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Kurz nach Kayas Geburt weilten Anoushka und ich in Südfrankreich, um das Haus des Künstlers Marc Chagall als mögliche neue Bleibe zu inspizieren. Wir spazierten durch dieses wunderschöne Haus und plötzlich stellte ich fest, dass es mir unmöglich war, die Stiege hochzusteigen. Ich sagte zu meiner Frau, dass da wohl was nicht ganz rund liefe bei mir. Schließlich wurde ich in das kleine Hotel, in dem wir untergebracht waren, zurückgefahren.

Die arme Anoushka. Kaya war damals ein Säugling und hier lag ich nun mit meinem Gebrechen im Bett. Sie hatte das Gefühl, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte, da ich auch mental nicht auf der Höhe war. Ich erinnere mich diesbezüglich an nichts mehr. Sie hingegen schon, weil es sie so beängstigte. Ich sprach zwar, aber mein Gerede ergab keinen Sinn. Außerdem war ich nassgeschwitzt, als litte ich unter hohem Fieber. Sie rief die Rezeption an und da sie Französin ist und die Sprache beherrscht, wurde uns rasch geholfen. Es war Sonntag und normalerweise war es an diesem Tag ein Ding der Unmöglichkeit, einen Arzt aufzutreiben. Als ich im Bad pisste, hatte ich Blut im Urin. Anoushka rief meinen Arzt in London an, um ihm zu beschreiben, was mit mir los war. Er erklärte ihr, dass sie mich sofort nach London fliegen lassen sollte: „Irgendetwas liegt da ganz massiv im Argen. Sie können ihn nicht in ein französisches Krankenhaus einliefern lassen, das über keinerlei Unterlagen über ihn verfügt. Besorgen Sie vor Ort die stärksten Antibiotika, verabreichen Sie sie ihm und schaffen Sie ihn ins nächste Flugzeug.“

Da lag ich nun also auf einer Bahre im Sanitätsflugzeug zurück nach England. Begleitet wurde ich von Anoushka, Kaya und Sanitätern, die darauf achteten, dass nichts schieflief. Ich verlor das Bewusstsein und kam wieder zu mir – immer und immer wieder. Ich pisste Blut und hatte hohes Fieber. Nicht gut. Während des Flugs hing ich an einem Tropf. Der Arzt unterzog mich alle 30 Minuten irgendeinem Test.

Sobald das Flugzeug gelandet war, wurde ich ins Krankenhaus gebracht. Dort blieb ich erst einmal fünf Tage und erhielt die stärksten erhältlichen Antibiotika. Irgendwann, so bemerkte ich, war auch Annie für ein paar Stunden da. Wie lange, ist schwer zu sagen, weil ich mich ständig zwischen Schlaf und Wachzustand befand. Ich spürte ihre Anwesenheit, aber dass sie mir die Füße massiert hat, kann auch bloß ein Traum gewesen sein.

2002, als ich immer noch ein wenig geschwächt war, wurde ich gebeten, Nelson Mandela bei seinem Kampf gegen AIDS in Afrika zu unterstützen. „Bei AIDS geht’s nicht länger um eine Krankheit“, verkündete er. „Es ist vielmehr eine Menschenrechtsfrage.“

Mir war bewusst, dass ich mit etwas Innovativem aufwarten musste, um das Interesse der Menschen zu wecken, weshalb ich Roger Taylor und Brian May von Queen mitnahm, um mich vorab mit Mr. Mandelas Stab zu treffen. Zuerst sprachen alle von einem Konzert, doch während eines Telefonats mit Mr. Mandela schlug ich vor, seine alte Kennnummer aus dem Gefängnis – 46664 – als Hotline einzurichten. Die Menschen würden ihn so sprechen hören. Außerdem sollte man unter dieser Nummer speziell für diesen Anlass aufgenommenen Songs berühmter Acts lauschen können. Während man sich diese exklusive Nummer anhörte, würde man gleichzeitig für den guten Zweck ­spenden.

