Kapitel 11

Die Morgensonne schien tief durch das Geflecht der Äste an der Ecke vom Victoria Park. Marys Augen tränten in dem grellen Licht. Sie spülte bei geöffneten Vorhängen Geschirr und genoß dankbar die schwache Wärme der Sonne. Sie haßte die kurzen Tage.

»Ruf sie an«, drängte Tony.

»Habe ich gemacht. Oft genug.«

»Das ist ewig her.«

Mary hielt einen schaumbedeckten Teller unter den klaren Wasserstrahl.

»Sie weiß, wie ich mich fühle.«

»Sie wußte, wie du dich gefühlt hast. Vor Monaten. Heute ist heute.«

Mary begann die Arbeitsplatte abzuwischen. Durch die Sonnenstrahlen hatte sie Kopfschmerzen bekommen.

»Sei nicht so verdammt eigensinnig, Mary. Lieber fühlst du dich elend, als nach dem Telefonhörer zu greifen.«

»Ich will ihr nichts heimzahlen, wenn du das denkst.«

»Ist mir nie in den Sinn gekommen.« Tony konnte die Gedankengänge seiner Frau nicht ganz nachvollziehen. »Trotzdem läßt du zu, daß die Sache ständig an dir nagt. Denk doch an Jenny! Meinst du nicht, daß sie ihre Tante Kate wiedersehen möchte?«

»Keine Ahnung. Ich kriege kaum zwei zusammenhängende Worte aus ihr raus, seit …« Sie hielt inne.

Jenny saß auf der Treppe, hörte alles und empfand großes Schuldbewußtsein.

»Sie würde doch nur auflegen.«

Tony spürte, daß Marys eiserne Entschlossenheit zu brökkeln begann. »Dann geh zu ihr.«

Mary überlegte.

»Ich fahr dich hin.«

»Du hast zu arbeiten. Anfang des nächsten Schuljahres kommt der Schulrat zu dir.«

Tonys Magen krampfte sich zusammen. »Erinnere mich bloß nicht daran«, seufzte er. »Aber um das ins reine zu bringen, opfere ich gern ein paar Stunden.«

»Bald … vielleicht. Aber nicht heute.«

Mary wandte sich wieder der Sonne zu. Es war ein kalter Wintersonnenschein. Er wärmte sie nicht mehr.

Wainwright hatte während der kurzen Fahrt zur technischen Fakultät der Universität kein Wort gesprochen. Er hatte viel Zeit gehabt, seinen Temperamentsausbruch vom vergangenen Abend zu bereuen. Er hatte nicht einmal zwei Stunden geschlafen.

Sie traten aus dem Hagelschauer in die weite, gewölbte Halle des Universitätsgebäudes, und Wainwright stieß die große Holztür des Hauptportals auf. Dahinter war es kühl, und es herrschte gedämpftes Licht. Zu beiden Seiten waren Büros eingebaut worden, die das harmonische Bild der ehemaligen Säulengalerie in der Eingangshalle zerstörten. Henson warf einen Blick auf das unpassend moderne Anschlagbrett. Dann stiegen sie die Haupttreppe zu einem Büro im ersten Stock hinauf.

»Dr. Ingrams …?«

Kenneth Ingrams sah mit ausdruckslosen Augen von seinem Apple Mac Laptop auf. Im Geist war er noch bei dem mathematischen Problem auf dem Bildschirm. Diese Augen hatten etwas Hypnotisches. Sie wechselten die Farbe mit der Launenhaftigkeit eines Sees, der das Wetter des jeweiligen Tages reflektiert. Allerdings mit dem Unterschied, daß sein Licht von innen heraus zu kommen schien, ein Licht, das gleichermaßen wetterwendisch, unvorhersehbar und verführerisch zugleich wirkte.

Felicity Burrows präsentierte sich in der üblichen Auflösung: mausgraue Strähnen ihres Haars hatten sich aus der Spange gelöst, ihr Rock hatte zahllose Sitzfalten. Sie trug ihre Schusseligkeit wie eine ihrer weiten Wolljacken zur Schau, während sie in seiner Bürotür stand und von einem Bein auf das andere trat.

»Was gibt’s, Fliss?« Dr. Ingrams war das einzige Mitglied der Fakultät, das sie Fliss nannte. Sie mochte es, registrierte es jedoch in ihrer Erregung kaum.

»Die Polizei ist da«, flüsterte sie.

»Du meine Güte! Ist was passiert?« Er sprang auf und war sofort bei ihr. »Alles in Ordnung, Fliss?« Als seine Hand sie berührte, wurde sie rot.

Wainwright zückte seinen Dienstausweis. »Sergeant Wainwright. Kriminalpolizei, Manchester. Und das ist Constable Henson.«

Ingrams graue Haut wurde papierweiß. »Ist Kate etwas zugestoßen? Ist mit ihr alles in Ordnung?«

»Mrs. Pearson geht es gut, Sir. Dies ist nur ein Routinebesuch. Wenn wir uns kurz allein unterhalten könnten …« Der Sergeant sah zu der aufgeregten kleinen Frau an der Tür hinüber. Am Vorabend hatte er sämtliche Vorbereitungen für diesen Tag getroffen, die Route der Besuche festgelegt. Dann hatte er sich vor dem Heimweg mit einigen Bieren Mut angetrunken, um Jan gegenübertreten zu können. Und als er das Haus um neun Uhr an diesem Morgen verlassen hatte, hatte sie noch immer geweint. Eine neurotische Frau war alles, was er an einem Tag verkraften konnte.

