Unser Album Revenge kam 1986 heraus. Annie und ich nahmen es im Studio unseres Freundes Conny Plank auf. Conny hatte ja schon In The Garden mit uns aufgenommen und einen solch positiven Einfluss auf unsere Musik gehabt, dass es sich schlicht und einfach richtig anfühlte, zu ihm zurückzukehren. Sein Studio war ein guter Ort, um allem zu entkommen und sich zu konzentrieren.
Ich begab mich mit einer Mission ins Studio: Ich wollte eine Platte mit einem epischen Sound erschaffen, damit wir uns, wenn wir es live vorstellen würden, so richtig austoben könnten. Auf diesem Album steuerte ich mehr Gitarren bei und es hörte sich auch eher nach einer Band als nach einem Duo an.
Es war Conny, der mich inspirierte, als Produzent in Erscheinung zu treten. Als wir das erste Eurythmics-Album aufgenommen hatten, hatte er das Handwerk, Musik aufzunehmen, entmystifiziert und es zu einem freudvollen und experimentellen kreativen Prozess gemacht. Er hatte mich auf dem Mischpult herumspielen lassen, was die meisten Studiotechniker und Produzenten nicht zulassen. Sie geben eher Anweisungen: „Die Band sitzt da hinten.“ Ihre Aufgabe ist es, das Flugzeug zu steuern, während einem selbst der Zutritt zum Cockpit verwehrt bleibt.
Conny holte mich hingegen jeden Tag ins Cockpit, und das war ganz schön spannend. Er zeigte mir unentwegt alle möglichen verrückten Dinge und ermutigte mich zu Experimenten: „Lass uns das Mikro in den Brunnen des Bauernhofes hängen und das Echo des Wassers aufnehmen.“ Oder: „Lass uns die Bassdrum verstimmen und mit einem Hammer darauf einschlagen. Das Mikro stellen wir aber fünf Meter weg.“
Er machte mir klar, dass alles möglich ist. Wenn ich etwas verzerren wollte, taten wir das einfach, völlig konträr zur alten Herangehensweise.
Conny brachte uns bei, dass es keine Regeln gibt. Sein Studio befand sich in der Mitte von Nirgendwo in einem kleinen Bauernhaus, zu dem eine winzige Scheune gehörte. Conny und seine Frau Christa hatten gerade einen kleinen Jungen namens Stefan bekommen. Der ist mittlerweile ein ansehnlicher Mann und verkauft Raritäten aus dem Aufnahme-Fundus seines Dads in Deutschland.
Die wichtigste Lektion meiner Zeit mit Conny im Studio war, dass nur der Sound zählt – und nicht, wie man ihn erhält. Man muss Sachen ausprobieren, um herauszufinden, was einem gefällt. Holt euch also eine Dose, füllt sie mit Erbsen und schüttelt sie zusammen mit einem Sack voller Bleistifte. Dann legt einen Echo-Effekt darüber und hört euch das Resultat an. Es ist egal, was man aufnimmt oder wie viel eine Gitarre gekostet hat, denn es ist möglich, sie spitze klingen zu lassen.
Noch bevor es das Sampling und Sequenzer gab, arbeitete Conny mit Holger Czukay, der den „Persian Love Song“ erschuf, indem er Tonbänder manipulierte und auf diese Weise Loops produzierte. Holger nutzte dies wie ein Musikinstrument. Es war faszinierend dabei zuzusehen und auch ich machte mir diesen Ansatz im Laufe der Jahre zu Nutzen.
Ich bat erneut Clem Burke, mit uns zu spielen. Er ist ein phantastischer Schlagzeuger für Rock, Pop oder klassische Musik. Sein Spiel ist sehr dramatisch: Wenn man sich von der Strophe zum Refrain steigern will, ist er genau der richtige Mann. Er hält sich überhaupt nicht zurück und versucht nicht, jazzig oder zu subtil zu spielen. Es geht ihm darum, Pop und Rock zu fabrizieren – und das soll man spüren. Man nehme zum Beispiel den Song „Thorn In My Side“: Sogar wenn man nur mich auf der zwölfsaitigen Akustikgitarre, Annies Gesang und Clems Schlagzeugspiel hört, ist es ihm zu verdanken, dass das Ganze dennoch elektrisierend klingt. Annie bündelte dafür ihre ganze Wut und war extrem fokussiert, als sie den Mund öffnete, um ihren zornigen Text zu singen: „Thorn in my side, you know that’s all you ever were.“ Ihr Gesang war gleichzeitig eiskalt und leidenschaftlich heiß. Sie zog das durch und sang den ganzen Song in nur einem Take.
Dann zogen wir nach Paris, um noch weitere Leadgesänge, Saxofonpassagen und Overdubs aufzunehmen – einfach weil es unsere Lieblingsstadt war und uns dort tolle Arbeiten gelungen waren. Sobald wir uns im Studio de la Grande Armée eingerichtet hatten, kam Eric Scott, mein alter Kumpel aus Sunderland, vorbei und malte für das Albumcover Porträts von uns beiden. Es war ziemlich surreal, wie er da in meinem kleinen Apartment malte, während ich im Studio arbeitete, und immer noch malte, wenn ich am Abend heimkam. Jedes Mal war ein bisschen mehr von mir oder Annie auf der Leinwand zu sehen. Das Cover entstand direkt vor unseren Augen.
„The Miracle Of Love“ entstand ursprünglich wie die meisten meiner Songs auf der Akustikgitarre. Ich liebe es nämlich, Akustikgitarre zu spielen. Manchmal reicht eine ganz simple Melodie in Kombination mit der richtigen Abfolge von Akkorden schon aus und der Rest der Song-Struktur kommt wie von selbst. Ich liebe es auch, gemeinsam mit Freunden in der Küche zu musizieren.
Die Arbeit an diesem Song begann ich in London. Ich hatte ein Haus mit einem steinernen Küchenboden, wodurch sich ein natürlicher Hall ergab. Ich spielte das Intro-Riff zu „Miracle Of Love“ dort jeden Morgen auf einer Akustikgitarre mehrere Tage hintereinander und wartete nur darauf, dass Annie aus dem Urlaub zurückkehrte, damit ich es ihr vorspielen konnte. Das Gitarren-Riff, die Akkorde, der Refrain, die Melodie sowie die Textzeile „The miracle of love will take away your pain, when the miracle of love comes your way again“ waren bereits vorhanden. Aber ich hatte keine Ahnung, wie es dann weitergehen sollte – und das trieb mich in den Wahnsinn.
Als Annie schließlich wieder da war, erarbeitete sie, nachdem ich ihr meine Ideen auf dem Klavier vorgespielt hatte, die Melodie für die Strophe. So genial, wie sie eben ist, traf sie in der Folge mit ihren Texten und Zeilen wie „They say the greatest coward can hurt the most ferociously“ den Nagel auf den Kopf.
Es ist etwas sehr Bewegendes, wenn das Timbre von jemand zu einem bestimmten Ablauf von Akkordwechseln erklingt. Annie verfügt nicht nur über einen speziellen Sound, sie hat außerdem etwas Bestimmtes in ihrer Stimme, das vor Emotion nur so trieft und die Menschen zu Tränen rührt. Es ist eine Kombination aus dem Sound, den sie aus ihrer Stimme herausholt, und der Tatsache, dass sie aus dem schottischen Aberdeen stammt, wo sich die musikalische Tradition durch viel Schwermut auszeichnet. Es ist schwierig, zu erklären, wie viel Traurigkeit und Schönheit in den Melodien und Akkordfolgen schottischer oder irischer Weisen liegt. Man muss sie einfach anhören und auf sich wirken lassen. Annie liegt das im Blut – und da ich selbst aus dem englischen Nordosten stamme, finde ich leicht einen Zugang dazu. Wir beide wuchsen dort auf, wo der Himmel in unterschiedlichen Grauschattierungen über der Landschaft hängt und eiskalte Nordwinde die Luft durchschneiden. Ich glaube jedenfalls, dass diese Elemente, wann immer wir Balladen schrieben, sich auf die Dynamik zwischen uns beiden auswirkten. Wir beide spürten, wenn etwas diesen besonderen Kältefaktor aufwies.
