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Irgendwann im Verlauf dieser psychedelischen Phase der freien Liebe traf ich Steve Sproxton und Kai Olsson, die gemeinsam als Duo auftraten. Ich nehme an, dass sie von unserer Wohnung gehört hatten und neugierig geworden waren. Ich hatte sie auftreten gesehen und sie waren großartig, weshalb ich zu Brian sagte: „Warum tun wir uns nicht mit diesen Jungs zusammen? Mit all unseren Harmonien und Gitarren wären wir wie eine englische Version von Crosby, Stills, Nash & Young!“ Obwohl Graham Nash ja eigentlich Brite war, sahen wir sie als amerikanische Band, die einen kalifornischen Sound spielte.

Wir versuchten es – und es funktionierte. Nachdem wir wie verrückt geprobt hatten, fiel uns zuerst kein passender Name ein, weshalb wir einfach die Anfangsbuchstaben unserer Vornamen aneinanderreihten. Und so spielten Brian, Steve, Kai und Dave einige Konzerte als BSKD, ein schrecklicher Name, aber es war uns egal, schließlich experimentierten wir.

Für kurze Zeit zogen Kai und Steve zu Eddie und mir. Das war total irre, weil wir nur ein Schlafzimmer mit vier Betten darin hatten. Wir hatten alle Freundinnen, was – gelinde gesagt – heikel war. Aber irgendwie haute das schon hin.

Dann schlug Brian vor, dass wir alle in ein großes Haus ziehen sollten, in dem wir jeder ein eigenes Zimmer hätten und uns die Miete teilen würden. Schließlich fanden wir eine riesige alte viktorianische Villa, von der aus das Stadtzentrum zu Fuß erreichbar war. Pam und ich bezogen ein Zimmer, von dem aus man die Straße überblicken konnte.

Wir verschickten ein Demo-Tape nach London, das schließlich in den Händen von Lionel Conway landete, der Island Music für dessen Gründer Chris Blackwell leitete. Es herrschte reges Interesse und wir wurden nach London zu einem Meeting eingeladen. Aber zuvor ließ uns Kai Olssons Bruder Nigel, der damals für Elton John Schlagzeug spielte, noch wissen, dass er vorbeikommen würde, um uns in unserem Haus beim Spielen zuzuhören. Außerdem würde ihn Mickey Grabham, der phantastische Gitarrist der Band Cochise, begleiten, weshalb wir ein wenig aufgeregt waren.

Zu dieser Zeit waren wir ziemlich regelmäßig high und rauchten überall im Haus Haschisch. Nigel brachte Mickey um sechs Uhr abends vorbei und hatte außerdem noch eine Tüte mit dem stärksten Kraut aus Jamaika dabei. Das waren wir nicht gewohnt. Wir pferchten uns alle gemeinsam in Kais winziges Schlafzimmer, in dem schon bald eine undurchdringliche Nebelbank aufzog, die von dem unglaublich heftigen Gras herrührte. Als wir schließlich für unsere Gäste spielen wollten, ging das einfach nicht mehr! Wir bemühten uns ungefähr eine Stunde lang, unsere Gitarren zu stimmen, aber nicht einmal das bekamen wir hin. Wir konnten nicht einmal sagen, ob sie auch nur annähernd gestimmt waren, so stoned waren wir.

Es war so entsetzlich peinlich.

Zum Glück waren sie ebenso high und weggetreten wie wir selbst – und als sie nach London zurückkehrten erzählten sie allen, dass wir großartig seien.

1971 war ich 18 Jahre alt, als Lionel Conway unsere Demos Elton Johns Plattenfirma Rocket Records vorspielte – und die Leute dort liebten uns! Sie waren der Meinung, dass wir gute Songs und starke Harmonien hätten und gut spielen könnten. Und das stimmte auch: Wenn wir nicht gerade zu stoned waren, spielten wir tatsächlich gut. Und so erhielten wir einen Vertrag.

Plötzlich waren wir auf Elton Johns Label und hatten einen Publi­shing-Deal für unsere Songs in der Tasche, obwohl niemand von uns genau wusste, was es damit auf sich hatte – bis auf Brian, an dem nun die ganze Verantwortung für drei Kids hängenblieb, die mit Geld, Gitarren und Weed bewaffnet durch die Gegend liefen. Für mich war das wie der Himmel auf Erden – und dazu gehörte auch der Umzug nach London.

Wir hatten nun einen Plattenvertrag bei Rocket Records und Chris Blackwells Island Music war unser Musikverlag. Ich traf alle möglichen Songwriter und Musiker in seinen Büroräumen, die sich über einer angesagten Boutique namens 2001 in der Oxford Street befanden: Cat Stevens, Nick Drake, John Martyn, Mott the Hoople, Traffic, Stevie Winwood und Bob Marley. Einmal unterhielt ich mich mit Bob. Das war nicht uninteressant, weil er meinen nordenglischen Akzent besser zu verstehen schien, als das die Londoner taten.

Bei Island Music gab es echt gutes Zeug zu rauchen. Ich erinnere mich noch an einen Zahltag, als wir alle im Büro saßen und uns mit demselben jamaikanischen Weed benebelten, das Nigel dabeigehabt hatte und an das wir uns nun gewöhnten. Ian Hunter von Mott the Hoople bekam den letzten Rest des Joints weitergereicht und nahm einen langen Zug. Er hustete, keuchte und sagte: „Verdammte Hölle, das ist ein verfluchter lung dancer!“ Damit meinte er, dass ihm der Rauch seine Lunge versengte. Wir lachten hysterisch, bis jemand meinte: „Longdancer. Das ist kein schlechter Name!“

Wir hatten bereits seit Monaten nach dem richtigen Namen gesucht. Nun hatten wir einen – Longdancer. Und das alles nur dank des fetten Shropshire-Akzents von Sir Ian Hunter.

* * *

In jenen Tagen bezeichneten die Leute aus dem Norden London als „The Smoke“. Befreundete Musiker, Ladenbesitzer und Künstler fragten etwa ständig: „Fährt ihr wieder runter nach ‚The Smoke‘?“ Und nun zogen wir endgültig dorthin. Wir waren junge, aufgeregte Kids, die mit dem Kopf voraus ins Musikbusiness eintauchten. Die Sechzigerjahre waren vorüber und uns stand ein Jahr voller schlechter Neuigkeiten bevor. Janis Joplin starb an einer Überdosis, Jim Morrison an Heroin und Alkohol, und Jimi Hendrix erstickte an seinem eigenen Erbrochenen.

Am 10. April, dem Tag, an dem wir in London eintrafen, verkündete Paul McCartney, dass er die Beatles verlassen hätte und die Band Geschichte wäre. Genau das war es, was wir mitbekamen, als wir London mitsamt unserer Gitarren, Schlafsäcke, lilafarbenen Stiefel und Träume enterten.

