hat wieder Vertrauen

in die Menschheit gefunden,

auch dank Supermans Hilfe.

Jedoch kehrt auf Themyscira,

der Insel der Amazonen,

der Schurke Steppenwolf

mit einer Armee

aus Paradämonen

auf die Erde zurück …

Lea

Sie erwacht mit dem Gedanken an einen Sohn, der nicht ihrer ist. Ein fremder Junge, älter als Jannis. In einem Alter, in dem sie Jannis nicht kennt. Der Junge läuft, ein Fahrrad schiebend, eine Straße entlang. Er ist allein.

Das Bild verliert sich, während sie aufsteht und durch den hellen Flur zum Bad geht. Vage nimmt sie wahr, dass Dirks Hälfte des Bettes unberührt geblieben ist. Sie hört leise eine männliche Stimme. Nicht die von Dirk. Sie dringt aus dem Fernseher, es ist die sachlich berichtende Stimme eines Nachrichtensprechers.

Sie hält kurz inne, lauscht, dann betritt sie das Bad, streift das Nachthemd ab, betritt die Dusche und lässt kühles Wasser auf sich einprasseln. Sie schließt die Augen.

Eine Weile vergeht. Die Hitze ist intensiv, aber sie dringt nicht durch die Oberfläche ihrer Haut. Es ist, als würde nur

Als sie ins Wohnzimmer kommt, sitzt Dirk auf dem Sofa, zurückgelehnt, erschlafft. Auf dem Bildschirm flimmert ein Morgenmagazin, eine Frau backt Plätzchen, mit einer weißen Schürze bekleidet.

»In den Nachrichten kam nichts«, murmelt Dirk. Ganz leise, aber sie versteht jedes seiner Worte. Vielleicht stellt sie sich die Worte nur vor. Sie schweigt.

»Ist natürlich auch Quatsch«, sagt er. »Warum sollen die was darüber bringen.« Er hält inne, scheint nachzudenken. »Höchstens in den Lokalnachrichten«, fügt er dann hinzu.

Sie nickt. Betrachtet ihn. Ein Gedanke zuckt auf, der wenige Tage alt ist. Er kam an dem Morgen, an dem Dirk nach Berlin geflogen ist. Sie stand allein im Garten, neben dem Schwimmbad, es war sehr warm, und sie hat ihren Blick an dem Haus entlanggleiten lassen, in dem sie lebt. Ein Haus aus Glas. Sie hat daran gedacht, dass sie selten miteinander sprechen. Dass sie seine Stimme selten hört, wenn er im Raum ist. Häufiger, wenn sie, in seiner Abwesenheit, aus einem elektronischen Gerät dringt.

Sie hat gedacht, dass es seit einiger Zeit so ist.

Jetzt ist die Zeit geschrumpft und der Gedanke ohne Belang. Der Morgen hat erst begonnen, sie hofft, dass Sarah schläft.

Dirk schaltet den Fernseher aus.

Es ist, als würde, gemeinsam mit dem flimmernden Bild, noch etwas anderes erlöschen.

Landmann hat nicht geschlafen. Er weiß nicht, warum. Er hat nur eine Ahnung, die Ahnung hat sich lose mit einem Teddybären verbunden, den er sich vorstellt, weil er ihn noch nicht gesehen hat. Er muss Ben bei Gelegenheit um ein Foto bitten. Um ein Foto des Teddybären.

Er hat wach gelegen, zunächst in seinem Bett, dann im Wohnzimmer auf dem Sofa. Der Morgen hat Licht gebracht, das plötzlich einfach da war, und der Gedanke an den Bären hat sich verknüpft mit dem Gedanken an Barbara.

Er wird sie anrufen, am späten Vormittag, sobald sie erwacht ist. Barbara schläft immer etwas länger. Er hadert ein wenig mit sich, weil er ihr zuletzt eine Reihe väterlicher Ratschläge gegeben hat. Was eigentlich gar nicht seine Art ist und nie seine Art war.