Der Instrumental-Part in der Mitte erinnert mich mit seinem Streicher-Arrangement, um das sich wieder einmal unser alter Freund Michael Kamen gekümmert hatte, sowie seinen Gitarren, die gleichzeitig sowohl vorwärts als auch rückwärts zu spielen scheinen, an einen solchen Himmel an einem windigen Tag. Annie ergänzte ein paar großartig subtile Improvisationen zum Ende des Songs und die Streichinstrumente vollführen eine Art Aufwärtsbewegung, die bei mir für Gänsehaut sorgte.
Als wir Revenge aufnahmen, hatten Annie und ich nicht nur als Paar viel miteinander durchgemacht, sondern nahmen auch immer noch Anteil am Privatleben des jeweils anderen. Es war uns fast unmöglich, nicht alles, was uns beschäftigte, miteinander zu teilen. Wir besprachen alles. Es war ein Teil unseres kreativen Prozesses. Manchmal war der sehr schmerzhaft und schwierig für uns und die Leute, die uns umgaben, aber auf eine gewisse Art lag es auch an unserer einzigartigen Beziehung, dass unsere Songs so voller Emotion waren: Manchmal waren sie wütend, manchmal voller Zartheit – aber stets intensiv.
Als Revenge endlich fertig war, drehten wir gleich im Anschluss drei Videos hintereinander.
So wie schon bei den Studioaufnahmen selbst wollte ich, dass die zugehörigen Videos unsere Band etwas mehr in den Vordergrund rückten, weshalb „Thorn In My Side“ und „When Tomorrow Comes“ zusammen mit unseren neuen Bandmitgliedern entstanden und einen Vorgeschmack auf unsere Live-Shows boten. Gemeinsam mit dem Filmproduzenten Billy Poveda fungierte ich als Regisseur und auch als Kameramann unseres Musikvideos zu „The Miracle Of Love“. Wir drehten mithilfe einer 8-mm-Filmkamera im Garten eines Grundstückes in der Balboa Avenue im kalifornischen Encino, auf dem schon bald mein Eigenheim stehen sollte. Dazwischen schnitt ich verstörende Archivaufnahmen von kriegerischen Konflikten und Unruhen und fügte jedes Mal, wenn Annie „The Miracle Of Love“ sang, Bilder von Atombombenexplosionen als ultimativen Gegensatz ein.
Am Ende des Videos kann man meine allerliebste Einstellung von Annie überhaupt bewundern. Ich verwendete dazu ein langes Objektiv und Annie bekam zuerst gar nicht mit, dass ich sie filmte. Als sie es realisierte, lächelte sie und fing an, zu lachen. Genau dieses Bild habe ich von ihr im Kopf, wenn ich Annie vermisse. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile fing ich alles ein, was ich an ihr so liebe. Lange Zeit beendeten wir unsere Shows mit diesem Song. Das war immer sehr emotional. Menschen jeglichen Alters rannen dabei Tränen übers Gesicht.
„Missionary Man“, das auch auf Revenge enthalten ist, wurde zu einem unserer bekanntesten und beliebtesten Songs in den USA. Zu jener Zeit, als Annie und ich ihn schrieben, war mein Leben in eine recht komplizierte Phase eingetreten, in der ich mit einer Vielzahl von unglaublichen Musikern arbeitete, was Annie wahrscheinlich in den Wahnsinn trieb. Das war von meiner Seite aus nicht beabsichtigt, aber ich war einfach offen für alles – und wenn man offen für alles ist, kann einfach auch alles passieren.
Eines Morgens ereignete sich etwas sehr Eigenartiges, als ich mich in die Küche meines Londoner Domizils in Maida Vale begab. Von dort aus sah ich auf der Straße meine Mum, die sich gerade mit einer kleinen Lady unterhielt und ihr ein Stück Papier zeigte. Meine Mum zeigte wiederum auf mein Haus. Schließlich kam sie an meine Tür und sagte: „Diese Lady hat sich verirrt und ist sehr aufgebracht darüber, weil sie zu einem Vorstellungsgespräch wollte.“ Sie war gerade erst in England angekommen und sprach nicht viel Englisch. Nun stand sie da mit einem Stück Papier, das sie nicht verstand. Meine Mum sagte immer wieder: „Nun, mein Sohn wird Ihnen einen Job geben.“ Und ich sagte nur: „Okay.“
Also trat sie ein. Sie wirkte so liebenswert und war gleichzeitig so außer sich darüber, dass sie sich verlaufen hatte. Ich versuchte sie zu beruhigen: „Machen Sie sich keine Sorgen. Wie wärs mit einem Tässchen Tee?“ Sie hieß Nida und stammte aus Thailand. Zu jener Zeit hatte ich keine Haushälterin oder Köchin. Überhaupt niemanden eigentlich. Ich war ein Junggeselle und ging ständig aus oder war auf Tour. Nida stellte sich jedoch als die beste Köchin und Haushälterin der Welt heraus und wurde zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Sie arbeitete ab diesem Zeitpunkt 27 Jahre lang für mich, bis sie schließlich in den Ruhestand trat.
Anfangs verlief nicht alles problemlos. Ich musste mich erst an sie gewöhnen, was natürlich auch umgekehrt der Fall war. Ich bat meine Mum darum, ihr beizubringen, wie man Rührei zum Frühstück machte. So tastete Nida sich Schritt für Schritt an die schrecklich fade westliche Ernährungsweise heran. Wir hatten auch das eine oder andere Missverständnis – zum Beispiel, als sie 10.000 Pfund in bar ausgerechnet an jenem Tag in die Mülltonne warf, als die Müllabfuhr den Abfall abholte. Ich hatte das Geld in einer Einkaufstüte aufbewahrt, weil ich mir eine seltene Gitarre kaufen und der Typ das Geld bar haben wollte. Nida musste sich erst im Durcheinander meines Junggesellenlebens zurechtfinden.
Sie musste innerhalb kurzer Zeit sehr viel lernen, wie man an den folgenden 48 Stunden erkennen kann: Ich erwachte vom Geräusch der Türklingel, stieg über Jeff Lynne, der auf meinem Fußboden lag, hinweg und ging hinunter. Als ich das Fenster des mittleren Stockwerks öffnete, um nachzusehen, standen da Kevin Godley und Lol Creme von der Art-Rock-Band 10cc mit einer Filmcrew im Schlepptau. Nachdem ich ihnen die Tür aufgemacht hatte, sagten sie: „Du hast es vergessen, oder?“ Das hatte ich tatsächlich. Ich glaube, es hatte etwas mit einer Idee für Jukebox TV zu tun und war seiner Zeit weit voraus. Egal, sie traten ein und wir alle genehmigten uns erst einmal eine Tasse Tee. Jeff Lynne verabschiedete sich und George Harrison kam die Treppe herunter. Kevin und Lol waren völlig perplex. Nachdem die Filmcrew wieder gegangen war, kreuzte Mick Jagger bei mir auf. Er setzte sich ans Klavier in der Mitte des Raumes und begann mir „Memory Motel“ in einer neuen Version vorzuspielen und zu -singen, das er als potenzielles Titellied für eine TV-Serie namens Beyond the Groove ins Auge gefasst hatte. Es hörte sich phantastisch an. Als wir beide mit dem Song zufrieden waren, ging Mick wieder. Zehn Minuten später stand dann Robert Plant vor meiner Tür. Ich hatte ihn eingeladen, damit wir uns über seine Idee, Toni Halliday auf seinem Soloalbum singen zu lassen, unterhalten konnten. Die arme Nida hatte keinen blassen Schimmer, wer all diese Leute waren, doch begann sie, sich daran zu gewöhnen, dass das Leben eines verrückten Musikers nun einmal so aussah, und mit der Zeit fing sie an, es zu lieben.
Am nächsten Tag begab ich mich mittags ins Church Studio, wo Annie und ich an „Missionary Man“ herumdokterten. Dann tauchte plötzlich Bob Dylan auf. Annie kramte ein paar Texte hervor und las sie Bob wie Gedichte vor. Wir fanden beide, dass sie besonders toll klingen würden, wenn Bob sie sänge. Annie und ich übermittelten außerdem Robert Plant eine alternative Version zu „Here Comes The Rain Again“, da wir der Meinung waren, es wäre eine großartige Idee, wenn er die Nummer interpretieren würde.