Als Nächstes drehten wir einfach alle durch. Es war so, als wären wir in Peter Pans Nimmerland eingetroffen. J. M. Barrie hat wohl tatsächlich den Rock’n’Roll vorhergesagt, da das Peter-Pan-Syndrom unter Rockstars ein sehr häufiges Phänomen zu sein scheint. Das Musikbusiness war auch so etwas wie Pinocchios Vergnügungsinsel, ein verfluchter Themenpark, den Hunter S. Thompson als „grausamen und seichten Geldtrog, einen langen Kunststoff-Flur, wo Diebe und Zuhälter freies Spiel haben und gute Männer wie die Hunde krepieren“ beschrieb. Er fügte noch hinzu: „Das Ganze hat aber noch eine Schattenseite.“

Nichts davon sorgte uns auch nur ein bisschen. Wir waren in London und wurden dafür bezahlt, in richtige Aufnahmestudios zu gehen und Musik zu machen. Wir konnten die Kings Road in Chelsea hinunterspazieren oder auf den Kensington Market gehen und uns Samthosen von himmlischen, wunderschönen Mädchen kaufen, die außer ihren Schlapphüten und Patschuli nicht viel an ihrem Körper zu tragen schienen.In der ersten Woche wohnte ich bei meiner Mum und schlief auf ihrem Fußboden. Mittlerweile lebte sie in Hampstead und teilte sich ein Haus mit einem verheirateten Ehepaar und dessen drei Kindern. Die Mutter hatte meine Mum getroffen und ihrem Mann erzählt, dass sie eine aufregende Frau namens Sadie kennengelernt habe, die sich in London fortbildete. Der Vater – er hieß Julian und war Zen-Buddhist – versuchte Sadie, die sich zum Tee angekündigt hatte, zu beeindrucken, indem er den Rosslyn Hill mit einem Schild rauf- und runtermarschierte, auf dem er die Leute vor den abschmelzenden Polarkappen warnte: „Wir sind alle in großer Gefahr! Für weitere Informationen, wählt diese Nummer!“ Dann verkündete er mit lauter, klarer Stimme eine Telefonnummer.

Meine Mum ging an ihm vorbei, blieb dann stehen, drehte sich zu ihm um und sagte: „Entschuldigen Sie, das muss ein Fehler sein. Das ist nämlich meine Nummer!“

Julian antwortete: „Sadie, ich konnte es kaum erwarten, dich kennenzulernen!“

Jahre später ließen sich Julian und seine Frau scheiden und er heiratete meine Mum. Mein Dad sprang für Sadies verstorbenen Vater als Brautführer ein. Eine starke Geste, mit der er meiner Mum Respekt zollte.

Kurze Zeit später schlief ich dann auf dem Fußboden einer schwedischen Dame, Ann Zadik, die bei Island Music arbeitete. Aber schon bald wollte ich, dass Pam bei mir wohnt, weshalb die Band ein Haus in der Bourne Road in Tottenham im Norden von London bezog.

Ich war 18 Jahre alt. Wir waren sehr jung, wir waren in London und wir versuchten, alle möglichen Dinge zu verstehen, auch finanzielle Aspekte. Ich besaß kein Scheckbuch, und natürlich hatten wir keinen Anspruch auf eine Karte vom Diners Club, der damals einzigen Kreditkarte. Jeden Freitag wurden wir von einem Typen namens Steve ausbezahlt, der als Buchhalter bei Island Music arbeitete.

Steve hatte lange, glatte blonde Haare und trug dunkle Brillen. Er war die ganze Zeit stoned und ein echt netter Kerl. Unsere Bezahlung konnte Bargeld, Weed, Hasch oder ein wenig Speed oder Koks sein. Es war keine einfache Entscheidung zwischen marokkanischem Dope, einem Tütchen mit feinstem Weed oder einem Thai-Stick zu wählen, einem extrem starken Gras, das um ein kleines Stück Bambus gewickelt ist. Gelegentlich entschieden wir uns auch für etwas, das wir als „Marschierpulver“ bezeichneten, weil es einen tagelang wachhalten konnte. Wir mussten einzeln eintreten und entscheiden, ob wir Bargeld haben wollten, von dem wir die ganze Woche lang Essen kaufen konnten – oder eben Naturalien und Bargeld, von dem wir nur die halbe Woche satt wurden.

Mit Elton John war es immer witzig. Er war super-schrill und immer perfekt gekleidet. Es war wirklich so, als hätten wir mit dem verrückten Hutmacher aus Alice im Wunderland einen Plattenvertrag abgeschlossen. Wir waren vom Überfluss, der ihn umgab, fasziniert: den Unmengen an Schuhen, Sonnenbrillen, Hüten und so vielem anderem. Alle bei Rocket Records rochen immer vorzüglich und trugen hübsche Armbanduhren. Elton war gegenüber jedem äußerst großzügig und verteilte von dem Moment an, in dem er durch die Tür spazierte, haufenweise Geschenke. Es war so, als würde man sich in einer teuren Privat-Boutique und nicht bei einer Plattenfirma aufhalten.

Rocket befand sich in der Wardour Street 101, im Herzen von Soho, nur ein paar Gehminuten von den Büros von Island Music entfernt, weshalb wir auch immer zu Fuß zwischen den beiden Adressen hin- und herpendelten. Longdancer war eine der ersten Bands auf Rocket Records und schon bald erfuhren wir eine neue Bedeutung der Phrase „over-the-top“.

Zu jener Zeit hatte Elton bereits vier Hit-Alben, was damals hieß, dass er tatsächlich Millionen von Vinylscheiben abgesetzt hatte: Empty Sky, Elton John, Tumbleweed Connection und Madman Across The Water. Wir waren riesengroße Fans, und ich bin es heute noch. Damals war Madman gerade das neueste Album und wir fuhren total darauf ab. Wir ließen es ständig laufen. Sein nächstes Album, Honky Château, bekamen wir vor jedem anderen zu hören. Er war ein unglaublich inspirierender Songwriter und Performer. Und außerdem einer der scharfsinnigsten Köpfe, die ich je kennenlernen durfte. Wenn er die Queen oder Winston Churchill parodierte, konnten wir uns nicht mehr halten vor Lachen – und er konnte innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde zwischen den beiden hin- und herwechseln.

Uns stand allen ein ordentlicher Haufen Geld zur Verfügung – Vorschüsse von unserem Label und unserem Musikverlag – und wir verloren komplett die Kontrolle. Ein paar Leute vom Musikverlag besuchten uns in unserem kleinen Haus in Tottenham. Wir waren wieder einmal total stoned und lagen nur am Boden herum. Außerdem lagen noch etliche Freunde bei uns. Wir hatten ein Pfund Hasch gekauft – einen Brocken von der Größe eines Bildbandes. Zusätzlich hatte ich beschlossen, einen Meskalin-Vorrat anzulegen: Wir hatten Hunderte Kapseln, die mit einem blauem Pulver gefüllt waren, das die äußerst wirkmächtige Chemikalie Trimethoxyphenethylamin enthielt, die man in Peyote findet.

