31

Ein Monat in Freiheit blieb noch, der kolossalen, die auch beängstigend war, der ganze September, davon drei Wochen mit dem Freund in einem schönen alten Hotel auf Teneriffa inmitten eines Parks mit Pfauen, damals noch bezahlbar, sogar mit Erdarbeiten. Wir gingen ans Meer und wären in hohen aufeinanderfolgenden Wellen fast ertrunken; wir bestiegen in den Morgenstunden den Pico de Teide in Turnschuhen, Shorts und Hemd und wären fast erfroren, wir spielten Tennis und lagen am Pool. Und Abend für Abend, nach vier Gängen im Speisesaal, stritten wir auf der Hotelterrasse bei Kaffee und Cognac über die Wege, wie die kleinbürgerliche Welt der Bundesrepublik am besten zu stürzen wäre, das kapitalistische System, ohne das die ganze Reise kaum hätte stattfinden können. Wir sprachen über seine und meine Rolle bei dem Umsturz, die meine dann mit Hilfe der erworbenen militärischen Kenntnisse, und wir sprachen über das, was nach dem Umsturz kommen sollte – anders als noch nach unserer Rückkehr von der Berlinwoche. Mit den sowjetischen Panzern im Prag endeten die Illusionen, dass man sich von der Diktatur des Proletariats à la Moskau oder Ost-Berlin eine Scheibe abschneiden könnte, und aus den Pariser Mai-Unruhen waren nur vorübergehend neue Idole hervorgegangen. Geblieben war die neu belebte alte Bewunderung für Sartre – den selbst de Gaulle für unantastbar hielt mit dem Wort (das heute wohl keinem Politiker mehr in den Sinn käme): Einen Voltaire verhaftet man nicht! Daher lasen wir in diesen Wochen auch, jeder mit seinem Exemplar, Das Sein und das Nichts; weil es aber recht mühselig war, die Tage im Liegestuhl mit diesem dicken Werk zu verbringen und die abendlichen Umsturzgespräche mit Sartres Ansicht, dass im Sein die Erstarrung liege und nur im Nichts die Freiheit, in Sackgassen führten, lasen wir noch beide im Wechsel ein schmales Buch, das mir der lebenskluge Freund meiner Mutter vor dem Abflug in Frankfurt statt eines Fünfers in die Hand gedrückt hatte, Das abenteuerliche Herz von Ernst Jünger. Und ohne dass wir viel darüber sprachen, wurde es der stille Katechismus dieser drei Wochen, mit einem auch stillen Bogen zu Sartres radikaler Idee von Freiheit: bei Jünger das plötzliche Aufbruchgefühl in der frühen Jugend, die machtvolle Erfahrung des Sommers, der Natur, einer Liebe, die in der Luft liegt – wie im Pariser Mai die Revolution in der Luft lag. Wir lasen und rauchten, wir schwammen um die Wette und ließen uns am Poolrand trocknen, wir griffen wieder zu den Büchern, den Zigaretten; und manchmal las einer dem anderen einen Satz vor, ausgestreckt in der Sonne auf dem so schmalen Grat zwischen Jungsein und Schon-nicht-mehr-Jungsein.