Mr. Mandela gefiel diese Idee und als wir wieder zurück in Großbritannien waren, machte ich mich prompt an die Arbeit. Doch während meines Südafrika-Aufenthalts hatte ich mich mit einer Atemwegserkrankung angesteckt. Ich hatte in der Peripherie von Kapstadt eine Barackenstadt besucht, wo die Ärmsten der Armen lebten. Dort litten die Menschen an Krankheiten wie AIDS oder Diphtherie. Ich traf dort in einer Einrichtung auch auf kranke Waisenkinder. Dabei handelte es sich nicht wirklich um ein Krankenhaus, sondern einfach nur um einen großen Raum, in dem Medikamente verabreicht wurden. Ich hatte es versäumt, mich vorab impfen zu lassen, wie man das tun sollte, bevor man nach Afrika reist.

Als ich wieder zurück in England war, fühlte ich mich immer schlechter und total erschöpft. Mir war klar, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Ich begab mich ins Krankenhaus, wo man eine Lungenentzündung diagnostizierte, die mich monatelang außer Gefecht setzte. Es war, als litte ich an einer hundertfach verstärkten Grippe. Nur ganz langsam kam ich wieder zu Kräften und konnte mich schließlich wieder der Arbeit an meiner Idee mit der 46664-Nummer widmen.

Der erste, den ich anrief, um ihn um Texte für den Song „46664“ zu bitten, war Joe Strummer. Leider starb er nur kurze Zeit, nachdem er mir seinen Songtext hatte zukommen lassen, völlig unerwartet. Seine Zeilen hatte er mit der Hand auf ein Blatt Papier geschrieben und seine Worte sprangen einen förmlich an.

When Freedom rises from the killing floor

No lock of iron or rivet can restrain the door

And no kind of army can hope to win a war

It’s like trying to stop the rain or steal the lion’s roar

It’s like trying to stop the whirlwind scattering seeds and spores

Like trying to stop the tin cans rattling jailhouse semaphore

Like they know when these hands are manacled it’s your spirit that gets raw

It’s not the small patch of sky you see but the spirit as it soars

U2 liebten The Clash, weshalb ich nach Dublin flog, um mit Bono und The Edge ein Studio aufzusuchen und den Song zu Ende zu bringen. Wir unterhielten uns über Joe und hörten uns die Musik an, die ich geschrieben hatte. Ich zeigte Bono Joes Text. The Edge spielte Gitarre und Bono sang, als würde er Joe channeln. Es war ein unglaublicher Augenblick und ich filmte Teile der Session. Am nächsten Tag, als ich wieder zurück in England war, besuchte ich Richard Branson bei ihm zu Hause. Roger Taylor und Brian May begleiteten mich. Ich erklärte ihm die Idee mit der Telefonnummer und er fand sie phantastisch. Er war mit Virgin Mobile nicht nur sofort mit von der Partie, sondern bot auch an, Flugzeuge der Virgin Airline zur Verfügung zu stellen, um die Musiker zum Konzert zu fliegen.

Mit diesen tollen Nachrichten im Gepäck, begann ich weitere Songs zu schreiben und aufzunehmen – einen mit Paul McCartney und einen mit Brian, Roger und Anastacia. Nur kurze Zeit nach meiner Rückkehr aus Irland erhielt ich mitten in der Nacht einen Anruf von Bono, der zu einer meiner verrücktesten Songwriting-Erfahrungen führen sollte.

Er war total aus dem Häuschen und sprach in einer Mischung aus Poesie und freien Assoziationen über die Geschichte Afrikas – über Ghana und die Rolle des indischen Ministerpräsidenten, über Mandela und seine Inhaftierung auf Robben Island. All dies resultierte in Textzeilen wie „Let’s not kick out the darkness, make the light brighter.“

Er sprach auch davon, wie uns das Meer gleichzeitig trennte und verband. Textzeilen wie „This is the ground that keeps our feet from getting wet“ sprudelten nur so aus ihm heraus und es war schwer für mich, alles zu verarbeiten. Ich musste ihn also kurz unterbrechen und meine Frau beauftragen, ein Aufnahmegerät zu holen, damit wir festhalten konnten, was wir hier taten. Bono sang in den Hörer, während ich am anderen Ende der Leitung Akustikgitarre spielte. Ich musste einfach sicherstellen, dass ich mich an diese großartigen Textzeilen und meinen musikalischen Input erinnern würde.