Als unsere Mäzene eintrafen, um ein paar unserer neuen Songs anzuhören, konnten wir nicht einmal mehr sprechen. Wir waren komplett weggetreten. Sie waren, gelinde gesagt, ein bisschen schockiert, da sie sich Kostproben von Songs für unser Album erwartet hatten. Stattdessen sahen sie, wie wir langsam ins Nichts abdrifteten, wogegen sie etwas unternehmen mussten. Sie wollten uns zurück auf die Erde holen und etwas Ordnung in unser Leben bringen.

Deshalb buchten sie für uns ein Aufnahmestudio und zogen Iain Matthews von Fairport Convention (und später Matthews Southern Comfort) hinzu, der uns produzieren sollte. Nach ungefähr einer Woche warf er das Handtuch, weil wir so unerfahren und viel zu stoned waren, um den Aufnahmeprozess zu begreifen. Wie wir unser erstes Album – If It Was So Simple – fertigstellen konnten, werde ich nie verstehen.

Allerdings gelang uns genau das und zur Feier dieses Anlasses wurde eine opulente Party veranstaltet. Elton buchte einen ganzen Zug der britischen Bahn und stopfte ihn voll mit Medienvertretern, anderen Künstlern und gewöhnlichem Fußvolk. Sobald die Leute den Zug bestiegen hatten, wurden ihnen Schampus und Häppchen kredenzt. Die Party war längst im Gange, als der Zug sich in Richtung Moreton-in-Marsh in Bewegung setzte.

Als wir dort eintrafen, taumelten alle aus den Waggons. Wir wurden von einer bunt kostümierten Kapelle willkommen geheißen und von ihr zum örtlichen Veranstaltungszentrum eskortiert, wo die Partygäste noch mehr lukullische Freuden sowie ein Auftritt von Longdancer erwartete. Die Performance geriet so außer Kontrolle, dass sich irgendwann Muff Winwood zu uns gesellte und versuchte, uns mit blutenden Fingern auf einem Klappsessel zu begleiten. Es wurden jedenfalls keine Kosten gescheut und jeder ging mit einem handgefertigten Beutel nachhause, der sowohl unser Album als auch schmucke T-Shirts und kleine Spielzeugzüge als Andenken an diesen Tag enthielt.

Tatsächlich erinnern sich nur mehr wenige an diese Fahrt, doch ging sie als eine der extravagantesten Plattenpräsentationen überhaupt in die Geschichte ein. Wäre all das Geld in die Vermarktung geflossen, hätte sich die Scheibe vermutlich viel besser verkauft. Aber es war trotzdem eine tolle Party.

* * *

Pam und ich beschlossen zu heiraten. Keine Ahnung, warum wir das taten, immerhin war ich gerade einmal 19 und sie sogar noch zwei Jahre jünger. Die Ehe schien so altmodisch. Aber dennoch begaben wir uns nach Sunderland, um unseren Bund im örtlichen Standesamt zu besiegeln. Inzwischen hatten wir viele exzentrische und interessante Leute kennengelernt und meine Mum lebte mittlerweile mit Julian zusammen.

Unser Freund Tim Daly, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war, nachdem man ihn inhaftiert hatte, weil er das Imperial War Museum in Brand gesteckt hatte, schlief tief und fest auf den Treppen vor dem Standesamt, als Pam und ich dort eintrafen. Er hielt ein riesiges Samuraischwert umschlungen, das sein Geschenk an uns war. Ich denke, Pam hätte sich eher für einen Standmixer erwärmen können.

Mein Vater wohnte der Zeremonie bei, als wäre es bloß ein alltägliches Ereignis im Leben der Stewarts. Im Anschluss luden Pam und ich ein paar Freunde ein, uns zum Haus unserer Freunde Brian und Pauline zu begleiten, wo wir gemeinsam feiern wollten. Als die Party in Schwung kam, schüttelte Dad nur den Kopf und murmelte: „Chaos. Das reine Chaos.“

Und damit lag er richtig. Longdancer hatten mittlerweile Roadies und diese Typen hatten die Grateful Dead kennengelernt, als diese in London aufgetreten waren. Die Dead hatten etwas California Sunshine mitgebracht – LSD aus der Produktion von Owsley Stanley. Das Zeug war extrem wirkungsvoll: Nachdem ich eine orange Kapsel ungefähr zehn Minuten lang in der Hand gehalten hatte, konnte ich es durch die Poren meiner Haut spüren. Man musste es zur Verdünnung in ein Glas Wasser geben, was dann für acht bis zehn Leute ausreichte.

Aber jeder von uns schluckte eine, was viel zu viel war – vor allem für die vier von uns, die noch nie zuvor Acid eingeworfen hatten.

Ich realisierte, dass die Dosis viel zu stark war. Das Letzte, was man will, bevor man sich in eine andere Dimension verabschiedet, ist, sich für andere Leute verantwortlich zu fühlen. Meine junge Braut hatte sich in der Toilette eingeschlossen und war überzeugt, dass die Tür atmete. Das bereitete mir Sorgen, aber nur für einen Moment oder so, weil ich wie alle anderen die Wand anstarrte oder den Teppich zu lesen versuchte. Ich war überzeugt, dass darauf ein ganzer Artikel über uns stand.

Da wir mittlerweile alle halluzinierten, entschied ich, dass wir ins Freie gehen sollten. Dort führte ich alle durch ein kleines Feld. Unter freiem Himmel fühlten wir uns gleich viel besser. Wir lagen im Gras und bildeten einen Kreis, bei dem wir uns an den Köpfen berührten. In dieser Position verweilten wir zehn Sekunden oder auch acht Stunden lang. Die Zeit verlor ihre Bedeutung.

Plötzlich begriffen wir, dass wir zwar acht individuelle Personen waren, doch alle dasselbe sehen und hören konnten, als ob wir uns ein Bewusstsein teilen würden. Wir hatten allerhand Visionen: Kutschen am Himmel und so’n Zeug. Und wir alle sahen zu, wie wir wieder auf die Erde zurückkehrten, so als würden wir uns im Spiegel beobachten. Es waren die ausgeprägtesten Halluzinationen, die ich je erlebt habe.

Dann sahen wir einen älteren Herrn und eine Dame, die einen Hund spazieren führten. Vielleicht waren sie gar nicht wirklich da, aber wir sahen sie alle. Sie sahen uns auch an und wirkten überrascht – vermutlich, weil wir sie so anstarrten. Sie sagten: „Hi, das ist unser kleiner Hund Jack. Er ist ein Jack Russell.“ Wir ließen das total still und mit weit offenen Augen auf uns einwirken.

Der Mann sagte: „Dieser Hund kann jeden Trick. Gebt ihm Messer und Gabel und er wird sein Abendessen damit essen!“

Natürlich war das nur ein Witz, aber es klang ganz schön eigenartig für uns.

