Meine Zusammenarbeit mit Annie, das Schreiben und Produzieren von Songs, war die ideale Vorbereitung für gemeinsame Projekte mit anderen Musikern. Ich empfand bei diesen Kollaborationen dieselbe Freude wie bei der Arbeit mit Annie – es trieb mich dabei eine Art furchtloser Abenteuergeist, der stets in neuen Songs und neuen Schallplatten resultierte. Es fühlte sich gut an, mich mit Kolleginnen und Kollegen wie Stevie Nicks und Mick Jagger auszutauschen, die ansonsten nur innerhalb ihrer jeweiligen Gruppen und unter enormen Druck an Songs feilten.
Wie es Mick ausdrückte, entzog ich dem Prozess jegliche Angst und erinnerte alle Beteiligten daran, dass es beim Songschreiben – und Musik machen – um Spaß geht. Wenn man sich darauf einlässt, dann kommt man weit. Und so fand ich mich in der beneidenswerten Lage wieder, mit vielen der großartigsten Musikern unserer Zeit zusammen Musik machen zu dürfen. Dass ich mich auf diese Reise begeben durfte, hat auch viel mit Jimmy Iovine zu tun, über den ich viele meiner mittlerweile besten Freunde kennenlernte.
Als Songwriter fehlt mir die Söldnermentalität vieler anderer Leute. Ich hatte nie geplant, Produzent oder Songwriter zu werden. Vielmehr geriet ich in Situationen, in denen ich jemanden traf, mit dem ich Gitarre spielte, woraus sich dann ein Song ergab. Das ist mir schon so oft passiert und es ist mir eine Freude, ein paar dieser Geschichten zu erzählen und über Abenteuer in den Bereichen Film, Musical, Fernsehen, Theater und Bands zu berichten.
Mit Kara DioGuardi schrieb ich zum Beispiel den Song „Taking Chances“. Er wurde 2007 zur zentralen Nummer auf Céline Dions erstem Album nach ihrem fünfjährigen Las-Vegas-Engagement im Caesars Palace. Es war auch der Titel ihres Comeback-Albums, die erste Single, die ausgekoppelt wurde sowie der Titel ihrer anschließenden Tournee. Nichts davon war geplant und ich hätte mir nicht einmal in meinen wildesten Träumen ausgemalt, dass dies passieren würde. Kara und ich schrieben den Song jedenfalls unter den bizarrsten Umständen.
Ich traf sie zum ersten Mal 2004 – und das hatte ich wieder mal Jimmy Iovine zu verdanken. Ich befand mich gerade in meinem Farmhaus in Surrey, als er anrief. Er bat mich, einen Blick auf eine Art alternativer Burlesk-Show namens Pussycat Dolls im Internet zu werfen, in der auch Stars wie Christina Aguilera und Gwen Stefani Gastauftritte hatten. Jimmy beabsichtigte, dieses Konzept zu kaufen, um es größer aufzuziehen. Außerdem wollte er mir zwei oder drei der beteiligten Mädchen vorbeischicken, um das musikalische Potenzial der Show zu ergründen. Ich fand die Idee durchaus interessant, schließlich hatte ich gerade die Musik für eine deutschsprachige Musical-Adaption von Barbarella geschrieben, die sehr erotisch und surreal umgesetzt und in Wien auf die Bühne gebracht wurde.
Am nächsten Tag kreuzten zwei völlig übernächtigte Mädchen bei mir auf, Nicole Scherzinger und Kaya Jones. Um einen Anhaltspunkt zu haben, orientierte ich mich an sehr alten Berliner Cabaret-Aufführungen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass daraus einmal eine Sex-Show zu HipHop-Beats werden würde.
Nach ein paar Tagen rief mich Jimmy erneut an, um mir mitzuteilen, dass er mir für das Projekt eine äußerst produktive Songwriterin zur Seite stellen würde, Kara Dio Guardi. Wir nahmen schließlich in meinem neuen Studio im Hospital Club in Covent Garden auf.
Kara und ich waren sehr gegensätzliche Leute, wie Tag und Nacht. Ich habe keine Ahnung weshalb, aber irgendwie verstanden wir uns dennoch auf Anhieb. Nur wenige Stunden später spazierten wir jedenfalls die Straße hinunter ins Coco de Mer, eine luxuriöse Erotik-Boutique, bei der ich kreativ involviert war. Kara und ich kauften dort Lederhandschellen und banden uns damit für den Rest des Tages aneinander. Das war schon eine Herausforderung, als wir gemeinsam Sushi und Miso-Suppe aßen und Sake tranken. Nachdem wir unser Abendessen verspeist hatten, lachten wir hysterisch und waren völlig geschafft. Der Firmenboss von Universal UK, Lucian Grainge, schien ganz fasziniert von uns zu sein.
Am nächsten Tag passierte etwas Seltsames. Kara und ich schrieben binnen drei Minuten einen Song, wie aus einem Guss. Er trug den Titel „Be Somebody To Love“. Während wir ihn schrieben sahen wir uns an und wussten, dass da etwas passierte, das nichts mit den Pussycat Dolls zu tun hatte. Hier trafen zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Welten aufeinander und unterhielten sich miteinander in einer Art Mischsprache. Dieser eine Song reichte mir aus, um zu wissen, dass es hier ein Abenteuer zu erleben gab. Junge, Junge, wie recht ich damit hatte!