Auch auf dem einzigen erhaltenen Foto aus diesen drei Wochen sind dem, der dafür Gräben ausgehoben hat, die vorangegangenen Strapazen so wenig anzusehen wie die erhaltenen Abschiedsbriefe von zwei Frauen, die ihn beglückt hatten. Das farbige Bild wurde mit einer teuren Kamera des Freundes aufgenommen, wir sitzen am Poolrand, er mit seinen Zigaretten in Reichweite, ich mit einem Bier in der Hand. Wir sind zwanzig, tief gebräunt und gut gebaut, ohne Anzeichen irgendeines Trainings; mit geschenkter Figur sitzen wir da, zwei, die unverschämt in die Welt lachen. Es ist das Foto, das den Höhepunkt einer Jugend festhält, wir sind in der Form unseres Lebens, aber das sehen nur die anderen, wir spüren es lediglich am Kräfteüberschuss oder den Blicken, wenn wir abends in den Speisesaal treten, dem Rätselraten, ob wir etwa ein Pärchen seien. Der Freund reagiert darauf mit ersticktem Lachen, er nimmt sich eine Zigarette und macht den Frauen beim Entzünden schöne Augen – ihm bleiben keine fünfunddreißig Jahre mehr, bis er mit Greisengesicht an einem Waldsee unweit von Berlin kopfüber auf einen Holztisch sinkt und stirbt, Welten entfernt von jenem Foto. Es gibt davon kein Negativ, es ist verloren gegangen, und nur den einen Abzug, auf der Rückseite in meiner Schrift die Feldpostadresse eines gemeinsamen Freundes, GI im Vietnamkrieg, des Comic-Zeichners in der einmaligen Schülerzeitung. Rückseite und Vorderseite des Fotos stehen also in scharfem Gegensatz und haben doch etwas Verbindendes: Bei genauem Hinsehen zeigt sich der bedrohte oder schon überschrittene Höhepunkt einer Jugend. An der langen nüchternen Feldpostadresse ist die Enteignung eines Körpers, erreichbar nur unter dieser Adresse, sein mit Haut und Haaren Ausgeliefertsein, buchstäblich Ziffer für Ziffer abzulesen; und beim genaueren Betrachten der zwei Freunde am Poolrand kommt man nicht umhin, sich vorzustellen, dass es mit ihrer jugendlichen Frische von da an nur noch bergab gehen kann, einmal noch aufgehalten von diesem Urlaub.

Die drei Septemberwochen waren ein einziger langer, zeitloser Augenblick, eine Leerstelle des Lebens, auch wenn sie damals etwas Erfüllendes hatten. Und dieser lange Augenblick endete am ersten Oktober, als ich in einen Fliegerhorst bei Mengen am Rande der Schwäbischen Alb einrückte, während der Freund den langen Moment der Jugend noch weiter in die Länge zog (nicht zuletzt mit meiner Schwester), ebenso andere aus der Abiturriege, die meisten in West-Berlin und dort mit jeder Praxis befasst nur nicht der des Klassenkampfs, wie es besprochen war. Folglich hatte meine Praxis, etwa den Verschluss eines Gewehrs mit verbundenen Augen auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen, bald so viel Hirnverbranntes, dass etwas dagegen geschehen musste; darüber reden konnte ich mit keinem in der Kompanie, und an Schreiben war vor ständigem Müdesein nicht zu denken. Einige Male versuchte ich es mit Geselligkeit abends in der Kantine, wo es immer einen gab, der für zwanzig Mark sein Bierglas langsam kleinbiss und aufaß, beklatscht von denen, die das Geld zusammengelegt hatten; der Rekrut in der Krise gehörte dann dazu, er konnte sich mit amüsieren. Aber das verbrauchte sich, wie auch das Tischtennisspielen, das Siegen nach zehn Jahren Internatstraining, und ich suchte, wie schon als Kind in Hamburg, das Heil im Zeichnen und Malen. In einem Kellerraum des Kompaniegebäudes, dem Raum für das Waschen der eigenen Wäsche, bezog ich in den Freistunden eine Ecke und begann, nach Kauf von Stiften und Pinseln, weißem Karton und farbiger Tusche, mit Bildern, die im Grunde eine Einsamkeit der Haut festhielten, Bilder, für die es gar keiner Stifte und Farben bedurft hätte, nur einer blanken Leinwand, nicht aufgezogen und ohne Rahmen.