Ingrams lächelte. Er hatte sich schnell wieder gefaßt. »Fliss, könnten Sie den beiden Herren vielleicht eine Tasse Tee kochen?«

»Selbstverständlich«, antwortete sie beglückt und verschwand.

»Ihre Sekretärin, Sir?« erkundigte sich Wainwright, als er die Tür hinter ihr schloß.

»Nein, nein …« Ingrams grinste. »Meine kleine Nische in der akademischen Hierarchie ist nicht bedeutend genug für eine eigene Sekretärin. Felicity ist Professor Simons Sekretärin, aber …« Er spreizte die Finger. »… Sie hat mich irgendwie unter ihre Fittiche genommen. Sie glaubt, man müsse sich um mich kümmern.«

Wainwright sah sich in dem penibel ordentlichen Büro um. Die polierten Holzmöbel und Glasflächen glänzten, und Bücher und Papiere waren in exakt bezeichneten Regalfächern geordnet. Dr. Ingrams war seinem Zimmer sehr ähnlich: aufgeräumt und strahlend, ein Mann, der auf sich achtgab, der gut, aber gesund aß, immer auf ein tadelloses Äußeres bedacht war. Ein Mann, dem er sehr ähnlich gewesen war … bevor die Probleme angefangen hatten.

»Und haben Sie das nötig, Sir?« fragte er und wunderte sich, daß ein Mann mit Dr. Ingrams Selbstdisziplin überhaupt eine Frau brauchte, die sich um ihn kümmerte.

Ingrams neigte den Kopf. »Die arme Fliss würde jeden alleinstehenden Mann weiblicher Fürsorge für bedürftig erachten.« Er lächelte. »Es wäre grausam, ihre kleinen Freundlichkeiten abzulehnen.« Dann runzelte er plötzlich die Stirn. »Ist mit Kate wirklich alles in Ordnung? Sie kommen doch wegen Kate, nicht wahr?«

»Ja, das stimmt … Aber wie haben Sie das erraten?«

»Ich habe nur ein einziges Mal Kontakt mit der Polizei gehabt, Sergeant Wainwright, und das war nach der schrecklichen Geschichte mit Kates Tochter. Ich glaube, bei dieser Gelegenheit sind wir uns schon einmal begegnet. Kann das sein?«

Wainwright nickte. Er hatte Dr. Ingrams nach dessen Rückkehr aus den Vereinigten Staaten zu Hause aufgesucht. Ingram’s Haus war seinem Büro sehr ähnlich gewesen, wie Wainwright sich sofort erinnerte: gepflegt und sauber. Wainwright musterte den Doktor prüfend. Er sah nicht schlecht aus. Gute Manieren. Ein Mann wie er hatte sicher keine Probleme, eine nette Frau zu finden, die hinter ihm her räumte.

»Dann haben Sie seither nichts von Mrs. Pearson gehört?«

Ingrams seufzte. »Zu meinem großen Bedauern, nein. Kate und ich sind einmal … Aber das wissen Sie ja. Wir hatten … nun … einen kleinen Streit, und Katie konnte mir nicht verzeihen. Es war absolut mein Fehler.«

»Sie hatten ihr eine Ohrfeige gegeben.« Die Feststellung sollte provozieren, aber Ingrams nahm sie gelassen hin.

»Ich schäme mich wirklich dafür. Ich habe damit alles ruiniert. Eine …« Er lachte. »Ich wollte ›wunderbare Freundschaft‹ sagen, aber es klingt schrecklich abgedroschen. Und außerdem hat Bogart das Copyright auf diese Zeile. Und gegen seine Noblesse komme ich nicht an.«

Henson neben ihm wurde unruhig, und Wainwright lächelte. »Sie können ihr Notizbuch wegstecken, Constable. Dr. Ingrams spielt auf Humphrey Bogart an. Und zwar auf seine Rolle in Casablanca.«

Henson starrte ihn nur ausdruckslos an.

Ingrams und Wainwright tauschten einen amüsierten Blick.

Miß Burrows brachte den Tee. Dr. Ingrams bedankte sich charmant.

Nachdem sie sich diskret zurückgezogen hatte, kam Wainwright zur Sache. »Mrs. Pearson hat ziemlich unangenehme Post bekommen, Dr. Ingrams.«

Ingrams runzelte die Stirn. »Tut mir leid, das zu hören. Natürlich liest man über solche Dinge, aber …« Er schüttelte immer noch stirnrunzelnd den Kopf. »Es überrascht mich, daß es jetzt noch anfängt. Ich meine so lange nach …« Der Rest war Schweigen.

Wainwright nickte.

»Können Sie nicht den Absender ausfindig machen und das Ganze abstellen?«

»Es handelt sich nicht um diese Art von Post, Sir.«

Die Stirnfalten vertieften sich kurzzeitig. Wainwright musterte ihn aufmerksam. Er hatte jugendliche Züge, mußte jedoch mindestens vierzig sein.

»Ah, jetzt begreife ich«, rief Ingrams aus. »Deshalb sind Sie hier. Es handelt sich um E-mails, stimmt’s?«

Wainwright zögerte bewußt und suchte bei Ingrams nach Anzeichen von Unbehagen. Vergeblich.