Als wir zurück zu Brian und Paulines Haus wollten, konnten wir es nicht mehr finden. Alle Häuser in der Siedlung sahen gleich aus. Wir wurden ein wenig panisch: acht Leute, die sich an den Händen hielten, ausflippten und sich fühlten, als hätten sie sich in einem Labyrinth verirrt. Ich wusste, dass ich die Initiative ergreifen musste.

So schlug ich Pam vor, dass wir doch an einer Haustür klopfen sollten, um demjenigen, der uns öffnen würde, die Lage zu erklären und um Hilfe zu bitten. Zu diesem Zeitpunkt war Pam aber bereits total abwesend und verstand kein Wort mehr.

Wir klopften schließlich wahllos an eine Tür. Pam trug eine Kette aus Gänseblümchen und einen langen samtenen Umhang. Irgendwie hatte sie aber ihr Hochzeitskleid verloren und war nun nackt darunter. Irgendein armer Typ öffnete uns und sah einen hilflosen, zugedröhnten Jungen und ein halbnacktes Mädchen mit tellergroßen Augen vor seiner Türe stehen.

„Entschuldigen Sie. Meine Frau und ich haben gerade eine sehr starke halluzinogene Droge genommen und müssen eventuell ins Krankenhaus. Können Sie uns helfen?“ Was sich sonderbar angehört haben muss, schließlich sahen wir aus wie Vierzehnjährige.

Der Kerl war ziemlich kräftig, vermutlich ein Arbeiter, aber ihm fiel auf, dass da etwas schief lief, und bat uns herein. Im Wohnzimmer stand seine Frau und bügelte Hemden. Der ganze Raum war mit Blumentapeten und einem gemusterten Teppich ausgekleidet, was einem ziemlich intensiv einfährt, wenn man gerade auf Acid ist. Als die Frau herausfand, was Sache war, meinte sie: „Ich habe von LSD gehört – vernichtet das nicht die Gehirnzellen oder so?“

Dann bot sie uns gastfreundlich eine Tasse Tee an. In England ist man nämlich der Auffassung, dass ein Tässchen Tee alles zu kurieren vermag.

Der Herr des Hauses sah uns auf eigentümliche Weise an und versuchte, mit uns zu sprechen. Pam saß da und starrte auf den Teppich. Sie war total von Sinnen. Ich dachte nur: „Gott, wir hauen besser ab von hier.“ Die Frau brachte uns schließlich Tee. Pam nahm ihre Tasse und kippte den Inhalt einfach auf den Teppich. Ich verfolgte mit, was sie tat und wie unglaubliche Muster entstanden. Aber für diese Leute waren wir einfach nur Verrückte.

Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich uns irgendwie schnell zur Eingangstür hinauszuschaffen versuchte, während ich unseren Gastgebern ausführlich dankte. Unsere Freunde versteckten sich immer noch hinter der Mauer, wo wir sie zurückgelassen hatten. Sie wirkten völlig verloren und verwirrt.

Nach der Hochzeit fuhren wir zurück nach London. Wir standen immer noch unter dem Eindruck dieser Erfahrung, als wir erfuhren, dass unsere Band eine kleine Tour durch Großbritannien als Elton Johns Vorgruppe absolvieren sollte. Dann ging es weiter nach Italien, wo wir in ein paar Sportarenen vor ihm auftreten würden. Und so fand ich mich umgehend beim Proben wieder – nun als verheirateter Mann.

Auf Tour waren wir ein ziemlich hoffnungsloser Fall, völlig unerfahren und undiszipliniert. Allerdings hatten wir jede Menge Spaß. Abgesehen davon, dass wir als seine Vorgruppe fungierten, wurde uns außerdem die Ehre zuteil, während Eltons Set den Hintergrundgesang zu übernehmen, etwa bei Klassikern wie „Rocket Man“ und „Daniel“. Alle verstanden sich prima. Davey Johnstone, Eltons Gitarrist, und Dee Murray, seines Zeichens Bassist, waren echt nett. Außerdem war noch Kiki Dee dabei. Sie war ein echtes Goldstück und sollte bald schon bei Rocket unterschreiben.

Eines Nachts nach der Show befanden wir uns alle zu fortgeschrittener Stunde in Eltons riesiger Suite im Römer Hilton, das damals eine echte Luxusadresse war. Ich lag auf dem gigantischen Himmelbett und las amerikanische Comics, die mir Elton geschenkt hatte. Das Zimmer war voll mit männlichen Balletttänzern, Bandmitgliedern, Eltons Manager John Reid sowie erlesenen Herren und umwerfenden Girls. Sowohl Speis und Trank als auch Drogen waren im Überfluss vorhanden.

Irgendwann entschwand ich ins Bad, nur um schon bald mit einem Handtuch um den Kopf und in einen Bademantel gehüllt wieder herauszuhüpfen. Alles nur, um bei diesen Fashionistas und der Hautevolee Aufmerksamkeit zu erregen. Ein kleiner Kerl beobachtete mich von einer Ecke aus. Er befand sich in Begleitung zweier hübscher Mädchen, die mich fragten, ob ich mich ihnen anschließen wollte. Er erzählte mir, dass die beiden Mädchen als Schauspielerinnen in seinem neuen Film mit dem Titel Was? mitwirkten. Dieser Streifen handelte, soweit ich das mitbekam, von den erotischen Phantasien des Mannes. Der Typ fragte mich, ob ich darin mitspielen wollte. Ein verlockendes Angebot für einen jugendlichen Tunichtgut aus Sunderland.

Ich dachte mir, dass ich zumindest meine Ehefrau darüber informieren sollte, weshalb ich Pam anrief, um ihr mitzuteilen, dass ich noch eine Woche in Italien bleiben müsste, weil mir ein Regisseur eine Rolle in seinem Film angeboten hatte. Ich konnte ihr allerdings nicht erzählen, von was der Film handelte oder wie der Regisseur hieß. Das muss ihr sehr verdächtig vorgekommen sein. Der Gegensatz, dass ich mich gerade auf einer ausschweifenden, dekadenten Party in Rom aufhielt, während sie am anderen Ende der Leitung das Gemeinschaftstelefon auf dem menschenleeren Gang unseres zugigen Wohnhauses benutzte, dürfte ihr ganz sicher nicht entgangen sein. Ich schwafelte weiter, wie wichtig es doch für mich wäre, ein neues kreatives Feld zu erschließen. Pam hörte mir geduldig zu. Dann sagte sie nur kurz und bündig: „Komm sofort nachhause!“ Und hängte auf.

25 Jahre später aß ich gerade mit meiner aktuellen Frau Anoushka im Hôtel Costes in Paris zu Abend, als ein Herr zu uns an den Tisch kam und sagte: „Hey, bist du nicht der Junge aus Eltons Zimmer in Rom?“ Wir unterhielten uns ungefähr fünf Minuten lang über diesen Abend. Anoushka war beeindruckt. Als der Mann sich schließlich verabschiedet hatte, sagte sie: „Wow, du kennst Roman Polanski!“ Ich bejahte dies selbstverständlich, aber ehrlich gesagt hatte ich keinen Schimmer, wer er war – oder warum er mich in seinem Film hatte haben wollen.

