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Fünf Wochen bis Pfingsten

»Scholle! Scholle! Scholle!«, hallt es im Sprechchor durch die Trakte und die hohe Halle der Justizvollzugsanstalt Flensburg.

»Grüß die Frauen von mir, Scholle!«

»Scholle, immer schön sauber bleiben!«

Viele seiner Mithäftlinge stehen vor ihren Zellen im oberen Stock in dem offenen Gang am Geländer. Die Männer rufen und ziehen Blechgeschirr und Besenstiele ratternd über die Eisengitter des Geländers. Sie johlen, mehrere klatschen, während ihr Mitgefangener durch die große Gittertür hindurch die lange Treppe aus dem Obergeschoss ohne übertriebene Eile fast majestätisch hinunterschreitet. Hinter ihm fällt eine zweite, schwere Gittertür krachend ins Schloss. »Wir sehen uns, Scholle!«

»Scholle, lass dich nich wieder schnappen!«

Altganove Hans-Peter Scholz, genannt Scholle, ist allseits beliebt, bei den Knackis und sogar bei den Vollzugsbeamten. Die JVA Flensburg ist sein Zuhause. Sein halbes Leben hat er hier verbracht. Nach kurzen Zeiten in Freiheit ist er immer wieder zurückgekehrt. Aber damit soll jetzt endgültig Schluss sein.

Der altgediente Schließer seines Zellentraktes gibt ihm die Hand. »Ich sag mal nich … du weißt schon … also, tschüss, Scholle, und alles Gute!«

»Scholle, mach kein’ Scheiß«, ruft einer von oben. Der schmächtige kleine Altknacki sieht durch das zwischen den Stockwerken gespannte Stahlnetz noch einmal nach oben und nickt. Das grelle Deckenlicht fällt in seinen dünnen, flusigen Haarkranz. Er lächelt nicht, aber innerlich grinst er breit. Scholle kann seinen Auszug aus dem Knast genießen, im Gegensatz zu seinem ewigen Rivalen und Erzfeind Ronnie Damaschke, dem vor wenigen Wochen ein spektakulärer Ausbruch aus der JVA Flensburg gelungen war.

»Grüße an Grosche!«, schreit ihm noch eine einzelne Stimme vom äußersten Ende des Zellentraktes hinterher. »Sag ihm, wir vermissen seinen Bienenstich.«

»Er soll ab und zu mal ’n Blech vorbeischicken«, ruft ein anderer.

Scholles Zellennachbar Timo Grosche wurde vor zehn Tagen entlassen und wird schon schmerzlich vermisst. Timo hatte während der Haft eine Bäckerlehre absolviert und mit seinen Vollkornbroten und Butterkuchen aus der Anstaltsbäckerei den gesamten Knast und auch mehrere belieferte Hotels an der Flensburger Förde in Verzücken versetzt.

Scholz ist längst im Rentenalter und würde sich liebend gern zur Ruhe setzen. Aber eine Rente hat er nicht zu erwarten. Einen letzten großen Coup will er deshalb noch drehen, das Super-Ding, von dem er immer geträumt hat. «Das Hirn«, wie Scholle sich selbst gern nennt, will es allen noch mal zeigen. Denn seine bisherigen Coups sind fast alle danebengegangen. Aber jetzt soll es endlich mal klappen. Ein Ausrufungszeichen will er noch setzen, und danach soll dann tatsächlich Schluss sein. Scholle träumt von einer Finca auf Mallorca … oder vielleicht doch lieber von einer kleinen Ferienwohnung an der Ostsee mit Blick auf die Lübecker Bucht.

Eigentlich wollte der Altganove schon immer mit einer elfköpfigen Gang den Tresor des Casinos in Travemünde knacken. Doch die Hälfte von ›Scholles Eleven‹ sitzt dummerweise gerade im Knast. Außerdem hat das altehrwürdige Casino an der Ostsee während seiner letzten Haftzeit endgültig seine Pforten geschlossen.

»Ich hab umdisponiert«, offenbart er seinem langjährigen Weggefährten Charly Kegel, der ebenfalls gerade entlassen worden ist. »Statt Spielbank machen wir die Raiffeisenbank in Schlütthörn.«

»Sch-sch-Schlütthörn?« Kegel ist noch nicht ganz überzeugt. »Wo soll dat denn sein?«

»Ruhiges kleines Kaff oben in Nordfriesland. Wir müssen kleinere Brötchen backen.« Und das meint er wörtlich. Scholle hat eine Idee.