Das Internet war 1998 gerade erst dabei, langsam jedem ein Begriff zu werden. Ich hatte schon Jahre zuvor davon gehört, aber nun wurde es immer mehr Teil des Alltags.
Ein paar Jahre zuvor – ich arbeitete gerade an Greetings From The Gutter – war mir eine Story für einen Film eingefallen, in der es darum ging, dass die Plattenindustrie durchdreht. Dazu inspiriert hatte mich die Übernahme von CBS durch Sony 1987. Jack Nicholson hatte Interesse daran gezeigt, die Hauptrolle zu übernehmen, und der japanische Regisseur Juzo Itami, der für seinen Film Tampopo in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden war, wollte das Drehbuch schreiben und Regie führen.
Durch mein Filmkonzept kam ich in Kontakt mit Paul Allen, der gemeinsam mit Bill Gates Microsoft gegründet hatte. Juzo Itami war zu einer Besprechung im Rahmen eines Dinners nach New York geflogen, um das Projekt zu erörtern.
Auch Paul Allen war bei dem Abendessen zugegen, doch war er mehr daran interessiert, sich über Greetings From The Gutter zu unterhalten, da wir das Album im Electric Lady Studio aufnehmen wollten und er alles liebt, was mit Hendrix zu tun hatte. Er war fasziniert davon und wollte wissen, ob er vorbeikommen könne, um das Studio zu besichtigen. „Natürlich“, sagte ich, ohne wirklich zu wissen, um wen es sich bei ihm eigentlich handelte. Ich versuchte schließlich, mich mit einem Japaner über meine Filmidee zu unterhalten, da sie mir sehr viel bedeutete. Der Film sollte davon handeln, was der Musikindustrie widerfuhr. Es war mir wichtig, die Perspektive eines Indie-Labels vor dem Hintergrund der Übernahme von Plattenfirmen durch große Konzerne zu zeigen.
Paul kam in die Electric Lady Studios und war völlig hin und weg: „Und hier hat Hendrix tatsächlich gelebt und aufgenommen?“ Dann erkundigte er sich, ob er am nächsten Tag wiederkommen dürfe. Paul wohnte den Aufnahmen bei und war total fasziniert davon. Er saugte alles förmlich in sich auf. Dann spielte er auch noch ein wenig E-Gitarre, was er richtig gut konnte. Zur Halbzeit der Session verließ Paul das Studio, um sich ein paar Gemälde anzuschauen. Ich ging davon aus, dass er in eine Galerie gehen würde. Allerdings ging es darum, dass er zwei Monets erstand, die beide Millionen von Dollar wert waren.
Ich erklärte Paul, wie sehr ich Jamaika liebte und dass ich total verrückt nach diesem Land war. „Du solltest mal nach Jamaika, du würdest es lieben – die jamaikanische Musik und so“, sagte ich zu ihm. Er hörte auf meinen Rat und begleitete mich an die jamaikanische Küste, wo wir in einer billigen Absteige wohnten, in der man auf dem Boden schlief und Kakerlaken herumliefen. Ich wusste damals aber noch nicht, dass die Leute in seiner Firma, Vulcan, die Nerven verloren. Er war der drittreichste Mann der Welt, und sie hatten keinen Schimmer, wo er sich aufhielt. Inzwischen ließ Paul es sich gutgehen und wir jammten gemeinsam mit meinem Freund Brian Jobson auf Akustikgitarren am Strand.
Wir verbrachten eine tolle Zeit zusammen und verstanden uns richtig gut. Paul lud mich auch zu sich nach Seattle ein, und erst dort wurde mir klar, wie der Hase lief. Ich sah das immense Imperium, das ihm gehörte, und begriff, was für ein Genie er war. Themen wie Science Fiction, Medizin oder Musik sowie vieles andere mehr saugt er wie ein Schwamm auf. Wir wurden beste Freunde und haben schon allerhand miteinander erlebt. Unser Unterhaltungen sind schier endlos und drehen sich um alles mögliche – von der Funktionsweise des menschlichen Verstandes bis hin zu Jimi Hendrix und seinem Spielstil.
Eines Tages saßen Paul und ich in meinem Penthouse-Apartment in Covent Garden, als ich auf ein leerstehendes Krankenhaus an einer Straßenecke zeigte. Wir hatten uns über ein mögliches gemeinsames Projekt unterhalten, und ich schlug vor, das Gebäude mal näher anzusehen, da es sich ja eventuell als ein kreativer Treffpunkt in der Art von Andy Warhols Factory – nur mitten in London – eignen könnte.
Paul hatte seit unserem ersten Treffen immer von einer verkabelten und vernetzten Welt gesprochen. Vor meinem geistigen Auge zeichneten sich nun die gestalterischen Diskurse ab, die sich dadurch zwischen all den kreativen Köpfen ergeben könnten und die sich durch die Interaktion zwischen den einzelnen Kunstformen in neuer Musik, neuen Filmen und Theaterstücken manifestieren würden. Diese Idee entlehnte ich bei Gustav Mahlers Ehefrau, die in Wien Komponisten, Architekten und Schriftsteller zu gemeinschaftlichen Abendessen zu sich nachhause eingeladen hatte.