Er kann sich nicht entsinnen, Barbara jemals Ratschläge erteilt zu haben, als sie heranwuchs, insofern erscheint es nicht logisch, das jetzt zu tun, beide sind über das Alter hinaus. Er sogar sehr weit. Vielleicht hat es damit zu tun. Seit er in Rente ist, Ermittler a. D., sucht er sich neue Betätigungsfelder, zum Beispiel das des erziehenden Vaters, der er nie war.

Zuletzt hat er mit Barbara an ihrem Geburtstag gesprochen, das liegt einige Wochen zurück. Er hat sogar in Erwägung gezogen, sie zu besuchen, aber Barbara war beschäftigt. Er hat ihr einige Nachrichten gesendet. Barbara hat sich über seine Verwendung von Emojis amüsiert. Sie

Er weiß, dass Barbara ihre Teenagerzeit genossen hat. Sie waren ein gutes Team. Dass er häufig lange gearbeitet hat, hat dazu beigetragen, dass Barbara ihren Freiraum fand. Und die Zeit wurde relativ, sie haben dann eben um Mitternacht Mathe gepaukt, Barbara fand es lustig und war umso motivierter. Auch wenn sie dann ihr Abitur in den Hauptfächern Englisch und Deutsch geschrieben hat.

Er steht auf. Auf dem Tisch stehen noch die Weißweingläser. Bens und seines. Er erinnert sich an die Geschichte, die Ben erzählt hat. So fühlt es sich an, wie eine Geschichte, weil er nicht mehr selbst ermittelt, nicht selbst Teil des Bildes ist.

Eine traurige, dunkle Geschichte. Plötzlich hält er einen Traumfetzen in Händen, vielleicht ist er doch kurz abgeglitten, auf der Schwelle zwischen Nacht und Morgen.

In dem Traum hat Ben ihm den Bären übergeben. Es war wie eine Preisverleihung, Ben hat eine Art Laudatio gehalten. In einem grauen Saal mit runden Tischen. Weiße Tischdecken. Der Saal war unbesetzt, Bens Worte klangen wie ein Flüstern, obwohl er ein Mikrofon hatte.

Landmann greift nach einem der Gläser, geht zum Kühlschrank, nimmt die Flasche und befüllt das Glas.

Dann steht er lange am Fenster, betrachtet den weiten Garten, den See, beide umgeben von frühestem Licht. Er nippt von Zeit zu Zeit, trinkt zwei Schluck, spürt morgenfrisch die bittere Kühle des Weins auf der Zunge.

Er wühlt sich nach oben, aus Schlamm, aus Morast. Er öffnet die Augen, tastet intuitiv, unwillkürlich nach der Bettdecke, möchte sich einhüllen, aber da ist keine Decke. Grau der Schlamm, grau der Morast.

Sobald er die Augen öffnet, stellt sich auch die Erinnerung ein, er liegt auf dem Sofa im Wohnzimmer, das Smartphone spielt die Melodie einer akustischen Gitarre, die Marlene eingestellt hat, gestern, vor dem Essen. Er nimmt das Gespräch entgegen, umschlossen von den Klauen eines grauen Traums, aus dem ihn Mark Lederer herausgerissen hat.

»Guten Morgen, Ben«, sagt Lederer.

Ben schweigt.

»Ich wollte dir gleich Bescheid geben. Wir haben was.«

Ben richtet sich auf. »Ja?«, fragt er.

»Ich bin auf einen verwandten Fall gestoßen.«

Er wartet. Verwandter Fall, denkt er.

»Ein verschwundener Junge. Ein Teddybär.«

Er denkt an Landmann. Was Landmann über den Teddybären gesagt hat.

»Hörst du?«

»Ja.«

»Nicht hier in der Gegend. Sondern in Innsbruck. Österreich. Der Junge verschwand vor mehr als einem Jahr. Der Fall ist nicht aufgeklärt. Die Unterlagen, die ich bisher verfügbar machen konnte, liegen schon auf deinem Schreibtisch.«

»Die Ermittlungen der österreichischen Kollegen fokussierten sich auf die Familie des Jungen.«

»Ja.«

»Die Familie stammt aus Eritrea.«

»Eritrea?«

»Ja. Genauer gesagt aus der Umgebung von Asmara.«

»Aha.«

»Das ist die Hauptstadt. Eine knappe Million Einwohner.«

»Okay«, sagt Ben.