Bob sagte jedoch nicht viel über den Song, da er so extrem zurückhaltend war – was ja auch auf Annie zutraf. Um das Eis zu brechen, begann ich daher einfach drauflos zu spielen. Bob und ich beschlossen schließlich, zurück in mein Haus zu fahren, um uns ein paar Sachen, die wir aufgenommen hatten, anzuhören. Ich hatte einen japanischen Hibachi-Kochtisch, um den herum man Platz nehmen und gleichzeitig kochen konnte. Bob, seine Freundin und ich saßen also an diesem Tisch und tranken Tequila-Shots, während Nida Garnelen und Gemüse zubereitete. Bob trug einen großen mexikanischen Sombrero und versuchte, spontan einen Songtext zu schreiben, wobei wir den Tracks lauschten, die wir mit meinem Cassettenrecorder aufgenommen hatten.
Plötzlich klingelte es an der Tür. Es war Annie. Sie begann sofort, gemeinsam mit Bob Harmonien zu singen. Aus dem Ghettoblaster auf dem Küchentisch liefen unsere Tracks, die Garnelen und Steaks brutzelten und Bob und Annie sangen.
Ein Freund, der aus Sunderland zu Besuch bei mir war, war einigermaßen sprachlos angesichts dieser Szene, da er zum ersten Mal bei mir war und es einfach nicht in seinen Kopf wollte, dass da Bob Dylan mit einem Sombrero in meiner Küche saß und zu einer Cassette sang. Als ich irgendwann diese Aufnahmen von uns wiederentdeckte, beschriftete ich sie mit „Mexican Kitchen Tape“.
Am nächsten Tag verbrachten Bob und ich ein paar Stunden in meinem Keller, wo wir Blues in der Art von R. L. Burnside auf meinem Aufnahmegerät mitschnitten. Nida versorgte uns mit thailändischen Snacks und Tee. Was für eine wildes Dasein, in das ich Nida verwickelt hatte – aber sie gewöhnte sich rasch an alles.
Bob und ich wurden schließlich gute Freunde, nachdem wir mehrere Tage und Nächte musiziert und zusammen abgehangen hatten. Ein anderes Mal wollte Bob sich nach einer Jam-Session im Church Studio gerade auf den Weg machen, als ich vorschlug, dass ihn doch „Big Kenny“ fahren könnte. Big Kenny war ein unglaublicher Typ und arbeitete in einem Londoner Nachtclub. Ich hatte ihn eines Nachts kennengelernt, als mir nahegelegt wurde, mich doch von ihm in seinen Rolls-Royce nachhause chauffieren zu lassen, da ich bereits ein wenig illuminiert war.
Kenny war ziemlich massig und trotzdem eine der sanftmütigsten Seelen, die einem begegnen kann. Im Anschluss an unser erstes Treffen kümmerte er sich viele Jahre um die Sicherheit im Church Studio.
An diesem Tag, als Bob nun aufbrechen wollte, bat ich Big Ken, mit seinem Wagen vor dem Studio zu warten und Bob zurück in sein Hotel in Mayfair im Londoner Zentrum zu kutschieren. Ich dachte nicht länger darüber nach, bis mir jemand aufgeregt mitteilte: „Bob Dylan ist für Dave am Telefon. Er ruft aus einer Telefonzelle an!“ Ich fand das sonderbar. Als ich mir den Hörer ans Ohr hielt, erklärte mir Bob, wo er sich befände. Seine Beschreibung deutete auf Luton hin, was sich weit außerhalb von London befindet.
Ich bat, mit Kenny sprechen zu dürfen. Als dieser ans Telefon kam, war er ganz aufgelöst und sagte: „Bob hat nichts gesagt, Dave. Ich konnte die Schilder nicht lesen. Dann biege ich ein paar mal falsch ab und schon haben wir uns verirrt.“
Ich hatte vergessen, dass ich Kenny immer den Weg ansagen musste, bis er sich eine Route gemerkt hatte, da er Legastheniker war und unter einer massiven Leseschwäche litt. Tatsächlich übte meine Mum sogar mit ihm.
„Mach dir keine Sorgen. Pack Bob einfach wieder ein.“ Bob erklärte ich das Problem auch noch. Was nun passierte, war einfach zum Niederknien. Laut Kenny setzte sich Bob neben ihn auf den Beifahrersitz, schnappte sich einen Stadtplan von London und sagte ihm den Weg nach Mayfair an. Unterwegs erzählte Bob Kenny noch seine Lebensgeschichte, von seiner Kindheit bis hin zum Starruhm. Was wohl ein Musikjournalist dafür gegeben hätte, hinten auf der Rückbank Platz nehmen zu dürfen?
Das waren schon Zeiten. Ich erinnere mich an nächtelange Jam-Sessions in den abgefahrensten Konstellationen aus Musikern und anderen Leuten, die wir so kennenlernten. Für manche von ihnen hatte ich Platten produziert. Einmal waren da etwa ich am Bass, Joni Mitchell am Schlagzeug, Daryl Hall an der Gitarre und Clem Burke am Klavier. Es klang grauenhaft. Annie muss gedacht haben, ich hätte den Verstand verloren, aber ich hätte um nichts in der Welt etwas daran ändern wollen. All diese Erfahrungen stellten sich im Laufe der Jahre als unbezahlbar heraus.
* * *
Zu diesem Zeitpunkt unserer Karriere hatte ich bereits gesehen, welche Bühnenshows die allergrößten Acts inszenierten, und wusste, dass wir uns – buchstäblich – in die Arenen vorwagen mussten. Viel hing davon ab, welche Musik man machte, beziehungsweise davon, sie auf eine überlebensgroße Art und Weise vorzutragen. Die Stones praktizierten das schon seit Jahren so, aber in der schrulligen Musikszene der Achtzigerjahre war diese Art von Bühnen-Act beinahe von der Bildfläche verschwunden. Die Bands, die nun Amerika eroberten, waren sich bewusst, dass sie einen echten Event auf die Bühne bringen und visuell einfangen mussten. Live-Filme wie Under a Blood Red Sky mit U2 aus dem Jahr 1983 oder Stop Making Sense von den Talking Heads aus dem Jahr 1984 waren gute Beispiele dafür.
Und so war es mir 1985/86 ein Anliegen, ein Album zu produzieren, um das herum sich eine großartige Live-Show erschaffen ließe, und eine Gruppe von Musikern zusammenzustellen, die es auf die Bühne bringen konnte. Dies gelang uns schließlich mit unserem Album Revenge. Wir suchten daraufhin nach der perfekten Band für unsere Konzerte. Clem Burke übernahm das Schlagzeug und Patrick Seymour die Keyboards. Wir durften uns außerdem glücklich schätzen, Chucho Merchán als Bassisten, Jimmy „Z“ Zavalla an der Mundharmonika und am Saxofon sowie Joniece Jamison als Background-Sängerin für uns zu gewinnen. Diese Musiker waren allesamt nicht nur fulminante Performer, sondern außerdem – und das war nicht minder wichtig – Menschen, die man gerne um sich hatte. Bei unseren Reisen um die Welt verlebten wir zusammen eine wunderbare Zeit.
Die Revenge-Tour war bis dato unsere aufwendigste und längste Tournee. Sie zog sich über ein Jahr hin, von 1986 bis 1987. Doch jedes Mal, wenn ich die ersten Takte von „Thorn In My Side“ spielte, wurde ich von derselben Hochstimmung erfasst wie damals im Studio, als wir den Track aufgenommen hatten. Es war jedes Mal wie im Rausch.
„Missionary Man“, der erste Song auf dem Album, wurde zum Dreh- und Angelpunkt unserer Tour. Mit dem Anfang der Nummer wollte ich ein spirituelles Feeling kreieren. Ich fühlte mich wie ein Alchemist, der ein obskures Gebräu aus Blues, Rock und Voodoo mit einer absonderlichen Mischung aus Gitarren, Synthesizern, rückwärts abgespielten Geräuschen und Mundharmonika vermengte und auf die erste Textzeile „Well, I was born an original sinner“ zusteuern ließ.
