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All meine Fußballträume endeten schlagartig an einem Winternachmittag auf einem matschigen Fußballplatz in der Nähe von Seaburn. Ich führte einen Eckstoß aus, als ein gegnerischer Verteidiger mir mit seinem gestreckten Bein direkt in meine linke Kniescheibe hineinrutschte. Vom Schmerz übermannt, ging ich zu Boden und wurde umgehend ins Krankenhaus abtransportiert.

Als ich schließlich nach einer Knieoperation wieder erwachte, informierte mich der Arzt, dass ich sechs Monate auf Krücken angewiesen sein würde. „Mach dir aber keine Sorgen, Junge. Du wirst in einem Jahr oder so wieder kicken können.“ Im Alter von zwölfeinhalb Jahren war ein Jahr eine Ewigkeit. Ich war am Boden zerstört.

Die Worte des Arztes wirbelten in meinem Kopf herum, bis sie sich schließlich vor meinem geistigen Auge zu Gefängnisstäben manifestierten. Es fühlte sich an, als wäre meinem Leben ein Ende gesetzt worden, denn ohne den Fußball war alles, was mir noch blieb, die Schule. Und ich hasste die Schule. Ich fürchtete sie wegen der Jungs, die mich terrorisierten und mein Leben zwischen zwölf und vierzehn zu einer Qual machten.

Ich war ein einfaches Ziel, da ich ein wenig eigenartig und klein war. Und nun humpelte ich auch noch. Auch andere Kinder waren Opfer. Die Schikanen waren unerbittlich und beständig: Hänseleien, Drohanrufe und Drohbriefe sowie Ablehnung seitens der Gruppe. Manche Kinder spickten sogar die Seife auf den Schultoiletten mit Rasierklingen, weil sie darauf hofften, dass sich jemand daran die Finger schnitt. Ich lebte jeden Tag in Angst vor diesen Mobbern.

Nicht einmal der Musikunterricht verschaffte mir eine Atempause – tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall. Ich hatte die Musik noch nicht so auf meinem Radar und mein Lehrer war dabei auch nicht gerade behilflich. Er schien stets wütend und deprimiert zu sein. Anstatt uns irgendetwas beizubringen, legte er einfach eine Schallplatte mit klassischer Musik auf und wies uns an niederzuschreiben, wovon das Stück unserer Meinung nach handelte. Das war sein ganzer Unterricht.

Während einer solchen Stunde bemerkte er, dass ich mir keine Notizen machte. Er nahm an, dass ich entweder gelangweilt oder eingeschlafen war. Daraufhin schnappte er sich ein brandneues, rot gebundenes Liederbuch und schleuderte es in seiner Frustration so heftig auf mich, dass ich erneut ins Krankenhaus musste, um am Kopf genäht zu werden. Unmittelbar nachdem mich das Buch am Schädel getroffen hatte, saß ich an meinem Pult und konnte gar nicht glauben, was da soeben passiert war. Der Lehrer drehte sich zur Tafel und das Quietschen der Kreide kreierte in Kombination mit der klassischen Musik eine Dissonanz, die wie die Filmmusik zu einem Gruselstreifen klang. Als er „Wolfgang Amadeus, 27. Januar 1756“ schrieb, begann Blut über mein Gesicht zu tröpfeln. Das war nicht gerade die beste Art, mir Mozart vorzustellen, doch damit hinterließ er einen unvergesslichen Eindruck.

Leider war dieser Kerl nicht mein einziger verrückter Lehrer. Damals war körperliche Bestrafung immer noch akzeptiert. Ein Lehrer namens Mr. Jolly verpasste uns etwas, was er als „Jolly Knock“ bezeichnete. Das mag sich zwar ganz witzig anhören, aber das war es ganz und gar nicht. Er gab einem eine schnelle, wuchtige Kopfnuss.

Einmal nahm Mr. Jolly ein paar Jungs mit auf eine Wanderung durch die Natur, wozu auch eine Übernachtung in seiner Hütte an einer entlegenen Stelle des Wears gehörte. Man stelle sich diese Szene, wie wir ihm zu viert durch die Moore folgten, mit Horrorfilmmusik unterlegt vor. Er trug ein Regencape aus Plastik und der Wind blies ihm durch die grauen Haare. Uns war allen ziemlich kalt. Wir waren durchnässt und fühlten uns erbärmlich. Mr. Jolly hielt einen langen Stecken in seiner Hand und wandte sich mit diesem eigenartigen, irren Gesichtsausdruck an uns. Er erinnerte ein wenig an Jack Nicholson in Shining, als er sagte: „Ist euch klar, dass ich euch nun alle abmurksen könnte?“

Damals waren wir einfach zu überrascht, um ihn ernst zu nehmen, aber retrospektiv muss ich gestehen, dass das nicht nur ein wenig gruselig war. Es war verstörend und beängstigend. „Ich könnte euch jetzt alle abmurksen“ – und sein Name war Mr. Jolly!

Ein Mangel an Kontrolle beziehungsweise ein bedingungsloses Vertrauen gegenüber der Schule oder lokalen Autoritätspersonen schien damals üblich zu sein, anders als heute, wo sich Eltern mehr engagieren und vorsichtiger sind. Als ich mich den Pfadfindern anschloss, entwickelte sich unser erster Camping-Trip in einen weiteren Horrorfilm. Als wir unser Ziel erreichten, pressten wir unsere Gesichter gegen die Fensterscheiben des Busses und sahen zum ersten Mal Farmer Joe. Er war gerade dabei, einen Bullen zu kastrieren und hielt zur Begrüßung die blutverschmierte Zange in die Höhe. Ich frage mich heute noch, warum wir nicht sofort Reißaus nahmen.

Nachdem wir unsere Zelte auf Joes Feld aufgestellt hatten, wurde uns mitgeteilt, dass wir uns einigen „Leistungstests“ unterziehen müssten, um uns unsere Abzeichen zu verdienen – darunter auch eines, von dem ich noch nie gehört hatte, das so genannte „Hygiene-Abzeichen“. Farmer Joe führte diese Prüfung, zu der er uns einzeln in sein Badezimmer einlud, höchstpersönlich durch. Später am selben Abend, als wir bereits in unseren Schlafsäcken lagen, unterhielten wir uns und fanden so heraus, dass uns allen dasselbe passiert war: Farmer Joe hatte unsere Pimmel gewaschen und uns erklärt, dass wir bestanden hätten.

Drei Monate später kam ich von der Schule nachhause, wo zwei Polizisten sich aufmerksam mit meiner Mutter unterhielten. Sie wollten wissen, ob ich mich während des Camping-Ausflugs einer Hygiene-Prüfung unterzogen hätte. Ich bejahte und ergänzte, dass ich bestanden hatte. Meine Mutter brach in Tränen aus. Farmer Joe befand sich schon bald darauf in Haft. Leider traf das, soweit ich weiß, nicht auch auf Mr. Jolly zu.

* * *

Mein Leben bestand allerdings nicht nur aus Todesdrohungen und sexuellem Missbrauch. Eine gute Sache widerfuhr mir, als ich wegen meiner Fußballverletzung im Krankenhaus lag. Mein Bruder John brachte mir eine spanische Gitarre, die meiner Großmutter gehörte, sowie meine Lederjacke, die einer Jacke von Levi’s nachempfunden war und die ich mir von dem Geld, das mir meine Großmutter gegeben hatte, hatte anfertigen lassen. Ich wusste nichts über Gitarren, aber ich war noch nicht einmal 13 und versank im Krankenhaus in Langeweile. Deshalb schnappte ich sie mir und fand innerhalb einer halben Stunde heraus, dass ich in der Lage war, sie zu spielen. Ich kannte keine Griffe, konnte aber jede beliebige Melodie zupfen. Die Fähigkeit, die richtigen Saiten und Bünde zu lokalisieren, war einfach da. Ganz instinktiv. Ich konnte spielen.