Paul und ich warfen also einen Blick in das alte leerstehende Gebäude. Alles war einfach zurückgelassen worden – Operationstische, medizinische Instrumente und viele unheimliche Einmachgläser mit menschlichen Einzelteilen darin. Es war schon sehr sonderbar. Wir balancierten über wacklige Balken und erkundeten dieses vollkommene Durcheinander. Dann sahen wir einander an und sagten: „Ja, das ist es!“
Da wir beide Hypochonder sind, waren wir beide zu Beginn der Bauarbeiten ziemlich erschrocken, als wir Fotos von Arbeitern sahen, die in strahlensicherer Schutzkleidung das Gemäuer dekontaminierten. Es dauerte alles in allem knapp fünf Jahre, um alle Genehmigungen einzuholen und dieses sehr giftige und baufällige Gebäude und seine Umgebung in den Hospital Club zu verwandeln, ein wunderschön renoviertes Clubhaus für die kreative Community.
Mittlerweile bildet er seit zehn Jahren einen buchstäblichen Bienenstock an Betätigung. Auf mehreren Ebenen beherbergen wir ein preisgekröntes TV- und Musikstudio, eine Galerie, ein Restaurant und mehrere Bars, einen Vorführraum sowie den Oak Room für Live-Auftritte. Auch verfügen wir mittlerweile über Hotelzimmer und Suiten. Es ist praktisch mein zweites Zuhause.
Im Hospital Club haben Radiohead ihr Album In Rainbows aufgenommen und wir zeigen dort auch Ausstellungen wie Warhol vs. Banksy, in der die Beziehungen zwischen dem jeweiligen Schaffen der beiden Protagonisten beleuchtet werden. Es ist in der Tat ein einzigartiger Club für Vertreter kreativer Branchen im Herzen von Covent Garden.
Vor ein paar Monaten bewunderten Paul und ich dort eine Band, die aus vier Schwestern aus Colorado bestand und ein unglaubliches Set ablieferte. Ich hatte sie einegeladen, eine Woche lang unsere Hausband zu sein. Anschließend staunten Paul und ich gemeinsam über diesen Ort und verglichen ihn mit damals, als wir über umgekippte Krankentragen geklettert waren, uns in verfallenen Krankenhausstationen umgesehen und uns selbst für verrückt befunden hatten. Paul und sein Team bei Vulcan hatten Unglaubliches geleistet, um die bestmögliche Renovierung zu ermöglichen, und mussten etliche Hindernisse, die uns anfangs fast zur Aufgabe gezwungen hatten, überwinden, um das Projekt auf die Schiene zu bekommen.
Ich erinnere mich noch an ein Dinner im Ivy, bei dem wir uns angesichts all der bürokratischen Hürden sehr frustriert fühlten. Michael Stipe von R.E.M. erzählte mir daraufhin, dass wir Milch in die Abflüsse gießen und andere Rituale durchführen sollten, weil so viele Menschen dort gestorben waren. Ich ging nachhause und machte mir Gedanken über die Herkules-Aufgabe, die wir uns selbst aufgehalst hatten – und nun sollte ich auch noch hektoliterweise Milch in Hunderte von Abflüssen kippen.
Paul besitzt eine wunderschöne Farm in Idaho, zu der auch eine sehr alte Blockhütte gehört. Im Winter 1994 lud er mich und meine Familie dorthin zum Weihnachtsurlaub ein. Paul schenkte Siobhan, mit der ich damals noch verheiratet war, und mir ein Laptop. Es war das erste Mal, das ich so ein Gerät zu Gesicht bekam. An jenem Weihnachtstag erklärte Paul uns, worum es sich dabei handelte und was man damit alles tun konnte. Ich war total verdattert, weil mir klar wurde, dass sich dadurch schier unendliche Möglichkeiten eröffneten. Paul stimmte mir zu. Es fühlte sich an, als hätten wir als Höhlenmenschen in der tiefsten Steinzeit gelebt und plötzlich drückte uns jemand einen perfekt runden Ball in die Hand. Angesichts der Abermillionen Möglichkeiten beschloss ich damals, dass ich das erste Album, das nur im Internet veröffentlicht würde, aufnehmen wollte.
Ich kaufte gemeinsam mit meinem Freund, dem Reggae-Bassisten Brian Jobson, ein Haus in Jamaika. Es befand sich in den Hügeln über der St. Anne’s Bay und erhielt von uns den Namen Ice House. Wir nannten es so, weil die Spanier hier das kälteste Wasser vermutet und einen großen Tunnel zu einem artesischen Brunnen gegraben hatten. Alle Hotels verwendeten dieses Wasser, um Eis herzustellen. Wenn sonst auch alles schiefgegangen wäre, hätten wir wenigstens Wasser gehabt.
Brians Familie war bereits seit mehreren Generationen im Besitz dieses Grundstücks. Ich bezahlte also die Errichtung des Hauses und er steuerte im Gegenzug das Grundstück bei, anschließend wollten wir uns alles einfach teilen. Um das Haus zu bauen, wandten wir uns an die Leute aus dem nächsten Dorf statt die Gelder in britische oder amerikanische Bauunternehmen zu investieren.