»Ich verfolge das weiter«, sagt Mark Lederer.

»Ja, mach das«, sagt Ben. Er ist aufgestanden, ihm ist schwindlig. Sein Kopf fühlt sich leicht an, sein Körper schwer. »Ich bin dann gleich auf dem Weg«, murmelt er.

»Gut, bis dann«, sagt Lederer.

Christian

Als Christian ankommt, ist Lederer schon da.

»Wir haben was«, sagt er.

»Ja?«

»Ein vermisster Junge. In Innsbruck. Die Unterlagen liegen auf deinem Schreibtisch«, sagt Lederer.

»Danke«, sagt er.

Lederer nickt, wendet sich wieder seinem Bildschirm zu.

Christian setzt sich an seinen Schreibtisch, senkt den Blick auf die Akte, die Lederer zusammengestellt hat.

Der Gedanke streift ihn, dass er gerne einmal als Erster ankommen würde. In diesem Büro. Aber Mark Lederer ist immer schon da, wenn er kommt.

Sein Blick bleibt auf dem Wort haften. Innsbruck.

»Die Familie lebt übrigens inzwischen in Rosenheim, Deutschland«, sagt Lederer. Als habe er seine Gedanken gelesen. Christian würde sich nicht mal darüber wundern, sollte Mark Lederer dazu in der Lage sein.

»Aha?«

»Ja. Also, die Familie des verschwundenen Jungen. Lebt inzwischen in Deutschland, Rosenheim. Herkunftsland Eritrea.«

Christian nickt.

Innsbruck. Eritrea. Rosenheim.

Schall und Rauch.

Dawit.

Das ist der Name des Jungen. Christian lässt seinen Blick auf ihm ruhen. Der Name kehrt wieder. Und wieder. Und wieder. Aber nur in dem Text, den ein Innsbrucker Polizist formuliert hat. Der Name des Jungen ist allgegenwärtig, weil der Junge selbst in Wirklichkeit verschwunden ist. Ohne wiederzukehren.

Die Eltern des Dawit. Eyob und Feven.

Christian schließt die Augen, lehnt sich zurück.

Die Eltern des Jannis. Lea und Dirk.

Innsbruck, Wiesbaden-Biebrich.

Er lässt seinen Blick wieder über den Text gleiten. »Was

»Teddy«, sagt er.

Christian wartet.

»Die Teddys verbinden die beiden Fälle miteinander. Die Familie Gebreselassie hat an dem Tag, an dem der Sohn verschwand, einen Teddybären vorgefunden.«

Christian wartet.

»Der Bär lag auf dem Boden, vor einem Bürgerhaus. Der Teddy war da, Dawit weg. Vermutlich hat entweder Dawit oder der Unbekannte ihn fallen lassen.«

»Vor einem Bürgerhaus?«

»Ja, die Familie war auf einem Amt, wegen bürokratischer Abläufe, die Weiterreise nach Deutschland betreffend.«

Christian nickt. Er liest, streift den Text wie etwas Beiläufiges, Worte bleiben haften, kleben an seinen Augen, fallen ab. Gebreselassie. Er hat einen Läufer vor Augen. Einen hageren Mann, der rennt. Rennt und rennt und rennt.

»Kannst du dich an diesen Läufer erinnern?«, fragt er. »Diesen Langstreckenläufer?«

Lederer sieht ihn an. »Ja sicher, ich laufe ja selbst Mittelstrecke.«

Aha, denkt Christian.

»Zwei Stunden, drei Minuten, 59 Sekunden.«

»Was?«

»Gebreselassies Marathonbestzeit«, sagt Lederer. »Weltrekord, damals, aber inzwischen bereits verbessert.«

»Okay«, sagt Christian.

»Gebreselassie ist ein sehr gebräuchlicher Nachname in Eritrea und Äthiopien«, fügt Mark Lederer hinzu.

Dawit, sieben Jahre alt.

Jannis, fünf.

