Als Peter in den Schuppen ging, in dem sein Vater und er normalerweise an den Landmaschinen arbeiteten, empfing ihn eine gähnende Stille. Die Werkzeuge waren blank geputzt und lagen an ihren Plätzen.
Eine große grüne Plane bedeckte einen alten Motor. Nur ein rechteckiger, völlig verrosteter Kasten schaute darunter hervor. Darin hatte sein Vater die Kleinteile aufbewahrt, die er im Laufe seiner Arbeit aus dem Motor ausgebaut hatte. Sein Vater schraubte bestimmt schon seit einem halben Jahr an diesem Ding herum. Wusste der Teufel, warum. Die Maschine würde nie wieder anspringen. Aber vielleicht war es besser, dass sein Vater die Zeit mit dem Antrieb verbrachte, als überhaupt nichts Handwerkliches zu machen. Wolfgang liebte das Herumfummeln an alten Motoren. Und wenn es keine Arbeit gab, musste man sich eben eine Aufgabe suchen, selbst wenn sie unsinnig war.
Ihm fiel der angekündigte Auftrag ein.
Wieso war der Landwirt aus dem Nachbardorf mit seiner alten Kiste noch nicht da? Der Kunde hätte schon längst auf dem Hof sein sollen.
Plötzlich überkam ihn ein Verdacht. Ob der Auftrag womöglich storniert worden war? Das wäre schlimm. Sie brauchten das Geld. Und sie brauchten das gute Gefühl, das man bekam, wenn man etwas reparierte, etwas Kaputtes wieder zum Schnurren brachte.
Peter lief hinüber zum Haus seiner Eltern. Er wollte nicht mehr allein sein. Die Visionen schienen immer öfter zu kommen. Jemand musste auf ihn achtgeben.
In der Küche brannte Licht. Sein Vater stand vor einem dampfenden Topf und hielt zwei Eier in der linken Hand.
»Unser Auftrag ist wohl geplatzt?«, fragte Peter ohne Umschweife.
Sein Vater nickte traurig.
»Hellrogge kommt mit der alten Kiste gar nicht mehr vom Hof. Jetzt überlegt er, ob sich eine Reparatur überhaupt noch lohnt.«
»So ein Mist.«
Sein Vater klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Was soll’s. Womöglich hätten wir da gar nichts reparieren können.« Er hob den Deckel an und legte die Eier ins kochende Wasser.
»Auch eins?«
Peter schüttelte den Kopf.
»Wir haben auch so noch einiges zu tun«, erklärte Wolfgang dann mit fröhlich klingender Stimme. »Im Schuppen, wo mein Motor steht … Also da muss auch mal wieder ausgemüllt werden. Da sind wir bis heute Nachmittag beschäftigt.«
Peter hatte zunächst angenommen, dass es sich um eine reine Beschäftigungsmaßnahme seines Vaters handeln würde. Klar war der Schuppen schmuddelig. Wenn sich Peter recht erinnerte, gab es im hinteren Teil Ecken, die vollgestopft waren mit unzähligen Gegenständen, die eigentlich schon immer da gestanden hatten. Aber warum sollte sein Vater ausgerechnet heute auf die Idee kommen, dort auszumisten? Als Peter ihn vorsichtig danach fragte, während sie den Rolltisch mit dem darauf liegenden, zerlegten Motor ein wenig zur Seite schoben, fingen die Augen seines Vaters sofort an zu leuchten.
»Ich bekomme einen neuen Motor«, erklärte er stolz. »Hellrogge hat einen Mini-Kettenbagger bei sich rumstehen. Geht natürlich auch nicht mehr. Er hat gesagt, ich könnte ihn haben.«
»Mini-Kettenbagger?«
»Ja, so ein Ding, mit dem kleine Rohre auf den Fußwegen verlegt werden oder Gartenbauer manchmal arbeiten.«
»Wie kommt der alte Hellrogge zu so einer Maschine?«, fragte Peter.
»Vor Jahren haben sie vor seinem Bauernhof die Gasleitung repariert. Der Bagger wurde einfach auf dem Feld stehen gelassen.«
Peter schaute seinen Vater zweifelnd an und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Und dann kam Hellrogge und hat ihn sich gegriffen.« »Wahrscheinlich in dunkler Nacht«, lachte sein Vater.