»Ja, Dr. Ingrams. Es ist E-mail. Außerdem hat sich jemand bei Mrs. Pearsons Bank- und Kreditkartenkonto bedient.«

»Wie unangenehm! Klingt, als hätten Sie’s mit einem Hacker zu tun. Bösartiges Pack. Ekelhafte kleine Poltergeister! Wehe wenn sie losgelassen! Arme Kate. Natürlich können Sie jederzeit mein Computersystem überprüfen, wenn das hilft.«

»Nur, um ganz sicherzugehen, Sir. Ich hoffe, Sie nehmen uns das …«

»Nein, nein. Das geht in Ordnung. Natürlich müssen Sie den Kerl finden. Ist vermutlich ein Mann. Die meisten Hacker sind Männer.«

»So sagt man.«

Die Abteilung für Computer Services der Universität hatte sich als weniger kooperationsbereit erwiesen. Sie versprachen einen Ausdruck mit Dr. Ingrams’ Logins und den exakten Zeiten, die dieser an seinem Computer gearbeitet hatte, erbaten sich dafür jedoch mehrere Tage Zeit. Die Abteilung hatte am Vortag ein Leck im Sicherheitssystem entdeckt, und es ging alles drunter und drüber. Jemand hatte nach Paßworten gefischt und sie in einer als Systemverzeichnis getarnten Datei gehortet. Zum Zeitpunkt der Entdeckung hatten sich zwanzig Paßworte wichtiger Persönlichkeiten in diesem Verzeichnis befunden, dazu kamen hundert andere Paßworte von Anwendern, die in der Mehrzahl nicht zur Universität gehörten. Deshalb brauchten jetzt sämtliche universitätsinterne Anwender neue Logins und Paßworte, was einen horrenden Aufwand bedeutete.

»Dann sind die alten Paßworte also nicht mehr gültig?« Wainwright redete gegen das stete Summen der UNIX-Geräte und die Klimaanlage des Raumes an, in dem sich die Rechnerzentrale der Universität befand. Die Temperaturen waren für seinen Stoffwechsel etwas zu kühl, aber er nahm an, daß die Temperatur auf die Geräte und nicht auf das Personal abgestimmt war.

Der Systembetreuer musterte Sergeant Wainwright mißtrauisch.

»Nein. Warum fragen Sie?«

»Es wäre nützlich, wenn ich eine Kopie der Liste haben könnte. Für unsere Ermittlungen.«

Der Systembetreuer war skeptisch. »Ich kann nicht erkennen, weshalb Sie das interessieren sollte, Sergeant …« Er verstummte. Ein junger Mann mit einem Klemmbrett in der Hand und der Last dieser Welt auf den Schultern unterbrach ihn. Der Betreuer gab Anweisungen, die der junge Mann mit aufreizender Akribie notierte. Wainwright ließ seine Blicke durch den Raum schweifen, versuchte sich von den komplizierten, alles verzögernden Antworten des Technikers abzulenken. Die Atmosphäre inmitten der riesigen Rechnerschränke mit all dem elektronischen Zubehör behagte ihm nicht. Er fröstelte unwillkürlich, als ihm die Faszination seines Sohnes für Computer einfiel. Der Junge hatte eine geradezu persönliche Beziehung zu seinem Kindercomputer entwickelt.

»Sie sagten, nicht alle Paßworte stammten aus Ihrem System.«

»Ja, und?«

»Dann könnte Ihr Hacker also auch in andere Systeme anderer Organisationen eingedrungen sein?«

»Sehr wahrscheinlich.« Der Systembetreuer sah durch die Glaswand auf die Reihen von PCs im Computersaal für die höheren Semester, der hinter dem Rechenzentrum lag. Es war halb elf. Noch früh. Nur zwei der eifrigeren Studenten saßen an ihren Geräten. Gegen zwölf würde der Andrang so groß sein, daß sie sich um die Plätze prügelten.

»Könnte sein, daß eines der Paßwörter mit unseren Ermittlungen in Verbindung steht«, sagte Wainwright.

»Dr. Ingrams’?«

»Nein. Er ist uns nur behilflich.«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Das muß ich mit dem Senat abklären. Ich rufe Sie heute nachmittag an.«

»Nur noch eine Frage. Befindet sich der Hacker innerhalb Ihres Betriebssystems? Können Sie wenigstens soviel schon sagen?«

Der Systembetreuer zog eine Grimasse. »Ich wünschte, ich könnte es! Es kann praktisch jeder gewesen sein. Leider. Jeder innerhalb oder außerhalb unseres Netzwerks, innerhalb oder außerhalb unseres Landes. Wir suchen eine Nadel im Heuhaufen.«

»Das Gefühl kenne ich«, sagte Wainwright verständnisvoll. »Und wer ist dann mein Ansprechpartner?«

Der Computerfachmann warf ihm einen erstaunten Blick zu.

»Für den Fall, daß Sie zu beschäftigt sind, um mich anzurufen«, ergänzte Wainwright geduldiger, als ihm zumute war.

»Fragen Sie nach Steve. Computer Services«, erwiderte sein Gegenüber gnädig.