Annie steuerte eine solch fokussierte und intensive Gesangsleistung zu „Missionary Man“ bei, dass sie geradewegs durch ihn hindurch schnitt, obwohl der Song vor lauter explosiven Drums und Gitarren nur so strotzte.
Beim Video zum Song führte mein langjähriger Freund Willie Smax Regie – und es spielte passenderweise im Labor eines Alchemisten. Die Einstiegssequenz zeigt eine Schlange, die sich an Glasröhren entlang schlängelt, und ich werfe einen Apfel in ein gläsernes Gefäß, in dem daraufhin eine neue Annie entsteht.
Wir verarbeiteten stets auf visuelle Weise, was sich gerade in unserem Leben abspielte und vermischten dies mit Phantasien oder Surrealismus. In diesem Fall erfanden wir uns als Rockband neu und spielten mit der entsprechenden Bildsprache. Wir ließen uns eine ungewöhnliche schwarze Lederkluft maßschneidern und trugen dazu passende schwarze Lederstiefel.
Annie ist eine so brillante Entertainerin und ich war manchmal so damit beschäftigt, ihr auf der Bühne zuzusehen, dass ich glatt vergaß, was ich tat. Wenn man sich die Bühne mit so jemandem teilt, steht die Zeit still. Und wenn man sich Konzertbilder aus Berlin, Rom, Sydney, Tokio und San Francisco zu Gemüte führt, wird einem klar, dass wir es zu diesem Zeitpunkt draufhatten – egal um welchen Auftritt oder Song es sich handeln mochte. Vom Augenblick an, in dem der Vorhang hochging, waren wir wie von der Leine gelassen. Annie und ich liebten es, uns für den Anfang der Show stets etwas Ungewöhnliches einfallen zu lassen.
Für die Revenge-Tour hatten wir einen glorreichen Einstieg. Anstelle eines normalen Vorhangs war die Bühne mit PVC umspannt. Es sah aus wie ein paar Jeans mit Reißverschluss. Wir baten Ana Maria, die damalige Freundin unseres Bassisten Cucho Merchán, in den vorderen Reihen des Publikums zu sitzen. Wenn das Licht gedimmt wurde, sollte Anna losrennen, über die Sicherheitsabsperrungen springen – die Security wusste natürlich Bescheid – und auf die Bühne klettern, um den überdimensionierten Reißverschluss runterzuziehen. Währenddessen erklang unser Intro vom Band: „Sex! Ssss-Sex!“
Das Publikum drehte durch, während es so aussah, als würden die Sicherheitsleute, sie zu Fall bringen wollen, aber natürlich entkam sie ihnen und schaffte es, sich an den Reißverschluss zu hängen. Als dieser nun nach unten glitt und sich die PVC-Jeans öffneten, drangen weiße Lichtstrahlen hervor. Wenn Annie und ich schließlich durch die Öffnung auf die Bühne sprangen und „Sex Crime“ anstimmten, drehte das Publikum bereits total am Rad.
Revenge war unser erfolgreichstes Album. Mit „Missionary Man“ fuhr unser schrulliges britisches Electro-Duo einen Grammy für die „Best Rock Vocal Performance by a Group“ ein und stürmte an die Spitze der Billboard-Charts. Ich war der „man with a mission“, wie es im Song hieß, und wir wurden quasi über Nacht von Popstars zu Rockstars. Album und Tour verschafften uns im ganz großen Stil den ultimativen Durchbruch – und zwar überall. Nun traten wir nicht mehr nur in überdachten Arenen auf, sondern auch in offenen Stadien. Die Revenge-Tour schien jedenfalls gar nicht enden zu wollen.
Unsere Leder-Outfits umfassten lange, prunkvolle Mäntel, die mit Perlmuttknöpfen und Nieten übersät waren, sowie lederne Beinkleider und hohe Reitstiefel. Allerdings vergaßen wir zu berücksichtigen, wie heiß es in diesen schweren Klamotten unter der Bühnenbeleuchtung werden würde. Ab der zweiten Nummer waren wir also bereits total schweißgetränkt. Jedoch bissen wir die Zähne zusammen und trugen das Zeug letztlich das ganze Jahr lang. Ich muss etwa 15 Kilo abgenommen haben.
Unser Konzertfilm, der während der Tour entstand, hatte einen sehr ungewöhnlichen Einstieg: Man sah einen berstenden Spiegel und wie ich die Bruchstücke wieder zusammenfügte, sodass sich daraus schließlich sieben einzelne, kreuzförmig angeordnete Spiegel ergaben. Zuerst sah man mich, dann den Rest der Band, jedes Mitglied in seinem eigenen Raum, wie es seine jeweils eigene Persönlichkeit auslebte. Schließlich stieg die Kamera so hoch, dass man erkennen konnte, dass wir alle in aneinander angrenzenden, ebenso kreuzförmig angeordneten Zellen eingesperrt sind und darauf warten, aus dem Gefängnis entlassen zu werden, um auf die Bühne zu stürmen. Ich bin mir sicher, dass die Leute sich gefragt haben, was zum Geier das zu bedeuten hatte.
Als der Konzertfilm in Los Angeles Premiere feierte, befand ich mich in Begleitung von Jodie Foster. Ich drehte fast durch, weil die Tonqualität so schrecklich war. Sie sagte unaufhörlich: „Beruhige dich, es ist alles okay. Ich will ihn jetzt in Ruhe ansehen.“ Ich antwortete: „Yeah, aber hören würde ich auch gerne etwas.“
Wir ließen uns einigermaßen auf diese Welt des Rock’n’Rolls ein, was, so nehme ich an, zu teilweise extremen Verhaltensweisen führt. Wir hatten uns nie träumen lassen, so riesig zu werden, aber langsam dämmerte uns, dass alles immer noch größer wurde. Wir flogen durch die Weltgeschichte mit einer umfangreichen Entourage, gefolgt von einem großen Truck-Konvoi. Jeden Abend trafen wir bei unseren Konzerten auf allerhand bekannte Gesichter, da wir in all den Städten schon so oft aufgetreten waren. In Sydney spielten wir etwa sechs ausverkaufte Nächte hintereinander im Sydney Entertainment Center – und das jeweils vor 13.000 kreischenden Fans. Also gab es jeden Abend nach unserem Auftritt eine Party. Zumindest kam mir das so vor, obwohl der Großteil davon in meinem Kopf stattfand. Manchmal blieb ich einfach in meiner Garderobe, da dort die Partys oft ihren Ausgang nahmen und ich schlicht und einfach nicht hinauskam.
Michael Hutchence von INXS kam auch zu den Konzerten in Sydney. Damals ging er gerade mit Kylie Minogue. Eine Party endete damit, dass wir zu dritt in meiner Hotelsuite im Sebel Town House landeten. Michael lag weggetreten auf meinem Bett, während ich mich um Kylie kümmerte, die sich in meinem Badezimmer übergab. Als es ihr wieder besser zu gehen schien, wandte ich mich wieder meiner Gitarre zu. So sah mittlerweile mein Alltag aus.
Zum ersten Mal traf ich Jack Nicholson, als er zu Konzerten im Greek Theatre erschien. An allen drei Abenden stand er an der Seite der Bühne und schrie uns Anweisungen zu, die wir allerdings nicht hören konnten, bis wir vor den Zugaben von der Bühne abgingen. Er legte seine Arme um uns und hatte dasselbe beunruhigende Grinsen im Gesicht, das er aufsetzte, bevor er die Badezimmertür in Shining zerdepperte. Dann erklärte er uns: „Geht zurück auf die Bühne. Haltet euch an den Händen. Starrt das Publikum mindestens zwei Minuten lang an. Völlig reglos. Sagt kein Wort.“ Wir folgten seiner Anweisung und das Publikum drehte völlig durch. Es stand auf seinen Sitzen, schrie und skandierte. Je länger wir so dastanden, desto wilder wurde es. Ab da erklärte er allen, er sei unser Manager. Mir war das egal. Er war und ist einfach ein Genie.