Junge Krankenschwestern, die mich hörten, streckten ihre Köpfe durch die Türe und sagten: „Wow, du kannst Gitarre spielen und hast eine Lederjacke!“ Ab da wusste ich, dass ich nie wieder aufhören würde.

Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und wieder in die Klasse zurückkehrte, gehörten meine Gedanken nicht länger dem Fußball, weil ich mit meinem ramponierten Bein ohnehin nicht spielen konnte. Stattdessen verrannte ich mich nun in die Musik.

Mode und Musik waren schon ein paar Monate zuvor in mein Bewusstsein gerückt, doch da ich so beschäftigt mit Fußball gewesen war, hatte ich diese Dinge nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Nun rückten sie allerdings in den Mittelpunkt. Ich hörte zu Hause Radio und war richtig begeistert davon, da gerade so viel vor sich ging.

Sogar in meinem jungen Alter, in meiner winzigen Nische des Universums, wusste ich, dass etwas in der Luft lag, wie die britische Band Thunderclap Newman sang.

1965 wurde ich 13 Jahre alt. Es war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr: Winston Churchill starb und die berüchtigten britischen Gangster, die Kray-Zwillinge, wurden verhaftet. Bob Dylan tourte durch Großbritannien und erfand mit seinem „Subterranean Homesick Blues“ das Musikvideo. Die Beatles wurden von der Queen für ihre bedeutenden Leistungen und außergewöhnlichen Verdienste gegenüber der Allgemeinheit mit dem Orden Member of the British Empire ausgezeichnet. Es war eine bahnbrechende Zeit für die Musik, die von gesellschaftlichen Veränderungen, der Politik und technologischen Durchbrüchen inspiriert war. Und ich saß in unserer Küche und hörte mir den britischen Top-Ten-Countdown an. Könnt ihr euch vorstellen, wie damals die Charts aussahen?

1. „I Got You Babe“ – Sonny and Cher

2. „Help!“ – The Beatles

3. „(I Can’t Get No) Satisfaction“ – The Rolling Stones

4. „All I Really Want To Do“ – The Byrds

5. „A Walk In The Black Forest“ – Horst Jankowski

6. „Zorba’s Dance“ – Marcello Minerbi

7. „Everybody’s Gone To The Moon“ – Jonathan King

8. „Make It Easy On Yourself“ – Walker Brothers

9. „Like A Rolling Stone“ – Bob Dylan

10. „See My Friends“ – The Kinks

Die Beatles, die Rolling Stones, die Kinks und Bob Dylan – das konnte jeden aus seinen Latschen fegen, besonders aber einen 13-jährigen Jungen, der gerade angefangen hatte, Gitarre zu spielen.

Gleichzeitig fing ich an zu begreifen, dass mein Bruder ein richtig interessanter Typ war. Tatsächlich war er sogar irgendwie cool. Er hatte eine tolle Schallplattensammlung und da er bald in Liverpool zur Uni gehen würde, realisierte ich, dass sie demnächst mir zur Verfügung stehen würde – all diese wunderbaren Plattencover mit ihrem herrlichen Artwork und den Liner Notes, die zu lesen manchmal genauso viel Zeit in Anspruch nahm, wie das Album von Anfang bis Ende zu hören.

Zur selben Zeit begann auch mein Cousin Ian eine wichtige Rolle in meinem Leben zu spielen. Er heizte mein Interesse an dieser neuen Sixties-Welt, die aus Popkultur, Musik und Mode bestand, noch weiter an. Ian war acht Jahre älter als ich und somit schon 21, als ich gerade mal 13 war. Ganz in der exzentrischen Tradition der Familie Stewart stehend, hatte Ian mit 15 begonnen, sich einen Memphis-Akzent zuzulegen, sodass er bald mehr nach Elvis klang als Elvis selbst. Das kam im Nordosten Englands nicht sonderlich gut an und die ortsansässigen Kids verspotteten und drangsalierten ihn. Mit 18 zog er schließlich von zu Hause aus und machte sich davon, um sich der amerikanischen Air Force anzuschließen. Als er aus den Streitkräften entlassen wurde, zog er nach – ratet mal! – Memphis. Ich habe mich immer gefragt, ob er nun, da sein Traum in Erfüllung gegangen war, irgendwann wieder mit seinem ursprünglichen Sunderland-Akzent sprechen würde. Aber nachdem ich ihn in Memphis getroffen habe, kann ich euch versichern, dass er stärker als jemals zuvor näselt.

Ian schickte uns eine Kiste, eine wahrhaft magische Kiste. Sie enthielt zwei Cord-Jeans von Levi’s, so wie sie John und ich noch nie gesehen hatten. Außerdem schickte er uns ein paar Schallplatten mit Musik, wie ich sie zuvor noch nie gehört hatte: Memphis-Blues und Delta-Blues. Mein Bruder entdeckte daraufhin andere Musiker, die so ähnlich klangen, zum Beispiel Mississippi John Hurt. Eines Tages brachte er dann ein Album von Robert Johnson mit nachhause: King Of The Delta Blues Singers. Dies waren LPs, die mein Leben veränderten. Sogar heute noch, wenn ich nach einem langen Tag nachhause komme, mixe ich mir einen Drink und schnappe mir meine Gitarre, woraufhin meine Finger scheinbar automatisch beginnen, den Blues zu spielen. Da ich aber in einem hübschen Haus in Südkalifornien lebe und nicht in einer Hütte mit Teerpappedach im Mississippi-Delta, fühle ich mich dazu verpflichtet, die Songtexte abzuändern und etwa darüber zu singen, dass ich heute Morgen aufgewacht bin und meine beiden Autos verschwunden waren. Diese Musik unterschied sich außerdem sehr von der Popmusik, die wir aus dem britischen Radio gewohnt waren. Sogar die Stimmen der Sänger klangen eigentümlich, etwa die nasalen Töne eines Robert Johnson in Kombination mit dem weinerlichen Klang einer Slide-Gitarre.

Dann schenkte mein Bruder mir zu Weihnachten ein Album des Gitarristen Stefan Grossman mit dem Titel How To Play Blues Guitar, dem ein Bottleneck-Fingeraufsatz beilag. Er sah aus wie der abgetrennte Hals einer Weinflasche. Außerdem lag eine Anleitung bei, wie man sich seinen eigenen Bottleneck basteln konnte, indem man eine Saite eng um den Hals einer Flasche zog und die beiden Enden daraufhin solange hin und her bewegte, bis sie heiß wurde. Dann konnte man den Hals unter kaltem Wasser abtrennen.

Mein liebstes Album war zu dieser Zeit Stefan Grossmans Aunt ­Molly’s Murray Farm. Ich brachte mir die ganze A-Seite auf der Gitarre bei und mein Lieblingssong war „Delia“. Ich hätte mich liebend gerne in der Musik verloren, doch die reale Welt kam mir in die Quere, als ich 14 wurde und meine Mutter auszog. Ich hatte meine Eltern nie streiten gehört. Mir war völlig entgangen, was da vor sich ging. Schließlich hatte sie einen Nervenzusammenbruch und musste zur Behandlung in ein Krankenhaus.