Kara und ich verabredeten uns in Los Angeles, um mit ein paar Ideen, die wir für die Pussycat Dolls hatten, herumzuspielen, da Kara sich schuldig fühlte, weil Jimmys Label Interscope für ihren Trip nach Europa gezahlt hatte. Wir trafen uns im Keller meines kleinen Hauses in der Kings Road, um uns einfach nur zu unterhalten. Und wann immer wir etwas zusammen schrieben, repräsentierte es die exakte Schnittmenge zwischen uns beiden – und klang überhaupt nicht nach einem Song für die Pussycat Dolls. Wir konnten gar nichts dafür. Wir schrieben wie wild drauf los und so ergab sich innerhalb von nur zehn Tagen ein ganzes Album mit „unseren“ Songs. Jimmy wollte uns einen Besuch abstatten, um sich unserer Fortschritte zu versichern. Kara war – gelinde gesagt – ein wenig nervös, da er schließlich Songs für die Pussycat Dolls von uns erwartete.
Zu diesem Zeitpunkt war in unseren Köpfen bereits der Entschluss gereift, dass wir eigentlich eine Band oder ein Duo waren. Ich machte mir auch überhaupt keine Sorgen, da ich wusste, dass wir großartige Songs geschrieben hatten. Auch die Demos klangen phantastisch – immerhin arbeitete ich mit Ned Douglas zusammen, meinem geschätzten Studiotechniker und Programmierer, der schneller als jeder andere ist, den ich kenne.
Jimmy kreuzte schließlich auf und hörte sich ein paar unserer Songs an. Kara war ganz kirre, während er immer wieder sagte: „Spielt mir noch einen vor.“ Nach ungefähr sieben Songs oder so meinte er: „Wow, ihr zwei seid eine Band!“ Er erwähnte die Pussycat Dolls gar nicht.
Kara fragte Jimmy, ob wir nicht zu schräg – zu „weird“ – klängen. Er antwortete: „Doch, schon, Platinum Weird.“ Kara und ich waren erleichtert. Ehe wir uns versahen, unterzeichneten wir einen Vertrag bei Interscope und fanden uns im Studio mit John Shanks wieder, um das Album aufzunehmen. John ist ein begnadeter Produzent und sein Studio kann man getrost als „Gitarrenhimmel“ bezeichnen. Das ganze Album entstand in vier Wochen. Am letzten Tag drehten wir gleich sieben Live-Videos in einem Filmstudio. Es handelte sich dabei um jene Videos, an denen ich zu Karas großer Verwunderung bereits kurz nach meiner Operation herumbastelte.
Niemand hat unser Album je zu Ohren bekommen. Noch nicht! Man kann sich unsere Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf YouTube ansehen und es gibt eine VH1-Dokumentation über meine ursprüngliche Version von Platinum Weird aus den Siebzigerjahren beziehungsweise die Verbindung zwischen Kara und mir und wie wir dazu bestimmt waren, einander zu treffen. Die Musik hat jedoch noch niemand gehört. In der Doku treten Mick Jagger, Elton John, Christina Aguilera, Bob Geldof, Dhani Harrison, Stevie Nicks, Ringo Starr und sogar Lindsay Lohan und Paris Hilton auf. Sie alle sprechen über Platinum Weirds Einfluss auf Musik und Mode. Alles wirkt völlig authentisch, ist aber natürlich total erfunden – das Script stammt aus der Feder von Ian La Frenais. Es gibt sogar ein limitiertes „Demo-Album aus den Siebzigerjahren“, das Interscope veröffentlichte, sowie Cassetten-Bootlegs, Fan-Seiten für die ursprüngliche Platinum-Weird-Version mitsamt alten Besprechungen aus dem NME und Abbildungen alter Konzertkarten – eben alles, was zu einer gefälschten Hintergrundgeschichte dazugehört. Einzig unser echtes Album ist bis heute nicht erschienen.
Ich hege immer noch den schelmischen Plan, einen Spielfilm mit unserer Musik zu unterlegen. Dieser Film soll die Geschichte von Erin Grace, der ursprünglichen Sängerin der Band erzählen, die in den Siebzigerjahren von der Bildfläche verschwand.
Zurück zu „Taking Chances“: Die Nummer war ursprünglich als Platinum-Weird-Song konzipiert, den Kara und ich innerhalb von nur zehn Minuten an einem verrückten Nachmittag in ihrem Haus schrieben. Kara ist sehr flink und laut – wir reißen diesbezüglich gerne Witze, da ich im Gegensatz zu ihr sehr leise spreche. Sie ist außerdem sehr lustig und wir lachen viel, wenn wir zusammen sind.
Einmal lag ich auf dem Sofa und sah ihr dabei zu, wie sie Möbelpacker dirigierte, die eine Lieferung Möbel in ihr neues Eigenheim in Los Angeles trugen. Während diese kräftigen Männer Sofas und Betten durch die Gegend wuchteten, sagte sie: „Nein, nicht nach da drüben.“ Oder: „Hey, passt auf die Treppen auf.“
Gleichzeitig lauschte ich einem Windspiel, das vor dem offenen Fenster hing, vor dem ich mich niedergelassen hatte. Ich schnappte mir also eine Akustikgitarre und versuchte den zufälligen Klangmustern des Windspiels zu folgen. Kara ist ein Genie in puncto Multitasking und so fing sie an, während sie den Packern Anweisungen zurief, „Don’t know much about your life“ zu singen, was die Typen ziemlich verwirrte. Es erinnerte an eine Szene aus einem Musical. Die Möbelstücke trafen der Reihe nach ein und sie sang: „What do you say to taking chances? What do you say to jumping off the edge?“
Wir tauschten inmitten dieses Durcheinanders Textzeilen, Melodien und Akkorde aus. Letztlich handelte der Song von unserem gegenseitigen Vertrauen ineinander und davon, unser Innerstes zu offenbaren, obwohl wir wussten, dass wir eine eigenartige Paarung waren, die keinen anderen Grund hatte, etwas zu tun, außer dass sie es eben liebte. Der ganze Song entstand praktisch in Gegenwart dieser Kerle, die Möbel durch die Gegend trugen, was fast schon an eine Tanznummer in Zeitlupe erinnerte.
