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Nachdem wir bereits so viel zusammen erlebt haben, bin ich immer für alles zu haben, wenn ich einen Anruf von Jimmy Iovine erhalte und er wissen will, ob ich zu einer Zusammenarbeit bereit bin. 16 Jahre nachdem ich durch ihn Tom Petty, Stevie Nicks und viele andere kennenlernen durfte, rief er mich immer noch an. 2001 hatte ich seit zehn Jahren immer wieder mal in London gewohnt. Nun meldete er sich bei mir, um mir mitzuteilen, dass sich No Doubt in der Stadt befänden und mich gerne treffen würden. Ich war dem durchaus nicht abgeneigt, da Sophie Muller, die geniale Video-Regisseurin, die das Savage-Videoalbum für die Eurythmics und viele andere Arbeiten vorzuweisen hatte, auch bei den Videos von No Doubt Regie führte, darunter auch bei dem mit dem Grammy ausgezeichneten Clip für „Don’t Speak“. Ich weiß noch, dass ich mir damals, als ich es zum ersten Mal sah, dachte, dass diese Band es weit bringen würde.

Außerdem hatte ich sie erst unlängst gesehen. Ich konnte mich genau daran erinnern, wie Tony Kanal und Gwen Stefani sich bei Annies und meinem Auftritt als Duo anlässlich der Eröffnung von Paul Allens Experience Music Project ins Publikum geschlichen hatten. Sie waren ein Spiegelbild von uns und eines der wenigen Paare auf dem Planeten, das sich in Annie und mich hineinversetzen konnte: Zuerst waren sie ein Paar, dann trennten sie sich und feierten schließlich enorme Erfolge – wobei sich aufgrund der emotionalen Rahmenbedingungen alles wie eine Achterbahnfahrt anfühlte.

„Don’t Speak“ ist allein schon wegen seiner Melodie ein hinreißender Song. Textlich berührte er mich auch sehr, da er meiner eigenen Situation entsprach, als er veröffentlicht wurde.

Meinem Penthouse in Covent Garden haftete mittlerweile ein zweifelhafter Ruf an. Ständig hatte ich Besuch, wusste aber nur selten, wer als nächstes auf einem der 32 Bildschirme, die wie Kunstinstallationen an den Wänden angeordnet waren, erscheinen würde. Heute hätte ich gerne Screenshots davon, um mich daran zu erinnern. Da waren Mitglieder von Blur, Joe Strummer oder auch Sam Mendes, der damals für das Donmar Warehouse, das sich ganz in der Nähe befand, als künstlerischer Leiter tätig war. Die Künstlerinnen Tracey Emin und Sarah Lucas oder der inzwischen verstorbene Angus Fairhurst drehten für ihre Kunstprojekte auf dem Dach, während George Harrison mir im kreisrunden Turmzimmer „This Guitar (Can’t Keep From Crying)“ beibrachte. Der Portier vom Restaurant um die Ecke, Sean McDermott, läutete ständig, um mir mitzuteilen: „Mr. Helmut Newton wünscht Sie zu sprechen.“ Oder: „Jerry Hall und Marie Helvin sind hier, Sir.“ Man kann sich also vorstellen, wie seltsam diese Welt auf Tony, Gwen und ihr Bandmitglied Tom Dumont gewirkt haben muss.

Als sie eintrafen, dauerte es eine Weile, bis sie sich eingewöhnten. Es half wahrscheinlich auch nicht sonderlich, dass ich ganz besessen war vom Internet und darüber schwadronierte, wie wir als Musiker „Welten“ (die Vorform von Apps) erschaffen würden. Ich zeigte ihnen all diesen virtuellen 3D-Kram und war ein wenig manisch dabei.

Dann fiel mir auf, dass schon wieder zwei Stunden vergangen waren und ich einfach ununterbrochen gequasselt hatte. Wir begaben uns schließlich ins Studio, wo mein Tontechniker Ned Douglas eine Idee von mir mitsamt einem Reggae-Groove programmiert hatte. Ned war wie immer schon vor Ort und wartete darauf, dass der Wahnsinn seinen Lauf nähme.

Ich schlug vor, dass Gwen und ich uns mit einer Akustikgitarre in die Küche begeben sollten, um an etwas zu arbeiten, da ich es immer einfacher finde, etwas mithilfe eines einzigen Instruments und einer Gesangsstimme zu komponieren als mit einer Band oder massenhaft Ausrüstung. Anfangs war es ein wenig unbehaglich, weil es mir so vorkam, als würden sie mich für einen Irren halten – für Willy Wonka auf LSD oder so. Gwen war daran gewöhnt, mit Tony oder ihrer Band an Songs zu arbeiten. Allerdings fing das Eis innerhalb weniger Minuten zu schmelzen an. Ich weiß gar nicht mehr, wie das vor sich ging, aber nach nur 15 Minuten gingen wir wieder die Treppe hoch ins Studio und riefen: „Wir sind fertig!“ Und so entstand „Underneath It All“.

