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Anfangs war ich mir nicht sicher, wie viel Geld wir als Musiker verdienen würden – oder könnten. Ich weiß noch, wie ich unseren Anwalt anrief und mich erkundigte, ob ich mir ein neues Auto zulegen könnte. Ich werde mich wohl ewig an seine Antwort erinnern, denn sie war so typisch britisch. „Dave“, meinte er, „es besteht nur Grund zur verhaltenen Freude.“ Ich hängte auf und wunderte mich, wie zum Geier ich mich denn verhalten freuen sollte. Ich fand schon bald einen Weg.

Eine Woche vor Weihnachten wurde mir mitgeteilt, dass ich aufgrund des englischen Steuerrechts, sollte ich mich nicht im darauffolgenden Jahr im Ausland aufhalten und mich nicht akribisch an alle Vorschriften und Regeln halten, bald schon tief verschuldet sein würde.

Wir hatten ununterbrochen gearbeitet, waren im Zuge von Sweet Dreams auf Tour gewesen und hatten unser neues Album Touch aufgenommen. Aber die alten Tourists-Manager wollten auch etwas vom Kuchen abhaben und so einigten wir uns außergerichtlich darauf, ihnen eine riesige Summe zu bezahlen. Dies und die Steuergeschichte sollten nun dazu führen, dass ich bis über die Ohren in Schulden stecken würde, statt endlich Geld in der Tasche zu haben.

Da ich allerdings praktisch das ganze nächste Jahr, 1984, auf Tour sein würde, wurde mir erklärt, käme schon alles in Ordnung, wenn ich mich nur zu bestimmten Zeiten und nie länger als ein paar Wochen in Großbritannien aufhalten würde.

Wir planten eine höchst umfangreiche Tour anlässlich unseres neuen Albums. Anschließend wollten wir ein neues in Frankreich aufnehmen. Und ansonsten würde ich mich in Amerika aufhalten.

Außerdem ließ man mich wissen, dass ich inzwischen über keinen Wohnsitz in England verfügen dürfte. Es hieß, ich sollte das Land verlassen und mich fernhalten.

Damals war ich erst einmal in der Karibik gewesen, und zwar auf Montserrat. Allerdings hatte ich Gefallen an der Gegend gefunden. Schon damals hatte ich mir gedacht: Eines Tages ziehe ich nach Barbados. Sogar dem Sunderland Echo hatte ich in einem Interview, das ich ihm gab, als ich 17 Jahre alt war, erklärt, dass ich irgendwann auf Barbados leben würde. Dieser Plan beruhte auf der Tatsache, dass ein Mitglied meiner Familie Barbados besucht und als „exotisch“ beschrieben hatte. Das klang gut in meinen Ohren. Als ich nun an der Schwelle zu Reichtum und Berühmtheit stand, stieg ich im Treasure Beach Hotel ab – als Steueroase garantiert eine bessere Wahl als die Isle of Man, die einst als Felsen mit 50.000 Alkoholikern, die sich daran festklammerten, beschrieben worden war.

Am Tag, als ich aufbrach, besuchten mich noch viele Leute in meiner Londoner Wohnung, um sich zu verabschieden, mir das Allerbeste zu wünschen und ein paar Sachen abzustauben. Ich verschenkte den Großteil meiner Habseligkeiten: meine Schallplatten, Klamotten und Bücher. Meinem Bruder, der mir dankenswerterweise dabei half, meinen Aufbruch zu organisieren, überließ ich meine Karre.

Kathy Valentine von den Go-Go’s war damals gerade zu Besuch bei mir. Poly Styrene von X-Ray Spex, die inzwischen eine Krishna-Anhängerin war, kam auch vorbei und wurde von ein paar anderen Krishnas begleitet. Dann war da noch eine Dame, die auf der anderen Straßenseite wohnte und als Journalistin für die Times arbeitete und Wodka trank, obwohl es erst zehn Uhr vormittags war. Es war eine surreale Versammlung, die mich verabschiedete und mir hinterherwinkte, als ich schließlich mit dem Taxi zum Flughafen fuhr.