Nachdem wir den Song mit John Shanks aufgenommen hatten, spielte er ihn Céline Dion und ihrem Ehemann René vor. Sie erklärten mir, dass sie ihn von dem Moment an, in dem sie ihn zum ersten Mal gehört hatten, als Single aufnehmen wollten. Noch überraschender war es allerdings, als René mich schließlich auf meinem Weg ins Studio auf dem Hollywood Boulevard anrief und mir mitteilte: „Hey, Dave, wir lieben den Song und drehen ein Video. Céline will mit dir sprechen.“
Céline war liebenswürdig und voll des Lobes für den Song. Außerdem wollte sie, dass ich in besagtem Video auftrat. Als ich schließlich mein Ziel erreichte, war das Script für das Video bereits eingetroffen. Paul Boyd, ein schottischer Filmemacher, mit dem ich oft zusammenarbeitete, sollte Regie führen. Ich konnte mir ausmalen, wie es funktionieren könnte und wie ich mysteriöserweise sowohl am Anfang als auch am Ende des Videos in Erscheinung treten würde. Also willigte ich ein. Ich konnte ja nicht wissen, dass ein Motorrad mit 100 Sachen auf mich zuhalten würde, um letztlich einen Meter vor mir zum Stillstand zu kommen. Diese Einstellung musste bestimmt zwanzig Mal gedreht werden. Ich murmelte etwas von wegen Versicherung und so, aber es war bereits zu spät. Wir befanden uns mitten in der Wüste und es hatte circa 40 Grad.
Céline musste sich in ein hautenges PVC-Kostüm zwängen, weshalb wir uns beide nach jedem Take in ein Auto zurückzogen, in dem die Klimaanlage voll aufgedreht war. Der Dreh zog sich bis in die Nacht hinein und als er vorüber war, besuchte ich Céline in ihrer Penthouse-Suite im Caesars. René und ich unterhielten uns im Dachgarten, von dem aus man die Lichter von Las Vegas überblicken konnte. Als ich aufbrechen wollte, hörte ich Céline eine Textzeile aus „Taking Chances“ singen: „Never knowing if there’s solid ground below. Or a hand to hold or hell to pay. What do you say?“ Als ich mir meinen Weg durch all die Touristen, Herumtreiber und Spielsüchtigen bahnte, erhielten diese Abschiedsworte umso mehr Bedeutung.
* * *
In einem völlig anderen Rahmen fand mein erstes Treffen mit Paul McCartney statt. Das war 2002 auf Jamaika, als er Siobhan, Sam, Django und mich zu seiner Silvesterfeier in sein Haus auf einem Hügel über der Montego Bay einlud. Er schien rundum entspannt und zufrieden zu sein. Als wir eintrafen, realisierten wir, dass wir die einzigen Gäste waren und es auch nicht wirklich irgendetwas zu tun gab, weshalb wir einfach etwas rauchten und eine superlustige Zeit miteinander verbrachten.
Schließlich landeten wir im Schlafzimmer, wo Paul ein elektrisches Piano stehen hatte. Er sang uns „Maybe I’m Amazed“ und etliche andere seiner Klassiker vor. Wir waren alle bester Laune. Paul sang einfach aus Spaß an der Freude und war absolut locker. Irgendwann wurden wir aber so müde, dass wir unsere Augen nicht länger offen halten konnten und es nicht einmal schafften, bis Mitternacht wach zu bleiben.
Wie jeder weiß, ist Paul ein musikalisches Genie. Nicht lange nach unserem Treffen auf Jamaika wurden wir gute Freunde. So wie jeder Mensch meines Alters liebte auch ich die Beatles, weshalb es auch sehr interessant war, Zeit mit einem weiteren dieser Schelme aus Liverpool zu verbringen.
Eines Nachmittags lud mich Paul in sein Landhaus ein. Ich erkundigte mich, ob ich meinen Kumpel Paul Allen mitbringen dürfte. McCartney war so freundlich und führte alle möglichen Instrumente vor, die er auf Beatles-Platten gespielt hatte. Zum Beispiel spielte er uns auf dem Mellotron, das die Beatles bei einer Reihe von Songs eingesetzt hatten, den Streicher-Teil von „Strawberry Fields“ vor.
Als nächstes zeigte er uns Lindas wunderschöne Schwarz-Weiß-Fotos, die an einer Wand hingen. In seinem Studio spielte er uns ein paar neue Tracks von The Fireman vor, einem Duo, das er mit Martin Glover von Youth gegründet hatte. Im Anschluss daran besuchte Paul mich in meiner Wohnung in Covent Garden, wo wir zusammen jammten. Nur so zum Spaß fingen wir an, an einem Song zu basteln. Wir wussten nicht, wohin er uns führen würde. Wir spielten einfach drauflos. Allerdings verfügte das Stück über ein echt gutes Feeling. Es erinnerte fast schon an die Wings – die Akustikgitarre und der Schlagrhythmus sowie die tolle Bass-Line in Kombination mit dem Schlagzeug waren um ein Killer-Riff herum arrangiert. Außerdem gab es noch einen sonderbaren, an indischer Musik angelehnten Teil.