Ich lud die ortsansässigen Kinder und Jugendlichen ein, vorbeizukommen und bei uns zu spielen. Allerdings unterrichtete ich sie auch über ihre Verantwortung, den Fluss sauber zu halten. So wurden sie zur Fluss-Polizei und ich ließ extra Shirts für sie anfertigen, um der Sache eine offizielle Note zu verleihen.
Dies war nur der Anfang mehrerer sich überschneidender Ereignisse. Ich lud schließlich Anoushka dorthin ein. Sie hatte bereits einmal eine Ausstellung veranstaltet, bei der sie Fotos von kleinen Kakteen und anderen Pflanzen zeigte, die sie wie Hollywood-Stars in Szene setzte. Sie war beim Nachkriegs-Porträtfotografen Plichta in der Lehre gewesen und griff auf seine Technik zurück, die Flora mithilfe einer dramatischen Beleuchtung schwarzweiß abzulichten, wodurch verschleiert wurde, um was es sich tatsächlich handelte. Diese Ausstellung trug den Titel Alien Sex Mother und hatte in der Galerie Pierre Nouvion in Monaco stattgefunden. Sie war ein großer Erfolg, bei der die Kunstsammler Philip und Stavros Niarchos viele ihrer Bilder erstanden.
Ich sagte zu ihr: „Nun, mein Garten auf Jamaika bietet einen regelrechten Dschungel an unglaublichem Grünzeug und tropischen Pflanzen. Es ist eine sonderbare Welt, durch die auch ein Fluss fließt. Du kannst gerne vorbeikommen und fotografieren, wenn du willst.“ Obwohl wir uns schon kannten und Zeit miteinander verbracht hatten, waren wir noch immer kein Paar. Ich hielt sie immer noch zu ihrem eigenen Schutz auf Distanz. Zumindest dachte ich das.
Ich wollte das erste Album im Internet herausbringen und es in meinem Haus inmitten des Dschungels von Jamaika aufnehmen, wo ständig der Strom ausfiel. Dadurch war es zwar enorm kompliziert, doch das war genau der Grund, weshalb mir die Idee so gefiel. Andy Wright war als Programmierer und Co-Produzent mit an Bord, da ich mich nicht oft selbst produziere und gerne noch einen weiteren Blickwinkel habe.
Bei der Arbeit an diesem Album, Sly-Fi, verbrachte ich den Großteil der Zeit in einem freischwingenden Korbstuhl auf der Veranda des Hauses und blickte in den Dschungel. Für diese extravagante Aufnahmesession hatte ich ein paar Leute nach Jamaika eingeladen, beispielsweise meine Freundin Gina Gershon und die beiden Schauspielerinnen Georgina Cates und Rhona Mitra. Es war ein sehr entspanntes Ambiente und die Leute saßen auf, na ja, eigentlich nicht gerade vielen Möbeln. Als Anoushka dazustieß, war sie ein wenig perplex. Was mir so an ihr gefiel, war der Umstand, dass sie ihren Arbeitsethos sehr ernst nahm und voll ausgestattet samt ihrer Kameras und Stative und so weiter anrückte. Doch verfügte sie auch über eine Art altmodischen Charme, als wäre sie aus den Vierzigerjahren. So trug sie zum Beispiel einen großen Hut mit Krempe, eine Baumwollbluse und weite Shorts – so wie Meryl Streep in Jenseits von Afrika.
Ein paar Tage nach dem Start der Sessions war Ostersonntag. Ich hatte ein Ganzkörper-Osterhasenkostüm mit großem Kopf aufgetrieben. Es herrschte eine brütende Hitze in Jamaika und wir fuhren zu Chris Blackwells Strandhaus, wo ich der jamaikanischen Tradition entsprechend kleine Kinder mit Keksen beschenkte. Allerdings verglühte ich beinahe in meinem Outfit. Ich beschloss, eine Pause einzulegen und mich zu meiner Gang aus dem Ice House und Chris, der sich gerade mit Tom Waits unterhielt, zu begeben.
Ich war ein großer Fan von Waits und ließ ihn wissen, wie sehr ich sein Schaffen bewunderte. Tom sah die vier wunderschönen Frauen an, in deren Begleitung ich erschienen war, und mich, der ich immer noch in einem Hasenkostüm steckte und eine Box mit Keksen trug, und sagte: „Wow, vielleicht sollte ich auch eines von diesen Plätzchen kosten.“ Chris prustete los und auch ich musste lachen, als mir die Skurrilität der Situation bewusst wurde.
Das war Anoushkas erster Kontakt mit meinem Lifestyle. Ich war eigentlich überzeugt, dass sie zurück nach England fliegen und sich denken würde, was für ein Irrer ich doch sei – und damit hätte sie auch recht gehabt.
Ich hatte bereits geplant, in die USA zu gehen, und mir selbst versprochen, dass ich zumindest ein Jahr lang mit niemandem mehr etwas anfangen würde, weil ich mich um meine beiden Söhne kümmern wollte und gerade eine gescheiterte Ehe hinter mir hatte. Ich wollte herausfinden, wie es war, ganz auf mich gestellt zu sein und an nichts Anderes zu denken als an Sam und Django und meine Musik.
