Bald nach der Jahrtausendwende fing ich an, mehr und mehr in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Es wurde einfach zu viel, ständig hin- und herzureisen. Ich kaufte ein Haus in der Kings Road in Los Angeles, in unmittelbarer Nähe zum Sunset Strip. Dort arbeitete ich nun an Songs und Filmmusik. Schließlich zog auch meine Familie von England nach Amerika um.
Leider wurde ich kurz vor dem Umzug wieder sehr krank und es ging sehr schnell bergab mit mir. Mir war klar, dass ich mich einer Operation würde unterziehen müssen. Ich war mir aber unsicher darüber, ob ich sie in den USA oder – nach einem Aufschub unseres Umzugs – noch in Großbritannien durchführen lassen sollte. Die Lage spitzte sich immer mehr zu, weil ich zusehends kränker wurde. Paul Allen führte ein paar Gespräche mit Spezialisten in Los Angeles, um ihre Meinungen einzuholen. Er bot schließlich an, mich in seinem Flugzeug dorthin transportieren zu lassen. Auch mein Arzt willigte ein, mich zu begleiten.
Nachdem sich mein Zustand an Bord des Flugzeugs verschlechtert hatte, trafen wir schließlich in den USA ein. Nach einem Zwischenstopp bei uns zu Hause ging es am nächsten Morgen weiter zu Dr. Gary Gitnick, dem Leiter der Gastrologie des UCLA-Krankenhauses. Ich wurde um neun Uhr vormittags mitsamt meinem gepackten Köfferchen bei ihm vorstellig und war bereit einzuchecken, als Gary sagte: „Warten Sie mal. Wir wissen doch noch gar nicht, was überhaupt los ist!“ Also musste mein englischer Arzt erst noch anrücken und zwei Tage bleiben, um jedes Detail meiner Krankengeschichte zu übermitteln. Immerhin war ich ja nicht nur zu Besuch da, sondern würde fortan auch dort leben.
Dr. Gitnick war sehr beschäftigt, aber er unterhielt sich ganze 90 Minuten mit mir und stellte mir mitunter Fragen zu Dingen, die nichts mit mir zu tun zu haben schienen und mir überaus bizarr vorkamen. Ich vertraute allerdings darauf, dass er wusste, was er tat.
Er unterzog mich einer ganzen Reihe von Tests. Schließlich sagte er: „Okay, Folgendes ist los mit Ihnen. Sie leiden unter einer Entzündung der Darmschleimhaut und müssen operiert werden, weil ihr Zustand zu einer Blutvergiftung führen könnte. Bei dieser Krankheit wird die Darmwand immer dünner und etwas Unverdauliches, etwa ein Samenkorn, kann darin steckenbleiben und sie reizen. Dadurch könnte irgendwann ein Loch im Darm entstehen, was wiederum zu einer Infektion führen kann, die sich über den Blutkreislauf ausbreitet – und an der daraus resultierenden Entzündung des Bauchfells sowie der Blutvergiftung könnten Sie sterben.“
Dann fügte er noch hinzu: „Allerdings haben das auch viele andere Menschen und es ist keine komplizierte Operation. Also machen Sie sich diesbezüglich keine Sorgen. Allerdings gibt es da noch eine andere Sache. Bei all den Fragen, die ich Ihnen gestellt habe, ist mir ein Muster aufgefallen. Sie leiden unter Panikattacken. Also habe ich mich mit Dr. Pejman Cohan unterhalten. Er ist Endokrinologe und ich möchte, dass er eine weitere Testreihe durchführt.“
Es stimmte. In den fünf Jahren, bevor ich nach Afrika ging, war ich ganz willkürlich von Panikattacken heimgesucht worden. Ich lag beispielsweise im Bett und las ein Buch und plötzlich hatte ich Herzrasen. Ich suchte daraufhin einen Arzt und ein Krankenhaus auf, aber man konnte nichts Außergewöhnliches feststellen.
Nun dachte ich mir: „Was? Noch mehr Tests?“ Hatte ich vielleicht den Verstand verloren und war paranoid? Andererseits war mir klar, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Also unterzog mich Dr. Cohan all diesen schrägen Tests. Gleichzeitig verabreichte mir Dr. Gitnick die stärksten oral einzunehmenden Antiobiotika, damit ich für die Operation fit genug wäre. Mir wurde ganz schlecht davon.