Mit Paul McCartney in meinem Apartment zu sitzen und einen Song zu schreiben, fühlte sich ein wenig surreal an, war aber ein großes Vergnügen, weil er so schnell ist und so unmittelbar auf Musik eingestellt ist. Die Musik tropft ihm förmlich aus den Fingern. Egal, ob er nun singt, Bass spielt, am Klavier sitzt oder in die Saiten einer Gitarre greift – es ist einfach immer etwas Besonderes, dies mitanzusehen. Der einzige andere Mensch, bei dem ich das ähnlich erlebt habe, ist Stevie Wonder. Wenn er Klavier spielt, denkt man einfach nur: „Wie kommt es nur, dass die Tasten zwar für alle gleich sind, dass sie aber, wenn Stevie Wonder sie berührt, einfach nur nach Stevie Wonder klingen?“ Es ist wie ein Wunder.
Seither habe ich Paul noch oft getroffen und wir sind immer noch gute Kumpels. So erinnere ich mich an ein sehr lustiges Abendessen vor nicht allzu langer Zeit, bei dem Ringo, Paul und ich mit unseren Ehefrauen zusammensaßen. Wir drei Männer zogen uns dann jedoch zurück. Zwei Beatles und ich. Es war sehr witzig, Paul und Ringo dabei zuzuhören, wie sie sich über alte Beatles-Songs und die jeweiligen Aufnahmesessions unterhielten. Sie klangen dabei wie 21-Jährige. Sie stritten sich zwar nicht direkt, jedoch widersprachen sie sich bei Songs von Sgt. Pepper und Abbey Road. Und das alles war unterlegt mit ihrem stark ausgeprägten Liverpooler Akzent.
Paul sagte etwa: „Nein, nein, du hast das nicht so, sondern so gespielt.“
Und Ringo meinte darauf: „Yeah, nun, woher willst du denn bitte wissen, wie zum Geier ich das gespielt habe?“ Und: „Yeah, und kannst du das immer noch in derselben Tonlage singen?“
Irgendwie waren sie noch immer junge Typen um die 20, die gemeinsam in einer Band spielten – und diese Band waren die Beatles.
Als Paul seinerzeit sein erstes Soloalbum McCartney aufgenommen hatte, hatte er ähnlich wie Annie und ich bei Sweet Dreams experimentiert. Paul erzählte mir, dass er es liebte, so aufzunehmen. Er verwendete Bücher als Trommeln und spielte alle Instrumente selbst. Es erinnerte mich an meine eigene Herangehensweise mit unserem Achtspurgerät.
Ringo traf ich zum ersten Mal bei einem Dinner in George Harrisons Haus in Henley. Seine Heimatstadt Liverpool und meine eigene, Sunderland, unterscheiden sich nicht allzu sehr voneinander. Beide sind berühmt für den Schiffsbau sowie den Mumm und den Humor der Arbeiterklasse. Ringo hat einen so trockenen, bösen Humor, dass ich innerhalb weniger Minuten gar nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Ich rollte förmlich am Boden, da ich jede seiner Anspielungen verstand. Als Songwriter und Drummer wird er stark unterschätzt, was damit zu tun hat, dass bei ihm weder technische Einlagen oder Geschwindigkeit noch ein aus 50 Trommeln bestehendes Schlagzeug im Mittelpunkt stehen. Bei Ringo geht es ausschließlich um den Song an sich. Deshalb war er auch der perfekte Mann für die Beatles. Er wollte nur wissen, worüber gesungen wurde – egal, wer gerade dran war, John, Paul oder George – und worum es dabei ging, damit er den Song über all die Arrangementwechsel hinweg zusammenhalten konnte.
Wenn man sich zum Beispiel in die Welt von „A Day In The Life“, „Within You Without You“ oder der meisten anderen Beatles-Songs ab Rubber Soul versetzt, dann fällt einem auf, dass sie um einiges komplexer sind, als man annehmen möchte. Ringo spielte die Drums stets auf eine orchestral anmutende Weise. Als ob er sich dächte: Okay, das wird jetzt ein epischer Augenblick, also werde ich nicht ganz gerade durchspielen. Ich werde kurz aussetzen und etwas mit der Stand-Tom machen.
Sein Spiel war einfach so musikalisch und subtil. Man denke nur mal an „Come Together“. Ringos Beat in Kombination mit dem berühmten Bass-Riff hält das ganze Ding zusammen. Er ist außerdem Linkshänder, stellte sich sein Schlagzeug aber nie dementsprechend auf. Also spielte er bei vielen ungewöhnlichen Beats – wie eben bei „Come Together“ – die Tom-Toms von rechts nach links und landete dann wieder auf der High-Hat, was genau das Gegenteil von dem war, was jeder andere Schlagzeuger gemacht hätte.
Als ich Ringo irgendwann richtig gut kannte, kamen er und seine Frau Barbara auf ein Schwätzchen bei uns zu Hause vorbei. Ich begriff auch, dass fast alles, was über seine Lippen purzelte, sich hervorragend als Songtitel oder Textzeile eignete. Er konnte gar nichts dagegen tun.