* * *

Longdancer hatten ein Album aufgenommen und waren mit Elton John durch England und Italien getourt. Allein traten wir außerdem noch in den Niederlanden, Frankreich und ein paar anderen Ländern auf. In Deutschland war allerdings Endstation für uns. Wir waren gerade in Hamburg, als Kai einen Zusammenbruch erlitt. Wir gingen uns alle gegenseitig auf die Nerven. Auf der Feier anlässlich der Veröffentlichung unserer Platte in Deutschland, die ein absolutes Fiasko war, erreichten wir den Tiefpunkt. Kai spazierte an einem Balkongeländer entlang und drohte damit, sich vor der deutschen Presse hinabzustürzen. Ich zog mich daraufhin in ein Badezimmer des Penthouses zurück, weil ich nichts damit zu tun haben wollte, und legte mich in die Wanne. Die Tür schwang auf und mehrere Fotografen drückten auf die Auslöser ihrer Kameras. In puncto Berichterstattung war der Event also ein voller Erfolg – für die Journalisten. Auch wenn Kai nicht vom Balkon gesprungen war.

Später sollten wir noch für die Medienvertreter in einem Hamburger Club einen Live-Auftritt absolvieren. Allerdings war die Performance einigermaßen durchwachsen, da wir im Prinzip die zugedröhnte Aufführung wiederholten, die uns ursprünglich unseren Plattenvertrag beschert hatte. Zwar existierte Longdancer noch für eine kurze Weile, aber im Grunde genommen war dies bereits das Ende. Es war vorbei.

Das Leben in London ging aber weiter. Pamela jobbte als Krankenschwester, während ich daran arbeitete, alle möglichen Drogen – in erster Linie aber LSD –auszuprobieren. Ich nahm es wahrscheinlich alle drei Tage. Nach einer Weile schlug Pam dieses Verhalten echt aufs Gemüt. Ich war völlig durchgeknallt. So hatte ich etwa meine eigene Sprache niedergeschrieben, damit wir uns in ihr unterhalten konnten. Totales Kauderwelsch. Jahre später kam mir dieses Papier noch einmal unter und es war nur Gekritzel, das nicht den geringsten Sinn ergab.

Wir waren anders als jedes andere verheiratete Paar zu jener Zeit, da Pam arbeiten ging und ich zu Hause blieb. Das Problem war, dass ich zu viele Drogen einwarf. Sie kam oft nachhause und fand mich, wie ich an die Wand starrte. Oder es waren noch andere Leute da und alle rauchten Thai-Sticks. Wir lebten uns auseinander. Pam hatte einen anständigen Job und ich war alles andere als anständig.

Ich fing an, als Plattenverkäufer auf dem Camden Lock zu arbeiten, womit ich zu den ersten gehörte, die dies taten.

Ich fuhr zu einem Lagerhaus, um Reggae-Platten von Trojan Records und Import-Scheiben von Leuten wie Neil Young oder Joni Mitchell zu kaufen, aber stets mit Rückgaberecht. Ich hörte zwar immer noch Musik, hatte aber aufgehört, selbst welche zu machen. Dafür besaß ich nun einen Schallplattenstand, der in Marihuana-Rauch eingehüllt war.

Dann ergatterte ich einen Stand in Swiss Cottage. Eines Tages, als sich der Rauch verzog, fiel mir der Typ am Nachbarstand auf, der Obst und Gemüse verkaufte. Später weihte er mich ein, dass das Grünzeug nur Fassade war. Seine Haupteinnahmequelle bildete gestohlener Schmuck, den er hinter den Pastinaken verbarg. Er war ein interessanter Charakter, womöglich zehn bis fünfzehn Jahre älter als ich, den ein unheimliches Flair umgab. Wir entstammten total unterschiedlichen Welten. Er kam aus dem Londoner East End, verfügte über einen kriminellen Hintergrund und war sogar schon mal im Knast gewesen.

Eines Morgens schlug er vor, dass wir uns zusammentun und gemeinsam einen kleinen Plattenladen aufmachen sollten. Es wurde schließlich der kleinste seiner Art in ganz London. Er befand sich im Eingangsbereich der U-Bahn-Station Kilburn.

Der Name stammte von mir: Small Mercies. Ich wollte damals meine nächste Band ebenfalls Small Mercies nennen und der Plattenladen sollte mir helfen, sie zu finanzieren.

Bald schon fühlte ich mich jedoch wie ein echter Einzelhandelsunternehmer, der am Morgen seinen Laden aufschloss, den ganzen Tag dort abhing und am Abend wieder dicht machte. Mein Geschäft erfreute sich großer Beliebtheit, vor allem was unsere Dub-Reggae-Platten anging. Wir hatten etliche jamaikanische Kunden, weshalb auch dieser Laden schon bald wieder von Marihuana-Rauch umhüllt war. Das war allerdings ein Problem in einer Londoner U-Bahn-Station. Auch bei meinem Partner Ray, der jeglichen Kontakt mit der Polizei mied, kam das nicht gut an.

Die jamaikanischen Kunden und die afrikanischen Musiker inspirierten mich allerdings dazu, wieder Musik zu machen. Ein sehr großgewachsener und attraktiver Typ spielte etwa bei der Band Osibisa und lud mich zu einem gemeinsamen Jam ein. Ich fing also wieder an, Gitarre zu spielen. Diese Phase, als ich auf dem Markt arbeitete und meine Telecaster nur in der Ecke herumstand, war die längste Zeitspanne in meinem Leben, in der ich keine Gitarre anfasste.

Osibisa bedeutet „rhythmischer Mischmasch, der zur Glückseligkeit führt“. Ein treffender Name. Hier erlernte ich all diese schrägen rhythmischen Spielarten, die ich später auf Eurythmics-Platten zum Einsatz bringen sollte. Die Bandmitglieder von Osibisa kochten außerdem ganz vorzügliche afrikanische Gerichte und ich beschäftigte mich intensiv mit afrikanischer und karibischer Kultur, was meinen Horizont stärker erweiterte, als ich mir je hätte vorstellen können. Abgesehen davon erhielt ich so einen völlig neuen Eindruck von London.

Der Plattenladen kam jedoch zu einem abrupten Stillstand – genauso wie ich selbst auch, als ich in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt wurde. Es war nicht meine Schuld. Ich fuhr den kleinen Minivan, in dem wir die Schallplatten transportierten, als ein Typ aus einer Seitenstraße herausschoss und mit seinem Ford Zodiac – einer Karre, so massiv wie ein Sherman-Panzer – in mich hineindonnerte. Ich kann mich an den Zusammenstoß kaum noch erinnern. Alles, was ich noch weiß, ist, wie ich in einem Garten wieder zu mir kam und die Polizei bereits eingetroffen war. Als ich die ganzen Bobbys sah, dachte ich zuerst, sie wären gekommen, um Ray festzunehmen. Ich wurde mit dem Rettungswagen ausgerechnet ins Whittington-Krankenhaus in Highgate gebracht, wo Pam arbeitete. Auf dem Weg dorthin fiel mir ein, dass meine Taschen voll mit Ganja waren, weshalb ich unter der Decke meine Jeans öffnete und den Stoff in meine Unterhose stopfte.