Da war ich nun. Gerade erst in den USA angekommen und schon vollgestopft mit Medikamenten. Sam und Django besuchten mich, und ich wollte mit ihnen und Anoushka auf Hawaii Urlaub machen. All die Antibiotika hielten mich in einem stabilen Zustand, weshalb ich Dr. Gitnick bat, mir grünes Licht zu geben. „Es ist zwar nicht wirklich ratsam“, meinte er, „aber ich kenne den Direktor eines dortigen Krankenhauses. Ich werde ihn von Ihrem Aufenthalt unterrichten. Wenn Sie sich schlechter fühlten sollten, gehen Sie geradewegs dorthin.“
So flog ich mit meinen Söhnen nach Hawaii – doch einfach war das nicht. Ich wollte die Jungs zum Surfen mitnehmen, aber ich hatte keine Kraft, weshalb ich ihnen nur zusehen konnte. Ich bemühte mich, ein normaler Vater zu sein, aber ich fühlte mich ein wenig außer Form. Am Weihnachtsabend rief mich schließlich Dr. Cohan an: „Hey, wir haben etwas gefunden. Die Operation, der Sie sich wegen der Darmschleimhautentzündung unterziehen wollen, muss aufgeschoben werden. Zuvor müssen Sie sich noch zwei wichtigen Test unterziehen.“
„Gott, warum denn?“
„Nun, wir haben eine Nebennierenwucherung festgestellt.“
Ich saß gerade mit den Jungs im Auto und fragte: „Eine Wucherung?“ Ich versuchte zu flüstern. „Das hört sich nicht gut an.“
Die Diagnose lautete schließlich Phäochromozytom. Dabei handelt es sich um eine seltene Krankheit, die durch eine Wucherung an der Nebenniere ausgelöst wird. Dr. Cohan meinte: „Das könnte auch der Grund für ihre Panikattacken sein. Die Nebennieren speichern Adrenalin – auch als Epinephrin bekannt. Und durch die Wucherung kann es sich durch ihren Körper verbreiten – wodurch Sie auch einen Schlaganfall erleiden können. Sie müssen sofort anfangen, Beta-Blocker einzunehmen. Die stärksten, die es gibt. Wenn ihre Nebennieren Epinephrin ausströmen, verhindern sie, dass Sie einen Herzinfarkt bekommen.“
Ich war sprachlos. Nun schluckte ich also Antibiotika und Beta-Blocker und befand mich auf Hawaii. Ich konnte mich kaum bewegen.
Irgendwie überstanden wir Weihnachten. Im Anschluss daran begab ich mich wieder ins Krankenhaus der UCLA, wo ich mich einer weiteren Reihe von Tests unterzog. Außerdem sollte die Wucherung entfernt werden. Solch ein Eingriff ist nicht gerade unkompliziert: Wenn etwas schiefläuft, kann das einen Schlaganfall auslösen.
Ich willigte in die Operation ein: „Nun, okay!“
„Also“, fuhr Dr. Cohan fort, „brauchen wir auch einen speziellen Chirurgen und einen besonderen Anästhesisten, da es nur wenige gibt, die für solche Operationen zur Verfügung stehen.“
Ich erwiderte: „Wow, warten Sie mal. Ich muss mich zuerst dieser Operation unterziehen?“
„Ja, weil wir nicht riskieren wollen, dass Sie während der Hauptoperation wegen der Darmschleimhaut einen Schlaganfall erleiden. Die Gefahr ist zu groß.“
Ich sagte wiederum: „Nun, wie wäre es, wenn ich mich einfach beiden Operationen gleichzeitig unterzöge und wir mit der einen anfangen und mit der anderen dann gleich weitermachen? Mich erst von der einen Operation zu erholen und mich dann erneut einem Eingriff zu unterziehen, könnte ein wenig zu hart für mich sein.“
Die Ärzte diskutierten diesen Vorschlag und willigten schließlich ein: „Okay, wir denken, dass wir das machen können. Wir werden es mit endoskopischer Chirurgie versuchen: Statt Sie aufzuschneiden, führen wir ein Gerät ein. Es wird daher nicht allzu invasiv im Vergleich mit gängigen chirurgischen Eingriffen.“
Der große Tag der Operation brach an. Am Morgen eines bevorstehenden Eingriffs fühlt man sich sowohl ruhig als auch panisch, weil man ja weiß, dass eine OP nicht ohne ist – aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie heftig es tatsächlich werden würde. Üblicherweise wird man betäubt und befindet sich in einem prä-operativen Zustand, als würde man einen Zahn gezogen bekommen. Darauf wartete ich nun, als mir gesagt wurde: „Wir holen Sie jetzt ab, aber zuerst müssen wir Sie noch im vorgesehenen Bereich rasieren.“
Langsam wurde ich ziemlich nervös: „Ich bekomme doch noch meine Medikamente, oder?“
Es hieß nur, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte.