Ringo hatte als Kind viel Zeit im Krankenhaus verbracht. Ihm hatte sich nie wirklich die Möglichkeit geboten, zu lernen oder mit anderen Kindern draußen zu spielen. Er erzählte mir, dass er seine wahre Bestimmung nur entdeckt habe, weil eines Tages eine Frau mit ein paar Percussion-Instrumenten ins Krankenhaus gekommen sei und Tamburine und Rasseln an die Kinder verteilt habe. Auch ließ er mich wissen, dass er einen tollen Stiefvater hatte, der ihm alte Jazz-Scheiben mit großartigen Schlagzeugern darauf vorspielte. Sie hörten beide aufmerksam zu und er drehte komplett durch. Das Schlagzeug wurde zu seiner Obsession und er erlernte sein Handwerk, indem er auf Keksdosen und Konserven spielte. Er spielt auf eine lieblich-leichte Art und Weise, ähnlich wie die alten Jazzer, kann aber auch einen großen Rock-Sound entfesseln, wenn er will. Das könnt ihr mir glauben, schließlich befand ich mich schon einmal mit ihm in einem sehr kleinen Raum, als er richtig loslegte.
Er ist ein sehr witziger Typ und sagt immer lustige Sachen. Ich sage dann zu ihm: „Ach, du meine Güte, das ist ja ein großartiger Spruch. Den solltest du dir notieren.“ Und er meint lapidar: „Ich habe ihn schon wieder vergessen.“ Ringo verfolgt seine eigene Lebensweise und weicht keinen Millimeter davon ab, wofür ich ihn wirklich sehr respektiere. Wie wir alle wissen, durchlebte er ein paar wilde Phasen in seinem Leben, aber er weiß auch, was gut für ihn ist. Er ist in vielerlei Hinsicht sehr aufgeweckt und in den unzähligen Jahren, die er im Rampenlicht verbracht hat, hat er vieles gelernt. Zum Beispiel, dass man sich leicht eine Grippe oder eine Erkältung oder was auch immer holen kann, wenn man anderen Leuten die Hand gibt. Anders als bei normalen Menschen, die vielleicht zwei Mal am Tag jemanden per Handschlag begrüßen, wollen einem Beatle jeden Tag Tausende Menschen die Hand reichen. Jemanden mit einem Peace-Zeichen zu grüßen, vermittelt daher nicht nur eine positive Botschaft, sondern es vermindert auch die Gefahr, sich mit einer Grippe oder so anzustecken.
Ringo ist allerdings kein großer Fan meiner Fahrkünste. Einmal fuhr ich ihn von Santa Monica zum Sunset Strip. Er war der Ansicht, dass ich ein wenig unberechenbar unterwegs wäre. Ich kümmerte mich um die Musik und faselte vor mich hin, lachte und scherzte. Wir bewegten uns durch den schweren Verkehr und er schrie nur unentwegt: „Lass mich verdammt noch mal raus, ich will hier raus! Ich steige jetzt aus! Du bist ja irre! Wir werden noch draufgehen!“ Während der ganzen Fahrt zu seinem Haus kommentierte er alles, was ich falsch machte. Ich konnte aber gar nicht mehr aufhören zu lachen, weil er es auf so lustige Art und Weise sagte.
Wir lernten uns richtig gut kennen, weil wir nicht nur gemeinsam Songs schrieben, sondern auch zusammen an einem Musical arbeiteten. Alles fing an, als wir zusammen in seinem Haus in Südfrankreich waren. Auf der kleinen Terrasse unterhielten wir uns über unsere Kindheit und wie wir andere Kindern kennenlernten und uns mit ihnen anfreundeten, indem wir über die Mauern von Bahnhöfen kletterten oder durch ein Loch im Zaun krochen. Dann begannen wir, Songs darüber zu singen, die wir spontan erfanden, nur so zum Spaß. Er schlug auf die Tischplatte und wir beide schmetterten: „Break it down! Smash it up!“ Es ging nämlich um die Dinge, die wir unternahmen, sobald wir auf der anderen Seite des Zauns angekommen waren: Wir warfen Steine und kletterten in baufällige Häuser. Im Grunde genommen waren wir ungezogene Jungs. Und dann, wenn man einen anderen Jungen traf, fragte man ihn: „Wer bist denn du?“
Ringo und ich mussten als Kids beide erst einmal dasselbe Hindernis überwinden: Wir mussten andere Musiker finden, um in einer Band spielen zu können. Aber wie finden sich Leute, um sich anzufreunden und Musik zu machen? Wir realisierten, dass dies ein tolles Thema für einen Film oder ein Musical abgäbe. Der Titel unseres Projekts lautete: The Hole in the Fence. Es handelte de facto von einem Ort abseits der Erwachsenenwelt, einer Welt voller Phantasie. Vielleicht ist etwas für die meisten nur ein verlassenes Gebäude, für dich ist es aber ein Piratenschiff.
Wir fingen also an, uns darüber zu unterhalten. Ein paar Tage später gingen wir zu einem öffentlichen Strand, der voller Menschen war. Ringo und ich lagen auf zwei Badetüchern inmitten all dieser Leute und arbeiteten an unserem Konzept für ein Musical. Wir waren ganz besessen davon und schrieben Texte und nahmen kleine Versatzstücke von Songs auf. Den Leuten um uns herum dämmerte es allmählich: „Moment mal, sind das nicht Ringo Starr und Dave Stewart? Und sie schreiben einen Song!“ Irgendwann mussten wir jedenfalls unsere Badetücher wieder aufrollen und uns zügig vom Acker machen.
