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Das Dixi-Klo ist neben WC und Urinal mit einem Spiegel, einem Kleiderhaken und einem sogenannten Doppelentlüftungssystem ausgestattet. Nur einen Sehschlitz hat das Dixi leider nicht. Und den braucht Ole Matthiesen ganz dringend, um die Raiffeisenbank im Blick zu haben. Mit seinem Schweizer Taschenmesser, das er immer dabeihat, hat er sich einen schmalen Spalt in den blauen Kunststoff der Kabine geschnitzt, durch den er die Bank und auch die Bäckerei einigermaßen im Blick hat. Der Blick in die Einkaufsstraße wird durch die Plakatwand Highspeed für zuhause weitgehend versperrt.

Sonderlich komfortabel ist es im Dixi-Klo nicht. Die meiste Zeit steht Ole. Zwischendurch nimmt er immer mal wieder kurz auf dem WC Platz. Doch aus dieser Position kann er nicht nach draußen sehen. Außerdem wird es langsam warm in der engen Kabine. Die Thermo-Unterwäsche ist im Frühsommer doch nicht so praktisch. Seine Polizeijacke hat er inzwischen ausgezogen. Ein Kleiderhaken ist ja vorhanden. Wenigstens hat er sich eine große Wasserflasche mit in die Kabine genommen. Zum Klo hat er es ja nicht weit.

Viel passiert ist bisher nicht. Immer noch strömt die Kundschaft in die Bäckerei, verlässt mit riesigen Brottüten und Kuchenpaketen den Laden. Die Bank hat mittlerweile geschlossen. Eben hatten noch drei Kunden den Schalterraum betreten und wieder verlassen. Ganz sicher ist sich Ole allerdings nicht, ob alle drei wieder herausgekommen sind. Auf jeden Fall hat ein Bankmitarbeiter die automatische Glaseingangstür gesperrt.

Am Eingang ist nichts Verdächtiges zu beobachten. Wenn hier etwas passieren sollte, dann ja auch im Inneren und wahrscheinlich, für ihn nicht sichtbar, im Keller der Filiale. Hören kann er von der Bank auch nichts. Von der anderen, der Sichtscharte abgewandten Seite schallt der lärmende Diesel und das Schürfen der Baggerschaufel im Sand herüber. Der Krach kommt von Minute zu Minute immer näher. Dann erstirbt der Zweiklang vom Tuckern des Dieselmotors und dem Schürfen der Baggerschaufel auf einmal. Stattdessen ist der Fahrer lautstark zu hören.

»Ich glaub, es hakt! Dat darf ja wohl nich wahr sein. Was is dat denn?« Glasfasermann Dennis Wiese steigt offenbar von seinem Sitz und krabbelt in den gerade ausgehobenen Graben. Sehen kann Ole das nicht.

»Was ist denn los?«, fragt eine vom Einkaufen kommende Passantin. »Will es nich recht weitergehen?«

»Sie sind gut.« Wiese klingt entrüstet. »Dat is ’ne Bombe!«

»Eine Bombe? Meinen Sie wirklich?«

»Wat soll dat sonst sein?!« Wiese klingt überzeugt und fast ein bisschen stolz. »Dat is ’n Fall für ’n Räumkommando. Dat muss erst mal alles abgesperrt werden … wir müssen die Polizei anrufen.«

Matthiesen im Dixi-Klo wird unruhig. Er ist die Polizei, aber er kann sich ja hier jetzt nicht outen. Er hat einen Auftrag. Er muss in Deckung bleiben. Sonst gefährdet er die ganze Operation.

»Wieso nimmt da niemand ab?« Jetzt ist die Stimme von Dennis Wiese ganz nah. »Niemand zuhause bei der Polizei … dat gibt’s doch nich.«

Und dann wird der Türgriff der Klokabine betätigt. Ole zuckt zusammen. Aber er hat natürlich abgeschlossen.

»Besetzt, dat is ja komisch.« Wiese rüttelt an der Tür. »Hallo, is da jemand drin?!«

Ole sagt keinen Piep und rührt sich nicht. Er muss hier in seinem Beobachtungsstand unerkannt bleiben.

»Was is dat schon wieder für eine Scheiße?« Wiese schlägt mit der flachen Hand auf die Tür. »Dat is unbefugte WC -Benutzung.« Und dann leiser zu sich selbst. »Oder haben die Heinzel von Dixi dat abgeschlossen? Hast nur Ärger mit den Klos!« Mit Toiletten hat Dennis tatsächlich kein Glück, das war schon in seiner Zeit als Zugbegleiter im Nord-Ostsee-Express so.

Aber dann zieht Wiese wieder ab. Ole wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er ist kurz davor, sich der schusssicheren Unterwäsche zu entledigen. Doch dann fällt ihm ein, hier findet möglicherweise gleich ein Bankraub statt, und dabei könnte es durchaus zu Schusswechseln kommen. Ole hat so seine Erfahrungen.

In der Fußgängerzone wird es ruhiger. Dann sieht er eine Frau auf den Eingang der Bank zulaufen. Am Eingang tippt sie einen Code ein, worauf die automatische Glastür sich öffnet. Matthiesen meint, die Filialleiterin zu erkennen. Was macht die hier noch? Die Bank hat doch längst geschlossen.

Wenig später kommt Nicoles Zivil-Mondeo mit mobilem Blaulicht in die verkehrsberuhigte Zone gebrettert. Thies und Nicole springen aus dem Wagen und stürzen in die Bäckerei. Nicoles Sohn Finn sieht ihnen vom Rücksitz hinterher. Genauso schnell stürmen die beiden Polizisten auch schon wieder aus dem »Backbord« heraus. Der Mondeo braust mit quietschenden Reifen und immer noch mit Blaulicht davon, Richtung Neutönninger Siel und Deichvorland. Ole klebt förmlich hinter dem Sehschlitz, um nichts zu verpassen. Trotz Doppelentlüftungssystem herrschen in der Dixi-Zelle mittlerweile Saunatemperaturen.

Lange zum Überlegen kommt der Polizeianwärter nicht. Sein Handy klingelt. Er braucht einen Moment, es aus der am Haken hängenden Jacke herauszufischen. »Nee, nee, nee, die jungen Leute, selbst auf dem Klo immer mit ihren Handys zugange«, ruft eine am Dixi-Klo vorbeigehende Passantin.

Ole nimmt ab, Thies ist dran. »Ihr sollt mich doch nur im Notfall hier im Klo anrufen«, zischt der Polizeianwärter.

»Dat is ein Notfall. Wir haben einen weiteren Mord« verkündet Thies lautstark. »Is uns eben angezeigt worden, erst anonym und dann … wir waren ja noch mal … du hast uns ja sicher gerade gesehen.« Weiter kommt er gar nicht.

»Mord? Wieso? Noch ’n Mord?« Aber Ole hat auch Neuigkeiten, die er unbedingt loswerden will. »Hier is auch was passiert. Unser Baggerfahrer hat hier grade ’ne Bombe ausgegraben.«

»Für Bomben haben wir jetzt keine Zeit. Das Ding muss warten!«

»Wollen mal hoffen, dass sie das tut.« Ole wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Außerdem hat eben eine Frau die Bank betreten. Ich glaub, das war Wencke Petersen.«

»Wencke, ja, das is die Filialleiterin, dat ist unverdächtig … Ole, halt die Stellung, wir müssen uns jetzt erst mal um die Tote kümmern.«

Ole ist ja ausgesprochen aufgeweckt, aber jetzt blickt er nicht mehr ganz durch.