Während dieser ganzen Zeit war mir nicht klar, dass sich meine Eltern voneinander trennten. Nie setzten sie sich mit mir zusammen, um mir die Wahrheit zu erklären. Ich befand mich gerade in der Pubertät und war so verwirrt bezüglich der Welt im Allgemeinen, dass ich es einfach nicht kapierte. Heutzutage würden Eltern ihren Kindern erörtern, was Sache war, aber meine taten das damals eben nicht. Stattdessen wurde alles sehr ruhig. Mein Bruder war fort an der Universität, weshalb nur noch mein Vater und ich übrigblieben.

Ich erinnere mich an ein Gefühl der völligen Leere, weil mein Dad ein sehr ruhiger Typ und meine Mum eben sehr geschäftig war. Sie hatte zu Hause Brot gebacken, unsere Mahlzeiten zubereitet, sich künstlerisch betätigt und sich Aktivitäten für uns Jungs ausgedacht. Eines Tages sagte sie: „Okay, heute veranstalten wir einen Kunstwettbewerb!“ Sie brachte daraufhin jeden in der Straße dazu, eine Zeichnung oder ein kleines Gemälde anzufertigen. Sie hängte sie alle bei uns daheim an die Wand, wo alle sie wie in einer Galerie bestaunen konnten. In dieser Hinsicht war sie wie ich. Sie mochte es, Happenings zu organisieren. Außerdem war sie witzig und es war aufregend, ein Teil ihrer Welt zu sein.

Somit kann man sich vielleicht vorstellen, was für eine große Veränderung es darstellt, wenn eine solche Persönlichkeit plötzlich nicht mehr da ist. Nun herrschte bloß noch Stille und Traurigkeit – und der sprichwörtliche Blues, der mir aber Halt gab.

Jahre später fragte ich meine Mutter, warum sie uns verlassen hatte, und sie meinte: „Ich war nicht stark genug, um zu bleiben.“ Sie wollte ihren Intellekt mehr einsetzen und musste daher unter Gleichgesinnte, die sich für all die Dinge interessierten, für die sie sich mittlerweile begeisterte – Literatur, Poesie und Philosophie. Sie dachte, dass sie durchgedreht wäre, wenn sie als Hausfrau in Sunderland geblieben wäre.

Mein Dad war sehr nett, ein richtig guter Vater und all das. Alles, was er – so wie viele andere Veteranen – nach dem Krieg wollte, war, eine Familie zu gründen, fleißig zu arbeiten, Geld zu verdienen und ein nettes Häuschen mit gutem Essen auf dem Tisch zu besitzen. Dad war kein Mann vieler Worte und teilte mir nur kurz und knapp mit, was er gerade durchmachte: „Ich verstehe nicht, was da vor sich geht.“ Es war, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen – und nun war er völlig perplex.

Vielleicht dachte er, dass sich die Wellen schon wieder glätten würden und sie zurückkehren würde. Aber dem war nicht so und sie kam nie wieder nachhause, weil sie sich erdrückt und eingeengt fühlte. Vielleicht wurde sie sich ja auch zunehmend der gesellschaftlichen Transformation und der seismischen kulturellen Verschiebungen bewusst, die in den Sechzigerjahren vor sich gingen. Mein Dad und Leute wie er waren in puncto Kleidung, Konformität und Klassenbewusstsein in den Fünfzigerjahren verankert. Mir wurde erst später klar, dass meine Mutter sich über diese Grenzen hinweggesetzt hatte. Das verdreifachte und vervierfachte sich exponentiell.

Letzten Endes wurde sie eine Lehrerin für Schüler mit besonderen Ansprüchen und unterrichtete mit großer Leidenschaft autistische Kinder. Meine Mutter war ein Freigeist, ein Original und eine Inspiration für die Kinder, die sie als Lehrerin betreute.

Als Mum uns verließ, stürzte sich mein Vater in seine Arbeit als Buchhalter. Er war immer noch ein liebevoller Vater, aber er hatte keine Ahnung, wie er auf mich achtgeben, mich disziplinieren oder einfach nur mit mir sprechen sollte. Und da mein Bruder John fort und an der Uni war, wurde ich zunehmend unabhängiger und unberechenbarer. Auf eine gewisse Art und Weise machte mich das sehr widerstandsfähig. Ich begriff, dass man im Leben die Dinge selbst in die Hand nehmen musste.

Da ich nun mittlerweile Gitarre spielte, ließ ich meine Gefühle und Energie noch mehr in die Musik einfließen. Es ist tröstlich, wenn man ein Instrument spielen kann. Das Schlafzimmer ist nicht länger einsam, wenn es zu einem Ort wird, an dem die Phantasie erblüht. Mein Zimmer wurde zur Bühne, zur TV-Show, zum Aufnahmestudio. Einfach zu allem, was ich wollte. Ich posierte mit meiner Gitarre vor dem Spiegel und stellte mir vor, der nächste große Sänger zu sein.

Interessanterweise sah ich mich nicht als Teil einer Band, sondern als Troubadour, als Leonard Cohen, Ralph McTell, Donovan oder Bob Dylan. Und in meinem Tagtraum gab es auch keine kreischenden Girls. Die lauschten vielmehr aufmerksam meinen eloquenten Texten. Das einzige Problem war, dass ich noch gar keine Songs geschrieben hatte. Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis ich das tat.

Irgendwann begriff ich, dass meine Gitarre beinahe nicht spielbar war, da sich die Saiten so weit über dem Hals befanden, dass man sie kaum niederdrücken konnte. Jeden Abend tunkte ich meine Fingerspitzen in Essig, wie mir das gesagt worden war, um sie auf diese Weise aufzurauen. Eines Tages erklärte mir einer der Freunde meines Bruders, dass die Erfüllung meiner musikalischen Ambitionen um einiges erleichtert würde, wenn ich auf einer Gitarre spielte, die dies auch tatsächlich zuließe. Ich tauschte also meine Gitarre, spielte auf ein paar geborgten und benutzte etliche Second-Hand-Exemplare. Dann schließlich hatte ich eine Akustikgitarre von Eko, von der ich nicht mehr weiß, woher sie stammte. Ich weiß nur noch, dass ich ununterbrochen „Chimes Of Freedom“ von Bob Dylan auf ihr klampfte, den Text dazu auswendig lernte und mir beibrachte zu spielen, ohne dabei auf meine Finger zu schauen. Bevor mein Bruder auf die Universität ging, verbrachten wir Stunden damit, Dylans Lieder auf dem Plattenteller laufen zu lassen. Ständig hielten wir sie an, um die Textzeilen niederschreiben zu können.

Als ich 14 war, gab es keinen Ort, an dem ich Pop- oder Rockgruppen hätte sehen können. Allerdings gab es von der Kirche organisierte Jugendclubs und es hieß, dass eine Band in der St. Gabriel’s Church Hall auftreten würde. Ich wollte unbedingt hin und ein Schulfreund begleitete mich. Das war das erste Mal, dass ich eine Band live sah – und auch mein erster Kontakt mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Die Mum meines Freundes war Ärztin und als er mich von zu Hause abholte, um zum Konzert zu gehen, sagte er, er hätte etwas dabei, das uns eine gute Zeit garantieren würde. Er zog ein paar Pillen aus seiner Hosentasche und sagte: „Schluck zwei davon.“ Dann teilten wir uns noch eine Flasche Bulmers Cider, ein alkoholisches Getränk. Wir kippten sie schnell in uns rein, sprangen dann eine Minute lang auf und ab und machten uns auf den Weg zur St. Gabriel’s Church Hall.