In Jamaika waren wir wie eine kleine Kommune, die um Mitternacht am Lagerfeuer saß und nackt auf großen Steinen am Fluss meditierte. Es war der total experimentelle Wahnsinn und das spiegelte sich in wirklich eigenartigen Songs über die aktuellen Vorkommnisse in meinem Leben wider. Das Album war seltsamerweise fast ganz elektronischer Natur – abgesehen vom gelegentlichen Einsatz eines einarmigen Jamaikaners, der auf einer Plastikflaschentrompete spielte. Songs wie „Piccadilly Picnic“ sprudelten einfach so aus mir heraus. Er handelte davon, wie ich mit den Kids ins West End zog beziehungsweise von der Dinner-Party, auf der ich Anoushka kennengelernt hatte:
been sprinkling the dust again
danced with lady luck again
broke all the rules in the book again
oh yeah
I gave myself a treat again
told everyone in the street again
but I landed on my feet again
oh yeah
Der Song „Happy To Be Here“ handelte hingegen davon, wie ich meine frühen Teenagerjahre überlebte:
I put all my eggs in the bacon slicer
but now it’s turned out fine
in fact it couldn’t be nicer
a nice Jewish girl and a bottle of cider
seven days later I was a man of the world
I thought
I’ll go and get a slice of pizza from the pizzeria
oh, and a Coke
has anybody got change for five quid?
I’m happy to be here
So happy to be here
And I wish that you were here
Unhappy with me.
Ich würde ja gar nicht allzu viel Sinn hineininterpretieren, aber wenn man sich alles durchliest, erkennt man, dass manche Passagen an tatsächliche Erlebnisse angelehnt sind. Zu „Happy To Be Here“ lieferte ich in der populären britischen TV-Show TFI Friday eine absolut durchgeknallte Live-Performance, bei der mir drei Überraschungsgäste als Background-Sängerinnen zur Seite standen: Sinéad O’Connor, Kylie Minogue und Natalie Imbruglia. Den TV-Produzenten hatten wir dieses Detail verheimlicht und die drei tarnten sich mit Perücken und knalligen Las-Vegas-Kleidern. Wir erklärten dem Produzententeam bloß, dass es sich bei ihnen um ein leichtes Mädchen, eine Säuferin und eine überforderte Mutter handelte. Es war ganz schön witzig, in die Gesichter des Moderators Chris Evans und des Publikums zu blicken, als ihnen langsam dämmerte, wer die drei tatsächlich waren.
An diesem Punkt in meinem Leben wollte ich nur Spaß haben und nichts allzu ernst nehmen – und je mehr ich losließ, desto mehr Gutes widerfuhr mir.
Nach ein paar sonnigen Wochen auf Jamaika kehrte ich zurück nach Amerika, wo ich weiterhin komponierte und Jon Bon Jovi in meinem Haus in Encino produzierte.
Die Situation mit Siobhan war noch nicht geklärt und wir mussten uns mit allerlei Arrangements bezüglich unserer Jungs auseinandersetzen, was hieß, dass wir etliche angespannte Telefonate miteinander führen mussten. Wie man weiß, ist eine Scheidung mit Kindern ein Albtraum für beide Seiten. Ich fand es schwer, mich auf irgendetwas Anderes zu konzentrieren.
Als ich jedoch schließlich nach Großbritannien zurückkehrte, war ich wieder voller Elan und bereit, mithilfe der Firma N2K das erste Album überhaupt im Internet zu veröffentlichen.
* * *
Anoushka und ich trafen uns nie wirklich zu Rendezvous’. Sie nahm sich meinen Ratschlag zu Herzen und traf sich mit anderen Leuten, nachdem ich mich in die USA verabschiedet hatte. Wir telefonierten manchmal miteinander und schickten uns gegenseitig Faxe. Als ich zurück nach England kam, besuchte sie mich in meinem Apartment in Covent Garden und brachte mir ein wunderbares Geschenk mit, eines der Bilder aus ihrer Ausstellung, das mir sehr gefiel. Es handelte sich dabei um ein Schwarz-Weiß-Foto einer sehr dunklen und wunderschönen Rose, reif und an der Kippe – ähnlich Annie und mir auf dem Cover von In The Garden. Es war allerdings an alte Hollywood-Porträtfotos angelehnt und mithilfe einer alten Boxkamera entstanden.
Sie wirkte schüchtern und nervös. Als sie mir das Foto überreichte, trafen außerdem noch gerade viele andere Gäste ein. Ich stellte es auf einen Hocker aus der Milchbar aus Uhrwerk Orange, der sich damals in meinem Besitz befand.
Auch mein Freund Paul Allen war anwesend und musste viele Hände schütteln. Ich bot ihm einen Platz zum Sitzen an. Paul pflanzte sich allerdings genau auf das wunderschöne Bild, das mir Anoushka mitgebracht hatte. Es war völlig hinüber und Anoushka brach in Tränen aus. Ich fragte mich bloß, was da nun schon wieder los war.