Anoushka kam fünf Minuten später wieder, doch alles, was sie hatte finden können, war eine Videokamera, weshalb ich nun eine genau 19 Minuten und elf Sekunden lange Aufnahme besitze, die mich knieend, das Telefon sowie einen Teil meiner Akustikgitarre zeigt. Besser als gar nichts!

Bono und ich vereinbarten, uns am nächsten Tag in Los Angeles zu treffen. Plötzlich realisierte ich, dass dieser nächste Tag bereits angebrochen war. Nach nur wenigen Stunden Schlaf war ich auf dem Weg zum Flughafen Heathrow und um 20 Uhr fand ich mich im Chateau Marmont auf dem Sunset Boulevard wieder. Ich war so erschöpft, dass ich sofort einschlief.

Am nächsten Morgen meldete sich Bono, um mir mitzuteilen, dass er so gegen 14 Uhr in meinem Zimmer aufkreuzen würde. Ich hatte ein kleines Vierspurgerät dabei, weshalb ich vor Bonos Eintreffen mithilfe des Drumcomputers, einer Akustikgitarre und einem billigen Orgel-Sound einen kleinen Hintergrund-Track zusammenstellte, der sich für die Arbeit an unserem Song eignen würde.

Ab diesem Zeitpunkt wurde die Angelegenheit immer komplizierter. Bono klopfte an die Tür und innerhalb von Sekunden führten wir dieselbe Konversation fort, die wir schon am Telefon hatten. Ich spielte ihm das Demo vor und ihm gefielen sowohl die Atmosphäre als auch die Akkordwechsel, weshalb ich ihn gleich seine Textentwürfe auf die verbliebene leere vierte Spur singen ließ. Die Texte, die Akkorde und die Melodie klangen sehr hymnisch und bildeten schließlich die Grundlage für „American Prayer“. Alles war sehr subtil und ging einem wirklich unter die Haut. Der Text handelte von Amerika als Konzept und dem Fundament von Gerechtigkeit – nur war auf dem Weg dorthin etwas verlorengegangen. Eine tolle Idee. Bono erklärte in einem Interview, das er nur kurze Zeit nach unserer Songwriting-Session gab, dass er ihn als Person geschrieben hätte, die die Poesie der Unabhängigkeitserklärung und die überbordende Wahrheit, die in der Verfassung liegt, wiederentdeckt hätte.

Am selben Abend statteten wir Dr. Dre einen Besuch in seinem Studio im San Fernando Valley ab. Dort nahm ein neuer Song, der zu diesem Zeitpunkt den Titel „Treason“ trug, seinen Ausgang. Schließlich nahmen wir den Track mithilfe der jungen ghanaischen Musiker des Gateway Ambassador Projects auf. Diese talentierten Kids waren alle Waisenkinder und sollten schon bald mit Bono gemeinsam auf die Heartland of America-Tour gehen, mit der er für den Kampf gegen AIDS werben wollte.

Am nächsten Tag hörten wir uns „American Prayer“ und „Treason“ in voller Lautstärke in Bonos Suite im obersten Stockwerk des Chateau Marmont an. Mit im Raum waren noch Bobby Shriver und zwei Aktivisten aus Bonos Organisation ONE. Schließlich fingen wir wieder zu schreiben an und beendeten unsere Arbeit an Ort und Stelle. Wir beschlossen, dass Bono und ich noch in derselben Nacht nach Miami weiterfliegen sollten, wo Bruce Springsteen am nächsten Tag einen Auftritt hatte, um ihn zu fragen, ob er den Song singen wollte.

Wir trafen um neun Uhr morgens einigermaßen mitgenommen in Miami ein und fuhren gleich ins Hotel. Gegen 16 Uhr trafen wir uns mit Chris Blackwell und begaben uns zu Bruce Springsteens Soundcheck in der American Airlines Arena. Als wir dort ankamen, probte Bruce gerade auf der Bühne, weshalb wir einfach abhingen, bis er fertig war. Dann unterbreiteten wir ihm in seiner Garderobe unsere Idee. Wir spielten ihm den Entwurf unseres Songs akustisch vor, aber er war leider ein wenig abgelenkt, da er sich auf sein Konzert vorbereitete.