Als ich im Behandlungszimmer eintraf, schnitten mir zwei Krankenschwestern die Jeans vom Leib. Ich gab vor, komplett im Delirium zu sein. Durch lautes Schreien wollte ich verhindern, dass sie mein Geheimfach entdeckten. Die Polizisten versuchten, mich zu beruhigen, indem sie mir gut zuredeten: „Alles in Ordnung, Junge. Alles wird gut. Die Mädchen machen nur ihren Job.“

In diesem Moment kam Pam zur Tür rein – einer der glücklichsten Zufälle meines Lebens. Zunächst dachte sie, ich würde mich nur schämen, mir meine Hose ausziehen zu lassen, weshalb sie mich zu beruhigen versuchte: „Alles ist gut, das ist nichts, was sie nicht schon gesehen hätten.“

Ich sagte den Schwestern und den Bullen, dass Pam meine Frau wäre und ich gerne einen Augenblick allein mit ihr wäre. Da sie sich davon erhofften, dass ich mich dann beruhigen würde, verließen alle den Raum. Daraufhin zog ich das Ganja aus meiner Unterwäsche.

Sie sagte nur: „Ach, du verdammte Scheiße.“ Als Nächstes ließ sie das Zeug in den Taschen ihrer Uniform verschwinden. Ich glaube, dass ich damit das Fass zum Überlaufen brachte. Nun brachte ich die Probleme sogar an ihren Arbeitsplatz.

Danach entwickelten wir uns zusehends auseinander. Sie freundete sich mit Barry Dransfield an, einem anderen Musiker aus unserem Freundeskreis, und ich ermutigte sie, ihre Zeit mit ihm zu verbringen. Ich schlug ihr sogar vor, dass sie mit ihm schlafen sollte, als wir alle gemeinsam etwas Zeit in einem Landhaus verbrachten. Barry trat mit seinem Bruder zusammen als die Dransfields auf und machte sich in der Folk-Szene überdies auch als Solo-Performer einen Namen. Ich war glücklich darüber, dass sie zusammen waren, wenn es das war, was sie wollten. Schließlich kam ich zu der Einsicht, dass wir vielleicht ein klein wenig zu jung gewesen waren, als wir geheiratet hatten.

Allerdings hätte Barry uns drei auch eines Abends beinahe um die Ecke gebracht. Wir tranken im Queens Pub in Crouch End, das damals wegen dort ablaufender Drogendeals berüchtigt war. Es war ein wildes Pub mit Live-Musik, wo auf den Tischen getanzt wurde. Barry und ich hatten aufgrund unseres mangelhaften Verhaltens bereits in der Railway Tavern Lokalverbot, weshalb wir nun still an unseren Biergläsern nippten und versuchten, uns unauffällig zu benehmen. Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass wir Secanol eingeworfen hatten, eine Droge, die einen eigentlich vor chirurgischen Eingriffen ruhigstellen soll. Irgendwann beschlossen wir, zurück zu Barrys Wohnung zu gehen, um zu kiffen. Ich lud meinen Kumpel Dave Mahoney ein, sich uns anzuschließen. Dave war ein hervorragender Saxofonist, aber auch besessen von Heroin und Morphium. Eigentlich war er von jeder Droge besessen.

Als wir aufbrachen, sah ich, dass Barry noch eine Secanol einwarf. Ich sagte zu ihm, dass er unter Einfluss von Pillen und Alkohol nicht fahren sollte. Er meinte aber, dass es ihm gut ginge und wir uns ohnehin ganz in der Nähe befänden. So stiegen wir alle in den Ford Transit der Dransfields: Pam und ich saßen vorne, Dave Mahoney hinten und Barry hinterm Steuer. Dann ging es plötzlich drunter und drüber. Barry legte den ersten Gang ein, lenkte auf die Fahrbahn und verlor praktisch sofort das Bewusstsein. Allerdings stand er immer noch auf dem Gaspedal. Wir zogen mit einem solchen Schwung ab, dass Pam und ich nach hinten zu Dave Mahoney geworfen wurden, als unser Sitz nachgab. Dann wurden wir wie Puppen durch den Innenraum des Fahrzeugs geschleudert, während wir den Crouch End Broadway hinaufjagten. Barry schlief dabei tief und fest und hing auf dem Lenkrad. Bevor wir in den Uhrturm rasten, gelang es mir irgendwie Barry wegzuziehen. Ich versuchte, im Stehen zu lenken, aber ich konnte seinen Fuß nicht bewegen, der zwischen Gaspedal und Kupplung festhing, als wir den Crouch Hill hinaufschossen. Das alles kam mir vor wie der längste Autounfall aller Zeiten. Pam schrie und die Secanol-Pillen purzelten durch den Van. Unbeeindruckt davon warf Dave sie ein. Später erklärte er, er habe gedacht, wir würden alle verhaftet werden.

Ich schaffte es, uns an der Railway Tavern vorbeizunavigieren und lenkte uns in die Hornsey Lane. Schließlich kamen wir zum Stehen, wobei wir an einer Reihe geparkter Wagen entlangschrammten. Mahoney, Pam und ich entkamen dem Wrack durch die Heckklappe. Barry hing noch über dem Lenkrad, als die Polizei aus allen Richtungen am Unfallort eintraf. Pam und ich sahen zunächst wie unbeteiligte Passanten aus, die versuchten, Barry aus dem Auto zu befreien. Gerade als zwei stämmige Polizisten uns zu Hilfe kamen, öffnete Barry aber ein Auge und sprach mich direkt an: „Dave, wir können immer noch abhauen.“

Ich setzte ein verwirrtes Gesicht auf und sagte: „Er muss phantasieren, Officer.“ Ich wich zur Seite, damit die Cops übernehmen konnten.

Mittlerweile war die halbe Straße voll von in Pyjamas gekleideten Anrainern und während die Szene immer unübersichtlicher wurde, schlichen sich Pam, Dave Mahoney und ich davon. Als wir zu Hause eintrafen, zitterte Pam und ging ins Bett, während ich versuchte, Dave dazu zu bewegen, es ihr gleichzutun. Gegen drei Uhr morgens vernahmen wir einen Mordsradau aus der Küche. Dort fanden wir Dave auf dem Boden, bedeckt mit Tellern, Untertassen und Besteck, wie er versuchte, eine Dose seitlich mit einem Schraubenzieher zu öffnen. Er lächelte mich an und fragte: „Willst du auch was?“

Pam und ich beschlossen, aus unserer Wohnung auszuziehen und in einem Londoner Squat unterzukommen. Alles wurde zunehmend beängstigender für Pam. Alles war einfach zu unsicher. Wir hatten überhaupt kein Geld und die Londoner Mietpreise waren ziemlich überzogen, weshalb ich die Idee hatte, in einen Squat zu ziehen, um Geld zu sparen.