Wir suchten zu dritt das Schlafzimmer auf – Anoushka, Paul und ich. Anoushka meinte, sie würde heulen, weil sie so viel Zeit dafür in der Dunkelkammer aufgewandt hatte, um den Abzug so perfekt hinzubekommen. Ich begriff: Wow, sie hat das alles nur für mich gemacht, ein Jahr, nachdem ich ihr gesagt habe, wir könnten einander nicht sehen. Mir wurde an Ort und Stelle klar, dass sie nicht nur eine phantastische Künstlerin und ein sehr reizendes Mädchen, sondern auch ein wunderbarer Mensch war.
Da stand ich nun mit den beiden in meinem Schlafzimmer: Anoushka weinte und Paul fühlte sich auch nicht viel besser. Sie trocknete ihre Tränen und ich sagte mir: „Wow, sie ist umwerfend. Bin ich denn blöd oder was? Ihr zu sagen, sie solle sich mit einem anderen treffen?“ Wir lebten praktisch vom nächsten Tag an gemeinsam in meinem Apartment. Sie schloss meine Söhne Sam und Django sofort ins Herz, obwohl sie noch so jung war. Anoushka war zu diesem Zeitpunkt 27, Django war sieben und Sam zehn Jahre alt.
Als Django mitbekam, dass sie zum ersten Mal zu uns nach Frankreich kommen würde, rannte er durch die Gegend und rief: „Um Himmels Willen, da gibt es eine Frau, sie heißt Anoushka und sie mag meinen Dad!“ Als sie dann eintraf, fragte er sie: „Hast du Anoushka schon getroffen?“ Sie antwortete ihm: „Ich bin Anoushka.“ Er schrie, zischte los und rief lautstark: „Anoushka ist hier! Anoushka ist hier!“
Ich kann mich noch gut an das nächste Mal erinnern, als sie uns in Südfrankreich besuchte. Sie fuhr meinen Wagen und ich saß auf dem Beifahrersitz. Das Auto war ein herrliches Cabrio aus den Sechzigerjahren, ein Alpha Romeo Spider. Sam und Django saßen hinten und sie lernten sie gerade erst ein bisschen besser kennen. Django tippte Anoushka an die Schulter und fragte: „Wirst du Sex mit meinem Dad haben?“ Anoushka lief knallrot an, umklammerte das Lenkrad noch fester und starrte auf die Straße vor sich. Ich hingegen musste einfach lachen.
Ich traf Anoushkas Mutter zum ersten Mal bei ihr zu Hause. Wir nahmen eine kleine Mahlzeit zu uns und saßen dabei um einen winzigen Küchentisch, nur wir drei. Anoushka und ich hatten gerade angefangen, uns regelmäßiger zu verabreden, ungefähr ein Jahr nach unserem ersten Treffen. Allerdings hatte sie ihrer Mum genau erklärt, was Sache war. Ihre Mutter kratzte daraufhin allen Mut zusammen und fragte: „Wow, warte mal. Ist der nicht, äh, viel älter als du, hat Kinder und spielt in einer Rockband?“ Alles Dinge, die eine Mutter nicht so gerne hört. Aber es hätte schlimmer sein können. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass ich auch Ozzy Osbourne hätte sein können, ließ es aber dann doch bleiben.
Nachdem ich damals mit meiner Kamera Anoushka getroffen hatte, hatte sie ihrer Mutter erzählt: „Ach, ich glaube, ich habe jemanden getroffen, der der Richtige sein könnte.“ Einfach weil sie sich sonst nicht sonderlich für Leute interessierte. Ihre Mutter hatte aber gerade die örtliche Zeitung gelesen, als Anoushka sich telefonisch bei ihr meldete. Und natürlich zierte das Titelblatt der Zeitung in Nizza ein Foto von mir mit dem Supermodel Helena Christensen, mit Bryan Ferry und einem weiteren Mädel. Und als Anoushka ihr erzählte, dass sie diesen Typen getroffen hätte, nannte ihre Mutter sie eine Idiotin. Anoushka fragte: „Was meinst du damit?“
„Ich habe hier die Zeitung vor mir liegen und der Kerl, von dem du mir erzählst, ist auf der Titelseite.“ Natürlich war das alles höchst unschuldig, aber selbstverständlich hatte ihre Mutter etwas dagegen, dass ich mich im Leben ihrer Tochter breitmachte.
Als Anoushka mich schließlich mit zu ihrer Mutter nahm, war diese darauf eingestellt, dass ich ein ewiger Stenz und Playboy sei. Zu dieser Zeit trug ich absichtlich die übelsten Klamotten, die ich hatte, und nahm mir vor, alles falsch zu machen. Das tat ich sogar bei Fernsehauftritten und in Musikvideos. Ich schlüpfte also in einen schrecklichen karierten Anzug aus Nylon und trug dazu ein gestreiftes Shirt. Meine Haare waren weißblond gefärbt. Außerdem schob ich mir eine fette Buchhalter-Brille ins Gesicht. Ich wollte nicht nur anders aussehen, sondern völlig, na ja, daneben.