Ich traf spät nachts in Barbados ein und wurde ins Hotel chauffiert, wo ich mich gleich in mein Zimmer begab und sofort einschlief. Als ich am nächsten Morgen erwachte, war ich völlig verwirrt. Ich stand auf, begab mich an den Strand, sah aufs Meer hinaus und dachte: „Das ist schon seltsam. Es ist Weihnachten und ich sitze hier am Strand und schaue auf die türkis schimmernde See hinaus. Und ich habe tatsächlich Geld.“

Es fühlte sich eigenartig an – keine Annie, keine Familie und keine Freunde, nur ich ganz alleine am Strand.

Annie und ich hatten uns getrennt, genossen aber unseren unglaublichen Erfolg mit Sweet Dreams. Wir waren mittlerweile riesig und man kannte uns überall auf der Welt. Und doch war da nichts außer einem leeren Strand und einem leeren Ich, das auf die große leere See hinausblickte.

Dann tauchte aber ein winziger Fleck auf und wurde immer größer. Ich erkannte, dass es ein Ruderboot war, in dem zwei Menschen saßen. Sie hielten genau auf mich zu.

Ich sah genau hin und rief: „Eileen?“

„Dave!“, schrie sie mir zu. Es war Eileen Gregory, eine alte Freundin, die ich schon seit Jahren kannte. Und nun landete sie genau hier, an diesem Strand. Sie hatte mit ihrem Freund gerade den Atlantik in einem Segelboot überquert. Und von diesem Tag an arbeitete sie für mich. Von Ende 1983 bis 1997 leitete sie meine Firma Radioactive Films. Später betreute sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Phil Gregory mein Aufnahmestudio und leitete auch meine amerikanische Firma mit dem Namen Elligible Music, U.S.A.

* * *

Jahre später beschloss ich, einen Film zu machen, in dem ich den großartigen Blues-Musikern huldigen wollte, die mich inspirierten, seit ich 14 Jahre alt war und von meinem Cousin Ian aus Memphis ein Paket erhalten hatte. Ich musste dafür herausfinden, wer von ihnen überhaupt noch am Leben war. Daher bat ich Eileen und meinen Bruder John um Hilfe, der ein paar Jahre lang die Produktionsfirma Oil Factory in London betrieb.. Sie stießen als Produzenten dazu und Eileen begab sich auf eine Exkursion, um den Kontakt zu diesen Musikern herzustellen.

Wir wandten uns an Robert Palmer, seines Zeichens Musikkritiker bei der New York Times und ein Blues-Experte, der das Buch Deep Blues geschrieben hatte. Ich schlug ihm vor: „Warum machen wir nicht Deep Blues – der Film?“

Mit Roberts Hilfe trieben wir phänomenale Blues-Musiker wie R. L. Burnside, Roosevelt „Booba“ Barnes, Jessie Mae Hemphill, Big Jack Johnson, Junior Kimbrough, Booker T. und andere auf.

Der großartige Dokumentarfilmer Robert Mugge willigte ein, als Regisseur zu fungieren. Ich finanzierte das Filmprojekt und fungierte als ausführender Produzent. Zu Beginn der Dreharbeiten flog ich nach Memphis und traf mich mit meinem Cousin Ian, der sich überhaupt nicht verändert hatte. Sein Akzent war immer noch so derb wie eh und je und er half uns dabei, uns in Memphis und der Delta-Gegend zurechtzufinden.

Aber als ich eintraf, meinten die Produzenten: „Eine Sache noch: Wir wollen, dass du darin auftrittst.“ Ich war strikt dagegen, da ich der Meinung war, dass dies den Film ruinieren würde. Immerhin war ich ein schrulliger Engländer, wohingegen diese Typen alle echte Delta-­Blues-Musiker waren, die bereits seit vielen Jahrzehnten Musik machten und mittlerweile alle in ihren Siebzigern waren. Sie erfüllten mich mit Ehrfurcht. Doch die Produzenten überzeugten mich, dass der Film durch mich mehr Aufmerksamkeit bekäme, was es erleichtern würde, einen Vertrieb zu finden.