Gut gebrüllt, Löwe, dachte Wainwright. Herrgott, was denkt der sich eigentlich, wer er ist?

»Nichts Erfreuliches?«

»Auch nichts Tröstliches, Sergeant Wainwright.«

Scheint an der Jahreszeit zu liegen, dachte Wainwright, behielt es jedoch für sich. Harmon saß in einem der beiden Sessel in seinem Büro und trank Tee. Der Chefinspektor schaffte es stets, sogar in den furchtbarsten Situationen völlig entspannt zu wirken. Normalerweise empfand Wainwright diese Eigenschaft als beruhigend. Diesmal allerdings ärgerte sie ihn. Besonders, da Harmon keine Anstalten machte, ihm ebenfalls eine Tasse Tee anzubieten.

»Wir haben Informationen, was die anderen Hinweise betrifft, Sir.«

»Ach ja?«

Newman hatte die Tür mit einem erwartungsvollen Lächeln auf den Lippen geöffnet. Es verflog allerdings schlagartig, als Wainwright seine Dienstmarke zückte.

»Sie haben mir gerade noch gefehlt!« entfuhr es ihm. »Was wollen Sie?«

»Wir möchten uns nur kurz mit Ihnen unterhalten, Sir. Wenn Sie nichts dagegen haben?«

»Ich habe zu tun.« Newman stand neben einen Türpfosten gelehnt. Die Lampe über der Tür warf ein sanftes Licht auf seine frischrasierte Haut. Newman sah aus, als erwarte er Besuch. Er trug zwar keine Krawatte, dafür jedoch ein teuer aussehendes Freizeithemd mit passender Hose. Seine Schuhe, farblich ebenfalls perfekt abgestimmt, waren auf Hochglanz poliert.

»Dauert nur eine Minute«, sagte Wainwright in dem Versuch, trotz seiner lähmenden Müdigkeit höflich zu bleiben. Noch ein paar schlaflose Nächte, dachte er, und ich gehe die Wände hoch.

Newman sah ängstlich über Wainwrights Schulter. »Ich erwarte einen Gast«, sagte er.

Weiblich oder männlich, fragte sich Wainwright.

»Geschäftlich«, ergänzte Newman, der Wainwrights Blick richtig deutete.

»Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.«

Newman ergab sich seufzend in sein Schicksal und machte die Tür weit auf.

Wainwright stieg die wenigen überdachten Stufen hinauf und trat in eine weitläufige Diele. Von dort führte ein elegant geschwungener Treppenaufgang in das obere Stockwerk. Newman geleitete ihn in einen großen Salon. Gepflegter Holzfußboden, Bang & Olufsen Stereoanlage, gedämpftes Licht, diskrete Musik, registrierte Wainwright.

»Hübsches Haus«, murmelte er lobend und ließ seine Blicke über das weiche Ledersofa mit dem sinnlichen Touch und die großen modernen Ölgemälde schweifen, die weder seinem Geschmack noch seinem Kunstverständnis entsprachen.

Newman beobachtete ihn mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung.

»Sie sagten, Sie wollten sich kurz fassen, Sergeant«, drängte er.

»Es geht um Mrs. Pearson, Sir.« Wainwright konnte seine Augen nicht ruhig halten, sie saugten die luxuriöse Ausstattung, das Übermaß an materiellem Komfort in sich auf, mit dem Newman sich umgab. Der Mann glaubte offenbar an die Macht des Geldes und lebte danach. Der suchende Blick des Sergeants blieb schließlich an einem Computer mit Modem hängen, der halb verborgen in einem Alkoven stand. Das Gerät war eingeschaltet. Über den schwarzen Bildschirm flackerte eine horizontale Lichtspur. Wainwright fühlte sich an einen der Spezialeffekte bei Star Trek erinnert.

»Wollen Sie Ihren Gast mit Computerspielen unterhalten, Sir?«

»Ich erwarte E-mail. Haben Sie was dagegen, Sergeant?«

»Mrs. Pearson hat Post im Internet bekommen«, sagte Wainwright, ohne auf Newmans Sarkasmus einzugehen. »Unerfreuliche Post. Sie surfen im Netz, Sir?«

»Um Himmels willen nein! Sehe ich aus wie einer dieser pickeligen Jünglinge, die ihre einsamen Nächte damit zubringen, Frauen unappetitliche Anträge via Internet zu machen?«

Nein, dachte Wainwright. Die Sonnenbankbräune, die sportliche Figur, die hellen Strähnen im gepflegten Haar ließen auf Nächte mit unmittelbarerem Lustgewinn schließen.

»Ich nehme nicht an, daß Sie uns erlauben, ihre Dateien zu prüfen …«

»Selbstverständlich nicht!« Newmans blaßblaue Augen traten leicht vor.