Während der Zeit mit den Spiritual Cowboys war alles noch ein wenig stylischer gewesen, weshalb ich mich ein wenig davon lösen wollte. Und wie ich nun einmal bin, ging es eben ab ins andere Extrem. Also muss sich wahrscheinlich jeder zu jener Zeit gedacht haben: „Jesus, dieser Kerl ist ja total neben der Spur.“ Aber ich war der Auffassung, dass sich die Leute nun auf das konzentrieren würden, was ich ihnen inhaltlich vermitteln wollte, und sich nicht nur denken würden: „Oh, das ist Dave Stewart von den Eurythmics.“ Es war im Prinzip ein Selbstversuch.
Und so stiefelte ich in meinem neuen abscheulichen Look in die Küche von Anoushkas Mum. Ich trug Sneakers aus den Sechzigerjahren, die das Playboy-Häschen zierte. Ihre Mutter meinte nur: „Au weh!“ Aber dann tranken wir ein Gläschen Rotwein und aßen Pasta.
Später erzählte mir Anoushka, dass ihre Mutter, als ich mich kurz entschuldigte, zu ihr gesagt hätte: „Eigentlich ist er ein richtig netter Kerl.“ Und: „Ich kann verstehen, warum du ihn magst.“ Allerdings hatte das natürlich den Haken, dass sich Anoushka nun vermutlich auf eine Achterbahnfahrt einlassen müsste, die womöglich nie wieder zum Stillstand kam. Ihrer Mum war diese Art von Achterbahnfahrt ja selbst vertraut, da sie mit ihrem Vater Benny Fisz, dem Produzenten von Filmen wie Luftschlacht um England, Schlacht in den Wolken und Kennwort: „Schweres Wasser“, selbst einiges durchgemacht hatte. Er war ein wunderbarer, faszinierender, interessanter Mensch, aber es herrschte auch stets Aufruhr und Chaos. Also meinte ihre Mutter zu Anoushka: „Ich verstehe, warum du mit Dave zusammen sein willst, aber mach dich auf einen wilden Ritt gefasst.“
Anoushka erwiderte jedoch: „Das macht mir nichts aus, weil ich das Leben auskosten möchte. Bis jetzt habe ich immer auf den einen gewartet, der mich zu einem Abenteuer entführt.“ Sie war wie Alice, die kurz davor stand, das Wunderland zu betreten.
Wir legten uns ein Haus außerhalb von London zu, da meine Wohnung in Covent Garden sich immer beengter anfühlte. Also zogen wir auf eine Farm in Surrey. Ich richtete mir dort ein Studio ein und Anoushka wurde schwanger.
Ich ließ mich auf alle möglichen Experimente ein. Allerdings fühlte ich mich auf der Farm auch ein wenig isoliert. In erster Linie beschäftigte ich mich mit Dingen, die mir gefielen. So nahm ich etwa ein experimentelles Album mit Mudbone auf, dem Sänger von P-Funk, das schließlich unter dem Titel Fresh Mud veröffentlicht wurde.
Wie wohl jeder andere auch, war ich vom ersten Moment, in dem ich sie hörte, ein großer Fan von Sinéad O’Connors Stimme. Ich fuhr gerade mit meinem Auto durch Camden Town, als „I Want Your (Hands On Me)“ von ihrem Album The Lion And The Cobra im Radio gespielt wurde. Ich musste anhalten, um zu lauschen. Bald darauf war sie in jeder Musikzeitschrift und jedem Magazin und sah dort mit ihren aufmüpfigen Augen und dem rasierten Kopf einfach umwerfend aus. 1990 erlagen wir schließlich alle der Faszination ihrer brillanten Single „Nothing Compares 2 U“, die aus der Feder von Prince stammte. Ich verfolgte auch ihre diversen Konfrontationen mit den Medien, aber es dauerte noch, bis ich sie persönlich kennenlernte und realisierte, mit welch genialem Verstand sie zusätzlich zu ihrer Stimme, für die man sterben könnte, gesegnet war.
Sinéad entgeht einfach nichts, nicht einmal das kleinste Detail, egal, ob sich das nun auf ein Gespräch, eine Melodie oder eine gewisse Atmosphäre bezieht. Sie saugt alles auf, absorbiert es förmlich, verarbeitet und speichert es in ihrem Kopf. All dies innerhalb einer Nanosekunde. Sie ist so feinfühlig, dass mir bewusst wird, welch große Leistung eigentlich dahintersteckt, überhaupt auf eine Bühne zu steigen und so zu singen, wie sie es tut.
Als Brian Eno mich 1999 in Frankreich besuchte, spielte er mir einen von Sinéads neuen Songs vor. Wir saßen in einem Auto und parkten vor meinem Haus und Sinéad dröhnte aus den Lautsprechern der Anlage. Ich war wie gelähmt. Kurze Zeit später stattete sie mir in meinem Londoner Apartment einen Besuch ab. Wir amüsierten uns königlich und arbeiteten gemeinsam an Songs, die auf ihrem Album Faith And Courage landen sollten, das im Sommer 2000 veröffentlicht wurde.