Ich muss sagen, dass Tony sehr cool mit dieser neuen Arbeitsaufteilung umging und anfing, den Bass einzuspielen. Er ist ein großartiger Bassist – so präzise und doch auch so gefühlvoll. Gitarrist Tom Dumont wirkte ein wenig schüchtern, begann jedoch zu experimentieren. Und so fing der Track an, richtig toll zu klingen.

Ein Stockwerk tiefer startete gerade die Saxofon-Stunde meines Sohns Django, der damals acht Jahr alt war, und wir konnten ihnen zuhören. Ich fand, dass es sich gut auf der Aufnahme machen würde, gerade weil es ein wenig wacklig war. Daher rief ich ihn zu uns, damit er mitspielen konnte. Also hört man nun bei dem Song Django Sax spielen.

Gegen 19 Uhr ließen wir die Sache erst einmal gut sein. Der Song war in seinen Grundzügen fertig. Und Gwens Leitstimme, an der sie sich orientieren würde, klang ausgezeichnet.

Es stellte sich heraus, dass ich noch eine weitere Sache mit No Doubt gemeinsam hatte: Wir sind alle ganz verrückt nach Jamaika. Also war ich absolut damit einverstanden, als No Doubt entschieden, „Underneath It All“ und den Großteil ihres nächsten Albums Rock Steady ebenfalls dort aufzunehmen. Brian Jobson und sein Bruder Wayne halfen dabei, dieses jamaikanische Abenteuer zu organisieren. Sly & Robbie, die ich durch Jimmy Cliff kennengelernt hatte, produzierten den Song gemeinsam mit No Doubt und griffen im Rahmen ihrer wunderbaren Produktionsarbeit auf Teile des ursprünglichen Demos zurück. Brian und Wayne wurden als Executive Producer angeführt, wodurch alles einen familiären Touch erhielt.

Jahre zuvor hatte ich eine praktisch unbekannte Dance-Hall-Sängerin namens Lady Saw singen gehört. Ich war so beeindruckt von ihrem Gesang gewesen, dass ich es, obwohl ich noch am selben Tag Jamaika verließ, in die Wege leitete, sie am Flughafen von Kingston zu treffen, da ich sie für mein Indie-Label Anxious Records unter Vertrag nehmen wollte. Deshalb war ich begeistert, als ich hörte, dass sie einen Gastauftritt bei „Underneath It All“ hätte. Ich war außer mir vor Freude, als ich den endgültigen Mix hörte. Der Song wurde ein großer Hit in den USA und ich begleitete No Doubt zu den Grammy Awards, wo er den Preis in der Sparte „Best Group with a Vocal“ abräumte. Außerdem gewannen sie noch die Auszeichnung für das beste Video und den Publikumspreis bei den Video Music Awards sowie den Teen Choice Award für die beste Single.

No Doubt sind eine unglaubliche Live-Band. Adrian Young dabei zu beobachten, wie er Schlagzeug spielt, ist ein Erlebnis für sich. Mit diesem Album legten sie jedenfalls einen Höhenflug hin und die Live-Version von „Underneath It All“ auf der anlässlich zur Rock Steady- Tour erschienenen DVD ist einfach brillant.

Seit damals haben Gwen und ich noch ein paar andere Songs geschrieben. „Sparkle“ eignet sich beispielsweise hervorragend für eine spärlich instrumentierte Live-Darbietung. Gwen verfügt über ein tolles Gespür für Melodien und verlässt sich auf ihr Unterbewusstsein, um sich in ihren Texten auszudrücken. Zuerst singt sie frei-assoziative, improvisierte Dinge, doch schleichen sich auch schon Wörter ein, die emotionalen Ursprungs zu sein scheinen. Sie begreift rasch, was sie sagen möchte, und alles fügt sich zusammen.

„Underneath It All“ war ein gutes Beispiel dafür und ich wurde in meiner Küche in Covent Garden Zeuge dieses Prozesses. Ich konnte ihr ansehen, was sich in ihrem Kopf abspielte, und sie setzte es exakt und unmittelbar in diesem Song um. Als wir ganz spontan den Song „Sparkle“ schrieben, kamen ihr beim Singen die Tränen, weil es so emotional für sie war. Ich stellte mir die Nummer immer ganz reduziert vor: Akustikgitarre, ihre Stimme und ein Orchester. Eines Tages bekommen wir das vielleicht mal zu hören.