»Es würde uns helfen, Sie auszuschließen …«

»Mich ausschließen? Das hat sie doch schon lange besorgt!«

Wainwright war erstaunt, wieviel Bitterkeit in dieser Bemerkung lag. Newman, der das zu spüren schien, fuhr hastig fort: »Wir sind einige Zeit miteinander ausgegangen. Es wurde … langweilig.« Für sie, meldete sich in stummem Aufschrei sein verletzter Stolz. Er hatte Monate gewartet, gehofft, sie würde ihre Meinung ändern. Hatte sich zurückgenommen, ihren Willen respektiert. Mit dem Ergebnis, daß sie immer distanzierter und sogar ungeduldig mit ihm geworden war. »Wir haben uns getrennt«, schloß er und spürte Wainwrights Blick auf sich ruhen. »Aber das wissen Sie ja alles.«

»Wir möchten unbedingt herausbekommen, wer diese Post schickt.« Wainwright wartete auf Newmans Reaktion. »Vielleicht ist es jemand, der einen Groll gegen Mrs. Pearson hegt.«

Newman errötete leicht. »Hören Sie«, begann er mit einem Blick auf die Uhr. »Das mit ihrer Tochter tut mir leid … Aber ich habe damit nichts zu tun. Und ich finde es geradezu ungehörig, daß ich damit immer wieder belästigt werde. Wir haben uns auf ihren Wunsch hin getrennt. Also muß sie die Konsequenzen endlich akzeptieren.«

»Die Konsequenzen akzeptieren?« Harmon hatte Wainwrights Bericht zugehört, ohne ihn zu unterbrechen. An dieser Stelle jedoch gab er seine Zurückhaltung auf.

»Ich hatte den Verdacht, daß er glaubt, daß sie die ganze Zeit über noch in ihn verliebt war und daß ihr das wohl gerade erst klargeworden ist«, sagte Wainwright.

»Und die E-mail soll jetzt nur ein Trick sein, um seine Aufmerksamkeit wieder zu wecken? Der kreist wohl nur um sich, was?« Harmon dachte einen Moment nach. Dann fragte er: »Könnte er mit ›Konsequenzen‹ ›Strafe‹ gemeint haben?«

Wainwright zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, Sir. Offensichtlich hat er es noch immer nicht verdaut, daß sie ihm den Laufpaß gegeben hat.«

Harmon nickte. »Hat er sonst noch was Interessantes gesagt?«

»Nein. Wenig später habe ich mich verabschiedet. Sein Gast war gekommen.«

»Hm. Und bei Mr. Pearson sind Sie auch schon gewesen, oder?«

Wainwright zog die Augenbrauen hoch. »Hat sich rumgesprochen, was?«

»Der Herr scheint wenig entgegenkommend gewesen zu sein, wie ich höre.«

»Er hat schon zu toben angefangen, bevor ich mich überhaupt zu Ende vorgestellt hatte.«

»Der Mann hat ein schlechtes Gewissen, Sergeant.«

»Ach ja? Dann muß seine Freundin ein noch schlechteres Gewissen haben. Wir konnten sie kaum zur Vernunft bringen.«

»Soweit ich mich erinnere, ist sie eine reichlich labile Persönlichkeit«, stimmte Harmon zu. »Hat sie was gegen Kate Pearson?«

»Tut mir leid, aber unser Besuch dort war kein Kaffeeklatsch.« Wainwright wurde sich bewußt, wie gereizt er klang. Er warf seinem Chef einen verstohlenen Blick zu, aber Harmon verzog keine Miene.

»Und was ist nun mit Pearson?« fragte Harmon.

»Arbeitet auch mit Computern. Bringt sein Job mit sich. Er ist Verkaufsmanager für Supertech Glazing … Die Firma stellt ein neues Glasmaterial her, das als schick gilt. Verändert die Farbe je nach Helligkeit und läßt gerade so viel Licht durch, daß zum Beispiel in den Büros stets ein angenehmes Arbeitsklima herrscht. Mit seinen Kunden und Filialen hält er per E-mail Kontakt. Hat offenbar auch ein Modem in seinem Wagen.«

Harmon nickte. »Was ist mit den anderen?«

Sergeant Wainwright zog die Augenbrauen hoch. Chefinspektor Harmons Interesse an Mr. Pearson schien recht begrenzt zu sein.

Die zwei Stunden, in denen er den Beleidigungen Pearsons und dessen Freundin, Suzanne Walmsley, ausgesetzt gewesen war, konnte er offenbar in den Kamin schreiben. Dabei war es wirklich kein Zuckerlecken für ihn und Constable Barratt gewesen. Sie hätten sich beinahe tätlicher Ausschreitungen erwehren müssen.

»Mr. Owen, das ist Kates Chef …«, begann Wainwright.

»Ich weiß.« Harmon war Wainwrights Aufsässigkeit nicht entgangen. Deshalb schlug er ihn jetzt mit seinen eigenen Waffen.

»Die beiden sind sich nicht besonders grün.«

»Auch das ist mir bekannt.«

Wainwrights Backenmuskeln zuckten. »Er kennt das Betriebssystem der Firma natürlich perfekt. Außerdem ist er durch seinen Heimcomputer ständig via Internet mit dem Firmencomputer verbunden.«

Harmon wirkte äußerst konzentriert. »Weiter.«

Wainwright warf einen Blick in sein Notizbuch, um seinen Ärger zu verbergen. »Shepherds Interesse für Computer hat ihm vor ein paar Jahren Ärger eingebracht …«

»Ich kenne Shepherds Vorstrafe. Erzählen Sie mir mehr von Owen.«

Wainwright zuckte mit den Schultern. »Mehr habe ich nicht. Was haben Sie erwartet?« entgegnete er gereizt.