Ich kann mich nur noch an wenig erinnern, etwa an das Badezimmer des Vikars und wie er meine stark in Mitleidenschaft gezogenen Samthosen flickte. Als Nächstes erwachte ich dann während einer Kinovorführung des Films Alfie im Odeon-Kino. Jedenfalls bekam ich die Band erst gar nicht zu Gesicht und hatte ein Gefühl, als ob es mir egal gewesen wäre, wenn mir jemand ins Gesicht geschlagen hätte. Irgendwie schaffte ich es zurück nachhause und schlief die nächsten 18 Stunden durch. Was ich da so gierig verschlungen hatte, war Mandrax – auch als Quaaludes bekannt. Kein sehr zu empfehlendes Mittel, wenn man ausgehen und sich vergnügen möchte.

David Gibson lebte zwei Häuser weiter und war so alt wie mein Bruder. Auch er spielte gerne auf der Gitarre, einer zwölfsaitigen, was ihm sein Vater, Len Gibson, beigebracht hatte. Ich mochte David und besuchte ihn, wann immer er zu Hause war.

Len war während des Kriegs im berüchtigten Bantu-Gefangenenlager inhaftiert gewesen. Dort wurden Kriegsgefangene regelmäßig gefoltert und zu Sklavenarbeit gezwungen, etwa zum Bau der Thailand-Burma-Eisenbahn und der infamen Straße von Mergui, die von Hand Meter für Meter in den Dschungel und durch den Fels getrieben wurde. Nur wenige überlebten und Len war einer von ihnen. Während seiner Gefangenschaft entdeckte Len beim Küchengebäude eine Holzkiste, die er eines Nachts verstohlen in seinen Besitz brachte. In der Zeit darauf stellte er sein Talent als Instrumentenbauer unter Beweis, indem er die Kiste zu einer einfachen Gitarre umbaute. Für die Saiten stibitzte er Telegrafendrähte, von denen er wusste, dass sie aus Stahl und mit Kupfer ummantelt waren, denn er war ein Signalgeber bei der 125. Er drehte in mühsamer Kleinarbeit das Kupfer um den Stahl für die tieferen Saiten und dehnte den Draht für die höheren Töne. Den Öffner von einer Konservenbüchse benutzte er dazu, um Löcher für die Stimmwirbel zu schnitzen. Das einzige Problem, das Len nun hatte, bestand darin, dass er gar nicht wusste, wie man Gitarre spielte. Allerdings konnte er ein bisschen Banjo spielen.

Eines Tages sagte er zu mir: „Du spielst gerne Gitarre, Junge, oder etwa nicht?“

Ich bejahte.

„Dann sieh her.“ Er spielte mir auf seiner Gitarre vor und sang dazu. Ich war hin und weg, da es wie eine Memphis-Blues-Schallplatte klang. Ich begriff, dass das damit zu tun hatte, wie die Gitarre gestimmt war. Jahre später, als ich einen Film über den Blues drehte, dämmerte es mir schließlich, dass auch die Instrumente dieser Musiker bloß aus ein paar Stücken Holz und Drähten bestanden hatten. Lange Zeit spielte ich so wie Len auf eigentümlich gestimmten Gitarren. Bis mir schließlich ein weiterer Freund meines Bruders, John Graham, zeigte, wie man eine Gitarre „normal“ stimmte. Auch brachte er mir ein paar Akkorde bei, die mir alle am Anfang sehr seltsam vorkamen. Doch mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Ich lernte mit den Fingern zu zupfen, indem ich Mississippi John Hurt exakt nachahmte. Alles, was er spielte, saugte ich wie ein Schwamm in mich auf. Ich verbrachte täglich Stunden damit, zu spielen und zu lernen. Damals war ich 14 Jahre alt und hatte nicht viele Freunde, allerdings lernte ich zu dieser Zeit einen Typen namens Richard Allison kennen, der ein enger Freund werden sollte. Er besaß eine alte Gitarre und wusste, wie man die Noten in die Länge zog – wie beim Blues eben. So wie Eric Clapton oder Buddy Guy war auch er ganz anders als alle anderen, die ich jemals in Sunderland spielen gehört hatte. Richards Spiel faszinierte mich einfach.

Das war also die Musik, die ich als erstes auf der Gitarre zu spielen lernte: Blues und Folk. Ich versuchte alle Songs von Bob Dylans erstem Album zu lernen. Damals stand ich nicht so auf die Beatles oder Pop, obwohl sie ständig im Radio liefen. Aber nach meiner musikalischen Erweckung begann ich, Musik mit anderen Ohren wahrzunehmen. So dachte ich mir nun zum Beispiel: „Oh, die Beatles spielen in E-Moll.“

Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich wusste, dass ich woanders spielen müsste als in der Küche oder meinem Zimmer. Jedoch war mir nicht klar, wie ich das bewerkstelligen sollte. Ich blätterte in unserer lokalen Tageszeitung und fand die Namen von ein paar Pubs in Sunderland. Eines hieß Londonderry und dann waren da noch das Dun Cow sowie das Rose and Crown. Dort gab es Hinterzimmer oder Räume im ersten Stock, wo Leute Folk-Songs vortrugen. Ich musste dorthin!

Inzwischen war ich 15 Jahre alt, jedoch wirkte ich drei Jahre jünger, weshalb man mich nicht einlassen wollte. Wild entschlossen setzte ich mich genau vor dem Pub auf den Bürgersteig und schlug und zupfte auf meiner Gitarre herum. Irgendwann realisierten die Leute vom Pub, dass ich tatsächlich spielen konnte und ließen mich rein. Ich bekam sogar ein Bier spendiert. Ich machte mir einen Namen als „dieser kleine Junge mit der großen Gitarre“. Dave Doherty, dem die einzige Boutique auf der Wearside gehörte, verpasste mir noch einen weiteren Spitznamen – „die Wespe“. Sobald ich genug Geld hatte, ging ich in seinen Laden und bestellte bei ihm eine weitere maßgeschneiderte Lederjacke.

Als Teil der lokalen Folk-Szene von Sunderland fühlte ich mich wie im Himmel, aber in meiner Vorstellung war das hier wie das Greenwich Village. Es gab Alkohol, Zigarettenrauch und ältere Frauen in schwarzen Strümpfen. Ich war nun Musiker und realisierte schon bald, dass ich auch mit anderen Leuten zusammenspielen konnte. Das war wie eine Erleuchtung für mich – so als wäre ich mit der Tardis von Dr. Who in eine andere Welt gereist. Natürlich war die hiesige Folk-Szene isoliert und im englischen Nordosten verankert. Da sangen haarige Männer mittleren Alters über die Kohleminen, die Arbeitslosigkeit, Fischerei-Unglücke und fette Mädels mit Namen wie Cushie Butterfield:

Sie ist ein großes Mädel, eine hübsche

Und, ja, ihr schmeckt ihr Bier

Und man nennt sie Cushie Butterfield

Und ich wünscht mir, sie wär hier.

Ein anderer lokaler Song, der mir sehr gefiel und den ich heute noch rezitieren kann, hieß „The Day We Went To The Coast“, in dem es unter anderem um Eiscreme ging.

Wie bei den meisten Sachen, die ich ausprobiere und mir gefallen, gehe ich schon bald voll in ihnen auf. Und so lief ich schon bald nach meinem Live-Debüt mit der Band Amazing Blondel davon – obwohl deren Mitglieder das zuerst gar nicht mitbekamen. Die Gruppe spielte progressiven Folk, der auf mittelalterlicher Musik für Lauten und Blockflöten basierte. Sie hatten langes Haar und trugen gefranste Raulederstiefel und wirkten wie Barden aus einer anderen Zeit – wie elisabethanische Rockstars, wenn man so will. Sie stammten aus Lincolnshire und sangen Lieder über die Lincoln Cathedral und sächsische Ladys.