Jack White hat mir inzwischen gesagt, dass es sein Lieblingsfilm ist, und ich habe so viele Leute kennengelernt, die meinten: „Deep Blues hat mich total umgehauen.“ Er hat viele Acts beeinflusst, etwa die Black Keys und Gary Clark Jr. Es ist der einzige Film, der all diese Delta-Blues-Musiker zeigt, wie sie immer noch in Kaschemmen auftreten. Keiner von ihnen ist wohl mittlerweile noch am Leben.

Der Film enthält so viele tolle Auftritte. R. L. Burnside zeigte mir auf seiner Veranda, wie man den Song „Jumper On The Line“ spielt. Ich saß da und dachte darüber nach, wie unglaublich das alles war, nachdem ich als Kind in Sunderland Mississippi-Blues auf dem selbstgebastelten Plattenspieler meines Dads gehört hatte. Nun befand ich mich in Mississippi und lauschte vor Ort und live. Ich war so elektrifiziert und gelähmt wie beim ersten Mal, als ich diesen Sound zu hören bekam. Die Finanzierung dieses Films war so ziemlich das Wichtigste, was ich jemals getan habe.

* * *

Dies lag aber alles noch vor mir. Ende 1983 konnten Annie und ich nirgendwo zusammen hingehen, ohne von Autogrammjägern bedrängt zu werden. Das traf auf jedes Land zu, das wir besuchten. Wir hatten innerhalb eines Kalenderjahres nicht nur zwei Alben veröffentlicht, sondern auch die zermürbende Touch-Tour in Angriff genommen, die sich von Oktober 1983 bis September 1984 erstreckte. Die Aufmerksamkeit, die uns zuteil wurde, fühlte sich eigenartig an und uns wurde klar, dass wir uns irgendwie schützen mussten.

Kurz bevor die Tour anlief, erschien Annie groß auf dem Cover des Rolling Stone. Die Schlagzeile lautete EURYTHMICS: SWEET DREAMS OF SUCCESS. Das war damals eine Riesensache für uns. Viele Titel­blätter und auch unsere Plattencover zeigten nur Annie. Das hatten wir beide so entschieden. Mir war das völlig egal. Ich war sogar sehr dankbar dafür, dass ich einen Partner hatte, der so attraktiv, originell und höchst fotogen war. Ich bin ja kein sonderlich gut aussehender Typ. Und damals sah ich aus, als hätte ich gerade ein Gespenst gesehen. Meine Haare waren außer Kontrolle und mein Bart wirkte ungepflegt. Mir war meine Rolle bewusst und mir gefiel sie auch. Ich erschuf Situationen und ließ mich ständig auf Risiken ein. Ich war der Würfler und ließ die Würfel einfach rollen.

John Lydon alias Johnny Rotten sagte einst: „Ich mag verrückte Leute, besonders diejenigen, die sich keiner Risiken bewusst sind.“ Und Kevin Spacey meinte einmal: „Mitunter sind es die Verrückten, die sich letztlich als gar nicht irre herausstellen.“

Und so spielte ich den Verrückten, den Kauz, den Exzentriker – was mir nicht sonderlich schwerfiel, weil ich das ohnehin war. Jedoch hielt ich mir eine Ecke meines Verstandes frei, in der ich vernünftige Entscheidungen traf – schließlich musste ich das in meiner Rolle als Produzent, Songwriter und Performer jeden Tag tun. Und bis zum Ende unserer ersten Sweet Dreams-Tour fungierte ich obendrein ja noch als Manager.