»Mich interessiert, wie Owen reagiert hat, als Sie ihn auf die anonyme E-mail angesprochen haben.«

»Owen ist geradezu pedantisch korrekt. Was ihn nicht besonders beliebt macht. Illegale oder auch nur unerlaubte Manipulationen im Internet traue ich ihm nicht zu.«

»Pearson haben Sie doch mit derselben Frage konfrontiert, oder?«

Wainwright nickte.

»Und?«

»Reagierte wie erwartet. So nach dem Motto: ›Ich rede mit euch Scheißern nicht ohne meinen Anwalt.‹«

»Dann knöpfen Sie ihn sich noch mal vor.«

Wainwright stöhnte innerlich auf.

»Sagen Sie ihm, daß er, falls nötig, mit einer Vorladung rechnen muß.«

»In Ordnung.« Wainwright klang nicht begeistert.

»Jetzt zu Shepherd. Was Neues über ihn?«

Wainwright fluchte stumm. Er versuchte erst gar nicht, etwas zu beschönigen, und zuckte nur die Achseln. »Wie es aussieht, hält er sich jetzt an die Regeln. Er hat einen PC zu Hause, ist aber nicht mit dem Netzwerk von Technicom verbunden. Was allerdings nichts bedeuten muß. Übers Internet könnte er sich jederzeit einschalten.«

»Hat er ein Modem?«

Wainwright zuckte erneut mit den Schultern.

»Sie wissen es nicht?«

»Er behauptet, nein. Wir haben seine Wohnung nicht durchsucht, Sir. Wie ich Sie verstanden hatte, sollten wir ihn nicht unnötig erschrecken …« Wainwright verlor allmählich die Geduld, was Harmon nicht entgehen konnte.

»Ja, natürlich. Sie haben recht, Sergeant«, besänftigte er seinen Untergebenen. »Ziehen wir lieber keine voreiligen Schlüsse, was?« Wainwright wollte etwas sagen, aber Harmon kam ihm zuvor: »Haben wir jemand, der sich im Internet auskennt?«

»Denke schon, Sir. Es gibt ein paar Universitätsabsolventen, die vielleicht …«

»Finden Sie jemanden. Ich will wissen, ob es möglich ist, den Ausgang und Eingang von E-mails im Betriebssystem von Technicom elektronisch zu überwachen. Möglicherweise sind dazu Paßworte nötig. Reden Sie mit Owen darüber. Wir müssen auf jeden Fall versuchen, die anonyme Adresse bis zum echten Absender zurückzuverfolgen. Wir dürfen uns nicht allein auf Shepherd verlassen. Immerhin ist er einer der Verdächtigen.«

»Ich dachte, Sie hätten Shepherd bereits abgeschrieben, Sir. Als Verdächtigen, meine ich.«

»So schnell stelle ich niemandem einen Persilschein aus, Sergeant.«

»Nicht mal Mrs. Pearson.« Wainwright konnte seine Wut nicht länger im Zaum halten.«

»Augenblick mal, Sergeant!« Wainwright wurde rot.

»Sie scheinen mit meinen Ermittlungsmethoden nicht einverstanden zu sein, Sergeant. Normalerweise bin ich da nicht empfindlich … es sei denn, es beeinträchtigt unser Arbeitsverhältnis.«

»Ihre Methoden haben mich nicht zu interessieren, Sir. Ich befolge nur Anweisungen.«

»Reden Sie keinen Scheiß!«

Wainwright blinzelte verdutzt. Dieser Ausdruck gehörte normalerweise nicht zu Harmons Wortschatz.

»Raus mit der Sprache, Bill! Seit Tagen schleichen Sie hier rum, jedes bißchen Laufarbeit ist Ihnen zuviel, Sie jammern, wenn Sie nicht pünktlich nach Hause kommen …«

»Jetzt reicht’s! Das muß ich mir nicht anhören!« Wainwright stürmte zur Tür.

»Doch, das müssen Sie! Wenn Sie’s nicht tun, blüht Ihnen ein Dienstaufsichtsverfahren. Und dann Gnade Ihnen Gott!«

Wainwright blieb abrupt stehen.

»Falls Sie Urlaub brauchen …«, fuhr Harmon versöhnlicher fort, »der steht Ihnen zu.«

»Wie kommen Sie denn darauf?« konterte Wainwright aufbrausend. »Wer hat hier hinter meinem Rücken geplaudert?«

»Jetzt halten Sie mal die Luft an, Bill! Ich habe Augen im Kopf. Sie sehen aus, als hätten Sie mindestens einen Zentner abgenommen und seit Wochen nicht mehr ordentlich geschlafen. Also, falls Sie ein Problem haben, schaffen Sie es aus der Welt!«

Wainwright lachte humorlos. »Wenn das so einfach wäre!«

»Wie soll ich das beurteilen? Sie haben mir ja nicht gesagt, was los ist.«

Wainwright senkte den Kopf. »Es ist privat.«

»Aber es wirkt sich auf Ihre Arbeit aus.«

»Ich weiß.«

»Also ist es nicht nur privat. Nehmen Sie sich frei und lösen Sie es.«

Was sollte Wainwright darauf antworten? Eine Million Jahre würden nicht ausreichen, dieses Problem aus der Welt zu schaffen. »Gut, ich werd’s versuchen«, murmelte er. »Wenn diese Sache erledigt ist.«

»Und bis dahin?«

»Komme ich schon zurecht.«

»Die Frage ist nur, komme ich damit zurecht?«

Als Wainwright schließlich den Mut aufbrachte, Harmon anzusehen, mußte er angesichts des grinsenden Chefinspektors unwillkürlich lächeln. »Ich weiß, ich bin unausstehlich …«

»Aber es ist privat.«

»Es ist … Ich will nicht … Ich kann nicht. Ach, verdammt! Es ist etwas, über das man eigentlich nicht reden kann.«

»Offensichtlich«, bemerkte Harmon trocken.