Kurz vor unserem Umzug verkündete sie, dass sie etwas Erspartes hätte und Ann Zadik von Island Music in Amerika besuchen wollte, die mittlerweile einen Amerikaner geheiratet hatte und in Laguna Beach lebte. Als Pam dort war, begriff sie schon bald, wie stürmisch und chaotisch ihr Leben in London war, als sie es mit Laguna und dem kalifornischen Lebensstil verglich. Sie verliebte sich förmlich in die Vorstellung, von nun an dort zu wohnen, vor allem, da wir uns ja schon auseinandergelebt hatten.

Während ihres USA-Aufenthalts, der sich eine Ewigkeit hinzuziehen schien, traf sie jemand Neues – ebenso wie ich auch. Sie hieß Katy und inspirierte mich dazu, wieder mit dem Songwriting anzufangen, was ich schon lange nicht getan hatte. Einer der Songs, die ich schrieb, handelte von ihr – und an diesem Abend blieb sie schließlich bei mir.

Am nächsten Morgen, als wir gerade ins Auto stiegen, damit ich sie zur Arbeit fahren konnte, wurde ich von der Polizei festgenommen. Ich hatte etwas Gras dabei und erklärte, dass Katy nichts damit zu tun hätte, weshalb die Bullen sie gehen ließen. Ich hingegen saß in der Tinte und musste mit aufs Revier und später noch zum Amtsgericht.

Pam kehrte schließlich zurück und obwohl unsere Beziehung längst den Bach runtergegangen war, zogen wir mit dem Dichter Tim Daly und seiner Freundin Pauline zusammen. Sie hatten eine Wohnung und es war noch genug Platz für uns beide. Zuerst hatten wir uns ein Haus geteilt, dann in einem eigenen Apartment gewohnt – und nun lebten wir in einem Zimmer in der Wohnung von anderen. Es war total klaustrophobisch.

Ungefähr zur selben Zeit wurde ich von Transatlantic Records kontaktiert. Dort wollte man wissen, ob ich mit einer ihrer Bands namens Sadista Sisters arbeiten würde. Ich kannte Jude, die Leadsängerin, und ebenso Teresa d’Abreu und Linda Marlowe. Zuerst bestand das Line-up aus sage und schreibe neun Frauen. So etwas wie sie hatte ich noch nie gesehen oder gehört. Sie spielten weder Rock’n’ Roll noch Soul oder Folk. Sie waren vielmehr ein feministisches Underground-Theater-Ensemble, das Musik machte. Judes Style war auf gewisse Weise prä-Punk. Das Fringe-Theater, das sich langsam entwickelte, hatte Frauen in puncto Rollen nur wenig zu bieten. Nicht einmal im Publikum zu sitzen, stellte eine echte Option dar, und die Sadista Sisters waren als direkte Reaktion auf das von Männern dominierte Theater der Siebzigerjahre gegründet worden.

Jude war in Kalifornien als Trapezkünstlerin aufgetreten, hatte in einem an Grotowski orientierten Ensemble namens KISS in Frankreich gearbeitet und war außerdem Mitglied von Steven Berkoffs ersten Ensembles, die in Wien und am Londoner Roundhouse auftraten. Um genau zu sein, hatten Teresa und Jude die Sadista Sisters als direkte Reaktion auf ihre Zusammenarbeit mit dem brillanten, aber auch frauenfeindlichen Steven Berkoff aus der Taufe gehoben.

Jude war im fünften Monat schwanger, als sie einen Album-Deal mit Transatlantic unterzeichnete. Sie wusste nicht, dass sie schwanger war, und erschrak zu Tode, als sie es herausfand. Sie hatten eine großartige Presse, als sie eine Spielzeit lang in Ronnie Scotts Club auftraten. Judes Baby kam praktisch auf der Bühne zur Welt.

Jude war vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als ich und hatte wirklich schon viel hinter sich. Ein paar Jahre zuvor hatte sie in Amerika gelebt und eine Rolle in einem Film bekommen, doch in der Nacht vor dem ersten Drehtag fing ihr Nachthemd Feuer, als sie sich einen Toast machen wollte. Als ihr Mitbewohner nachhause kam, stand er nur da und sah zu, weil er auf LSD war. Außerdem hatte er einst schon das Haus seines Vaters niederbrennen gesehen. Er verstand wohl nicht, dass das real war. Jude erlitt Verbrennungen dritten Grades und ihr wurde mitgeteilt, dass ihr Arm amputiert werden müsste. Da allerdings kein Familienmitglied da war, das das entsprechende Formular hätte unterzeichnen können, musste sie sich einer schmerzhaften Hauttransplantation unterziehen.

Als sie mir dies erzählte (und ihre Geschichten wurden immer seltsamer), erschien sie mir zunehmend faszinierender und ich verknallte mich mordsmäßig in sie. Es war das erste Mal, dass ich eine weibliche Künstlerin kennenlernte, die gleichzeitig extrem stark, sexuell provokant und anarchisch war. Sie hatte eine gut ausgeprägte Vorstellung von dem, was sie tun wollte und wie sie es bewerkstelligen würde.

Ich stürzte mich Hals über Kopf in diese Beziehung. Jedoch war ich dummerweise sehr naiv in Bezug auf dieses Verhältnis, immerhin wusste ich, dass sie eine zweijährige Tochter namens Amy hatte. Ich hatte keine Vorstellung von der Verantwortung, die ein Kind mit sich bringt. Doch war ich geradezu liebestrunken, gebannt von ihrem Zauber und sexuell betört.

Ich hatte auch keine Ahnung von Theater und verstand nicht, warum eine feministische Theatertruppe männliche Musiker anheuerte. Angeblich zwang sie das Label dazu. Zugegeben, die meiste Zeit war ich verwirrt, aber auf mich wirkte dies alles so verrückt, bahnbrechend und stimulierend – und nach den Proben hatten Jude und ich oft leidenschaftlichen Sex. Zu jeder Zeit und überall. Ich war verrückt nach ihr und erklärte mich bereit, mit den Sadista Sisters und ihrer gesamten Entourage auf Tour zu gehen.

Unsere erste gemeinsame Tour war recht interessant – gelinde gesagt. Nach den extravaganten Elton-Touren ging es hier ums blanke Überleben. Zuerst lebten wir in einer Art Armeelager in den niederländischen Wäldern. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern, außer dass ich jede Nacht mit Jude auf dem Boden einer Hütte schlief. Das war alles sehr romantisch, die Art von Romantik eben, die man mit verarmten Künstlern assoziiert. Als wir dann schließlich auftraten, war es die vielleicht am schlechtesten organisierte Tour, an der ich je teilnahm. Da keiner von uns Geld hatte, mussten wir sogar als Straßenmusikanten auftreten.