Nach einer dieser Shows lud mich Jack zu sich nachhause ein, wohin ich ihn mit meiner damaligen Freundin begleitete. Außer Jack, einem seiner Freunde, mir und meiner Freundin war niemand dort. Es war kühl und still nach all dem ohrenbetäubenden Lärm auf der Bühne. Ich fing gerade an, mich zu entspannen, als ich plötzlich etwas Verbranntes roch. Aus irgendeinem Grund hatte meine Freundin eine teure Skulptur in Brand gesteckt, die aus Hunderten von Dollar-Noten bestand und auf Jacks Couchtisch thronte. Ich dachte, dass der Abend nun ein unschönes Ende nehmen würde, aber stattdessen beobachtete Jack das Feuer bloß mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht und einem Funkeln in den Augen.
In der Tat endete der Abend sehr gut. Meine Freundin und ich saßen im Jacuzzi unter freiem Himmel und Jack, der einen Bademantel trug, dirigierte Beethoven für uns, der aus den Lautsprechern dröhnte. Ich war allerdings die ganze Zeit auch ein wenig nervös, da er mit dem Rücken zu einem 300 Meter tiefen Abgrund stand. Er wurde beim Dirigieren immer ausgelassener. Ein Schritt in die falsche Richtung und er wäre in den Tod gestürzt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits gut mit Jack angefreundet. Wir waren beide total offene, kreative Menschen, die bei allem, was sie taten, Grenzen verschieben und experimentieren wollten – was auch fürs Abfeiern galt. Anlässlich einer unserer Shows in Boston kreuzte er in meiner Garderobe mit Michelle Pfeiffer auf. Sie drehten gerade Die Hexen von Eastwick. Die Kombination aus Alkohol und Joints hatte ihre Wirkung auf Jack nicht verfehlt und so hatte er sich in einer Toilette eingesperrt, ohne dass uns dies aufgefallen war. Erst als wir alle aufbrechen wollten und Michelle sich wunderte, wo er abgeblieben war, machten wir uns auf die Suche nach ihm. Irgendwann standen wie vor der verrammelten Klotür. Chucho, unser Bassist, starrte durch das Schlüsselloch und fragte: „Jack, bist du da drinnen?“
Er hörte ein Ächzen und fragte erneut: „Um Himmels Willen, geht es dir gut? Jack, du bist mein Held.“ Dann vernahm er, wie Jack durch das Schlüsselloch flüsterte: „Das tut mir leid, Mann.“
Wir mussten einen Sicherheitsmann holen, der die Tür aufschraubte, um Jack zu befreien. Er sah etwas grünlich aus, grinste aber immer noch schelmisch.
Annie und ich waren mittlerweile bereits jahrelang auf Tour gewesen. Und seit sechs Jahren waren wir nun schon kein Paar mehr. Ich war mit unterschiedlichen Frauen gegangen, aber es erwies sich als überaus schwer, gleichzeitig in einer Beziehung zu sein und mit einer großen Band auf Tour zu gehen. Auch Annie bereitete dies große Probleme. Man musste sich entweder verabschieden oder seinen Partner mitnehmen – und als Gast mit auf Tour zu kommen, wird nach ein paar Tagen auch langweilig. Der anderen Person fehlt der Kick, jeden Abend ein Konzert zu spielen, dieser Adrenalin-Rausch, der einen dann die halbe Nacht wachhält.
Irgendwann prallen diese beiden Welten dann aufeinander – oder die Freundin oder der Freund ergeben sich deiner Welt und fragen sich, wer sie eigentlich sind. Oder man selbst zieht es in Erwägung, alles aufzugeben, um sich auf eine normale Beziehung einzulassen, was Annie während dieser Jahre auf Tour wohl oft durch den Kopf gegangen ist.
Auch ich war hin- und hergerissen. Ich liebte zwar mein Leben mit allem drum und dran, aber ich war mittlerweile 35 Jahre alt und machte dies alles – in unterschiedlicher Ausprägung – bereits seit 20 Jahren mit. Nun konnten wir eigentlich gar nicht noch größer werden, weshalb ich mir immer und immer wieder dieselbe Frage stellte: „Was kommt als nächstes?“
* * *
Bevor wir uns auf Tour begaben, war ich in L.A. im Sunset Marquis. Ich wollte Bob Geldof und Paula Yates abholen, um mit ihnen nach Vegas zu ihrer Hochzeit fliegen. Da sah ich Siobhan Fahey von Bananarama, die gerade eintraf. Jeder kannte jeden, da wir ja alle in derselben Welt verkehrten.
Bananarama waren bereits seit Ewigkeiten Stammgäste in den Charts. Ich mochte ihre Musik, hatte Siobhan aber erst einmal getroffen, als Bananarama im Eurythmics-Video zu „Who’s That Girl“ aufgetreten waren. Deshalb rief ich in ihrem Zimmer an, um mich vorzustellen. Wir fanden heraus, dass wir beide gleichzeitig in New York sein würden und verabredeten uns dort zum Abendessen.
In New York war ich mir nicht ganz sicher, was sie gerne essen würde, weshalb ich den Concierge im Hotel fragte: „Was würden Sie uns denn empfehlen? Chinesisch?“ Er erklärte uns daraufhin, wohin wir gehen sollten. Ich glaube, er wusste, was er tat.
Wir ließen uns mit einer Pferdekutsche zum Restaurant bringen, bekamen aber ein echt schlechtes Gewissen deswegen, weil es für ein Pferd nicht gerade ein Vergnügen ist, durch die Straßen von New York zu laufen. Als wir das chinesische Restaurant betraten, war es menschenleer. Normalerweise sind die Restaurants in Chinatown, insbesondere in New York, immer gut gefüllt, weshalb ich meinte: „Gott, dieser Concierge hat uns wohl Blödsinn erzählt.“
Alles schien ein bisschen daneben an diesem Abend. Als ich mich über unseren Tisch hinweg mit Siobhan unterhielt, kam es hinter ihr zu einem Tumult. Ein taubes Paar war in Streit geraten. Siobhan hatte es zuerst gar nicht wahrgenommen. Sie waren die einzigen anderen Leute im Restaurant. Das Date verwandelte sich in eine sehr bizarre Exkursion.
Als nächstes liefen wir einander im Warteraum bei MTV über den Weg, als unsere Bands dort gleichzeitig auftraten. Das war kein besonders angenehmes Wiedersehen. So lernten wir einander kennen und begannen, uns häufig auszutauschen. Das Problem war nur, dass ich diese gigantische Tour vor mir hatte und sie gerade mit ihrer Band einen Riesenhit mit „Venus“ feierte, weshalb sie gerade selbst in aller Munde war.
Bananarama hatten bereits mit „Cruel Summer“ und „Robert De Niro’s Waiting“ große Hits in Amerika gehabt und nun war Siobhan überall, wo ich hinkam, im Video zu „Venus“ als Teufelin in einem roten hautengen Kostüm zu sehen.
Wir blieben in Kontakt und verabredeten uns erneut, dieses Mal in London. Wir verstanden uns richtig gut und amüsierten uns. Mir gefiel ihr Sinn für Humor und wir lachten viel miteinander. Es war eine Erleichterung, mich mit ihr in einer völlig anderen Welt aufzuhalten, und vermutlich fühlte es sich für Siobhan ähnlich an. Es kann mühsam sein, tagaus, tagein mit denselben Menschen zu verbringen, auch wenn man sie von Herzen lieb hat. Allerdings musste ich dann nach L.A., um Videos zu drehen und für die Revenge-Tour zu proben.
Zu jener Zeit arbeitete ich auch mit Bob Geldof zusammen. Bob hatte gerade die Live-Aid-Konzerte organisiert, mit denen er mehr als 200 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke sammeln konnte. Er hatte sich um die Logistik sowie die geschäftlichen Aspekte dieses Events gekümmert. Doch nun fühlte er sich kreativ unausgefüllt und hatte jegliches Selbstvertrauen verloren, selbst wieder Musik zu machen. Allerdings wusste er, dass er dies tun müsste, um sich wieder komplett zu fühlen.