Es war ein Tun an jedem freien Abend, und das erste Bild, das etwas Gelungenes hatte, den Maler bejahte, kam an die Wand über seinem Bett, wo es nur eine Nacht lang hing, dann nahm der Kompaniefeldwebel es persönlich ab, mit der Begründung, dass es krank sei und die Moral untergrabe. Also rollte der Maler es ein und sandte es an die neue Adresse seines Vaters – ein Glücksfall, denn es ist das einzige Bild, das diese Zeit überdauert hat. Und es war auch mein Vater, zwölf Soldatenjahre im Rücken, der die Bedrängnis des Sohnes sah und ihm einen alten VW Käfer besorgte, ein Auto von trübem Hellgrün, günstig gekauft in Esslingen bei Stuttgart mit dem unvergesslichen Kennzeichen ES-TX-50, damit ich ihn in der Nähe von Heilbronn, wo er ein Häuschen gekauft hatte, besuchen konnte. Jedes zweite Wochenende fuhr der Sohn nun mit Sommerreifen über die schon weiße Alb, immer ein fertiges Bild auf der Rückbank, und das mir zugeteilte Zimmer in dem Haus hatte bald volle Wände, so bedrängend voll, dass ich die Bilder nach und nach zerstört habe oder an solchen Plätzen deponiert, die sie allmählich aus dem Bewusstsein mit verschwinden ließen (nur jenes die Moral untergrabende Bild hat sogar auch spätere Umzüge überdauert und hängt seit langem in meiner Arbeitswohnung, gerahmt und hinter Glas).

Gute Wochenenden waren das in dieser Grundausbildungszeit, ich lernte die junge Frau kennen, mit der mein Vater seit längerem zusammen war, eine in Darmstadt tätige Buchhändlerin, vorher Stuttgart, dort hatten sie sich erstmals gesehen, der Kunde, der ein Buch suchte, und die Schöne, die ihn bediente. Ich konnte mit ihr über neueste Bücher reden, dagegen mit meinem Vater über die Widrigkeiten des Soldatseins; Vater und Sohn erlebten eine verspätete Beziehung, manchmal kamen wir Freitagnacht fast zur selben Zeit an, er von einem Verkaufsseminar, das er, inzwischen längst wieder selbstständig, irgendwo in einem Tagungshotel gehalten hatte, ich vom Drillalltag. Wir machten uns etwas zu essen, mein Vater hatte auch in der Küche ein Talent zum Improvisieren, und nach dem Essen blieben wir noch lange am Tisch, tranken, rauchten und redeten, wie es sein sollte oder früher hätte sein sollen. Am anderen Tag kam seine Gefährtin dazu, und wieder wurde es ein Essen und Trinken, ein Rauchen und Reden bis in die Nacht. So gingen die dunklen Rekrutenmonate herum, und mit Beginn des neuen Jahres hatte ich, durch die gemalten Bilder, das eigene Auto und die bestandene Zeit, genug im Rücken, um nach einem kurzen Lehrgang selbst Rekruten auszubilden, sie den Umgang mit Waffen zu lehren, immer noch in dem geheimen Wahn, dadurch vorbereitet zu sein auf den bewaffneten Kampf gegen das System. Nur waren es meine Bilder, auf denen sich der Befreiungskampf mit Bleistift und feinem Pinsel abspielte, hin zu grenzenlosem Körperlichsein, zu Mann und Frau, die ineinander übergehen, zur Aufhebung jeder Einsamkeit der Haut auf dem Malkarton oder der Leinwand; und einmal im Monat, wenn der malende Ausbilder zu seiner Mutter ins fernere Frankfurt fuhr, seinen Wehrsold in der Tasche, wurde es auch eine Aufhebung in der Wirklichkeit.