Wainwright blätterte sein Notizbuch durch, um Harmons Blick zu entgehen. »Steve … Der Typ hat nicht zurückgerufen«, murmelte er.

»Wer?«

»Ein Informant. Ich klemme mich gleich dahinter.«

»Vergessen Sie Mr. Pearson bitte nicht, ja?«

»Und ich versuche heute auch noch, Mr. Marchant zu erreichen. Er stand damals ebenfalls auf unserer Verdächtigenliste.«

Eine eindeutige Antwort hatte Harmon nicht erwartet.

Das Reihenhaus mit dem gepflegten, reifüberzogenen Rasen sah aus wie aus einer Bausparkassen-Werbung. Es war vier Uhr nachmittags und bereits dunkel. Eine schmale silberne Mondsichel ging über den Schornsteinen auf. Die Straße wirkte völlig verlassen. Die beißende Kälte hatte selbst die Kinder in die Häuser getrieben.

Wainwright erinnerte sich unwillkürlich an seinen ersten Besuch in diesem Haus. Es war um dieselbe Tageszeit, aber an einem warmen Julinachmittag gewesen. Der schwere Duft von Geißblatt, das sich um den Kirschbaum im Vorgarten wand, hing in der Luft. Das Dröhnen von Rasenmähern war allgegenwärtig gewesen, und der Geruch von frisch gemähtem Gras hatte in seiner Nase gekitzelt und ein Niesen verursacht. Vom Park waren Rufe und Gelächter herübergeschallt. Jetzt gefror sein Atem in der Luft, während er auf der Treppe vor der Haustür wartete.

»Ziemlich verdächtig der Mann, was?« bemerkte Henson neben ihm im Plauderton.

»Was soll das heißen?«

Henson zuckte die Schultern. Wainwright war den ganzen Tag über schlecht gelaunt gewesen. »Er ist der Mann von Mrs. Pearsons bester Freundin«, sagte Wainwright brummig. »Er kannte Melanie gut. Seine Tochter und Melanie waren praktisch unzertrennlich.«

»Bis auf den Tag, an dem Melanie entführt wurde«, bemerkte Henson, der Wainwright unbedingt zeigen wollte, daß er die Akte gelesen hatte.

»So ist es. Und er wollte an jenem Tag seine Frau vor der Schule der Mädchen treffen. War als Überraschung für die beiden gedacht, aber er behauptet, sie verpaßt zu haben.«

»Schuldige haben meist die besten Alibis«, erklärte Henson.

Wainwright murmelte etwas Unverständliches und drückte ungeduldig auf den Klingelknopf.

»Vermutlich keiner da«, sagte Henson, aber dann hörten sie das unverwechselbare Quietschen eines Mülleimerdeckels, der geschlossen wurde. Drinnen ertönte die Stimme eines Kindes. Wenige Sekunden später waren eilige Schritte in der Diele zu vernehmen. Dann öffnete Mrs. Marchant die Tür.

»Tut mir leid, ich war hinter dem Haus.« Ihr Lächeln gefror und verflog schließlich ganz, als Wainwright seine Dienstmarke zückte.

Die Tür fiel zu. Ein vertrautes, dumpfes Geräusch signalisierte ihr, daß Tony seine Aktentasche in eine Ecke geworfen hatte.

»Tony?«

»O Mann, Liebling! Bin ich fertig!«

In diesem Moment bemerkte er, wie nervös sie war. Jenny? Aber Jenny starrte vom oberen Treppenabsatz bleich und aus großen Augen auf ihn herab. Tonys Blick schweifte von Mutter zu Tochter. »Was ist los?«

»Mr. Marchant?«

»Was wollen Sie?« Seine Stimme klang ungewöhnlich scharf.

»Sergeant Wainwright, Kriminalpolizei.«

»Ich weiß, wer Sie sind.« Tony starrte den großen, hageren Mann wütend an, der hinter seiner Frau aufgetaucht war und sie geradezu zwergenhaft klein erscheinen ließ.

»Und das ist Constable Henson«, fuhr Wainwright ungerührt fort und deutete auf seinen Kollegen. Die Diele wirkte plötzlich beklemmend eng.

Tony zog seinen Mantel aus und warf ihn übers Treppengeländer. »Kommen Sie lieber mit ins Wohnzimmer. Hier in der Diele kann man sich nicht unterhalten. Geh in dein Zimmer, Jenny!« rief er zur Treppe hinüber.

Jenny blieb unsicher stehen. Sie begriff die ungewohnte Strenge des Vaters nicht recht. Mary nahm den Mantel vom Treppengeländer, strich ihn glatt und sah ihre Tochter an. »Tu, was Dad gesagt hat, Liebes«, sagte sie freundlich. »Es ist alles in Ordnung.« Jenny drehte sich widerwillig um. Als Mary den Mantel an der kleinen Garderobe am Ende der Diele aufhängte, hörte sie, wie die Tür von Jennys Zimmer leise geschlossen wurde.