Ich traf ihn bei einem Dinner anlässlich einer Preisverleihung und erkundigte mich, was musikalisch so bei ihm abging. Es freute ihn ungemein, dass jemand mit ihm über seine Musik sprechen wollte und nicht nur über seine humanitären Bemühungen in Afrika. So beschloss er, mich in Paris zu treffen, wo ich damals gerade lebte. Er wohnte kurzfristig bei mir in Montparnasse, um sich zu entspannen und ein wenig Abstand zu England und der Klatschpresse zu gewinnen.
Als ich zurück nach Amerika zu Eurythmics-Proben und Video-Shootings für unser neues Album Be Yourself Tonight musste, begleitete Bob mich. Wir teilten uns ein Haus, das ich im Valley gemietet hatte. Das war eine großartige, verrückte Zeit. Am zweiten Tag, den Bob zu Besuch bei mir war, realisierte ich, dass wir jemanden bräuchten, der sich um das Haus kümmerte. Außerdem waren wir nicht gerade begnadete Köche. Deshalb ließ ich Nida aus London einfliegen. Was das alles mit Bobs und meiner Arbeit an unserem Song zu tun hat? Nun, eigentlich schreibe ich Songs ja gar nicht. Vielmehr sorge ich für chaotische Zustände und aus denen entsteht dann ein Song. Üblicherweise habe ich dann jemanden bei mir, mit dem ich dieses Chaos teile – und dieses Mal war das eben Bob Geldof. Am Horizont braute sich jedenfalls ein wildes Gewitter zusammen.
Nida traf nachmittags ein, als wir gerade unterwegs waren. Ich hatte aber vergessen, ihr den Sicherheitscode zum Haus mitzuteilen. Sie versuchte in gebrochenem Englisch den Sachverhalt dem Wachdienst zu erklären, während die Alarmanlage durch die ganze Nachbarschaft schrillte. Als wir zurückkamen befanden sich etwa zehn Leute in meinem Schlepptau. Nida weinte vor meinem Haus und der Alarm erklang nach wie vor. Ich öffnete die Tür mit meinem Schlüssel, aber der Alarm ließ sich nicht abstellen. Bob holte eine Axt aus dem Garten und machte sich daran, alle Drähte des Sicherheitssystem zu durchtrennen, wobei er versehentlich auch die Beleuchtung, den Kabelanschluss und die meisten anderen Haushaltsgeräte außer Betrieb setzte. Aber zumindest herrschte nun endlich wieder Ruhe.
Nida erholte sich rasch. Meine Freunde hatten Wein dabei und wir fanden ein paar Kerzen. Bob chauffierte Nida in den Supermarkt und irgendwie gelang es ihr schließlich, innerhalb von nur 20 Minuten auf einem Gasherd ein thailändisches Festmahl für zwölf Personen zuzubereiten. Ich war enorm beeindruckt von dieser Leistung und seitdem ist Nida meine absolute Lieblingsköchin. So aßen und tranken wir bis in die frühen Morgenstunden, als ich pennen ging und nur wenige Nachzügler zurückließ.
Am Morgen danach war ich ein bisschen verkatert. Ich setzte mich an ein total verstimmtes Piano, das bereits im Haus gestanden hatte. Bob stolperte in seinen Boxershorts ins Zimmer. Er wirkte, als hätte er gerade ein Scharmützel mit einer Haarbürste hinter sich, und fragte: „Was ist das für ein Song?“ Ich murmelte: „Keine Ahnung.“ Ich ging in die Küche, um nachzusehen, ob es Nida magischerweise gelungen war, ohne Elektrizität Frühstück zuzubereiten. (Bis heute ist Frühstück ihre Achillesferse) Egal, ich hörte zu, wie Bob die Akkorde auf dem Piano nachspielte. Das war der Anfang des Songs „This Is The World Calling“, er entstand genau dort, in den Ruinen des Vorabends, bei einem Tageslicht, das Kopfschmerzen verursachte. Bob saß da in seinen Shorts und ich hatte die Beine übereinander geschlagen und aß Cheerios, die ich mit Apfelsaft statt mit Milch übergossen hatte, weil keine Milch mehr da war – Bob hatte sie ausgetrunken.
Wir feilten den Rest des Tages an der Nummer herum und Bob ließ sich einen tollen Text einfallen. Dann kamen wir zu der Auffassung, dass der Husky, der zum Haus gehörte, aussah, als wäre ihm in seinem Fell viel zu heiß. Im San Fernando Valley kann es im Sommer schon mal über 40 Grad heiß werden und dieser Hund konnte kaum mehr gehen. Er hasste die Hitze und so verpassten wir ihm schließlich einen neuen Haarschnitt. Der Husky war schon sehr alt, weshalb wir ihn vorsichtig hinten in meinen Jeep luden. Dann fuhren wir den Ventura Boulevard entlang, um einen Laden zu finden, der ihm helfen konnte. Der Besitzer der Zoohandlung, die wir gefunden hatten, war zwar ursprünglich dagegen, doch Bob überredete ihn schließlich dazu, den Hund zu scheren.
Wir dachten, wir hätten eine gute Tat vollbracht: Als wir nachhause fuhren, wirkte der Hund, als wäre ihm nun viel kühler. Und als wir an einer Ampel hielten, schrien ein paar Kids: „Hey, da sind ja Bob Geldof und Dave Stewart in dem Jeep.“ Leute kamen auf uns zu und der Hund bekam es mit der Angst zu tun. Er muss sich gedacht haben, dass sie alle seine neue Frisur begutachten wollten. Als er nun aus dem Jeep zu springen versuchte, fiel er auf seine Schnauze, die zu bluten begann.
Nun brüllten die Jugendlichen: „Geldof und Stewart haben den Hund gekillt!“ Das würde nicht gut aussehen in den Klatschblättern: ZUERST RETTET GELDOF AFRIKA – DANN TÖTET ER HUND. Wir manövrierten ihn zurück ins Auto und hetzten zurück zum Haus. Der Hund war letztlich zwar in Ordnung, doch der Typ aus der Zoohandlung kannte die Besitzer des Hauses und rief sie an, um sie über den neuen Look ihres Hundes zu informieren. Sie rasteten deswegen total aus. Bob stritt sich mit ihnen und sagte ihnen, dass er es für dumm hielt, einen Husky in einer solchen Hitze zu halten. Als sie die Axt neben all den durchgehackten Drähten sahen, zogen sie sich zurück und ließen mir über den Makler ausrichten, dass ich ausziehen müsste. Ansonsten würden sie die Polizei einschalten.
Ich ließ die Schäden reparieren und wir hatten den Song auf dem verstimmten Piano fast fertiggestellt, sodass wir beschlossen, ihn am nächsten Tag aufzunehmen. Das einzige Problem bestand darin, dass ich gleichzeitig mit Annie ein Video zu „Missionary Man“ in den A&M-Studios filmen sollte. Ich buchte also das Aufnahmestudio nebenan, um dort zeitgleich „This Is The World Calling“ aufzunehmen. Und so rannte ich in den Drehpausen hinüber ins Studio und produzierte den Song.
Allerdings hatten wir zu viele Leute angerufen, damit sie vorbeikamen und auf dem Track spielten: The Edge von U2 und ich spielten Gitarre, und Larry von U2 und Clem Burke Schlagzeug. Wir hatten außerdem ein paar Background-Sängerinnen und gleich drei Bassisten. Es wurde zu einem regelrechten Zirkus, weil jeder Bob liebte und ihm bei seinem ersten Song nach Live Aid behilflich sein wollte.