Alles begann mit ein paar musikalischen Experimenten. Dann filmten wir ein abgedrehtes Video auf dem Dach. Nachdem wir mehrere Stunden herumgealbert hatten, beschlossen wir aber, zusammen ein paar Songs zu schreiben, die schließlich sowohl in meinem Apartment als auch im Church Studio entstanden. Das Resultat, „Jealous“, war wieder einmal so ein Song, der innerhalb von nur zehn Minuten zustande kam.
Der französische Künstler Philippe Perrenoud und ich arbeiteten gerade an einer Video-Installation für das Paris Museum of Modern Art und wir drehten einen Fake-Werbespot, in dem ich auch mitspielte, als Sinéad auftauchte. Ich erkundigte mich, ob wir eine Pause einlegen könnten. Daraufhin schnappte ich mir eine Akustikgitarre und stöpselte sie an die PA-Anlage. Sinéad griff sich ein Mikro und wir ließen uns vor Ort schnell Akkorde und eine Melodie einfallen. Jeder glaubte, den Song bereits zu kennen, aber das konnte gar nicht sein. Wir unterhielten uns eine Weile eingehend über Beziehungen. Als sie sich verabschiedete sagte sie noch: „Ich sehe dich morgen mit dem Text.“ Und dem war tatsächlich so.
Während wir den Song im Church Studio aufnahmen, gaben sich verschiedene Leute die Klinke in die Hand, um bei Sinéad und mir vorbeizuschauen. Alles verlief sehr entspannt. John Reynolds, ihr Ex-Ehemann, spielte Schlagzeug und der legendäre Jah Wobble steuerte die Bassgitarre zu „Jealous“ bei. Die Idee, am Ende des Übergangs zum Outro ein Reggae-Feeling einfließen zu lassen, stammte von Sinéad. Ich filmte mit, als Sinéad während des Schlussteils improvisierte und sang, dass es einem unter die Haut ging: „I don’t deserve to be so lonely.“ Als ich sie so durch die Linse der Kamera beobachtete, war ich hundertprozentig ihrer Meinung, dass sie das in der Tat nicht verdient hatte. Jedes Mal, wenn ich ihre Stimme einfing, löste es Gänsehaut bei mir aus.
Sinéad ist eine reine Seele und voller Liebe für die wahrhaftigen Dinge im Leben. So wie ich findet auch sie Trost im Reggae und ich war sehr glücklich darüber, dass sie sich vor nicht allzu langer Zeit mit meinen Freunden Sly & Robbie, den legendären jamaikanischen Produzenten, zusammentat. Ich präsentierte „Jealous“ mehrmals mit Sinéad im britischen Fernsehen – und jedes Mal amüsierten wir uns ganz prächtig dabei, verrückte Videos in der Garderobe zu drehen. Wir hatten jedenfalls einen Heidenspaß und ich bin mir sicher, dass sich das in der Zukunft noch oft wiederholen wird.
* * *
Durch den Umgang mit beiden realisierte ich, dass sowohl Laptop als auch Internet über positive wie negative Eigenschaften verfügten. Ja, die Menschen würden durch sie Musik beziehen wollen. Aber dann brach die Hölle los. Also fing ich an, über die Zukunft nachzudenken. Und mir war klar, dass neue Arrangements in Bezug auf die Art, wie Musiker arbeiteten, getroffen werden mussten.
So gründete ich also das Artist Network. Dabei ging es darum, dass Musiker anderen Musikern unter die Arme griffen. Ich stieß auf Leute wie Joanne Shaw Taylor, eine unglaubliche, damals 16 Jahre alte Blues-Gitarristin, die mittlerweile zu den führenden Blues-Musikern Großbritanniens zählt. Außerdem schrieb ich Songs und produzierte ein Album für die Reggae-Legende Jimmy Cliff. Auch begann ich, Platten mit dem brillanten jamaikanischen Rapper Nadirah X aufzunehmen. Ich versuchte herauszufinden, wie eine neue Herangehensweise funktionieren könnte, die die Rechteverwaltung, das Internet und das Musik-Streaming unter einen Hut brächte. Ein Freund von mir half sogar dabei, ein virtuelles 3D-Universum aufzubauen, in denen unterschiedliche Welten die Rolling Stones und die Beatles repräsentierten. Ich hatte damals ja keine Ahnung, dass diese Welten später Apps genannt würden, deshalb nannte ich sie einfach Welten.
Ich zeigte sie so vielen Musikern wie möglich und erklärte ihnen, dass das Internet alles verändern würde. Wenn wir als Musiker uns nicht darum kümmerten, würde unser Schaffen eines Tages für jedermann kostenlos zugänglich sein. Die einzigen Leute, die irgendetwas damit verdienen würden, wären die Firmen, die das Netz beherrschten, Yahoo! oder Google, die damals noch in den Kinderschuhen steckten. Ich sah das alles auf uns zukommen.