Er steht auf, läuft, murmelt. »Ich hole mir einen Kaffee.«

Er geht zügig den Flur entlang, fährt mit dem Aufzug nach unten, betritt die Kantine, die noch fast unbesetzt ist. Hinter der Theke stehen zwei junge Frauen, lachend, in ein angeregtes Gespräch vertieft. Er bestellt einen Kaffee, eine der beiden reicht ihm den Pappbecher. Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln, das ihm ein wenig Kraft einhaucht. Wie auch Lederer es getan hat, mit seiner Eigenart.

Irgendwie ist Christian, bei Lichte besehen, doch froh, dass Lederer immer zuverlässig da ist, wenn er morgens das Büro betritt.

Er sucht sich einen Platz aus, hat annähernd freie Wahl. Nur einer der Tische ist besetzt, er kennt den Mann flüchtig, ein Kriminaltechniker mittleren Alters. Der Kriminaltechniker blättert in einem Boulevardblatt, Christian kann eine der Schlagzeilen lesen. Totengräber hatte Sex mit Castingshow-Sternchen-Leiche.

Er spürt einen Druck hinter seinen Augen, schließt sie. Hebt den Becher, nippt an der schaumigen Milch, erahnt den heißen Kaffee darunter.

Jannis, fünf. Dawit, sieben. Laufen und laufen und laufen, als trage man einen Motor im Herzen. Und dann reicht es doch nicht. Dann verliert man den Rekord. Weil ein anderer schneller war. Warum?

Castingshow-Sternchen-Leiche. Was ist das?

Zu viele Fragen.

Elf-neun-sechs.

Ben

Am Mittag sitzt er bei Malvi. Er auf der einen, Malvi auf der anderen Seite des Schreibtischs.

»Aha, aha«, sagt Malvi.

»Mark Lederer hat die Verbindung gefunden. Die mit dem Fall betrauten Kollegen in Innsbruck sind informiert.«

»Aha.«

»Nicht begeistert, aber informiert.«

Malvi nickt.

»Wir fahren hin, Christian und ich.«

Malvi nickt. Betrachtet die von Lederer zusammengestellte Akte. Scheint noch einmal hin und einmal her zu überlegen. Sein Gesichtsausdruck würde Christian vermutlich zum Lachen bringen. Vorausgesetzt, er wäre in der richtigen Stimmung.

»Macht das«, sagt Malvi noch einmal.

Svea anrufen, denkt Ben. Und Marlene. Der Tag schreitet voran, während er das weitläufige Gebäude durchschreitet, und für Momente hat er das Gefühl, mit dem Tag zu gehen. Ihm immer einen Schritt voraus zu sein, und er fragt sich, was das bedeuten würde. Es fühlt sich gut an. Immer einen Schritt voraus zu sein. Nicht eingeholt werden zu können. Von was auch immer.

Er ruft Christian an, erreicht ihn in der Verwaltung, wo

»Gut«, sagt Ben.

»Diese Leute heißen übrigens Gebreselassie, hast du das gesehen?«

»Was?«, fragt Ben.

»Die Familie aus Eritrea. Gebreselassie. Wie dieser Langstreckenläufer.«

Ben kneift die Augen zusammen. Er läuft, während Christian von einem Langstreckenläufer erzählt. Den er nicht kennt.

»Bis gleich«, sagt Christian.

»Bis gleich.«

Ben läuft, beschleunigt. Der Flur ist lang, aber Ben hat den Eindruck, dass ihm der Platz ausgehen wird. Er braucht eine weite Fläche. Ein weites, freies Feld. Laufen und laufen und laufen. Dem Tag vorauseilen. Er verzichtet auf den Aufzug, nimmt die Treppen. In Bewegung bleiben. Er nimmt zwei Stufen mit jedem Schritt.

In der großen Eingangshalle bleibt er stehen. Durchatmen.

Draußen auf dem Parkplatz stehen die Dienstwagen unter der gleißenden Sonne. Christian wird sie nach Frankfurt fahren, dann der ICE Richtung Innsbruck, umsteigen in München. Ben stellt sich vor, Svea anzurufen. Bescheid zu geben, dass er unterwegs sein wird, über Nacht, in Innsbruck. Dann kommt die Angst, vor dem Tod. An einem fremden Tag. Im fremden Körper. Fremdes Land. Der Moment kommt und geht.