäftigt sind? Wann sprechen Sie den anderen an, obwohl er gerade in etwas vertieft ist? Wie könnte Achtsamkeit in der Kommuni­kation aussehen, gerade wenn es um verletzte Themen geht?


Aufeinander zugehen

Ein letzter Aspekt dieses Versöhnungsschrittes besteht darin, neu aufeinander zuzugehen, um die Herzensverbindung auch im Alltag zu spüren. Intimität vermittelt sich auch durch liebevolle Blicke, achtsames Zuhören, kleine Aufmerksamkeiten, Gesten der Zuwendung und Ermutigung.

Das folgende Ritual findet schweigend statt. Es ist ein Ritual der Wiederannäherung, das zugleich einfach ist und doch sehr intensiv wirken kann. Sie können es öfter wiederholen. Achten Sie dabei Ihre eigenen Grenzen. Für dieses Ritual benötigen Sie Ruhe und einen geschützten, ungestörten Raum.

Ritual: Aufeinander zugehen

Bereiten Sie den Raum so vor, dass er sich für Sie warm, gemütlich und stimmungsvoll anfühlt. Dazu können Sie z. B. eine Kerze anzünden und leise Musik abspielen.

Stellen Sie sich gegenüber, mit einigen Metern Abstand. Schauen Sie sich aus diesem Abstand heraus – so gut es geht – in die Augen. Lassen Sie sich viel Zeit. Wann immer Sie einen Impuls fühlen, auf den anderen zuzugehen, tun Sie das auch real. Vielleicht kommt ein versöhnlicher Gedanke oder eine kleine Erinnerung an die große Liebe, die zwischen Ihnen ist oder war. Versuchen Sie, durch die Schichten und Nebel des Trennenden auf das Verbindende zwischen Ihnen zu schauen. Gehen Sie so lange aufeinander zu, bis Sie dicht voreinander stehen. Versuchen Sie, über die Augen liebevoll in das Fenster der Seele des anderen zu schauen. Wenn es Ihnen möglich ist, umarmen Sie sich. Wenn nicht, beenden Sie das Ritual, indem Sie sich noch kurz an den Händen halten.

Diese Übung drückt symbolisch den Prozess der Wiederannäherung und des Aufeinander-Zugehens aus. Durch das Schweigen kann ein ganz besonderer Raum entstehen, jenseits von alten Geschichten. Im Anschluss kann gemeinsam reflektiert werden, welche Beweggründe es gab, auf den anderen zuzugehen. Gemeinsam können Sie sich mitteilen, wo Sie bereit sind, auch im Alltag mehr auf den anderen zuzugehen.

Eine Variation dieses Rituals ist, sich im Alltag schweigend anzuschauen, bis Sie wieder kleine Funken der Nähe und des Berührtseins fühlen. Das Paar kann im Stehen die rechte Hand auf das Herz des Partners legen und die linke Hand auf die rechte Hand der Partnerin. Gemeinsam können Sie dabei in Stille bewusst in Ihr Herz atmen und der Partnerin in die Augen sehen, bis Sie die Verbindung spüren. Diese kleinen Übungen im Alltag sowie kleine Gesten wie eine sehr bewusste Umarmung, das stille Halten der Hände oder das schweigende tiefe Anschauen kann die Bindung stärken und helfen, sich füreinander zu öffnen.