Ich sprach mit jedem von Quincy Jones über Mick Jagger bis hin zu George Harrison und Paul McCartney über diese Entwicklung. Irgendwann erhielt ich dann Anrufe und Besuche von allen möglichen Leuten. Gegenüber Michael Philipp, der im Vorstand der Deutschen Bank saß, hatten gleich drei verschiedene Leute innerhalb von zwei Tagen meinen Namen erwähnt. Er sagte: „Wenn so etwas passiert, dann ist etwas im Busch.“ Und so kam Michael auf meine Farm zum Abendessen und überzeugte letztlich die Deutsche Bank davon, die Kosten für die 3D-Welten zu übernehmen, damit sie besser verstünden, wovon ich sprach. Tatsächlich leitete ich schließlich ein Meeting im Sitzungszimmer des obersten Stockwerks im Gebäude der Deutschen Bank in New York. Außer mir waren noch Quincy Jones, Stevie Wonder, Lou Reed, Bob Dylans Manager und Publisher Jeff Rosen, der Anwalt von Dr. Dre und viele andere vor Ort. Ich verwies auf die vielen zwielichtigen Charaktere im Musikbusiness und deren undurchsichtige Buchhaltung. Und auch darauf, dass alles noch viel schlimmer werden würde.
Stevie Wonder hatte Berry Gordys Sohn, Kerry Gordy, mitgenommen. Mein Vortrag begann ihn aufzuregen. Irgendwann unterbrach er: „Hey, bei Motown mussten wir zuerst einmal viel investieren, bevor wir was verdienten.“ Er sagte, dass sie sechs Singles der Supremes herausbringen mussten, bevor sie endlich Erfolg hatten. An diesem Punkt stand Stevie Wonder auf, streckte seinen Arm aus und sagte: „Yeah, und ich erinnere mich noch daran, wie der kleine Stevie Wonder in den Stimmbruch kam. Motown berief ein Meeting ein, in dem es hieß, meine Karriere wäre vorbei. Sie berieten, ob sie mich fallenlassen sollten.“
Er erklärte, dass er daraufhin nachhause gegangen sei und „Uptight (Everything’s Alright)“ geschrieben habe, was seine Lage ja auch ganz gut beschrieb. Der Raum verstummte und ich konnte fortfahren.
Später sagte Michael Philipp: „Als ich Dave im September 2000 kennenlernte, sprach er zwölf Stunden lang über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Produktion und Verbreitung der Medien. Als Banker hatte ich keine Ahnung, wovon zum Teufel er da sprach – das traf auch auf alle anderen zu. Im Verlauf der nächsten fünf Jahre sollte jeder von uns noch dahinterkommen.“
Ich war gut mit George Harrison und seiner Frau Olivia befreundet. Anoushka und ich besuchten sie recht oft in Henley. Eines Tages rief mich George an und bat mich, zu ihm zu kommen und mich bei einem Gespräch mit ihm filmen zu lassen. Er meinte, es würde sich nicht um ein Interview, sondern um eine Unterhaltung handeln.
Also begab ich mich mit Anoushka zu ihm. Außerdem packte ich meine kleine Videokamera ein, um das intime Gespräch zu filmen.
Als wir eintrafen, fand ich eine Filmcrew mitsamt Tontechnikern vor. George war draußen im Garten. Er wollte, dass ich die Fragen stellte. Seine Antworten würden dann mitgefilmt. Ich begann damit, nach All Things Must Pass zu fragen, Georges großartigem Album aus dem Jahr 1970. George bestand darauf, die Gartenzwerge vom Albumcover zu holen und sie um seine Füße herum zu positionieren. Für jeden von ihnen hatte er einen Namen. Er war sehr witzig, scherzte mit der Crew und schien gut drauf zu sein. Ich spürte aber, dass irgendetwas nicht stimmte. Immerhin fühlte sich das alles ein wenig nach Abschluss an. Wir wanderten ein oder zwei Stunden durch den Garten und George sprach über alles – über Themen wie Reinkarnation und die Abenteuer der frühen Beatles oder Indien und seine Liebe zur indischen Musik. Er ging auch auf die Vor- und Nachteile seiner immensen Berühmtheit mit den Beatles ein. Als wir so durch den Garten spazierten, benannte George – wie sonst auch – alle Bäume und Pflanzen. Er liebte einfach alles an seinem Garten. Wir filmten schließlich noch ein paar schräge Sachen mit meiner kleinen Filmkamera: George und Anoushka, wie sie hinter einem in Blüte stehenden Baum hervorlugten, und auch ziemlich psychedelische Segmente, zu denen George großartige, einzeilige Kommentare über das Leben und geistreiche Bemerkungen, die der Monty-Python-Seite seines Gehirns entstammten, beisteuerte.
Es war wie ein Spaziergang durch den Verstand eines wunderbaren und sensiblen Künstlers. Ich überließ Olivia das Video und man kann einige von meinen Aufnahmen in Martin Scorseses Film Living in the Material World sehen.
George starb ein Jahr später. Am Tag danach erhielt ich eine schöne, von Hand gemachte Box. Auf dem Deckel befand sich neben Fotos und Zeichnungen auch eine Widmung: „Von einem liebevollen Familienmitglied zum anderen.“ In der Schachtel befanden sich wunderschöne Postkarten, die von George, Olivia und ihrem Sohn Dhani unterschrieben waren, eine Fahne, die ein Gedicht Pablo Nerudas schmückte, das meiner Tochter Kaya galt, die erst wenige Monate alt gewesen war, als wir sie mit zu George genommen hatten, um ihn zu filmen.