Inmitten all dieses Durcheinanders passierte etwas überaus Seltsames. Ein höchst adrett gekleideter Typ, der total fehl am Platz wirkte und mich ein bisschen an einen FBI-Agenten erinnerte, kreuzte bei uns auf. Ich sah ihn an der Rezeption stehen, wo er sagte: „Ich würde mich gerne mit Mr. Geldof unterhalten.“ Ich dachte: „Shit, das ist wegen dem Hund. Der ist sicher von PETA. Oder es ist wegen der Axt.“ Ich eilte an ihm vorbei zurück ins Studio und verkündete: „Die Polizei will Bob holen!“
Bob meinte nur: „Ach, Mist, ich habe etwas ausgefressen, jetzt werde ich vermutlich verhaftet oder so.“ Jener Mann wollte sich unter vier Augen mit ihm unterhalten. Sie begaben sich daraufhin in eine kleine Lounge, wo wir sie durch ein Glasfenster beobachten konnten. Bob sah todernst aus. Wir dachten uns: „Scheiße, jetzt wird er eingebuchtet.“
Er kam dann aber wieder zurück, lächelte und schüttelte die Hand des Mannes, als dieser aufbrach. Wir waren natürlich neugierig: „Und?“ In einem höchst übertriebenen pseudo-irischen Akzent erklärte er uns, dass er von der Queen zum Ritter geschlagen würde. Ach du liebe Güte! Wir stimmten zusammen einen kurzen Jig an und lachten dann alle lauthals über diese Geschichte. Offenbar war jener Mann von der Queen beauftragt worden, Bob mitzuteilen, dass er sich bald Sir Bob Geldof nennen dürfe.
All das ereignete sich, als wir uns auf dem Gipfel allen Wahnsinns wähnten. Und als wir uns dachten, dass es nun nicht mehr schlimmer werden könnte, traf genau das ein.
Bob und ich hatten eingewilligt, auf einer Benefiz-Veranstaltung für Amnesty International im LA Forum aufzutreten, die an eben diesem Tag stattfinden sollte. Wir wollten unter dem Namen Brothers of Doom als Special Guests auftreten. Allerdings hatten wir das im Studio total vergessen. Plötzlich hieß es: „Die Leute vom Forum haben angerufen und sie wundern sich, wo ihr wegen des Soundchecks bleibt.“ Da war es bereits 19 Uhr. „Shit!“
Ich schnappte mir meine Akustikgitarre und wir rasten mit dem Taxi zum Forum. Wir sprangen förmlich aus dem Auto, als wir dort ankamen, weil wir schon so spät dran waren. Dann fiel mir auf, dass das Taxi mit meiner verdammten Gitarre wieder losgefahren war
Ich bat also Jackson Browne, ob ich mir eine seiner Gitarren ausleihen könnte. Er hatte gleich mehrere dabei und nachdem ich mir eilig eine ausgesucht hatte, ging es auch schon direkt auf die Bühne. Im Taxi hatten wir uns darauf geeinigt Bob Marleys „Redemption Song“ sowie eine von Geldofs Nummern zu spielen, um die Sache nicht zu verkomplizieren.
Als wir die Bühne betraten, hängte ich mir die Gitarre um und bemerkte genau in dem Moment, in dem wir angekündigt wurden, dass ich mir eine Linkshänder-Gitarre geschnappt hatte.
Bob ging zum Mikro und sagte: „Wir sind die Brothers of Doom und wir würden gerne den ‚Redemption Song‘ von Bob Marley für euch spielen.“ Inzwischen war ich damit beschäftigt, herauszufinden, wie ich D und G seitenverkehrt spielen konnte. Bob sah zu mir rüber und zischte: „Fang endlich an, du Mistkerl!“ Während 15.000 Menschen innehielten, fuhr ich ihn an: „Rede weiter, du Sack.“ Irgendwie schafften wir es aber durch die Nummer. Am Ende des Abends fuhren wir mit dem Taxi zurück nachhause. Wir waren völlig fertig und am Verhungern, weil wir schlicht vergessen hatten, etwas zu essen.
Wir suchten also einen 24-Stunden-Diner namens Twain’s an der Ecke Coldwater Canyon und Ventura Boulevard auf. Außer uns war dort keine Seele. Wir fingen wie von Sinnen an zu lachen und fragten uns gegenseitig: „Was war das heute bitte für ein verdammter Tag?“ Ihr wisst schon, ich hatte ein Video gedreht und einen Song aufgenommen. Dann erfuhren wir, dass Bob von der Queen zum Ritter geschlagen würde. Später waren wir noch im LA Forum aufgetreten. Jetzt war es zwei Uhr nachts, wir waren ganz allein und aßen trockenen Käsekuchen, den wir mit schwarzem Kaffee runterspülten.
Bob und ich erinnerten uns erst kürzlich wieder an diese Anekdote und mussten erneut darüber lachen. Er meinte: „Aber weißt du nicht mehr? Die Geschichte hatte auch ein tolles Ende.“ Ich war überfragt, weshalb er meine Erinnerung auffrischte: „In Twain’s Diner habe ich noch die Kellnerin aufgerissen!“
Inmitten all dieses Tohuwabohus kam Siobhan für eine Woche zu mir zu Besuch. Wir fuhren in meinem offenen Jeep umher, fühlten uns frei und taten nur das, wozu wir Bock hatten. Die hölzerne Außenstruktur dessen, was mein Haus und Studio in Encino werden sollte, stand bereits, weshalb wir dorthin fuhren, um innen und außen herumzuspazieren. Ich sagte ihr: „Wir könnten zusammen hier leben.“ Ohne zu wissen, ob es noch jemanden anderen gab. Sie traf sich aber in London schon eine Weile mit einem Anderen. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass das nicht allzu gut lief, weshalb ich keine Fragen zu ihm stellte.
Vor der Revenge-Tour fingen wir jedenfalls an, miteinander zu gehen. Als ich für Proben zurück nach London kam, verbrachten wir erneut etwas Zeit zusammen und sie stellte mich ihren Eltern vor. Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich mich in einer familiären Umgebung aufhielt – und es fühlte sich gut an. Die Familie gab mir ein Gefühl der Geborgenheit.
Ich wollte am nächsten Tag aufbrechen, hatte mir aber aus irgendeinem Grund gerade einen Sportwagen gegönnt – obwohl ich sonst nicht so viel fuhr. Ich fragte Siobhan: „Ich werde weg sein und will dieses Auto nicht auf der Straße stehen lassen. Möchtest du es inzwischen haben?“ Sie verneinte: „Ich möchte eigentlich nicht dafür verantwortlich sein.“ Das gefiel mir.
So begab ich mich auf Welttournee und dachte mir: „Himmel, jetzt geht das schon wieder los. Gerade habe ich jemanden kennengelernt, da bin ich auch schon wieder zehn Monate unterwegs.“ Kenny, unser Manager für Großbritannien, wusste, dass ich vernarrt in Siobhan war, und schoss ein paar Polaroids von ihr für mich. Unter jedes hatte sie etwas geschrieben, zum Beispiel: „Freu mich schon auf unser Wiedersehen.“ Ich mochte dieses Mädchen wirklich.
Als wir im Februar 1987 nach Brisbane kamen, fühlte ich mich niedergeschlagen. Ich war erschöpft und eine eigenartige Depression machte sich breit. So etwas hatte ich eigentlich zuvor noch nie verspürt, weshalb ich auch nicht wirklich wusste, was los war.
Ohne mein Wissen hatte mir der Konzertveranstalter einen persönlichen Leibwächter namens Tony Quinn zugewiesen. Er wohnte im Hotelzimmer neben meinem und die beiden Räume waren durch eine Tür miteinander verbunden. Tony sollte eine wichtige Rolle in meinem Leben einnehmen, aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, dass es ihn überhaupt gab.
Wir hatten ein paar konzertfreie Tage und ich blies Trübsal in meinem Zimmer. Ich fühlte mich aufgrund der langen Tour wie eingesperrt und war schlecht drauf. Außerdem vermisste ich Siobhan. Das war ganz untypisch für mich. Es war auch das erste Mal, dass ich auf einer Tour etwas Anderes als Begeisterung und Enthusiasmus empfand. Diese gemischten Gefühle verwirrten mich.
Ich rief unseren Tour-Manager Matthew und teilte ihm mit, dass ich Kopfweh hätte und ein paar Pillen bräuchte. Er erklärte mir, dass der Typ im Nebenzimmer mir alles, was ich wollte, besorgen würde. Tony hatte vom Veranstalter gehört, dass ich ein wilder Junge sei. Er hatte ihm erklärt, dass er sich auf alles gefasst machen sollte – ob am Tag oder in der Nacht. Als ich an seine Tür klopfte, war er in einer Nanosekunde zur Stelle. Ich fand Tony etwas zu klein als Bodyguard, sollte aber später erfahren, dass er australischer Kickbox-Champion war – was auch erklärte, wie er so schnell an der Tür gewesen war.