Für all dies verantwortlich zu sein und dann noch zu touren, brachte mich fast um. Wenn es da nicht einen jungen Kerl namens Jack Stevens gegeben hätte, der bei RCA im Bereich A&R tätig war, wäre Sweet Dreams wohl nie herausgekommen und wir wären auch nie auf Tour gegangen. Jack war unser Verbündeter und kämpfte unerbittlich dafür, dass wir vom Label nach dem kommerziellen Misserfolg von In The Garden nicht fallengelassen wurden. Er stand auf unserer Seite und setzte sich bei der Plattenfirma dafür ein, dass man uns erlaubte, was wir wollten. Da er jung und intensiv rüberkam, dachten sie sich vielleicht, dass ihm etwas aufgefallen war, was ihnen entgangen war. Und dem war ja auch so.

Jack wusste, dass wir groß rauskommen könnten, doch hatten wir uns selbst um alles gekümmert. Er war der erste echte Helfer. Ich verbrachte nun viel Zeit bei ihm im Büro, wo wir uns berieten und unsere nächsten Schritte überlegten.

Jack stellte uns auch Laurence Stevens vor, der gerade das College hinter sich gebracht hatte; er sollte von nun für unser Artwork zuständig sein. Am Ende der Sweet Dreams-Tour machte mich mein Freund, der Gitarrist John Turnbull, mit Kenny Smith bekannt. Kenny war mit Johns Exfrau Sandra verheiratet; er wurde schließlich unser Tour-Manager und Sandra wurde Annies persönliche Assistentin.

Als sich schließlich die Touch-Tour in Bewegung setzte und ich England den Rücken kehrte, hatten wir bereits ein kleines Vermögen angehäuft und Bura und Hardwick ihr Kirchengebäude abgekauft. Außerdem hatten wir noch das Haus und den Shop nebenan erstanden, um darin unsere Managementfirma unterzubringen, und D&A Ltd. gegründet; Kenny fungierte de facto als unser Manager für Großbritannien. Wir unterzeichneten außerdem einen Vertrag mit dem legendären amerikanischen Manager Gary Kurfirst, der sich neben uns auch noch um die Talking Heads, die B-52s und die Ramones kümmerte – alles Bands, die ich verehrte.

Anschließend entschieden wir uns, unser Management ganz anders zu regeln, und richteten ein britisches Management ein, dem zehn Prozent der Einnahmen aus Großbritannien und dem Rest der Welt sowie fünf Prozent der Einkünfte aus den USA zustanden. Das amerikanische Management erhielt hingegen zehn Prozent der amerikanischen Einkünfte und fünf Prozent vom Rest der Welt. Gary war zwar nicht sehr glücklich darüber, da es weniger war als sein üblicher Prozentsatz, aber so bekam jeder Einblick in das, was der jeweils andere verdiente. Es war unser Versuch, nicht im Dunkeln zu tappen, da unsere vorangegangenen Erfahrungen in puncto Management nicht unbedingt einer Wiederholung bedurften.

Wir wollten einfach vermeiden, was den meisten anderen Bands widerfuhr – letzten Endes ohne einen Cent dazustehen. Mein Vater gab mir einen ausgezeichneten Ratschlag, nachdem er sich unsere umfangreichen Verträge mit der Plattenfirma und dem Management durchgelesen hatte. Er gestand, dass selbst er als zertifizierter Buchhalter nicht wüsste, was diese Verträge zu bedeuten hatten. Doch er riet mir: „Achte darauf, dass Annie und du euer Geld stets als erste erhaltet. Und bezahlt erst dann alle anderen.“ Mit anderen Worten: Wir sollten die Kontrolle über alles behalten. Diese Perle der Weisheit erwies sich als unbezahlbar. Da wir unsere Ausgaben für Aufnahmen sehr niedrig hielten und nicht mit anderen Produzenten arbeiteten, weil ich diese Rolle zumeist selbst übernahm, begannen uns langsam die Tantiemenschecks ins Haus zu flattern. Und das Geld floss auf dasselbe Konto in Crouch End, wo wir uns 18 Monate zuvor noch 5.000 Pfund hatten leihen müssen, um Sweet Dreams zu finanzieren. Nun waren wir gerüstet, die Welt zu erobern.