Später trafen wir uns in L.A. und nahmen ein paar Songs auf, arbeiteten an der Story und schrieben sie nieder. Ringo und ich erzählten Laura Ziskin, die ich sehr bewunderte, von unserer Geschichte.
Ich hatte mit Laura bereits im Rahmen von Stand Up to Cancer zusammengearbeitet. Am 10. September 2010 versammelten Laura, Rusty Egan, Pam Williams, die gesamte Organisation und ich eine Gruppe von Künstlern zu einem Event, der von allen vier großen Sendern – ABC, CBS, FOX, NBC – sowie 16 Kabelstationen übertragen wurde und in über 170 Ländern mitverfolgt werden konnte. Die Show umfasste über 100 Schauspieler, Musiker und Sportler und ich jammte zum Beispiel mit Stevie Wonder. Nach Ende der Fernsehübertragung spielten wir weiter, damit die Leute, die via Internet dabei waren, nicht aufhörten, zu spenden. Die Veranstaltung brachte zusammen mit der, die 2008 stattgefunden hatte, einen Erlös von 180 Millionen Dollar für die Krebsforschung ein.
Ringo und ich schlossen einen Filmvertrag mit Paramount ab und stürzten uns dann in die weitere Arbeit am Drehbuch zu The Hole in the Fence. Aber, typisch für Hollywood, schließlich verlief alles im Sand. Laura starb 2001 und das Projekt kam total zum Stillstand. Es kostete uns beinahe vier Jahre, die Filmrechte zurückzubekommen, und inzwischen bemühen wir uns darum, das Projekt mit irgendwelchen anderen Firmen zu realisieren. Ich hoffe jedenfalls, dass noch etwas daraus wird, da wir so begeistert davon sind.
Ringo und ich waren immer schon ein gutes Team und haben sehr viel Spaß zusammen. Vor ein paar Jahren bat er mich darum, ihn bei der Fertigstellung von ein paar Songs für ein Album zu unterstützen. Außerdem schrieben wir einen neuen Song mit dem Titel „Liverpool“ zusammen. Er wurde schließlich 2008 nach Liverpool eingeladen, um bei den Feierlichkeiten anlässlich der Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt aufzutreten. Dieser Titel wird jedes Jahr von der Europäischen Union verliehen und zwölf Monate lang mit Events zelebriert. Ringo lud mich ein, ihn zu begleiten und stellte für seinen Auftritt eine kleine Band zusammen. Wir sollten in schwindelerregender Höhe auf einem riesigen Kirchturm auftreten, und zwar auf einer bedrohlich schwingenden Vorrichtung, die an die Plattformen erinnerte, auf der sonst wagemutige Fensterputzer ihrer Arbeit nachgehen. Das Ding hing also in der Luft und sollte die ganze Band halten. Außerdem war die Nacht sehr kalt. Wir blickten hinunter auf die 500.000 Leute, die von dort oben wie kleine Punkte aussahen. Ringo und ich sahen einander an und sagten: „Ähm, viel Glück, Kumpel. Hoffentlich fallen wir nicht runter!“ Das war der extremste, irrste Auftritt, den ich je absolvieren musste.
Ringo macht sich gerne darüber lustig, in welch geregelten Bahnen sein Leben im Vergleich mit der Hochblüte der Beatles und all den wilden Zeiten in den Siebziger- und Achtzigerjahren inzwischen verläuft. Er hat alles überstanden und ist mit Barbara, der Liebe seines Lebens, vereint. Er ist echt glücklich darüber, immer noch live aufzutreten. Das Schlagzeug ist immer noch seine große Leidenschaft. Und das ist schon eine tolle Sache, wenn man seinem Instrument mit über 70 Lenzen auf dem Buckel immer noch so viel Enthusiasmus entgegenbringt wie einst als Teenager.
* * *
Das Künstlerdasein muss etwas an sich haben, das den Verstand konserviert. Ich bin mir sicher, dass dieses Leben sowohl die Erinnerungsgabe schärft als auch das Herz jung hält. Bob Dylan entgeht zum Beispiel nichts. Ich erinnere mich, wie ich einmal mit Django, der damals vielleicht drei Jahre alt war, bei seinem Haus in Malibu eintraf. Bob begrüßte uns und erkundigte sich nach unserem Wohlbefinden. Er hatte große Hunde, die aus dem Haus gelaufen kamen, sodass Django es ein wenig mit der Angst zu tun bekam. Also hob Bob Django auf und setzte ihn sich auf die Schultern: „Komm, Django, lass uns eine Kuh melken gehen.“ Er beugte sich mit meinem Sohn unter eine Kuh, um ihr Milch abzuzapfen. Mein Sohn hatte keine Ahnung, wer Bob Dylan war – für ihn war er nur ein lustiger Kerl mit Locken auf dem Schädel. Als nächstes griff Bob zur Akustikgitarre und sang Django einen Song vor.
Vor sechs Monaten kam nun Dylan in mein Büro in Hollywood. Dort saß Django, der inzwischen 23 Jahre alt ist. Ich sagte: „Hey, Bob, das ist Django, mein Sohn.“
Und er antwortete: „Yeah, Django, ich erinnere mich. Du warst zu Besuch in meinem Haus. Du hast auf meinen Schultern gesessen und hattest Angst vor den Hunden. Und dann haben wir die Kuh gemolken.“ Der Mann verfügt über ein verdammt exaktes Gedächtnis. So viele Jahre später konnte er sich immer noch genau an alles erinnern.