Die beiden Polizisten hatten ihre Mäntel anbehalten. Sergeant Wainwright saß entspannt in Tonys Lieblingssessel. Constable Henson hockte nervös auf der Sofakante. Sergeant Wainwrights Blick ruhte auf einem Stapel Unterrichtsmaterial, an dem Tony am vergangenen Abend gearbeitet hatte. Mary war es peinlich, wie kalt und wenig einladend das Zimmer trotz des Weihnachtsbaums im Erker wirkte.

»Kommen Sie von der Arbeit, Mr. Marchant?« erkundigte sich Wainwright.

»Ja.«

Wainwright musterte ihn. Tony Marchant empfand den Besuch der beiden Kriminalbeamten offenbar als äußerst störend. Er und seine Frau waren ein sehr ungleiches Paar. Tony Marchant war groß und kräftig und hatte kantige Züge. Wainwright vermutete, daß er wohl kaum disziplinarische Probleme mit seinen Schulkindern hatte. Mary Marchant dagegen war eine kleine, mollige Matrone mit mütterlichem Gesicht und einer altmodischen Frisur. Tonys braune Augen blitzten feindselig. Wainwright nahm es gelassen hin. Was sie zuvor mit Pearson und dessen Freundin erlebt hatten, war kaum zu überbieten. Sie hatten Pearson erst aufs Revier schaffen müssen, um ihn zu einer Aussage zu zwingen, während die Freundin die halbe Straße zusammengeschrien hatte.

»Sind nicht gerade Schulferien?« begann Wainwright.

Tony lachte humorlos. »Lehrer arbeiten auch in den Ferien, Mr. Wainwright.«

»Immer im Dienst, was?«

Tony fing Wainwrights unbeirrten Blick auf. »Wie Polizisten.« Er ließ sich beinahe zu einem Lächeln hinreißen.

»Blackbrook Grundschule, wenn ich mich recht erinnere. Da unterrichten Sie doch?«

»Richtig.«

»Die Schule ist vermutlich ans Internet angeschlossen, oder?«

Diesmal klang das Lachen verächtlich. »Wir haben drei reichlich altersschwache BBC Archimedes. Bestens geeignet für Schulprogramme, aber ans Internet können wir damit nicht. Ursprünglich hatten wir noch ein paar Computer mehr. Aber inzwischen ist bei uns so oft eingebrochen worden, daß uns die Schulbehörde keine neuen Geräte mehr spendiert. Im Sekretariat steht ein PC mit Modem. Aber der kann vom Lehrkörper nicht benutzt werden.«

»Mrs. Pearson hat anonyme E-mails erhalten.«

»Kate?« Die drei Männer drehten sich um und sahen Mary Marchant an. Und Wainwright bereute sofort, nicht weiter auf sie geachtet zu haben.

»Haben Sie noch Verbindung zu ihr?« fragte er.

Mary ging zum Fenster, schloß die Vorhänge gegen die einbrechende Dunkelheit und drehte die Lichter am Baum an. »Ich habe Kate seit Monaten nicht gesehen«, erwiderte sie, stellte sich neben den Stuhl ihres Mannes und legte eine Hand auf seine Schulter.

»Aha? Und warum nicht?« wollte Henson wissen.

Mary musterte den rothaarigen jungen Mann aufmerksam. Sie hatte ihn bisher kaum beachtet. Offenbar versuchte er, seinen Vorgesetzten mit jugendlichem Eifer zu beeindrucken.

»Ich glaube nicht, daß Sie das was angeht.« Mary runzelte mißbilligend die Stirn.

»Wir versuchen nur festzustellen, ob Sie für unsere Ermittlungen in Frage kommen«, entgegnete Henson. Offenbar wollte er Wainwrights erfolgreiches Spielchen mit Dr. Ingrams am Vortag imitieren. »Würde uns helfen, den Grund zu erfahren.«

»Dann fragen Sie Kate.« Marys Ton ließ keinen Zweifel daran, daß die Sache für sie damit erledigt war.

»Das tun wir«, bemerkte Wainwright gelassen. Dann richtete er den Blick auf ihren Ehemann und fragte: »Haben Sie Zugang zu den Computern Ihrer Schule, Mr. Marchant?«

»Zu Schulzeiten, ja. Aber ich habe doch bereits gesagt, daß wir dem Internet nicht angeschlossen sind.«

»Auch nicht der Computer im Sekretariat?«

»Wie gesagt … der ist für den Lehrkörper nicht zugänglich. Und zudem werden unsere Computer nachts in den Tresorraum eingeschlossen.«

»Immer?«

»Ohne Ausnahme.«

»Wer besitzt einen Schlüssel zu diesem Raum?«

»Mr. Arthon, der Direktor, und Pat Stillman, der die Informatikkurse organisiert und koordiniert.«

»Ich verstehe.«

»Ist das alles? Ich habe nämlich noch zu arbeiten.«

Wainwright hatte die Tür schon erreicht, als Mary sagte: »Ist Kate …«

Der Sergeant drehte sich um. »Ob mit ihr alles in Ordnung ist?« Sein Blick verriet nichts. »Das müssen Sie sie schon selbst fragen«, entgegnete er.