Als sie in Sunderland gastierten, kletterte ich in ihren Van und versteckte mich. Sie fuhren circa 300 Kilometer zurück nach Scunthorpe, wo sie wohnten, bevor sie mich bemerkten. Es war ungefähr sechs Uhr morgens, als die Roadies die Ausrüstung ausluden. „Was zum Geier?“, entfuhr es ihnen. Dann ließen sie sich von mir die Nummer meines Vaters geben und riefen ihn an. Sie sagten: „Ihr Sohn ist als blinder Passagier in unserem Van mitgefahren. Was sollen wir mit dem Jungen machen?“

Ich nahm den Hörer und sagte: „Dad, ich möchte so sehr auf Tour gehen. Darf ich bleiben? Sie werden mir das ganze Zeug schon beibringen.“

Es waren gerade Sommerferien und er ließ sich erweichen. Auch die Band willigte ein: „Okay, Junge. Du darfst noch ein bisschen bleiben.“

Das war wie ein Traum für mich. Ich war mit einer echten Band auf Tour! Zum allerersten Mal spürte ich, welchen Weg ich beschreiten würde und es gab für mich kein Zurück mehr – diese Sache sollte für die nächsten paar Jahrzehnte in den Mittelpunkt meines Daseins rücken. Es machte mir nicht einmal etwas aus, dass ich in einem Hundekorb schlafen musste. Sie hatten eine Dänische Dogge, die mir ihren Schlafplatz überlassen musste, obwohl ich mich deswegen ein wenig schuldig fühlte, denn ich hätte gerne geteilt.

Sie nahmen mich zu ihren Gigs mit und zeigten mir alles – beispielsweise wie man einen Verstärker verkabelte und abnahm. Irgendwann ließen sie mich sogar zwei Songs in ihrem Vorprogramm spielen. So wurden wir zu Freunden und ich blieb mit ihnen für eine gefühlte Ewigkeit auf Tour, obwohl es wahrscheinlich nur zwei Wochen waren. Dann lieferten sie mich in Sunderland ab, wo sie auch meinen Dad kennenlernten.

Das war also der Anfang. Ich liebte es, mich mit einer Band herumzutreiben. Es war mein erster Kontakt mit dieser Welt. Sie waren ein wenig exzentrisch, klar, aber auf eine gute Weise, was mich ansprach. Ich fing daraufhin an, alleine Zugreisen zu unternehmen. Jeden Samstag begab ich mich zum Bahnhof in Sunderland und erkundigte mich, wohin ich für etwa einen Shilling oder einen Half Crown, was in etwa einem Achtel Pfund entsprach, fahren könnte.

Meine Gitarre hatte ich wie ein Baby in eine kleine Decke gewickelt und in einer Gitarrentasche verstaut, die ich auf dem Rücken trug. Als Dave Gibson nach York zog, um dort aufs College zu gehen, fuhr ich mit dem Zug dorthin, um ihn zu besuchen. Einmal traf ich mitten im Winter unangemeldet bei ihm ein. Allerdings war er für das Wochenende weggefahren, weshalb ich mit meiner winzigen Gitarren-Decke auf dem eiskalten Flur übernachtete. Jahre später schrieb ich einen Song über diese Zeit, als meine Mum uns verließ und ich zu all diesen Abenteuern aufbrach. Der Song hieß „Magic In The Blues“ und erschien auf meinem Album The Blackbird Diaries.

I was feeling empty-hearted

Colder than a stone

Walked around the house all day

Looking for a home

Lay down on my brother’s bed

Tried on my father’s shoes

Picked up my mother’s wedding ring

The one she tried to lose

When she went looking for some clues

To find Magic in the Blues.

Zu jener Zeit trat auch Brian Harrison, ein Aushilfslehrer, der gerade das College hinter sich gebracht hatte, in mein Leben. Er spielte Gitarre, wusste alles über Harmonien und hatte bereits viele Gigs in Folk-Clubs absolviert, als er noch das College besucht hatte. Außerdem war er mit einigen etablierten Folk-Duos wie den Dransfields (Robin und Barry) oder den Fureys (Eddie und Finbar) aus Irland befreundet. Diese beiden Duos spielten traditionellen Folk und waren großartige Sänger, die mehrere Instrumente beherrschten. Brian bot mir somit eine Eintrittskarte in eine Welt, für die ich gestorben wäre, um in ihr aufgenommen zu werden. Darüber hinaus schlug er mir noch vor, dass wir ein Duo wie die eben genannten bilden könnten.

Brian wurde mein Mentor und ich war ein extrem bereitwilliger Schüler. Für mich war dies das absolute Gegenteil von langweiligen Unterrichtsstunden über Algebra oder darüber, wie sich Kaulquappen in Frösche verwandelten, begleitet von einer gelegentlichen Kopfnuss. Schließlich braucht es mehr als reine Logik, um eine Raupe in einen Schmetterling zu verwandeln, wie mir mein Stiefvater Jahre später erklären sollte. Brian wirkte wie ein Katalysator auf mich, der mir die Welt des Folk-Sängers, des Troubadours öffnen würde, und ich war für seine Lektionen mehr als aufnahmebereit.

Zuerst spielten und sangen wir in der Küche meines Dads, weil der Boden dort verfliest war, wodurch die Akustikgitarren einen klaren, tollen Klang hatten. Außerdem war nie wer zu Hause, weshalb wir stundenlang ungestört proben konnten. Ich lernte Harmonie-Parts zu singen und wurde hinsichtlich meiner Zupf- und Schlagtechniken ziemlich verlässlich. Die Songs, auf die wir uns einigten, waren eher melancholisch angehauchte schottische und irische Nummern oder ein paar northumbrische Weisen. Unser Repertoire umfasste Songs wie „Dirty Old Town“ von Ewan MacColl und „The Galway Shawl“, eine irische Komposition, die wir von den Fureys kannten. Wir lernten alte englische Folk-Songs, die Bands wie Steeleye Span spielten. Einer, den wir später auch aufnahmen, hieß zum Beispiel „A Blacksmith Courted Me“.

Ich begeisterte mich für eine neue Gruppe, die Incredible String Band, weshalb wir mit „Painting Box“ einen ihrer Songs einstudierten. Wir spielten außerdem auch Instrumentalstücke von John Renbourne. Wenn Brian sich verabschiedet hatte, spielte ich noch stundenlang weiter, bis ich etwa „Angie“, eine wunderschöne instrumentale Nummer, die der Folk-Sänger Bert Jansch performte, spielen konnte. Ich spielte so lange, bis sich enorme Furchen von den Gitarrensaiten auf meinen Fingerspitzen entwickelten, weil ich wollte, dass meine Version wie seine klang.

Bald hatten wir ein ganzes Set von Songs beisammen, die wir gemeinsam spielen konnten – und bevor ich mich versah, war ein neues Duo geboren. Von nun an war ich die eine Hälfte von Stewart & Harrison. Wir spielten Gigs und fuhren mitunter bis zu 75 Kilometer in Brians Auto, um zu den Auftrittsorten zu gelangen. Es war unglaublich. Wir parkten und stiegen aus – und alle hatten einen anderen Akzent.