Ich erfand mich neu als jemand, der sich an jedes Datum, jeden Namen – einfach alles – mit einem Fingerschnippen erinnern konnte. So wurde ich zu „Memory Man“. Der Witz dabei war, dass ich mich an gar nichts erinnern konnte. In Stuttgart ergatterte ich etwa einen Auftritt in einem Club, und zwar vor den Stripperinnen. Als den Gästen mitgeteilt wurde, dass nun der Memory Man käme, wurden alle sauer, weil sie mit Striptease gerechnet hatten. Ich hatte immer jemanden im Publikum, der mir in die Karten spielte und mir zurief: „Wer gewann 1962 die Fußballweltmeisterschaft?“ Aber natürlich erinnerte ich mich an nichts mehr, bis ich langsam einen Nervenzusammenbruch erlitt und von der Bühne getragen werden musste. Das war meine Masche. (Jahre später inspirierten mich meine Abenteuer als Memory Man zu einer Graphic Novel namens Walk In. Der Titel leitete sich von der Vorstellung ab, dass die Seele einer Person einen Körper verlässt und in eine andere Seele „einmarschiert“. Das passiert in der Regel bei einem Unfall oder einem traumatischen Erlebnis. Ich rätsele manchmal darüber, ob mir das vielleicht widerfahren ist, als ich drauf und dran war, den Löffel abzugeben. Eine solche Erfahrung – da bin ich mir sicher – hatte ich zu Beginn unserer nächsten Tour.)

Jude und ich sonderten uns langsam vom Rest der Band ab, sodass eine gewisse Spannung in der Luft lag. Ich beschloss, meinen Freund Eddie aus Sunderland, der für Longdancer als Roadie gearbeitet hatte, einzuladen, mit uns auf Tour zu kommen und uns zu helfen. Da Jude und ich ein Paar waren, wurde das Gefüge der Gruppe brüchig, weshalb wir beschlossen, in einem separaten Auto zu reisen. Ich mietete uns eines im selben niederländischen Hafen, in dem wir Eddie abholten. Dann fuhr ich damit bis nach Deutschland, wo Eddie sich dann hinters Lenkrad setzte.

Eine falsche Abzweigung später fanden wir uns schließlich als Geisterfahrer auf der Autobahn wieder. Es war spät in der Nacht und die Autos kamen uns mit 130 Stundenkilometer entgegen. Eine Sekunde lang war alles wie in Zeitlupe. Dann schrie ich: „Falsche Richtung!“ Aber es war schon zu spät. Ein Wagen krachte frontal in uns rein und wir drehten uns um die eigene Achse. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, nur daran, wie das Glas zerbarst. Ich war total außer mir, weil die kleine Amy auf der Rückbank war und aus dem Auto geschleudert wurde. Sie überlebte aber wie durch ein Wunder ohne schwere Verletzungen. Jude erlitt schwere innere Blutungen. Und ich war zerschunden und zerkratzt. Es war ein schrecklicher Crash, der es auf die Titelblätter der deutschen Tageszeitungen schaffte, weil er eine Massenkarambolage verursachte. Es war echt ein Wunder, dass niemand ums Leben kam, allerdings gab es viele Schwerverletzte.

Wir wurden in ein Krankenhaus in Wilhelmshaven eingeliefert. Jedoch verstanden wir kein Wort von dem, was die Ärzte und Krankenschwestern sagten. Es war auch nur eine Person vor Ort, die dolmetschen konnte – ein richtiger Albtraum eben. Als Nächstes wurden wir nach Hamburg gefahren. Die Geschichte hatte auch verheerende Auswirkungen auf Judes und meine Beziehung, da das Erste, was geschah, nachdem wir uns in unserem eigenen Auto auf dieses Abenteuer eingelassen hatten, ein Verkehrsunfall war.

Dann waren wir in Hamburg gestrandet, weil das Label sich weigerte, uns zu helfen. Wir überlebten nur dank Judes langjähriger Freundin Heidi Gudrun, einer Bahlsen-Erbin, die uns Tausende von Deutschmark pumpte und uns zwei Wochen lang in ihrer Berliner Wohnung bleiben ließ. Gudrun war durch Ostdeutschland gefahren, um Amy abzuholen, weil Jude wegen ihrer inneren Blutungen eine Woche lang allein im Krankenhaus lag und wir uns nicht um sie kümmern konnten. Gudrun schmuggelte Amy ohne Papiere durch den Eisernen Vorhang – wie in einem Roman von John Le Carré.

Damit war unsere Beziehung zu Ende. Jude und ich sprachen und trafen uns erst in England wieder. Alles erschien wie ein unglaublicher Acid-Rausch, der sich schlagartig in einen Horrortrip verwandelt hatte. Ich mochte sie so sehr und respektierte sie auch als Künstlerin. Mir lag viel daran, wieder mit ihr zusammenzukommen, aber ich wusste, dass dieser Traum ausgeträumt war.

* * *

Das war 1975 und damals war ich zum ersten Mal, seitdem ich 17 gewesen war, auf mich selbst gestellt. Es kam zu Streiks und Stromabschaltungen. Margaret Thatcher ersetzte schließlich Edward Heath und wurde Premierministerin. Punk-Musiker forderten schon bald die Rockstar-Millionäre in ihren Schlössern heraus. Ich lebte im winzigen Apartment meiner Mutter, einem kleinen Zimmerchen mit einem intensiv violetten Teppich und einer Kochnische, die mit großen schwarzen und weißen Fliesen ausgelegt war – kein guter Ort zum Halluzinieren.

Eines Tages traf ich während einer meiner Spaziergänge Paul Jacobs. Er war ein Freund, den ich schon länger nicht gesehen hatte. Ich kannte ihn von seiner Zeit am Camden Market, wo auch er Schallplatten verkauft hatte. Er eröffnete gerade einen Shop namens Spanisch Moon – benannt nach dem Song von Little Feat. Er weihte mich erst später ein, dass er sich dort nicht eingemietet hatte. Es handelte sich um einen Squat, das ganze Haus war besetzt. Er war gerade eingezogen und der Laden wirkte so seriös, dass alle Leute annahmen, es handelte sich um einen offiziellen Plattenladen.

Als mich Paul also von seinem Laden aus auf der Straße gehen sah, klopfte er gegen die Scheibe und forderte mich auf, einzutreten. Er hatte eine Flasche Jack Daniels da und wir tranken davon, während wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand bezüglich unserer jüngeren Vergangenheit brachten. Gegen sechs Uhr abends sagte er schließlich: „Ich muss dir ein Mädchen vorstellen.“ Er wusste, dass ich Musiker war und mir nichts wichtiger war als Musik. „Ich habe sie gerade erst kennengelernt. Sie kann singen und Harmonium spielen. Ihre Stimme ist echt großartig.“

Ich sagte: „Ja, okay, ich würde sie gerne treffen.“