Frankfurt, das war der Sturz zu denen, die schon am frühen Nachmittag rauchend in Hauseingängen unweit des Bahnhofs standen, gleichgültig lauernd – am Anfang nicht mehr als ein verstohlenes Schauen, als suchte der Soldat auf Wochenendurlaub gar nichts, ein Wählen im langsamen Gehen, auch wenn es nichts zu entscheiden gibt, die Wahl schon feststeht. Immer ist es eine der Weicheren, schon etwas Lebensgezeichneteren, die seine Schritte noch mehr verlangsamt, eine mit Hüften wie eine Zuflucht und kleinen Falten auf der Stirn, etwas Bekümmertem, das ihn am Ende stehen bleiben lässt. Und jetzt bedarf es nur eines Blickes, der ihn aufnimmt, noch bevor er den Hausflur betritt, und oben im Zimmer der auch zugewandten Stimme, wobei Mundart nicht stört, ja im Gegenteil, sie hilft ihm, wenn er nicht weiß, was nun; er braucht die Wörter, die ihn auf Händen tragen, und wenn sie fallen, sind sie wie Körperteile und fügen alles zu einem Ganzen. Die Bilder, die er im Keller der Kompanie Abend für Abend angepeilt hat, sind dann zum Greifen, Manifestationen des Ersehnten, in die sich der Soldat entleert, um danach, noch benommen, wie betrunken vom Glanz der Details, in ein Café zu gehen, wo er gegen Abend mit seiner Mutter verabredet ist. Nur kommt sie, ihrer Art entsprechend, schon etwas früher; sie streichelt seine Hände, in denen er ein Buch hält – Hubert Fichte, Die Palette, am Vormittag in der Bahnhofsbuchhandlung unter den Mantel gesteckt –, als die Hände noch den Geruch der Hure aussenden, das ist jetzt sein Wort in Gedanken. Stell dir vor, ich komme gerade von einer Hure: Das zu sagen liegt ihm auf der Zunge, weil er es so empfindet, wenn auch in der anderen, vernebelnden Sprache. Aber er sagt, auf die Frage nach seinem Nachmittag, seinen Erlebnissen in der Stadt, dass er sich nur etwas herumgetrieben habe, da und dort. Er lässt offen, wo und wie, damit sich die Frau Mama – für sie jetzt das stille, unausgesprochene Wort – ihren Teil denken kann, und das tut sie offensichtlich. Sie nippt erst an einem Glas Sekt, die Augen geschlossen wie auf dem Ikonenfoto, sieht dann knapp über ihn hinweg und sagt lachend: Na, schau nur, dass du dir nichts holst dabei.

Meine Mutter hatte ihr ganz eigenes Format, indem sie ungebremst Anteil nahm, aber auch häufig auf sich als Anteilnehmende verwies, ja überhaupt auf sich, ebenfalls ungebremst, verwies: Schau, das bin ich, deine Mutter – eine Haltung, die mit den Jahren nicht abnahm, im Gegenteil, nur fehlt ein Dokument dazu. Und dabei fiele es leicht, aus all den Bildern von einer schon alten, aber noch nicht hinfälligen, noch machtvollen Mutter, die mir in Erinnerung sind, das eine, das diese Haltung vollkommen zeigt, auszuwählen, damit es durch ein Verfahren, das es leider nicht gibt, in ein hochaufgelöstes Foto transformiert würde, das sich dann, im Silberrahmen, auf den Schreibtisch stellen ließe. Es wäre das Bild, wie meine Mutter, bei einem der seltenen Besuche des Sohns während der Wintermonate – er dann nicht auf dem Weg nach Oberitalien, sondern extra angereist –, wenn er nach der Zugfahrt zur vereinbarten Zeit an ihre Tür klopfte und sie ihn mit noch energischem Rufen bat, ihr noch eine Minute zu geben, und nach dieser Minute Herein! rief, als hätte er soeben geklopft, und er mit dem Schlüssel, den er an der Rezeption empfangen hatte, die Tür öffnete und sie, ohne sich irgendwo zu halten oder ihren Stock zu gebrauchen, sozusagen freihändig mitten im Zimmer stand, schlank und kerzengerade, die perlgraue Perücke wie einen Helm auf dem Kopf, die Hände fast an der Hosennaht, in einer nur leicht gelockerten militärischen Grundstellung, das Spielbein etwas abgerückt. Am