19

Die Trockenhauben heulen, ein warmes Duftgemisch von Shampoo, Haarspray und leicht angebrannten Haaren steht im Raum. Stammkundin Frau Bandixen, die ihr halbes Leben im »Salon Alexandra« verbracht hat und dem Wort Dauerwelle seine eigentliche Bedeutung verleiht, ist in die ›Bunte‹ vertieft. Auch Heike Detlefsen hat heute einen Termin im »Salon Alexandra«. Die letzten Jahre hat die Polizistengattin sich mit dem wilden Heuwagen auf ihrem Kopf arrangiert. Auch ihre regelmäßigen Besuche im Friseursalon haben daran nichts geändert. Aber dann hat sie sich erinnert, dass Alexandra vor längerer Zeit ihre Haare schon mal mit einem Glätteisen behandelt hat. Und jetzt ist Heike mal wieder nach glatten Haaren.

»Heike, willst du schon mal Platz nehmen?« Salonchefin Alexandra weist ihr den dritten, noch freien Friseurstuhl zu. »Janine ist gleich bei dir.«

»Kann Janine denn dat mit diesem Eisen? Nich dat sie mir meine Haare verbrennt oder so.« Das hat Heike sich anders vorgestellt, eigentlich will sie lieber von der Chefin selbst bedient werden. Jetzt ist nicht nur Heike, sondern auch Janine beleidigt.

Aber Alexandra ist voll mit einer neuen Kundin beschäftigt. Die Polizistenfrau begutachtet sie neugierig und wird gleich stutzig. Eines fällt ihr sofort auf, es sind die Haare. Die Frau auf dem Friseurstuhl hat fast dieselbe Frisur wie Alexandra. Es ist vor allem dieselbe feuerrote Haarfarbe. Alexandra und die neue Kundin betrachten sich argwöhnisch über den Spiegel. Dass sie dieselbe Frisur haben, gefällt den beiden Frauen offenbar gar nicht.

»Haben Sie mal an eine andere Farbe gedacht?« Alexandra bindet sich provokant ihre Löwenmähne mit einem Haargummi zusammen. Anschließend fährt sie der Frau mit ihren lackierten Fingernägeln durch die Haare.

»Eine neue Tönung und ein stumpf geschnittener ›Short Bob‹ mit Mittelscheitel oder mit langem Pony bis über die Augenbrauen.« Sie deckt die langen Haare ab, um einen Eindruck von einer Kurzhaarfrisur zu vermitteln. »Der ›Short Bob‹ oder auch der asymmetrische ›Pixie Bob‹ liegen dieses Jahr voll im Trend«, verkündet Alexandra mit rauchiger Stimme. Heike wird auf dem Nebenstuhl auch gleich hellhörig.

»Ich würde meine langen roten Haare gern so behalten.« Auch die Stimme der Kundin klingt ähnlich. Frau Bandixen ist ebenfalls schon aufmerksam geworden und lugt zwischen dem unteren Rand der Trockenhaube und der ›Bunten‹ hindurch.

»Wie bitte? Rote Haare?«, schreit die Stammkundin gegen das Brummen des Trockners an. »Ich will keine roten Haare! Janine, du hast mir doch jetzt nich …?«

»Sie waren gar nicht gemeint, Frau Bandixen …, sondern die neue Kundin. Alles gut!« Sie richtet die Haube neu über dem Kopf der Rentnerin.

Heike taxiert die neue Kundin ebenfalls höchst interessiert durch den Spiegel. Das Haarglätten ist fast schon in Vergessenheit geraten.

»Wenigstens ein paar Strähnchen?« Alexandra gibt die Hoffnung nicht auf.

»Nur die Spitzen.« Die Dame weiß, was sie will, und die beleidigte Alexandra winkt zur Strafe ihre Mitarbeiterin heran. »Janine, wenn du bei Frau Bandixen fertig bist, bei der Dame hier einmal die Spitzen schneiden.«

Auch der Rentnerin ist inzwischen die Ähnlichkeit der beiden rothaarigen Frauen aufgefallen. »Sind Sie mit Alexandra verwandt?«, ruft sie laut, dass es durch den ganzen Salon hallt.

»Wie kommen Sie denn darauf?«, giftet Alexandra gleich zurück. »Nein, wir sind nicht verwandt.«

»Na ja, die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen, dat ist ja fast wie bei Telje und Tadje.« Heike muss an ihre beiden Zwillinge denken, und in dem Zusammenhang fällt ihr auch ein, woher sie die neue Kundin mit den roten Haaren kennt. »Sie kamen mir doch gleich bekannt vor.«

»Waren Sie vielleicht mal bei mir in der Bengali-Gymnastik?«

»Bengali …?« Heike wundert sich. »Nee, wie hieß dat? Zamproni? Zirkus Zamproni? Waren Sie nich bei dem Zirkus, der hier früher immer mal auf dem Schlütthörner Schützenplatz stand? Da musste ich mit den Zwillingen immer wieder hin.«

»Das erinnern Sie noch?« In der Stimme der ehemaligen Artistin klingt ein bisschen Stolz mit.

»Dat war doch so eine Nummer als Schlangenfrau und dann auch mit ’nem Messerwerfer.« Heike erinnert sich jetzt genau. »Dat war schon toll.«

»Zorro und Samira!«

»Genau! Zorro, dat war Ihr Partner, nä, mit so einem schwarzen Hut und so langen Koteletten. So ’n Fu-Manchu-Bart!«