Einmal kam er bei mir vorbei und besuchte mich im Keller, wo sich mein Studio befindet. Da stand ein kleiner Drumcomputer. „Was machst du mit dem Ding?“, fragte er. Ich glaubte, die Sache wäre ihm zu fremd, aber ich zeigte ihm dennoch, wie man damit einen Beat fabrizieren konnte. Bob meinte: „Mir gefällt das Ding, es ist wie ein Metronom.“ Er machte sich mit dem Gerät vertraut und verbrachte letztlich ungefähr 90 Minuten damit. Ich war inzwischen oben in der Küche und kochte, während er unten ein und dasselbe Blues-Riff ständig wiederholte. Es gefiel ihm, es zu dem Beat zu spielen. Er war Neuerungen gegenüber jedenfalls durchaus offen und sein neues Blues-Riff war auch klasse.
Ich fand es witzig, dass Bob den Apparat mit einem Metronom verglich, das man sich aufs Klavier stellt. Im Studio würde er so etwas nie verwenden, auch keinen Drumcomputer oder einen Click-Track. Dort sind eine Menge Leute und er will nur kurz rein und dann wieder weg. Aber in unserem Haus – oder an irgendeinem anderen Ort – kann er sich ewig mit so etwas beschäftigen.
In Maida Vale, im Westen von London, wo ich früher auch einmal gewohnt habe, gibt es eine schöne, von Kanälen durchzogene Gegend, die Little Venice heißt. Ich hatte dort ein Hausboot, das ich durch ebendiese alten Kanäle steuerte. Es war circa 18 Meter lang und eher schmal. Bob kam auch einmal an Bord und es gefiel ihm sehr dort. Meine Mutter kochte eine Suppe und er leistete ihr Gesellschaft, sang, musizierte und schrieb, während sie am Ofen stand. Wir nahmen sogar etwas auf dem Boot auf und man kann neben seiner Stimme die Geräusche der Töpfe und Pfannen im Hintergrund hören.
Er unterhielt sich echt gerne über das alte London zur Zeit von Charles Dickens und wusste über die Geschichte der Kanäle Bescheid. Einmal nahm ich Bob mit zum Speakers’ Corner im Hyde Park, wo die Leute sich auf Kisten stellen, um über ihre Anliegen zu schwadronieren. Bob hatte sich die Kapuze seiner Jacke aufgesetzt, damit ihn keiner erkannte. Er genoss es, im Publikum zu stehen und den verschiedenen Sprechern zuzuhören. Tatsächlich stellte er sogar Fragen. Später, als er wieder im Hotel war, schrieb er einen Song darüber, den „T.V. Talkin’ Song“:
One time in London I’d gone out for a walk
Past a place called Hyde Park where people talk
’Bout all kinds of different gods, they have their point of view
To anyone passing by, that’s who they’re talking to
There was someone on a platform talking to the folks
About the T.V. god and all the pain that it invokes
„It’s too bright a light,“ he said, „for anybody’s eyes
If you’ve never seen one it’s a blessing in disguise“
I moved in closer, got up on my toes
Two men in front of me were coming to blows
The man was saying something ’bout children when they’re young
Being sacrificed to it while lullabies are being sung
Bob liebt die englische Volkskultur und die Geschichte einzelner Städte. Er erzählte mir einmal, dass er einen Film über Paris und dessen Abwasserkanalsystem machen wollte. Darin sollten Schauspieler unterschiedliche Charaktere wie den Dichter Rimbaud oder den Künstler Toulouse-Lautrec darstellen. Bob ist fasziniert von Geschichte und wie sie sich auf alles auswirkt: sowohl persönliche als auch weltweite Geschichte. Er weiß, wie man Storys vermittelt und einen an Orte mitnimmt, die man selbst noch nicht besucht oder von denen man noch nie gehört hat. Und wenn einer dieser Songs dann vorüber ist, kommt es einem fast so vor, als hätte man dort gelebt.
Oh, the streets of Rome are filled with rubble
Ancient footprints are everywhere
You can almost think that you’re seein’ double
On a cold, dark night on the Spanish Stairs
Got to hurry on back to my hotel room
Where I’ve got me a date with Botticelli’s niece
She promised that she’d be right there with me
When I paint my masterpiece
Ich muss sagen, dass ich mich gesegnet fühle, so viel Zeit in Bobs Gesellschaft verbracht zu haben. Je besser ich ihn kennenlerne, desto mehr respektiere ich ihn als wahren Künstler und als wunderbare, sensible Seele.
* * *
Ich liebe es, mit einem meiner besten Freunde, Glen Ballard, zusammenzuarbeiten. Wir beide besaßen eigene Studios und Büros im selben Gebäude in Hollywood. Es war ein wahres Tollhaus. Er ist wohl am bekanntesten dafür, Michael Jacksons Mega-Hit „Man In The Mirror“ gemeinsam mit Siedah Garrett geschrieben zu haben beziehungsweise bei Alanis Morissettes ersten beiden Alben als Produzent und Co-Autor fungiert zu haben. Allerdings hat er noch viele andere großartige Songs verfasst. Glen machte sich jahrelang für Katy Perry stark und ließ jeden wissen, dass das Mädel einst ein großer Star werden würde. Als sie dann tatsächlich den Durchbruch schaffte, gab es selbstverständlich viele Leute, die behaupteten: „Ach, ja, wir haben es schon immer gewusst.“ Aber glaubt mir: Das hatten sie nicht.