Dann wurde mir etwas ins Genick injiziert und gesagt: „Zählen Sie jetzt von zehn rückwärts.“ Ich kam, glaube ich, bis neun.
Was immer es war, es blies mir für 16 Stunden die Lichter aus. Anoushka hatte man erklärt, dass die Operation vielleicht vier Stunden dauern würde. Nach sieben Stunden wurde ihr mitgeteilt, dass die OP immer noch im Gange sei.
Der erste, gefährlichere Teil der Operation war gut verlaufen, aber der zweite, bei dem mir ein Stück Metall in den Arsch geschoben wurde, entpuppte sich als wahrer Albtraum. Statt meine Eingeweide ganz altmodisch zusammenzuflicken wird heutzutage mithilfe eines Endoskops vorgegangen, bevor man die betroffene Stelle wieder versiegelt. Als ich schließlich wieder zu mir kam, fühlte ich mich, als ob mich ein Lkw angefahren hätte.
Dr. Cohan sagte: „Möchten Sie zuerst die guten oder die schlechten Neuigkeiten hören?“
„Die guten, bitte.“
„Die gute Neuigkeit ist, dass der Eingriff perfekt verlaufen ist. Die schlechte Nachricht ist aber, dass ihr Anus 16 Millimeter ausgedehnt ist und wir zwei Stunden damit verbracht haben, eine Metallscheibe, die 18 Millimeter im Durchmesser misst, hineinzubekommen. Also befürchte ich, dass es noch ein bisschen wehtun wird.“
Autsch! Was für eine Untertreibung. Als die Medikamente nachließen, war es die Hölle. Solche Schmerzen hatte ich noch nie durchleiden müssen und ich hoffe, dass ich das auch nie wieder muss. Rückblickend begreife ich zwar, dass alle Dinge miteinander in Verbindung stehen, doch damals war es ganz schön mysteriös für mich, etwas so Obskures und Zufälliges wie Präochromozytom zu haben. Ich kann das immer noch nicht richtig aussprechen, bin aber dankbar dafür, dass es entdeckt wurde. Ich fühlte mich weiterhin eher unwohl und sagte das auch, aber wenn man hypochondrisch veranlagt ist, will einem keiner Glauben schenken. Ich dachte jedenfalls sogar schon daran, die Grabinschrift des britischen Komikers Spike Milligan zu übernehmen: ICH HAB EUCH DOCH GESAGT, DASS ICH KRANK BIN.
* * *
In dieser Zeit pendelte ich zwischen Amerika und Großbritannien hin und her, um mit der fabelhaften Sängerin und Songwriterin Kara DioGuardi zu arbeiten – ein Projekt, dem wir schließlich den Namen Platinum Weird gaben. Neben einem ganzen Album mit Musik produzierten wir zusätzlich noch ein paar Schwarz-Weiß-Videos, die uns einen Tag vor meiner Operation bei den Proben zeigten.
Kara besuchte mich vier Tage nach der Operation, als ich mich bereits in der Reha befand. Als sie reinkam, fragte sie: „Was zum Geier machst du da?“ Ich schnitt nämlich gerade zusammen, was wir vor meinem Eingriff gefilmt hatten. „Ich kann das nicht fassen. Wie kannst du dich überhaupt konzentrieren?“ Natürlich konnte ich das gar nicht. Als ich schließlich entlassen wurde, stellte mir mein Freund Glen Ballard liebenswerterweise sein Strandhaus in Malibu zur Verfügung.
Mittlerweile hatten Anoushka sowie Kaya und unsere neugeborene Tochter Indya bereits in meinem Haus in der Kings Road Quartier bezogen. Mein Genesungsprozess war so intensiv, dass ich es nicht aushielt, mich dort aufzuhalten. Es war einfach zu viel für mich – zwei kleine Kinder und dazu noch die Möbelpacker, die ein- und ausgingen. Alles war sehr chaotisch. Es war nicht so, als würde man in ein Haus zurückkehren, in dem man jahrelang gelebt hatte. Außerdem konnte man dort nicht gut zu Fuß gehen, da es eine für L.A. so typische Straße ohne Bürgersteig war.
Aber wenn ich vor Glens Haus trat, konnte ich am Strand spazieren, was wohl die bestmögliche Sache für mich war. Die Meeresluft und auf dem Sand zu gehen, half mir, wieder zu Kräften zu kommen. Ich konnte meine Fortschritte daran messen, wie weit ich ging. Jeden Tag ein wenig mehr. Am fünften Tag schaffte ich es bereits zum Haus von Bono und seiner Frau Ali. Dort trank ich dann eine Tasse Tee und spazierte anschließend wieder zurück. Jeden Tag fühlte ich mich ein wenig besser.