Er zog sofort los, um mir etwas gegen meine Kopfschmerzen zu organisieren. Allerdings kam er nicht weit, denn er blieb in einem Aufzug stecken. Das verdammte Ding hatte seinen Dienst quittiert und es gab nichts, was er dagegen unternehmen hätte können.
Ich wartete ein paar Stunden und dachte, dass der Kerl ziemlich langsam sei. Inzwischen hatte mir ein Freund aus Großbritannien eine Nachricht zukommen lassen: Er befand sich in Brisbane und wollte mit mir einen draufmachen.
Als Tony schließlich zurückkam, bat ich ihn, mir einen Wagen zu mieten. Außerdem beauftragte ich ihn, uns die Abgründe von Brisbane zu zeigen. Wir wollten die übelsten Gegenden kennenlernen, in zwielichtigen Spelunken und Clubs abhängen und auf Hauspartys auftauchen, auf denen niemand wusste, wer ich war, um einen zu heben und Anschluss zu finden.
Als wir unser erstes Ziel erreicht hatten, versuchte mein Kumpel die Wagentür zu öffnen. Sie schien zu klemmen, sodass er immer wieder fluchte: „Die Scheiß-Tür geht nicht auf.“ Als ich Tony von außen winken sah, kurbelte ich das Fenster herunter. Er sagte nur: „Lasst die Tür zu. Sie wird von einer Leiche blockiert. Der Typ ist gerade erstochen worden.“
Hier waren wir also genau richtig, und so stiegen wir beide auf meiner Seite des Wagens aus. Tony schlug nervös andere Gegenden vor, aber wir versicherten ihm, dass das schon in Ordnung wäre. Wir gingen in eine Bar, wo wir sofort zu einer privaten Party eingeladen wurden. Da wir nie ein Abenteuer ausschlugen, wies ich Tony an, uns dorthin zu bringen.
Als wir ankamen, war das Haus voll mit Nutten und Typen mit Koks. Es war eine heikle Umgebung, aber Tony umgab eine Aura, die einem Kraftfeld glich. Dennoch wurde es uns bald ein wenig zu bunt, weshalb wir einen Abflug machten und in einen etwas gewöhnlicheren zwielichtigen Club aufbrachen. Dort unterhielt ich mich mit Tony. Ich mochte ihn sehr und von diesem Tag an sollte er die nächsten 25 Jahre für mich arbeiten. Er fing als mein Leibwächter an, bis er irgendwann die Leitung meines Büros übernahm.
Tatsächlich war Tony, als wir schließlich in Melbourne Station machten, bereits von unbezahlbarem Wert für mich, weshalb ich ihm vorschlug seine Zelte in Australien abzubrechen und mir in die USA zu folgen, sobald die Tour vorüber wäre.
An einem konzertfreien Abend in Melbourne befand ich mich gegen Mitternacht in meinem Hotelzimmer. Frank Infante, der Gitarrist von Blondie, war auch da und zitterte auf dem Sofa unter einer Decke. Er stand aufgrund einer Notlandung mit einem zweisitzigen Flugzeug auf einem Strand, die sich am selben Tag ereignet hatte, unter Schock. Außerdem war da noch mein Freund Claude Gassian, ein großartiger französischer Fotograf, der zu uns gestoßen war, um einen Abschnitt der Tour fotografisch festzuhalten.
Ich hatte während der Tour Unterricht in japanischem Schwertkampf erhalten. Fragt mich bloß nicht, wieso. Claude und ich spielten also mit diesen gefährlichen japanischen Schwertern. Die Zimmertür war angelehnt und plötzlich erschien Tony mit seiner Freundin – gerade als ich Claude verfehlte und mit dem Schwert den Kronleuchter über meinem Bett spaltete.
Tony stand völlig ungerührt da und wartete, bis die Glasperlen zur Ruhe gekommen waren. Dann verkündete er: „Hey, meine Freundin und ich haben uns gerade verlobt.“ Ich stand immer noch mit meinem Schwert auf meinem Bett und sie trug ein Baby-Doll-Nachthemdchen. Außerdem hingen nun auch Teile des Lusters an ihr herunter. Ich sagte: „Cool, kommt sie denn auch mit nach Amerika?“ Frank blickte vom Sofa auf, begutachtete das Durcheinander und sagte nur: „Gratuliere!“
Ich lud Siobhan ein, mich in Japan zu besuchen, und sie sagte zu, obwohl es ein langer Flug war. In Tokio holte ich sie vom Flughafen ab. Sie trug denselben gemütlichen Dufflecoat, den sie auch auf den Polaroids trug. Ihre gesamte Erscheinung war herzerwärmend und sie vermittelte mir ein tröstliches, heimeliges Gefühl, das im Kontrast stand zum Rock’n’Roll-Lifestyle, den ich während der Welttournee angenommen hatte.
Sie war gezeichnet vom Jet-Lag, weshalb wir uns gleich auf die Rückbank eines schwarzen Kombis begaben und zurück in mein Hotel fuhren, wobei ihr Gesicht vom eigenartigen Neonlicht der Tokioter Straßenbeleuchtung erhellt wurde. Ich hatte vollkommen vergessen, dass mich eine französische Filmcrew, die Annie und mich während der ganzen Japan-Tour begleitete, bereits beim Hotel erwartete. Der Dreh verlief nicht allzu zufriedenstellend, weil sich Annie nicht wohl fühlte, was dazu führte, dass mich das Team mehr als notwendig in Beschlag nahm.
Nun hatte ich auch noch Siobhan dabei, weshalb die Filmleute versuchten, uns beide zusammen zu filmen – eine Art von Cinéma Vérité. Sie filmten alles mit, was in meinem Zimmer vor sich ging. Siobhan war, gelinde gesagt, desorientiert. Die filmische Leitung oblag dem Dokumentarfilmer Amos Gitai und sein Regieassistent war Uri, den Annie später heiraten sollte.
Das war schon eine schräge Zeit für Siobhan und für uns beide als Paar. Immerhin lernten wir uns gerade erst richtig kennen. Annie und ich mussten unsere Shows spielen und Interviews geben, während wir auch noch für eine Dokumentation gefilmt wurden. Siobhan musste sich viel im Hotel aufhalten, von der Bühnenseite aus zusehen oder im Backstage-Bereich warten. Sie war zuvor schon mit ihrer eigenen Band ein paar Mal in Japan gewesen. Bananarama waren dort richtig angesagt, weshalb sie sich in Tokio ein bisschen auskannte, wodurch alles nicht so schlimm war, wie es sein hätte können.
Siobhan begleitete mich weiterhin, wir zogen das durch. In Japan entdeckte sie, dass sie schwanger war. Wir beschlossen, zusammenzubleiben und zu heiraten. Ich weiß noch, wie wir ihre Eltern anriefen und ihnen von unseren Hochzeitsplänen erzählten. Sie waren begeistert, die Schwangerschaft verschwiegen wir aber. Und wir wollten auch nicht in den Stand der Ehe treten, bevor die Tour vorüber war.
Ich hatte gerade erst die Idee gehabt, das nächste Eurythmics-Album in einem großen, leerstehenden Château in Frankreich aufzunehmen, und Hunderte von Châteaus in einem Magazin namens Châteaux Demeures gesehen, das ich am Flughafen in Nizza gekauft hatte. Sie waren alle zu unglaublich günstigen Preisen ausgeschrieben. Ich schlug daher Siobhan vor, dass wir in einem dieser Châteaus heiraten sollten, weil es keinen besseren Ort dafür gäbe – und zu diesem Zeitpunkt arbeitete bereits der vertrauenswürdige Tony Quinn für mich, weshalb es kein Problem darstellen würde, eine Hochzeit in einem Château zu organisieren. TQ machte alles möglich. Ich war jedenfalls verrückt nach Siobhan und begeistert davon, bald eine eigene Familie zu haben. Aus diesem Grund schien eine Château-Hochzeit ein vielversprechender Start in unser gemeinsames Leben zu sein.