Eddie und Finbar Furey trafen 1968 in Sunderland ein, um dort zu spielen. Nach der Show lud Brian sie zu einem Drink ein. Ich hatte schon so viel von Brian über sie gehört, weshalb ich es kaum erwarten konnte, sie kennenzulernen und ihren Anekdoten zu lauschen. Wir blieben fast die ganze Nacht wach, tranken Whiskey, sangen, spielten und lachten. Ich war 15 und hatte selbst schon einige Abenteuer erlebt, aber das hier war anders. Es war fast so, als wären zwei Zauberer eingetroffen. Als Eddie seine Stiefel auszog und buchstäblich Hunderte Pfundnoten herauspurzelten, war ich total baff. Ich war von der ersten Minute an gefesselt von ihnen. Sie waren einfach ein phantastisches, herumvagabundierendes Folk-Duo, das wunderbare Songs schrieb und performte. Finbar war bereits als Champion im irischen Dudelsack ausgezeichnet worden. Darüber hinaus war er ein Singer-Songwriter, beherrschte das fünfsaitige Banjo und spielte Gitarre. Eddie sang, spielte Gitarre und hatte eine wunderschöne Stimme: Ich konnte ihm stundenlang zuhören.

Ich trieb mich auch mit den Fureys eine Zeitlang herum und begleitete sie bis nach Peebles oben in Schottland. Wir lebten gemeinsam in einem verlassenen Eisenbahnschuppen. Eines Abends tranken wir in einem Pub zusammen Whiskey und diese Jungs waren geeichte Trinker. Es kam schließlich zu einem Handgemenge, weil sie Iren waren und sich zu laut in einem schottischen Pub aufgeführt hatten. Ich bekam gar nicht mit, was da vor sich ging, als sie mir plötzlich zuriefen: „Unter den Tisch mit dir, Junge!“

Während sich die Keilerei entfaltete, ging ich unter dem Tisch in Deckung. Ein paar Minuten später wurde ich wieder hervorgezogen und wir machten uns auf den Weg zurück zu unserem Schuppen. Sie riefen: „Beeil dich! Wir müssen die Türen vernageln!“ Wir liefen zum Schuppen und begannen, wie wild Bretter vor die Türen zu nageln, um zu verhindern, dass etwaige Verfolger die Scheiße aus uns herausprügeln konnten. Es war gleichzeitig beängstigend und aufregend. Ich fuhr schließlich erleuchtet zurück nach Sunderland.

Alle Leute um mich herum waren viel älter als ich. Sie waren Erwachsene und ich war bloß ein Junge. Mein Kopf explodierte förmlich aufgrund des Wunsches, zu einem umherschweifenden Folk-Vagabunden-Duo zu gehören, und ich wusste, dass ich etwas unternehmen musste, damit ich dies für den Rest meines Lebens tun könnte.

Auftritt: Dick Bradshaw. Er war ein Lehrer an meiner Schule und seine Finger waren braun vom Nikotin und seine Haare länger als die aller Schüler. Er war ein toller Jazz- und Blues-Pianist und wir wurden enge Freunde. Er unterhielt sich mit mir wie mit einem Erwachsenen.

Eines Tages erzählte er mir, dass er Songs schrieb, was etwas war, worüber ich bis dahin nicht einmal nachgedacht hatte. Und so fragte ich ihn: „Könnte ich auch einen Song schreiben?“ Er versicherte mir, dass ich das könnte und spielte mir ein paar von seinen am Piano vor.

Dies führte zu meiner allerersten Aufnahme – der ersten von mittlerweile etlichen Tausend –, und zwar mit unserem Duo Stewart & Harrison. Wir begaben uns in ein kleines Tonstudio, das wir nur für ein paar Stunden gemietet hatten. Als Schalldämpfung waren Eierkartons an die Wände getackert und das Studio gehörte einemTyp namens Ken McKenzie, der auf mich wie ein Zauberer an den Reglern wirkte. Uns standen nur zwei Spuren zur Verfügung, weshalb wir keine Overdubs aufnehmen konnten, live spielen und alles auf einmal einfangen mussten.

Wir sangen zwei Songs, die Dick geschrieben hatte: „Girl“ und „Green, She Said“. Außerdem nahmen wir noch einen traditionellen Song, das besagte „A Blacksmith Courted Me“, sowie meine allererste Eigenkomposition mit dem Titel „Deep December“ auf. Bei meiner Nummer hatte mir ein malender Bohème namens Eric Scott alias Eric the Artist, mit dem ich mich angefreundet hatte, als Co-Songwriter assistiert.

Da wir in Folk-Clubs auftraten, beschlossen wir, unsere EP in Vinyl pressen zu lassen, um sie bei unseren Gigs zu verkaufen. Es war ein großer Moment für mich, als die Boxen mit den EPs aus dem Presswerk bei uns eintrafen. Es war nur schwer zu glauben, dass wir tatsächlich eine Schallplatte gemacht hatten. Ein Traum war wahr geworden. Uns ging es wie vielen Indie-Bands heutzutage, aber damals war das absolut bahnbrechend. Niemand, den ich bis dahin kennengelernt hatte, hatte ein echtes Album aufgenommen. Ich ging immer noch zur Schule, als das Paket mit unseren Schallplatten eintraf. Sie sahen genauso aus wie die, die man im Plattenladen kaufen konnte. Unsere Scheibe erschien auf Ken McKenzies eigenem kleinen Label, Multirecord. Auf dem Label in der Mitte der Platte standen in schwarzen Buchstaben auf knallgelbem Hintergrund neben MULTIRECORD auch noch die Songtitel

1. GIRL (Dick Bradshaw)

2. GREEN, SHE SAID (Dick Bradshaw)

sowie unsere Namen

STEWART & HARRISON

Produced by Ken McKenzie.

Und als wir die Platte abspielten, war das ein unglaublicher Augenblick: Wie sich diese Wörter vor uns auf dem Plattenteller drehten und schließlich unsere Stimmen erklangen! War denn das alles überhaupt möglich?

* * *

Ich war noch immer keine 16 Jahre alt, als ich mit Eric the Artist zusammenzog. Er mochte es, Musik um sich zu haben, während er malte, und bat mich sogar, bei einer seiner Ausstellungen zu spielen. Für diesen Anlass dekorierte er sogar meine Gitarre.

Ich weiß nicht, wieso mir mein Dad erlaubte, aus dem Haus unserer Familie auszuziehen, um von nun an bei einem langhaarigen verrückten Künstler zu leben. Die Kunstszene von Sunderland war nicht besonders groß. Eigentlich war Eric sogar der einzige echte Künstler, der von seinen Bildern auch leben konnte. Ich konnte das gar nicht richtig einordnen.

Es war mein erster Kontakt mit dem, was man sich unter einem Künstlerleben vorstellt. Er lebte in eher ärmlichen Verhältnissen, war aber ein ausgezeichneter Maler. Ich erhielt einen Einblick in eine Parallelwelt, von der ich gewusst hatte, dass sie existierte, die ich aber noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Ich schlief auf dem Fußboden inmitten von Leinwänden und Farbdosen – meine Gitarre, meine winzige, karierte Decke und ich. Eric wiederum schlief im Nebenraum mit seiner Freundin Ann. Sie hatten ein Bett, allerdings war es auch Erics Wohnung und ich war noch jung, weshalb es mir eigentlich egal war.

Das Leben als Künstler war schon eine tolle Sache, doch hatten wir nur wenig zu essen. Wir ernährten uns von Lebkuchen und starkem schwarzen Kaffee. Das war alles, was wir aßen, es sei denn Eric verscherbelte ein Bild. Dann gingen wir ins Pub und gaben die Kohle für Bier und Fritten aus.

Hausaufgaben stellten kein Problem dar, da ich beschlossen hatte, nie wieder zur Schule zu gehen. Ich war ja jetzt ein Künstler. Cool, oder? Mein Dad wollte mich dazu überreden, mich am Monkwearmouth College einzuschreiben. Da war ich eine Woche lang oder so. Ich hatte nur die Musik im Kopf.

