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Je mehr Thies und Nicole recherchieren, desto rätselhafter wird ihnen dieser Mord an dem Bäcker. Gestern war Thies noch fest davon überzeugt, dass die beiden Frauen, von denen Wencke Petersen berichtet hat, die Lösung des Falles sind. Nicole macht sich darüber inzwischen ebenfalls Gedanken.

»Schon seltsam, diese beiden Frauen.« Nicole überlegt, während sie ihren Zivil-Mondeo weiter die Fredenbüller Dorfstraße hinuntersteuert. »Die Ehefrau des Toten haben wir ja kennengelernt.«

»Mit dem Igel auf’m Kopf«, hält Ole Matthiesen noch mal fest. Der junge Polizeianwärter darf bei den heutigen Befragungen mal dabei sein, um auch diesen Bereich der Polizeiarbeit näher kennenzulernen. Nicole hat ihn ermuntert, auch mal eine Frage zu stellen. Schon auf der Fahrt kommt Ole in seiner schusssicheren Thermo-Unterwäsche ins Schwitzen.

»Warum ist sie da vor dem Laden herumgeschlichen?«, fragt Nicole sich. »Als ihr Mann die Bäckerei hatte und offenbar ja auch danach noch? Was hat das zu bedeuten?«

»Der Mann war vermutlich längst tot, und sie läuft da vor dem Laden rum. Was soll das?« Thies streicht sich über seine Haare, die sich auch fast wie ein Igel anfühlen. »Und wer war die andere Frau, von der Wencke erzählt hat?«

»Unser Bäcker hatte ein Verhältnis, er wollte sich von seiner Frau trennen«, spinnt Nicole das Eifersuchtsmotiv weiter. »Die Ehefrau hat ihn beschattet, mit der anderen erwischt und dann …« Sie dreht sich zum Beifahrersitz und sieht ihre beiden Kollegen bedeutungsvoll an.

»Nicole, wir haben mal wieder etliche Verdächtige, wir müssen auch die anderen im Blick behalten. Was ist mit dem jetzigen Bäcker Timo Grosche und seiner Renovierungstruppe?«

»Die sollen den Bäcker ermordet haben?« Die Kommissarin klingt nicht ganz überzeugt.

»Motiv, Mittel, Gelegenheit!« Ole hat die bekannten Standardsätze der Kriminalistik auch schon voll drauf. Thies zeigt ihm anerkennend den nach oben gestreckten Daumen. »Grosche wollte unbedingt die Bäckerei haben, und dann hat er ihn aus dem Weg geräumt mit …«

»Ja, womit?«, nimmt Nicole den Faden gleich auf. »Carstensen hat etwas von Stichwunden gesagt, die wohl todesursächlich waren.«

»Ist er in der Bäckerei erstochen worden?«, fragt sich Thies. »Gibt es in der Bäckerei solche Mordwerkzeuge?«

»Brotmesser?«, schlägt Ole vor. »Oder Tortenheber?«

»Tja, da gibt es viele Möglichkeiten.« Nicole ist etwas ratlos. »Nicht nur in der Bäckerei.«

»Die Backstube sollten wir uns trotzdem mal näher angucken«, meint Thies.

»Irgendwie kann ich mir den netten Bäcker Timo Grosche gar nicht als Mörder vorstellen. Wer so einen guten Bienenstich macht, der bringt keine Leute um«, sagt Nicole im Brustton der Überzeugung. Mit seiner »Deichbiene« hat der »Backbord«-Bäcker nicht nur Bounty, sondern auch Nicole angefixt.

»Er hat aber gesessen«, wendet Thies gleich ein.

Nicole bleibt trotzdem bei ihrer Meinung. Grosche hat keine Gewaltverbrechen begangen, er ist wegen Diebstahls vorbestraft. Nur um eine Bäckerei zu pachten, begeht der doch keinen Mord, meint die Kommissarin.

»Und was ist mit dieser Renovierungstruppe?« Thies findet auf einmal alle verdächtig. »Dat sind doch keine normalen Handwerker, dat is ’ne Truppe aus dem Knast, jede Wette. Diese beiden Typen aus der Bäckerei, die in der ›Hidden Kist‹ aufgekreuzt sind, sind doch auch nich astrein.«

»Komm, Thies, du siehst mal wieder Gespenster.«

»Da turnen Gestalten in der Bäckerei rum, die sollten wir uns zumindest mal ansehen.« Thies sieht Nicole und dann vor allem den Polizeianwärter auffordernd an.

»Personalien aufnehmen …«, Ole überlegt, »… und dann die Angaben durch unseren Computer laufen lassen, dann wissen wir, ob was vorliegt.«

Thies zeigt ihm wieder den Daumen.

Für heute haben sich die drei mehrere Befragungen vorgenommen. Allmählich müssen sie mal weiterkommen. Aber oft schaffen Thies und Nicole dann doch nur die Hälfte. Sie sind unterwegs zum ehemaligen Hühnerbaron Dossmann. Thies hatte heute Morgen von dem Makler Askan von Rissen ein paar neue Hinweise bekommen. Angeblich hatte sich der Geflügelbauer bei dem Makler vehement für den Großbäcker Hagemeister eingesetzt, damit dieser in dem Schlütthörner Laden eine weitere Filiale seiner »Backecke« eröffnen könne. Die beiden Unternehmer hatten etliche Jahre zusammen im Kreistag gesessen und dort hinter den Kulissen allerlei dubiose Deals auf den Wieg gebracht. Dossmann war wohl recht rabiat im Büro von »Real Estate Nordfriisk« aufgetreten.

Auf dem Weg zu Dossmann schauen sie noch schnell bei Sönke in der Schlütthörner Tankstelle vorbei. Sie müssen allmählich mal das Kennzeichen und den Halter des Motorrades ermitteln. Es geht zunächst um Sachbeschädigung, das zerschlagene Schaufenster. Oder hat der Rocker vielleicht etwas mit ihrem Mordfall zu tun?

Doch von dem Kennzeichen hat Sönke auch nur die Buchstaben NMS in Erinnerung. Und Schreibarbeiten sind nicht so seine Sache. Nach längerem Suchen hinter dem Tankstellentresen findet er auf einem Notizblock zumindest noch einen Namen, Mario Koschitz, der aber genauso gut falsch sein könnte.

»Komischer Typ irgendwie«, brummt der Tankwart und steckt sich eine Zigarette in das ölverschmierte Gesicht. »Dem hatten sie mächtig einen verpasst, zwei blaue Augen, und auch sonst war er ziemlich demoliert.« Er deutet auf verschiedene Teile seines Gesichtes. »Aber dat Ding war seine Maschine. Sehr merkwürdig. Ich hab ewig gebraucht, den Schaden zu finden.«

»Und, woran lag es? Sönke, rück schon raus damit!« Thies wird ungeduldig.

»Er hatte Zucker im Tank.«

»Zucker im Tank is tödlich«, bemerkt Polizeianwärter Ole.

»Dem hatte jemand ’ne ganze Tüte Zucker in seinen Tank gekippt. Benzinfilter, Einspritzdüsen, alles verstopft. Unglaublich, so was hab ich noch nich gesehen.«