Man muss schon ein ganz besonderer Typ sein, um zu erkennen, ob jemand über „das gewisse Etwas“ verfügt. Glen ist so ein Typ. Wir beide lieben es, Songs zu schreiben – auch für Filme, da es ein anderer Prozess ist, der einen zwingt, beide Gehirnhälften einzusetzen. Die linke Seite des Gehirns versucht auf die Bedürfnisse des Regisseurs, der Produzenten und des Studios einzugehen, wohingegen die rechte Seite danach strebt, ein bedeutungsvolles Meisterwerk zu erschaffen und auf poetische Weise die Vision des Films wiederzugeben.
Beim Schreiben muss es erlaubt sein, etwas abzudriften und zu experimentieren – und manchmal stolpert man dann über einen hübschen Fehler, der letztlich das Herzstück einer Nummer bildet. Doch all dies ist überaus beunruhigend und unverständlich für die unkreativen „Geld-Menschen“ der Filmbranche. Es folgt eben alles einem ganz anderen Ablauf.
2006 wurden Glen und ich gefragt, ob wir Interesse daran hätten, einen Song zum Film Schweinchen Wilbur und seine Freunde, der auf dem Kinderbuch Charlotte und Wilbur basiert, beizusteuern. Es war ein eigenartiger Zufall, dass ich meiner Tochter das Buch erst eine Woche zuvor gekauft hatte.
Als wir uns zur ersten Besprechung des Drehbuchs trafen, litt Glen gerade an einer schweren Grippe, weshalb ich alleine hinging. Als wir den Film halb durchgegangen waren, schrieb ich ihm eine SMS, in der ich ihm mitteilte, dass wir den Song „Ordinary Miracle“ nennen sollten. Am nächsten Tag spielte er mir bereits eine Strophe vor, die mit der Textzeile „It’s just another ordinary miracle today“ endete. Perfekt.
Wir begannen an der Nummer gemeinsam zu arbeiten und hatten sie innerhalb von nur einer Stunde fertig. Dann nahmen wir ein Demo auf, auf dem ich den Gesangspart übernahm. Uns beiden schwebte Sarah McLachlan als Sängerin des Songs vor. Wir flogen also nach Vancouver und verbrachten einen tollen Tag bei Sarah zu Hause. Sie war sehr freundlich und legte sich mächtig ins Zeug, um eine tolle Gesangsleistung abzuliefern.
Da sie besonders gut ist, wenn sie beim Klavierspielen und Singen ihrem eigenen inneren Impuls folgen kann, jammten wir eine Weile – ich an der Akustikgitarre, Glen am Bass und Sarah am Klavier. Wir beschlossen schließlich, uns von unserer Demo-Version zu entfernen und den Song um Sarahs Klavier herum zu arrangieren. Es war echt der Hammer, quasi mitten im Wald zu sitzen, während Sarah am Klavier saß, unseren Song sang und hinter ihr die Sonne unterging.
Der nächste Schritt bestand nun darin, den Song um ihr Klavierspiel und ihre Stimme herum neu aufzubauen, was wir in Los Angeles taten, wobei wir auf ein Streicher-Arrangement von Randy Kerber zurückgreifen konnten. Schließlich erhielten wir eine Version, die durch ihre Sehnsucht und Zartheit bestach. Wir unterlegten den Song mit ein paar Gesangsstimmen im Hintergrund, derer wir uns nicht ganz sicher waren. Als wir Sarah den Track schließlich schickten, liebte sie alles daran, außer diesem Hintergrundgesang, womit sie unsere eigenen Zweifel bestätigte. Nachdem wir uns noch um dieses Detail gekümmert hatten, war der Song bereit, den Abspann des Films zu begleiten.
Die Single gewann schließlich 2006 den Film Critics Society Award für den besten Song. Sarah präsentierte die Nummer auch in der Show von Oprah Winfrey sowie bei Macy’s Thanksgiving Day Parade. Außerdem sang sie „Ordinary Miracle“ noch bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Vancouver im Jahr 2010 – vor drei Milliarden Zuschauern weltweit.
Glen und ich arbeiteten außerdem noch mit dem Oscar-Preisträger Bruce Joel Rubin zusammen. Der hatte das Drehbuch von einem meiner Lieblingsfilme geschrieben, Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits, und von Ghost – Nachricht von Sam mit Demi Moore und Patrick Swayze in den Hauptrollen. Nun wurde mir angeboten, Ghost als Musical für die Bühne zu adaptieren. Als erstes traf ich mich mit Bruce und wir fanden sofort einen Draht zueinander. Als nächstes erkundigte ich mich, ob es nicht möglich wäre, meinen Freund Glen ins Boot zu holen. Alle willigten ein. Wir stürzten uns kopfüber in die Sache und begaben uns auf eine Reise, die letztlich sechs Jahre andauern sollte.
Unter der Regie des brillanten Matthew Warchus, der für seine Arbeiten bereits mit dem Tony Award und dem Laurence Olivier Award ausgezeichnet worden ist, feierte das Musical im März 2011 schließlich seine Weltpremiere im Manchester Opera House. Im Londoner West End lief das Stück dann am 19. Juli desselben Jahres an. Im April 2012 debütierte Ghost am New Yorker Broadway und wurde inzwischen in 13 Ländern aufgeführt, sogar im Rahmen einer Tournee.