Ali schlug vor, dass ich das U2-Konzert in der Stadt besuchen sollte, um auf andere Gedanken zu kommen. Kara und ich mieteten also eine Limousine, um zum Konzert zu fahren und zu feiern, dass es mir ein wenig besser ging. Wir begaben uns direkt auf den hinteren Parkplatz, wo die Mitglieder von U2 ihre Autos während des Konzerts abgestellt hatten. Wir begrüßten die Band hinter der Bühne und sie zeigten sich alle sehr besorgt bezüglich meiner Genesung, immerhin sah ich so aus, als hätte ich die Hälfte meines Körpergewichts eingebüßt. Dann verfolgten Kara und ich die Show von der Seite der Bühne aus.
Natürlich lieferten U2 vor den Tausenden von Konzertbesuchern eine ausgewachsene Rock-Performance ab. Ich war im Krankenhaus noch bandagiert worden und wohnte nun in einem kleinen Haus am Strand. Nun begann mich meine allgemeine Erschöpfung einzuholen. Jeder, der sich schon einmal einer gröberen Operation unterziehen musste, weiß, dass man gar nicht begreift, wie viel Energie einen so ein Eingriff tatsächlich kostet.
Ich drehte mich zu Kara und sagte bloß: „Au weia.“
Sie sagte: „Oh nein, du wirst gleich ohnmächtig, oder?“
Ich weiß noch, dass sie einen Ordner lautstark anwies, Hilfe zu holen, er sie aber nur für irgendeinen Fan hielt. Sie rief: „Nein, sieh doch, meinem Freund Dave hier geht’s nicht gut.“
Sie konnten einander überhaupt nicht hören, da die Gitarre von The Edge lauter war als ein Düsentriebwerk. Schließlich kapierte der Sicherheitsmann, was Sache war, und wir gingen zusammen in den Backstage-Bereich. Innerhalb von nur zehn Minuten nach dem ersten Song lag ich hinter der Bühne mit einer Sauerstoffmaske auf dem Gesicht und umgeben von allen auf dem Konzert verfügbaren Sanitätern. Es dauerte eine Weile, bis ich mich daran gewöhnte, dass ich nicht einfach losgehen und normale Dinge unternehmen konnte. Es dauerte letztlich ein ganzes Jahr, bis ich mich vollständig von der Operation erholt hatte.
Ungefähr eine Woche verbrachte ich auch in einem kleinen, altmodischen Hotel am Strand von Santa Monica. Paul Allen besuchte mich dort jeden Tag, um mit mir spazieren zu gehen. Natürlich waren schon diese wenigen Meter anstrengend genug für mich. Dennoch war das sehr lieb von ihm. Immerhin hatte er selbst den Krebs besiegt und sich ein paar Operationen unterziehen müssen. Paul wusste also, wie es ist, sich wieder an normale Aktivitäten zu gewöhnen. Doch bald schon begreift man, dass das man für das, was wir für normal halten, eine Menge Kraft aufwenden muss.
In meiner ersten Woche, die ich wieder zu Hause verbrachte, stattete mir Imogen Heap in Begleitung ihres Managers einen Besuch ab. Das war überaus reizend von ihr. Wie ich bereits erwähnte, hatte ich ihr erstes Album auf Jamaika produziert. Sie ist eine phantastische Sängerin und Songwriterin und wir diskutierten darüber, ob sie für ihr neues Projekt einen Plattenvertrag abschließen sollte. Ich wurde beinahe ohnmächtig davon. Alles, was mich zu sehr in Anspruch nahm, jegliche Art von Anstrengung für mein Gehirn, war für mich nicht weniger ermüdend als körperliche Betätigungen.
Es war zweifellos ein wirklich schlechtes Jahr. Auch Anoushka hatte es sehr schwer. Der Umzug in ein neues Land, in ein neues Haus, mit kleinen Kindern, die noch in die Vorschule eingeschult werden mussten, war anstrengend und stressig. Das Jahresende rückte näher und es brachte eine weitere große Veränderung mit sich, da wir ein neues Haus in Toluca Lake fanden. Ich fühlte mich langsam besser. Zumindest kam ich wieder zu Kräften.
Wir schrieben also nun 2008 und ich dachte darüber nach, was nun kommen würde. Glen Ballard verfügte über ein kleines Aufnahmestudio auf dem Hollywood Boulevard und ich mietete mich nebenan ein. Es gab sogar eine Verbindungstür.
Ich fing wieder an zu arbeiten und auch Songs mit anderen Leuten zu schreiben. Außerdem gründete ich eine Firma mit dem Namen Weapons of Mass Entertainment – und wieder einmal regierte das Chaos.