Eric und ich blieben stets eng befreundet. Immer, wenn ich umzog, übersiedelte er gleich mit. Leider starb er vor ein paar Jahren. Ich sang auf seiner Trauerfeier, die in dem kleinen südfranzösischen Dorf Les Adrets stattfand. Dort hatten wir uns viele Nächte lang unterhalten, gemeinsam gelacht und bis in die frühen Morgenstunden billigen Rotwein gekippt. Oft war auch sein Sohn Beau dabei gewesen, der auf seinem Schoß einschlief.

Heute besitze ich 27 seiner Gemälde und Zeichnungen. Ich wünschte, er würde immer noch leben, um mir zu sagen, wo ich sie aufhängen soll. Ich habe immer versucht, ihm Aufträge zu verschaffen. So malte er etwa ein unglaubliches Porträt von George Harrison, das ihm George auch abkaufte. Und auch Mick Jagger kaufte ihm ein Bild ab, das ihn in seiner Filmrolle als Ned Kelly zeigte. Als ich einen Vertrag bei Rocket Records unterzeichnete, wies ich Eric an, ein paar seiner Gemälde ins Büro mitzubringen – und Elton John kaufte ihm gleich vier ab, ohne sie überhaupt angesehen zu haben!

Diese glücklichen Tage auf Erics Fußboden waren schon sehr aufregende Zeiten und stellten den genauen Zeitpunkt dar, an dem ich die normale Welt für immer hinter mir ließ. Das war total okay für mich, da ich mich ohnehin nie als Teil der normalen Welt gefühlt hatte.

Während meiner gesamten Kindheit hatte ich nie das Gefühl gehabt, dazuzugehören. Mir taten meine Eltern echt leid, weil ich mich so exzentrisch benahm. Ich wusste damals wirklich nicht, warum ich so war, da ich noch nicht begriffen hatte, dass ich ein Künstler war. Ich wusste nur, dass ich nirgendwohin passte, und fühlte mich total fremd. Deshalb unternahm ich gerne Dinge, um meine Eltern vor den Kopf zu stoßen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, waren sie für mich so etwas wie lebende Kunstprojekte von mir.

Eines Tages kam mein Vater nachhause und fand mich, wie ich in einem kleinen Fischteich lag. Ich atmete durch einen Schnorchel und schwenkte die Harpunenkanone meines Bruders. Es war nur ein winziger Teich, sodass ich gerade mal Platz darin fand. Mein Dad schenkte mir ein paar kurze Augenblicke lang seine Aufmerksamkeit, schüttelte dann seinen Kopf und ließ mich zurück, um Wasser für den Tee aufzusetzen.

Ein anderes Mal stellte ich mich vor unserem Haus auf ein Paar selbstgemachter Holzski, die mein Vater geschreinert hatte, setzte mir eine selbstgebastelte Skibrille auf und tat so, als wäre ich eine lebende Statue. Leute gingen an mir vorbei, rangen nach Luft und sagten: „Der ist wohl durchgeknallt! Was tut er da bloß?“

Als Mum noch bei uns lebte, stand sie eines Tages am Spülbecken in der Küche und kümmerte sich um den Abwasch, als ich vor ihr am Fenster vorbeistolperte und dabei meine Kehle, aus der Blut zu strömen schien, umklammert hielt. Es war selbstverständlich nur Ketchup, aber trotzdem hätte sie fast eine Herzattacke erlitten.

Manche Leute würden sagen, dass all diese Aktionen bloß ein Schrei nach Aufmerksamkeit waren. Und das waren sie natürlich auch. Meine Eltern durchliefen eine Trennungsphase. Ich wusste das damals zwar noch nicht, aber ich muss wohl gespürt haben, dass da etwas im Argen lag und sich alles ändern würde. Aber als ich später bei Eric auf dem Fußboden schlief, begann ich, mich wie ein Erwachsener zu fühlen – und die Probleme meiner Eltern waren nicht die meinigen.

Nachdem wir unsere Schallplatten mit der Post bekommen hatten, konnte ich an nichts Anderes mehr denken als daran, wie es sich anfühlen würde, einen unserer Songs im Radio zu hören. Ich machte mich über Radiosender schlau und fand heraus, dass sich Radio Durham gerade einmal 15 Kilometer von uns entfernt befand. Also rief ich dort an. Eine Frau nahm den Anruf entgegen und ich stellte mich vor: „Hi. Ich heiße Dave Stewart und ich spiele Gitarre und singe.“ Dann legte ich den Hörer nieder und sang einen Song, den ich gerade geschrieben hatte.

Normalerweise könnte man wohl davon ausgehen, dass sie dies für einen Telefonstreich gehalten und sofort aufgehängt hätte. Sie blieb jedoch dran und hörte sich die ganze Nummer an. Als ich fertig war, nahm ich den Hörer wieder auf und fragte: „Was halten Sie davon?“

„Das war richtig gut, Kleiner, aber ich bin nur die Rezeptionistin.“

„Oh, okay. Können Sie weiterleiten, dass Dave Stewart angerufen hat, und ihnen sagen, dass ich ins Radio will und dies ein Song war, den ich geschrieben habe?“

Ungefähr eine Woche später – ich war gerade bei meinem Dad und schaute fern – klingelte das Telefon. Das tat es sonst nie, weshalb Dad aufsprang. Es hatte einen sehr lauten Klingelton, der fast schon an einen Feueralarm erinnerte. Er hob ab und kam dann mit einem verwirrten Gesichtsausdruck ins Zimmer zurück. Er sagte: „Radio Durham möchte mit dir sprechen.“

Ich hatte diesen Anruf selbstverständlich erwartet. Eine Stimme am anderen Ende der Leitung fragte: „Wie alt bist du denn, mein Sohn?“ Ich antwortete, dass ich 15 sei.

„Das Mädchen hat gesagt, dass du ihr einen Song vorgespielt und dass du ihn selbst geschrieben hast.“

„Yeah“, antwortete ich.

„Nun, wir möchten dich zu einem Gespräch einladen. Und bring deine Gitarre mit.“ Er sagte noch, dass es für die Lokalberichterstattung wäre.

Ich willigte ein und hängte auf. Dann dachte ich mir: „Jesus, wie komme ich denn nur dorthin?“

Der Sender lag 20 Kilometer außerhalb der Stadt, weshalb ich mitsamt meiner Gitarre einen Bus bestieg. Und so trat ich zum ersten Mal in meinem Leben im Radio auf. Ich wurde interviewt, sang einen Song und das Ganze wurde mitgeschnitten. Dann erklärte ich, dass ich Teil eines Duos sei, und überreichte ihnen unsere EP. Sie reagierten zwar ein wenig perplex, aber sie erklärten, dass sie die Platte spielen würden.

Ich hörte daraufhin fast eine Woche lang 24 Stunden am Tag Radio Durham, bis der DJ schließlich irgendwann verkündete: „Hier nun ein lokales Duo aus Sunderland.“ Plötzlich erklang der Anfang von „Green, She Said“ über den Lautsprecher. Es klang phantastisch. Zum Glück war auch Brian gerade vorbeigekommen und total überrumpelt. Ich muss in seiner Wertschätzung gleich um ein paar Stufen gestiegen sein.

Ein paar Wochen später erhielt ich mit der Post einen Scheck von der BBC (!!) über fünf Pfund, weil ich im Radio gespielt worden war. Wow! Ich war geplättet. Man hatte mich nicht nur im Radio gespielt, sondern mich auch noch dafür bezahlt. Du heilige Scheiße! Ich nahm Fahrt auf. Im Anschluss daran wurden Brian und ich sogar in eine TV-Show nach Newcastle eingeladen.