erstaunlichsten aber war ihr Ausdruck, der einer Verführerin, lauernd auf ein Kompliment als Zeichen der Schwäche für sie seitens des Sohnes, zur Hälfte Mann wie jeder andere, nicht ihr Fleisch und Blut. Sie zeigt – auf dem Foto, das es nicht gibt – ein feines, schon maliziöses Lächeln, in sich starr wie für die Fotoapparate ihrer Jugend, als es noch hieß Schön stillhalten, und in den Augen liegt, bei ihr eher ungewohnt, ein Funkeln. Sie blitzt den alten Sohn an, ohne ein Wort in den ersten Sekunden; sechs, sieben Herzschläge lang steht sie so vor ihm, stand sie vor mir, wie eine ausbalancierte Wachsfigur, die aber, wäre plötzlich ein Luftzug gekommen, auch hätte umfallen können. Etwas Totes ging von ihr aus und in dem Funkeln aus den Augen auch etwas aufreizend Lebendiges, eine stumme Botschaft, Schau, wie es mich noch gibt, sieh, wie ich dastehe, gerade, schlank und elegant, ganz die alte junge Dame. Und der Sohn setzt seine Reisetasche ab, er tritt auf sie zu, weil sie sich gar nicht rührt, wie in der Angst, sie könnte sonst zu Staub zerfallen, und etwas von diesem Wahn überträgt sich: Der Besucher zögert mit einer Umarmung, fast schon förmlich sagt er Guten Tag. Und erst jetzt gibt sich die Mutter gleichsam frei für die Begrüßung, streckt die Hände aus und hält ihrem Sohn eine Wange und auch gleich den Mundwinkel hin, sie sagt, ihr Lippenstift sei kussecht, und er küsst sie, so sachte es geht, damit die Statue nicht ins Schwanken kommt. Aber schon seine Nähe, der Luftwirbel, den er erzeugt, ist etwas zu viel; plötzlich stützt sie sich an ihrem Lesesessel ab, sie bittet ihn mit Nachdruck um seinen Arm und greift mit der freien Hand fahrig in die Luft, sie sagt, er solle seine Tasche seitlich in der Diele abstellen, damit man die Tasche nicht sehe, und er solle seinen Mantel aufhängen, nur auf keinen Fall über ihren. Dann verlangt sie nach Hilfe, um sich zu setzen, nach zwei Händen für ganz langsames Setzen, und als sie so sitzt, wie es sein soll, möchte sie ein Glas Wasser, aber nicht zu sehr eingeschenkt. Sie sagt ihm, welches Glas, und deutet an, wie voll es zu sein habe, und er macht das alles, reicht ihr das Glas, und nachdem sie getrunken hat, einen Spatzenschluck und keinen weiteren, fragt sie, wie seine Reise war, die Fahrt im Zug, die Fahrt im Taxi, wartet aber die Antwort nicht ab. Sie seufzt und sagt, dass es jetzt Tage gebe, hier in ihrem Appartement, an denen Sterbenwollen und Lebenwollen beieinanderstünden wie ungleiche Geschwister und sich an der Hand hielten – ob ich mir das vorstellen könnte? Und der Besucher stellt, um Zeit zu gewinnen, die Reisetasche wie gewünscht in die Diele, er zieht seinen Mantel aus und hängt ihn an einen Haken, er zieht auch die Schuhe aus und kehrt auf Socken an den Sessel zurück, und erst jetzt erwidert er etwas, er sagt Nein, das heißt ja, und will von einer Winternacht erzählen, die Jahrzehnte her ist, von einem ähnlichen Gefühl wie ihrem, aber da hat sie schon ein Notizheft in der Hand und sagt, dass sie ihm jetzt ein Gedicht von ihr vorlesen werde – Damit wir das hinter uns haben, fügte sie hellsichtig hinzu, das zweite Erstaunliche in der ersten Stunde dieses Besuchs nach dem so wachsfigurenhaften Anblick bei der Begrüßung. Und dann las sie mit Theaterstimme das Gedicht vor; unmöglich, den Worten, den Versen zu folgen, ich sah und hörte sie nur für den Sohn die kleine Weltbühne ihres Appartements beherrschen. Und immer noch, auch heute in dem Zimmer mit Meerblick, in dem sie und ihr Mann, mein Vater, die so märchenhaften Tage von Alassio verbracht hatten, ist da die Frage, ob sie an diesem Nachmittag geahnt hat, was für eine Zumutung sie sein konnte.