Es war ein ruhiger Morgen, als wir uns wie jeden Tag unsere als Sonnenschutz dienende schwarze Zinkcreme ins Gesicht schmierten und auf den Weg zu der neuen und so viel gefährlicheren Welle machten. Dass die Creme wie Kriegsbemalung aussah, die uns furchtlos wirken ließ, passte gut, da wir uns nach all den Surfs auch fühlten, als hatten wir die Ungewissheit des Meeres unter Kontrolle. Selbstbewusst paddelten wir raus auf den Ozean und bekamen auch prompt die Rechnung: Schon nach einer halben Stunde fiel meine Freundin mit dem Gesicht voran auf das Korallenriff. Nachdem sie sich gesammelt und ihr Board wieder unter Kontrolle hatte, paddelte sie zu mir zurück, während sie sich die Hand vor das blutige Gesicht hielt. Nach einigen Momenten des Unglaubens wurde uns bewusst, dass die Nase nicht nur gebrochen war, sondern dass das Riff auch eine tiefe, offene Wunde in ihr Gesicht gerissen hatte. Es blieb uns keine andere Wahl, als so schnell wie möglich an Land zu kommen und medizinische Hilfe zu suchen, denn aus meiner Bali-Zeit wusste ich aus eigener Erfahrung, wie schnell sich Riffschrammen entzündeten. Mit einer so großen Wunde wie dieser durften wir kein Risiko eingehen.
Schnell fanden wir heraus, dass es ärztliche Hilfe nur auf dem Festland gab. Auf dieselbe Fähre zu warten, mit der wir gekommen waren, war für uns keine Option, denn sie war langsam und verließ wie gesagt die Insel nur einmal pro Woche. Ein Einheimischer gab uns den Tipp, unser Glück mit den Fischern zu versuchen, die uns in ihren Booten auf die andere Seite bringen könnten. Zum Fischerdorf gelangte man nur durch den kleinen Mangrovenwald, wo die Gezeiten von uns verlangten, dass wir unser kleines, geliehenes Holzboot für mehrere Stunden durch den Schlamm zogen. Als wir endlich am späten Nachmittag erschöpft am Hafen ankamen, fanden wir tatsächlich einen Fischer, der einverstanden war, uns für viel Geld zum Festland zu bringen. Die Sonne stand schon tief, als wir seine Nussschale bestiegen. Mir fiel sofort auf, dass das Boot nur einen Motor hatte. Zu dritt gab es gerade genug Platz für uns und unsere Tasche, und die Überfahrt sollte die ganze Nacht dauern. Viel Gepäck hatten wir nicht dabei, nur Wasser und ein paar Snacks.
Meine fiebernde Freundin schlief sehr schnell ein, doch ich durchlebte auf dieser ungeplanten Bootsfahrt eine Achterbahn der Gefühle. Mehrmals fiel der Motor aus, und ich saß hilflos da, während der Fischer panisch versuchte, ihn wieder in Gang zu setzen. Der Wind peitschte die Wellen immer stärker auf. Die Nacht war so schwarz, dass ich nicht mal meine eigene Hand vor dem Gesicht sehen konnte. Die dunkle Weite des sonst so vertrauten Ozeans hatte etwas Bedrohliches, das mich davon abhielt, meine Augen zu schließen.
Um in diesen Stunden nicht verrückt zu werden, lenkte ich all meine Energie in das Vertrauen, dass das Schicksal es gut mit uns meint und wir es irgendwie zum Ufer schaffen werden. Innerhalb eines Tages war unser friedlicher Aufenthalt im Paradies zum nervenaufreibenden Abenteuer geworden, und ich wünschte mir in dieser Nacht nichts inniger, als wieder in der sanften Brandung meinem Korallenkonzert zuhören zu können.
Mit den frühen Sonnenstrahlen trafen wir endlich auf das langersehnte Festland. Das Krankenhaus war nicht allzu weit vom Hafen entfernt, sodass wir 24 Stunden nach dem Unfall endlich medizinische Hilfe bekamen. Erschöpft und unter starken Schmerzen erfuhr meine Freundin, dass ihre Wunde schon zu ausgetrocknet war, um genäht zu werden. Auch mit der gebrochenen Nase konnten die Ärzte nicht viel machen, dementsprechend kurz war unser Krankenhausbesuch.
Dies war der Wendepunkt unseres großen Abenteuers. Während unsere Herzen zur einsamen Insel zurückwollten, sagte die Vernunft etwas anderes. Wir waren hin- und hergerissen zwischen dem Mut, der uns auf dieses Abenteuer geführt hatte, und der Erkenntnis, dass wir gescheitert waren. Auch wenn dieses Missgeschick nicht unsere Schuld gewesen war, war ein Stück des Vertrauens in meine eigenen Fähigkeiten und auch in meine Selbsteinschätzung in den letzten 24 Stunden verloren gegangen. Der plötzliche Aufbruch hatte es für uns aussehen lassen, als wären wir nie vollkommen Herr der Lage gewesen. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und die Erkenntnis unserer Verletzlichkeit brachten uns dazu, einen alternativen Plan zu suchen. Und so entschlossen wir uns schweren Herzens, Indonesien erst mal zu verlassen und an die Ostküste Australiens zurückzukehren.
Es war wie die Rückkehr in einen sicheren und gleichzeitig langweiligen Hafen, als wir uns nur Tage später in der Zivilisation Australiens wiederfanden. In diesem Moment war ich mir nicht gewiss, was als Nächstes kommen würde. Ich fühlte mich weit entfernt von mir selbst, denn in Gedanken war ich noch immer in Indonesien und stellte mir vor, was wir noch alles hätten erleben können, wenn wir geblieben wären. Das ernüchternde Ende unseres Abenteuers schien den wundervollen Erfahrungen, die diese kleine Insel in mein Leben gebracht hatte, nicht gerecht zu werden.