An diesem Abend unterstützten wir ihn auf der Bühne bei „Because The Night“, einem Song, den er für Patti Smith geschrieben hatte. Es war ein tolles Erlebnis, obwohl ich im Mittelteil den Tonartwechsel verpennte. Gleich als nächstes nickte mir Bruce zu, um mir zu signalisieren, dass ich das Solo spielen sollte. Ich empfand Panik, kratzte aber noch die Kurve.

Wir buchten ein Studio in Miami und Bono steuerte eine rohe Version des Leadgesangs bei. Dann kam Aaron Lewis von Staind herein, der gerade nebenan war, um sich den Song anzuhören und Harmoniegesang beizusteuern, während ich noch die Gitarrenspuren ergänzte.

„American Prayer“ hörte sich zunehmend nach einem fertigen Song an, sodass wir noch ein paar Gänge höher schalteten. Wenig später hatten Bono und ich einen hysterischen Lachanfall im Aufzug des New Yorker Studios Hit Factory, weil wir nicht fassen konnten, wen wir alles zur Mitarbeit an unserem Song eingeladen hatten – Beyoncé, Pharrell Williams und The Edge. In jedem Stockwerk arbeitete jemand am Song oder bastelte an alternativen Versionen. Wir fuhren also auf und ab und mussten dabei so viel lachen, dass es uns unmöglich war, den Aufzug zu verlassen.

Mit einem Schlag befand ich mich mit Beyoncé in einem Raum, während sie gerade lauschte und sich Notizen machte. Ich zeigte Pharrell Williams die Akkorde, damit er mit den Neptunes und Beyoncé an einer eigenen Version arbeiten konnte. Zur selben Zeit trafen sich Jimmy Iovine und der U2-Manager Paul McGuinness mit dem Vorstand der NFL, um darüber zu diskutieren, ob es nicht möglich wäre, den Song in die Halbzeitshow des Super Bowls einzubauen. Oprah Winfrey und ihre gesamte Crew filmten alles mit und J-Lo sowie andere Stars kamen vorbei, um mal nach dem Rechten zu sehen. Es war ein unfassbarer Tag! Dies geschah ausschließlich wegen dieses einen Songs und der Reise, auf der er sich befand.

Traurigerweise verstarb Luther Vandross nur einen Tag, nachdem er auf dem Song gesungen hatte. Das letzte, was er jemals sang, war: „Remember me.“

Die NFL ließ sich jedoch nicht dazu überreden, dass wir den Song in der Halbzeitpause des Super Bowls performten, denn das letzte, was sie wollten, war etwas so radikal Fortschrittliches und Politisches. Sie versucht jegliche Kontroverse zu vermeiden. Aber Bono ist einfach so brillant und überzeugend, dass sie ihm wenigstens zuhörten. Und dann sprach sich auch noch Oprah Winfrey dafür aus – und diese Typen lieben Oprah.

Letztlich fand am 29. November 2003 im Green Point Stadium von Kapstadt, in dem 65.000 Menschen Platz fanden, ein Konzert unter dem Titel 46664, the Mandela Concert statt. Es war ein unglaubliches Event, bei dem Peter Gabriel seinen Song „Biko“ zum ersten Mal in Afrika sang. Auch wir brachten unseren Song an diesem Abend, und zwar unter dem Titel „African Prayer“. The Edge und ich spielten beide Akustikgitarre, Bono und Beyoncé sangen. Und Oprah war auch extra angereist. Später sollte der Song in Obamas Präsidentschaftswahlkampf zum Einsatz kommen, und als die endgültigen Wahlergebnisse im Fernsehen übertragen wurden, lief ebenfalls diese Nummer.

Afrika – und Nelson Mandela – haben auch Annies Leben verändert. Als Sängerin, Songschreiberin und Musikerin ist sie einfach brillant. Wie man weiß, ist sie in vielerlei Hinsicht genial, doch kann sie auch sehr unsicher und sorgenvoll sein. Aber am Morgen nach dem Konzert in Kapstadt frühstückte sie mit Anoushka und mir und fühlte sich einfach phantastisch und sagte: „Ich habe meine Bestimmung und meinen Lebenssinn gefunden.“ Das war ein klein wenig ironisch gemeint, da sie zuerst noch abgesagt hatte, als ich sie als eine der ersten gefragt hatte, ob sie teilnehmen wollte. Dann änderte sie ihre Meinung aber noch, und das veränderte letztlich ihr Leben.