»Also hat er damals noch funktioniert.«
»Muss wohl.«
Peter stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete den schaurig riesigen Berg Gerümpel, den seit Jahrzehnten keiner mehr angerührt hatte.
»Und du willst ihn dort hinten hinstellen?«
»Mhh. Ich denke, es ist ein guter Platz. Außerdem kann ich den ganzen Mist nicht mehr sehen. Zieh dir Arbeitshandschuhe an. In manchen der Holzplatten stecken sauspitze Nägel.«
Es war nicht nur Holz, was an der Schuppenwand in Vergessenheit geraten war. Nachdem sie etliche verschieden große Bretter ins Freie geschafft hatten, fanden sie eine Handvoll Plastikkanister, die befüllt waren. Wolfgang schraubte einen der Verschlüsse auf, roch daran und verdrehte anschließend hustend die Augen. »Was ist das?«, wollte Peter wissen.
»Eines der besten Unkrautmittel, die es früher gab«, antwortete sein Vater. »Hocheffizient. Aber auch hochgiftig. Wurde irgendwann in den Siebzigern verboten.«
»Was machen wir damit?«
»Erst mal raus mit dem Zeug«
Peter breitete eine weitere grüne Plane aus – davon hatte sein Vater einen schier endlosen Vorrat – und stellte den ersten Kanister darauf. Fehlte noch, dass die Dinger inzwischen porös geworden waren und ausliefen.
Er wartete einen Augenblick auf verräterische, feuchte Spuren auf der Plane, als Lackner plötzlich auftauchte und wie zufällig neben ihn tippelte. Der Alte blickte einmal kurz zu dem Kanister.
»Was gefunden?«
»Ja. Gift.«
Lackner ruckelte an seiner Brille und schnaufte leise. Das Interesse für die Kanister hatte er anscheinend schon wieder verloren.
»Ich habe Maren wegfahren sehen.«
»Stimmt.«
»Sucht die Kleine nach Wilhelm? Hast du ihr das erlaubt? Wo ist sie hin?«
Peter streifte die Handschuhe ab und fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Nasenflügel. Lackner beobachtete ihn dabei so interessiert, als wäre er ein seltener Schmetterling.
»Lass das mal unsere Sorge sein«, antwortete Peter, ohne auf eine der Fragen einzugehen. Er wandte sich um und stiefelte zurück in den Schuppen, um den nächsten Kanister zu holen. Als er einige Minuten später zurückkam und ihn auf die Plane stellte, stand Lackner noch immer lauernd daneben.
»Nun sag schon«, zischelte Lackner verschwörerisch. »Wo ist
Maren hin? Ich muss das wissen.«
Dieser alte Mann fing langsam an zu nerven.
»Ich habe da auch noch ein paar Fragen an dich. Du hast mit Opa in Finnland zusammen gekämpft. Bist später dazugekommen. Ihr standet gemeinsam in einer Höhle im Wald. Du hast irgendetwas von einem Geschäft gefaselt. Was war das für ein Geschäft? Was habt ihr da ausgeheckt? War euer unheimlicher Hauptmann eingeweiht?«
Während Peter sprach, wurde Lackners Gesicht aschfahl. Schon bei seiner ersten Feststellung hatte Lackner überrascht die Augenbrauen hochgezogen. Sein Ausdruck wandelte sich jedoch schnell von bloßem Erstaunen zu nacktem Entsetzen. Der Greis lief rot an und hechelte wie ein Hund. Als Peter geendet hatte und auf eine Antwort wartete, japste Lackner kläglich nach Luft. Kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und sein Gesicht sah plötzlich noch älter als sonst aus.
Für einen Moment befürchtete Peter, zu weit gegangen zu sein. Hatte er den alten Mann so aufgeregt, dass Lackner gleich hier und jetzt einen mittelschweren Herzinfarkt erleiden würde?
»Woher … woher weißt du?«, stammelte der Greis. Seine Haut glänzte, und seine Brille rutschte an den feuchten Nasenflügeln herunter. Er schien aus jeder Pore zu schwitzen. »Woher weißt du das?«, wiederholte Lackner ungläubig.
»Spielt keine Rolle«, gab Peter zurück.
Lackner hob die zitternden Hände und drückte die Finger mit Kraft gegen die Wangen. Dadurch wirkte sein Gesicht noch röter und kränker. Er warf Peter einen abgrundtief hasserfüllten Blick zu.
»Wird Zeit, dass du wieder der Alte wirst. Der ganz Alte!«