Während der nächsten 18 Monate spielten wir weiterhin unter dem Namen Stewart & Harrison und ich begann, mir eine Wohnung mit einem Typen namens Eddie zu teilen, den ich kennengelernt hatte, als er mich um Gitarrenunterricht bat. Ich hatte in einer lokalen Zeitschrift inseriert und meine winzig kleine Anzeige verkündete: „Gitarrenunterricht: jede Stilrichtung.“ Schließlich musste ich ja Geld verdienen.

Die Leute waren alle schockiert, wenn sie aufkreuzten und ihnen ein langhaariger Junge, der wie 14 aussah, entgegentrat. Aber schon bald hatte ich ein paar regelmäßige Kunden, darunter eine liebe junge Frau namens Pauline und eben diesen Eddie, der beruflich Fernsehantennen montierte.

Unsere Mietwohnung lag am Ende einer Straße, die an eine reine Mädchenschule anschloss, und es sprach sich herum, dass da zwei Typen hausten, was in so einem jungen Alter für Sunderland eher außergewöhnlich war. Bald schon wurde unsere Bude zur Party-Zentrale. Ich wurde schnell erwachsen, rauchte Hasch und experimentierte mit LSD. Mädchen kletterten in ihren Schuluniformen durch die Fenster und schlossen sich uns an.

Manchmal wachten Eddie und ich auf und ein paar sechzehnjährige Schulmädchen aßen Frühstück und machten uns auch welches. Bald schon wurde daraus mehr als nur „Frühstück machen“ und ein paar von ihnen wuchsen mir sehr ans Herz. Sie freundeten sich mit uns an und im Gegenzug ermöglichten wir – oder eigentlich ich – ihnen erste Erfahrungen mit Drogen. Für nur ein Pfund bekam man schwarzes Hasch aus Pakistan oder hellbraunes Hasch aus Marokko. Selten mal Gras. Ich rauchte einfach alles, was ich in die Hände bekam und teilte es mit den Mädchen oder anderen Leuten, die bei uns anriefen, während sich unser Apartment einen zunehmend schlechten Ruf erarbeitete. Es kam also oft vor, dass bei uns einfach ein paar Leute herumlagen und echt voll drauf waren.

Dann kam LSD – oder Acid, wie wir es nannten – ins Spiel. Es war in verschiedenen Ausprägungen erhältlich. Zuerst hatten wir „Purple Microdot“, dann „Windowpane“. Wir experimentierten mit unterschiedlichen Sorten und blieben dabei die ganze Nacht wach.

Sunderland wurde langsam zu einem völlig anderen Ort. Spuren von London wurden sichtbar, Drogen konnten leichter beschafft werden und farbenfrohe Charaktere fingen an, Läden zu eröffnen. So kaufte ich mir ein paar lilafarbene Raulederstiefel im Schuhladen von Alan Hogg – oder „Hoggy“, wie wir ihn nannten. Außerdem erstand ich eine Weste mit Fransen in Dave Dochertys Boutique West One, wo es nicht nur groovy Klamotten, sondern auch hinreißende Teenager gab.

Auch die Musikszene wurde immer aufregender, was in erster Linie an ein paar ortsansässigen Veranstaltern lag. Einer von ihnen, Geoff Docherty, hatte eigentlich für zwei Pfund pro Nacht und einen Gratis-Drink als Pförtner im Bay Hotel angefangen, fand jedoch schon bald seine Berufung, als er John Peel im Radio gelauscht hatte. Er sparte seine zwei Pfund pro Nacht zusammen und buchte eine Band namens Family aus London, damit sie für eine Gage von 150 Pfund – seine gesamten Ersparnisse – im Bay Hotel auftrat. Es sollte ein großer Erfolg werden. 800 begeisterte Kids kreuzten auf und eine neue Ära war angebrochen. Als Nächstes kamen Free mit Paul Rodgers, Paul Kossoff, Simon Kirke und Andy Fraser. Sie reisten nordwärts, bespielten das Bay Hotel und brachten das Publikum zum Rasen. Jeder hatte diese Bands zuvor nur von Fotos oder aus dem Radio gekannt.

Im Melody Maker las ich, dass Eric Clapton, Steve Winwood und Ginger Baker eine Supergroup namens Blind Faith gegründet hatten. Ich sah im Fernsehen, wie Jimi Hendrix in der Show Happening for Lulu, in der Musik und Sketche gespielt wurden, auftrat. Er hatte eigentlich „Hey Joe“ performen sollen, aber nach der Hälfte der Nummer spielten er und seine Band eine ungeprobte Version von „The Sunshine Of Your Love“ als Hommage an Cream, die sich gerade aufgelöst hatten. Es war ein ordentliches Durcheinander, aber Hendrix wirkte fröhlich, als er „Sie ziehen uns den Stecker“ schrie und die Produzenten die Übertragung unterbrachen.

Wir sahen auch in den Nachrichten, dass die Beatles ein spontanes Konzert auf dem Firmensitz von Apple Records in der Saville Row in London gespielt hatten. Als die Leute unten auf der Straße begriffen, was da vor sich ging, rasteten sie komplett aus.

Ich war 17 Jahre alt und sog dies alles auf. Dies war die Welt, in der ich leben wollte. Es war mir egal, wenn ein langweiliger Nachrichtensprecher uns mitteilte, dass die Queen sich einen neuen Kühlschrank gekauft hatte. Ich fühlte mich so lebendig, als wäre ich ans Stromnetz angeschlossen, und mein Kopf surrte förmlich aufgrund all der Möglichkeiten.

Dann traten Tyrannosaurus Rex live bei uns auf. Marc Bolan war der heißeste Typ, den ich je gesehen hatte. Er stand da auf der Bühne mit seinen Locken und seiner schillernden Ausstrahlung und sang „Debora“. Die Mädels flippten total aus und ich dachte mir, dass es das gewesen sein musste, was mein Bruder damals beim Beatles-Konzert erlebt hatte. Ich war wie gelähmt. Nach der Show lernte ich Marc Bolan und seinen Partner Steve Peregrin Took kennen, da ich mit einer Ansammlung von Mädchen hinter die Bühne gelassen wurde. Er war der netteste Typ, den ich bis dahin getroffen hatte. Wir begaben uns alle zusammen an den Strand, wo er weitersang und Gitarre spielte. Keiner von uns konnte glauben, dass dies gerade passierte.

* * *

Plötzlich war ich ein Teil einer Szene und wurde – ohne es zu realisieren – so etwas wie ihr Anführer. Ich war noch nicht erwachsen, aber schon herumgereist und kannte Dinge, die vielen der Kinder, die noch zur Schule gingen, unbekannt waren. Außerdem lebte ich nicht mehr zu Hause und konnte tun und lassen, was ich wollte.

Ein typischer Abend in meiner und Eddies Wohnung fing als gemütliches Beisammensein in kleinem Rahmen an – nur zwei oder drei von uns, ein wenig Hasch und die Gitarren. Dann trafen die Mädels ein. Während eines speziellen Abends, auf einem besonders starken LSD-Trip, wurde ein reizendes Mädchen namens Pam, das 15 Jahre alt war und zunächst noch Eddies Freundin gewesen war, plötzlich zu meiner Freundin – inmitten eines sehr halluzinogenen Augenblicks. Eddie war auch gerade mit uns auf dem Trip und es gab überhaupt keine Animositäten zwischen uns, als sich Pam zu mir legte. Damals war einfach alles ganz anders.

Bald schon waren Pam und ich unzertrennlich, und obwohl sie gerade erst 16 wurde, zog sie bei mir ein. Wir lebten von nun an wie ein Ehepaar. Und tatsächlich sollte sie wenig später meine erste Ehefrau werden.