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Eigentlich wollen Thies und Nicole dem ehemaligen Geflügelbaron Dossmann noch einmal einen Besuch abstatten. Aber vorher sind sie erst mal in der Raiffeisenbank in Schlütthörn vorstellig geworden. Sie haben die Hoffnung, dass die Filialleiterin eventuell Beobachtungen in der gegenüberliegenden Bäckerei gemacht hat.

Nicole steuert ihren Mondeo durch die verkehrsberuhigte Zone, parkt zwischen den mächtigen, mit Stiefmütterchen bepflanzten Waschbetonkästen, dann entern die beiden die Bank.

Thies kennt Filialleiterin Wencke Petersen, seit sie bei der Bank in Schlütthörn arbeitet. Er hat hier schließlich selbst sein Konto, und dann hatten Thies und Nicole vor Jahren anlässlich eines Bankraubs schon mal mit ihr zu tun, als sie noch gar keine Filialleiterin war.

»Ja, Wencke, wir wollten mal vorbeigucken, ihr seid ja hier direkt gegenüber von der Bäckerei, und da war ja so allerlei los in letzter Zeit.«

»Tja.« Wencke zuckt mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht recht … das ist wohl alles nicht so gelaufen, wie es sollte. Aber wir sind ja froh, dass wir wieder einen Bäcker haben.«

»Da ist ja kürzlich das Schaufenster zu Bruch gegangen«, kommt Nicole zur Sache. »Haben Sie davon etwas mitbekommen? Das muss ja unüberhörbar gewesen sein.«

»Nein, zunächst mal gar nicht«, wehrt die Filialleiterin gleich ab. »Zu dem Zeitpunkt waren mein Mitarbeiter und ich im Keller bei den Schließfächern. Eigentlich wurden wir erst später auf die Sache aufmerksam, als der Abschleppwagen der Tankstelle mit dem Motorrad auf der Ladefläche hier durch die Fußgängerzone donnerte.«

»Von dem Rocker hast du nichts mitgekriegt?«, will Thies noch mal sichergehen.

»Nee, nur sein Motorrad.« Sie schüttelt den Kopf. »Wir können meinen Kollegen Herrn Sobrinski noch mal fragen … Aber der kann eigentlich auch nichts gesehen haben, wir waren ja zusammen im Tresorkeller.«

»Konnten Sie das Kennzeichen des Motorrads auf dem Abschleppwagen erkennen?« Die Kommissarin gibt die Hoffnung nicht auf.

»Das Kennzeichen?« Sie wendet sich an ihren Mitarbeiter, der jetzt dazukommt. »Hast du etwas erkennen können? Das ist Herr Sobrinski, er ist bei uns jetzt für das Investmentbanking zuständig«, stellt Wencke ihn den beiden vor.

Der Investmentbanker zupft nachdenklich an seinem Haarkamm. »NMS ?« Es klingt zunächst wie eine Frage, aber dann scheint er sich sicher. »Ja, Neumünster.«

»Dat deckt sich mit den anderen Aussagen«, raunt Thies seiner Kollegin zu.

»Ist Ihnen sonst irgendetwas aufgefallen?«, fragt die Kommissarin weiter. »Sie haben ja vermutlich davon gehört, dass wir einen Bäcker tot im Sperrmüll aufgefunden haben. Der Mann wollte wohl die Bäckerei drüben übernehmen.« Sie deutet auf die andere Straßenseite.

»Ja, ich habe den Mann ein paarmal kurz gesehen und dann nicht mehr … zusammen mit seiner Frau, vermute ich …«

»’ne Frau mit so hochstehenden Haarstacheln … in allen möglichen Farben. So ’n bunter Igel?«, will Thies wissen.

»Bunter Igel?« Wencke und ihr Mitarbeiter sehen sich fragend an. »Nee.«

»Die Frau sah anders aus, dunkle längere Haare …« Die Filialleiterin überlegt. »Aber wo du das jetzt sagst, der bunte Igel war auch da, so eingefärbte Stacheln wie …«

»… ’n Igel, der durch ’ne Malerwerkstatt gelaufen ist«, bringt Thies den Satz zu Ende.

»Die war nicht einmal da, sondern öfter«, fällt Wencke jetzt ein. »Die hatte so ein Kapuzenshirt mit einem Anker drauf an.«

Thies und Nicole nicken sich zu.

»Sie war sogar mal bei mir in der Bank und hat sich nach dem neuen Bäcker erkundigt. Aber ich kannte den ja gar nicht.« Auf einmal fällt ihr alles wieder ein. »Ein paarmal soll sie hier wohl nachts auf der Straße vor der Bäckerei herumgeschlichen sein und in die Fenster geguckt haben. Am Anfang auch noch, als der neue Bäckermeister schon da war.«

»Ich habe noch zu Wencke gesagt, für den interessieren sich offenbar mehrere Frauen.« Der Investmentbanker versucht ein Grinsen.

»Mehrere Frauen?« In Thies arbeitet es. Hatte der Ermordete vielleicht mehrere Liebschaften? »Mordmotiv Eifersucht« schießt es dem Fredenbüller Polizeihauptmeister durch den Kopf. »Nicole, dat is ’n Klassiker. Fünfundneunzig Prozent aller Morde sind Beziehungstaten.«

Die Kommissarin sieht ihren Kollegen an und runzelt die Stirn. Irgendwie ist Thies mit seinen Theorien mal wieder etwas vorschnell.

»Da waren nicht nur diese beiden Frauen.« Auch Filialleiterin Wencke überlegt noch weiter. »In den letzten Tagen waren da auch zwei Männer, die Schließfächer angemietet haben, beide an einem Tag. Das hatten wir mehrere Jahre nicht, und dann auf einmal gleich zwei«.

»Na ja, das ist ja nun nichts Außergewöhnliches.« Der Investmentbanker gibt sich geschäftsmäßig und weltgewandt. »In Schlütthörn vielleicht, aber normalerweise …« Er grinst und richtet seinen Haarkamm.